Was muss Peter Kurth nur alles
ertragen in diesen Tagen. Sogar zu einem öffentlichen
Biergeschmackstest ist der aus Berlin importierte Kölner
CDU-Oberbürgermeisterkandidat bereits angetreten. Und
verwechselte dabei gleich mal Kölsch mit Alt. Eine Todsünde in
der Domstadt, die seinem SPD-Konkurrenten Jürgen Roters
selbstverständlich nicht passieren würde. Es läuft nicht
wirklich rund. Aber wie könnte es auch?
Es bedarf schon eines gehörigen
Maßes an Masochismus, um derzeit für die Union in der Domstadt
in den Ring zu steigen. Kurth ist als Notlösung eingesprungen.
Der noch amtierende Oberbürgermeister Fritz Schramma musste
aufgrund seines dilettantischen Krisenmanagements nach dem
Einsturz des Kölner Stadtarchivs auf eine erneute Kandidatur
verzichten. Über die Suche nach einem Nachfolger ging Woche um
Woche ins Land. Dann wurde dem nordrhein-westfälischen
Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers das Treiben seiner
Parteifreunde zu bunt, er aktivierte seine Drähte in die
Berliner Parteizentrale. Kurz darauf warf Kurth seinen Hut in
den Ring. Zur Wahl am 30. August tritt er für eine CDU an, die
durch interne Machtkämpfe völlig zermürbt und von unzähligen
Korruptionsaffären tief erschüttert ist. Ein schier
aussichtsloses Unterfangen, zumal für jemanden, der keinen
Karneval mag und kein Verhältnis zum Kölsch hat. Doch das ist
nicht Kurths einziges Problem.
SPD-Kandidat im Vorteil
Die Aussichten für seinen
sozialdemokratischen Gegenkandidaten Roters sind nämlich ganz
gegen den bundesweiten Trend glänzend. Der ehemalige Kölner
Polizei- und Regierungspräsident ist in einer äußerst
komfortablen Position: Er kann nicht nur auf seine eigene Partei
bauen, sondern auch auf die Unterstützung der in Köln
traditionell starken Grünen, die bei der vergangenen Europawahl
mit 23,2 Prozent der Stimmen sogar die SPD (22,5 Prozent)
überholen konnten. Keine Selbstverständlichkeit: Bei der letzten
OB-Wahl im Jahr 2000 stellte die selbstbewusste Öko-Partei nicht
nur für den ersten Wahlgang eine eigene Kandidatin auf, sondern
verzichtete auch noch explizit auf eine Empfehlung für die
Stichwahl zugunsten der damaligen SPD-Kandidatin. Was dieser den
Wahlsieg kostete. Diesmal ist Roters der Kandidat beider
Parteien, ausgewählt von einer paritätisch besetzten
Findungskommission. Seine Aussichten werden zudem dadurch
verbessert, dass sich die Linkspartei nach heftigen
innerparteilichen Diskussionen dazu durchgerungen hat, keinen
eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken.
Von solch formidablen
Verhältnissen kann Peter Kurth nur träumen. Dabei ist er
eigentlich mit seiner Liberalität und Weltoffenheit ein geradezu
idealer CDU-Kandidat in einer Großstadt wie Köln, durchaus
vergleichbar mit Ole von Beust oder Petra Roth. „Kompetent,
sachorientiert, lebensfroh und tolerant“ sei er, schwärmt die
frühere grüne Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer von
ihm. Doch Köln ist nicht Hamburg oder Frankfurt. Das bekam die
Domstadt-CDU schon bei der letzten Stadtratswahl vor fünf Jahren
derbe zu spüren. Ihre damalige Liaison mit den Grünen bestraften
die Wähler gnadenlos: Die Union fiel von 45,2 auf 32,7 Prozent –
jubeln über das eigene grandiose Abschneiden konnten hingegen
die FDP und die rechtsextreme „Bürgerbewegung Pro Köln“.
Die Konkurrenz im
„Rechts-der-Mitte“-Spektrum dürfte auch Kurth kräftige Verluste
in der Stammwählerschaft bescheren. Besonders bitter für ihn ist
dabei, dass es diesmal keine Stichwahl mehr geben wird. Die hat
die schwarz-gelbe Landesregierung abgeschafft. Sowohl die FDP
als auch „Pro Köln“ schicken eigene Kandidaten ins Rennen. Die
versuchen genau in jenem Klientel zu fischen, das der gebürtige
Siegburger als Kernpotenzial weitgehend geschlossen hinter sich
bringen müsste, um überhaupt eine realistische Chance zu haben.
Auf der einen Seite hetzt der 45-jährige „Pro Köln“-Chef Markus
Beisicht gegen den „Berliner Polit-Zombie“ und buhlt um die
Stimmen aus dem quantitativ nicht zu unterschätzenden
klerikal-reaktionären Milieu.
Auf der anderen Seite steht der
FDP-Ratsfraktionsvorsitzende Ralph Sterck. Sein Antritt verdankt
sich in erster Linie der Arroganz der Kölner CDU, die es nicht
für nötig hielt, frühzeitig mit den Liberalen über eine
gemeinsam getragene Kandidatur zu verhandeln – ein dummer
Fehler. Auch Kurth gelang es nicht mehr, den Fauxpas zu
korrigieren und den 43-jährigen Hauptgeschäftsführer der
nordrhein-westfälischen FDP doch noch zu einem Rückzug zu
bewegen. „Falls die CDU einen schwulen Kandidaten ausgesucht
haben sollte, um mich zum Rückzug zu becircen, hat sie sich
geirrt“, beschied ihm Sterck kühl.
Als Peter Kurth 2003 in Berlin
erst Fraktions- und dann Parteichef werden wollte, servierte ihn
die Hauptstadt-Union gleich zweimal hintereinander ab. Kurths
private Verhältnisse, hieß es damals hinter vorgehaltener Hand,
passten eben nicht so. Frustriert zog er sich aus der
Landespolitik zurück und übernahm einen Vorstandsposten beim
Entsorgungsunternehmen Alba. Kurz darauf outete ihn das
Homosexuellen-Magazin Sergej – und Kurth nutzte die Gelegenheit,
sich öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung zu bekennen.
Nun treten mit ihm und seinem
FDP-Konkurrenten Sterck gleich zwei bekennende Schwule für das
„bürgerliche“ Lager in einer Großstadt zu einer OB-Wahl an –
eine deutsche Premiere. So liberal die Stadt sich nach außen
auch gerne gibt: Risikolos ist das offene Schwulsein eines
CDU-Kandidaten in der katholischen Hochburg Köln samt des
homophoben Kardinal Joachim Meisner keineswegs. Nicht wenige an
der bisweilen arg provinziellen CDU-Basis haben damit immer noch
gehörige Probleme. Kurth ist sich dessen bewusst. Es werde
sicherlich einige Konservative geben, die keinen schwulen OB
wollten, räumt er ein. Andererseits gebe es jedoch „ebenso
Leute, die wollen, dass sich die CDU bestimmten
Modernisierungsprozessen öffnet“. Zudem bekenne er sich „nicht
nur zu allen Aspekten meiner Persönlichkeit, sondern auch dazu,
praktizierender Katholik zu sein“. Ob das reichen wird? Eher
nicht. SPD-Konkurrent Jürgen Roters lässt sich unterdessen
großflächig mit Ehefrau und seinen drei Kinder plakatieren.
Sekunden des Fremdelns
Der smarte und eloquente Kurth
macht bei den Diskussionen mit seinen beiden Konkurrenten
durchaus eine gute Figur. Bisweilen ist ihm allerdings doch
anzumerken, dass er sich erst in einem Crashkurs in die
Niederungen der Kölner Lokalpolitik einarbeiten musste. Wenn es
um die Details geht, wirkt insbesondere der langjährige
Kommunalpolitiker Sterck um einiges kompetenter.
Weitaus problematischer für Kurth
ist allerdings, dass er Roters einfach nicht zu fassen bekommt.
Weder Kurth noch Roters sind Polarisierer. Das Bierzelt ist
nicht ihr Revier, populistisches Auftreten ihnen fremd.
Politisch tummeln sich beide in der gesellschaftlichen Mitte.
Die – durchaus bestehenden – Unterschiede zwischen ihnen sind
nicht so groß, dass sich an ihnen ein Lagerwahlkampf initiieren
ließe. Genau den jedoch bräuchte Kurth zur Mobilisierung der
Unionsanhänger. Hinzu kommt, dass sich der SPD-Mann im Wissen um
die für ihn seit Monaten hervorragenden Umfragewerte auf die
Strategie verlegt hat, Fehler zu vermeiden und seinen Gegnern
keine Angriffsflächen zu bieten. Entsprechend ungenau und vage
bleiben viele seiner Aussagen.
Wer Kurth bei seinen diversen
Auftritten in diesen Tagen quer durch die Domstadt aufmerksam
beobachtet, erlebt immer wieder kurze Augenblicke, in denen sein
Lächeln erstarrt und seine Augen plötzlich ins Leere blicken.
Unnahbar wirkt der CDU-Kandidat dann, unglaublich fern scheinen
ihm in diesen Momenten die Menschen zu sein, die er eigentlich
für sich gewinnen will. Es ist eine Form des Fremdelns. Es macht
den Eindruck, als stelle er sich einen Atemzug lang still die
Frage: Warum tue ich mir das an? Es sind nur Sekunden, dann hat
er sich wieder im Griff.
Vom Job des Kölner
Regierungspräsidenten bis zum Ministeramt in Düsseldorf: Es gibt
einige Spekulationen darüber, was Kurth wohl an Kompensationen
angeboten worden sein könnte, damit er sich auf das Kölner
Abenteuer einlässt. „Es hat weder Gespräche noch Zusagen mit
Blick auf die Zukunft von Herrn Kurth gegeben“, dementiert
jedoch das Büro des Ministerpräsidenten. Kurth selbst sagt, er
wolle im Falle einer Wahlniederlage im Rheinland bleiben.
Konkreter wird er nicht. Vielleicht heuert er beim Kölner
Recycling-Unternehmen Interseroh an. Das gehört mehrheitlich
seinem bisherigen Berliner Arbeitgeber Alba.