Die Besitzerwechsel von Hamburger
Morgenpost und Berliner Kurier standen in den vergangenen
Wochen im Schatten des spektakulären Berliner-Zeitungs-Deals. Dabei
könnte DuMont gerade auf dem Boulevardmarkt große Pläne hegen.
Ob Berliner Zeitung oder
Frankfurter Rundschau: Wenn es um den Aufstieg der Mediengruppe
M. DuMont Schauberg (MDS) zum drittgrößten Zeitungsverlag in der
Bundesrepublik geht, konzentriert sich die Betrachtung schnell auf
die namhaften Qualitätszeitungen, die das traditionsreiche Kölner
Zeitungshaus erworben hat.
Dabei gerät leicht aus dem Blick,
dass im Zusammenhang mit der im April formell vollzogenen Übernahme
des Berliner Verlags die DuMonts auch auf dem Boulevard aufgestiegen
sind. Nach dem Erwerb der deutschen Verlagsaktivitäten von David
Montgomerys Mecom-Gruppe gebietet MDS nun über drei durchaus
beachtenswerte Straßenverkaufszeitungen: Zum Eigengewächs Express
haben sich der Berliner Kurier und die Hamburger
Morgenpost gesellt.
Gewagtes Experiment.
So gerne sich Aufsichtsratsvorsitzender Alfred Neven DuMont im Glanz
seiner „seriösen“ Neuerwerbungen sonnt, die beiden Boulevardtitel
sind nicht nur ein Beifang. Vielmehr erhofft sich MDS, mit ihrer
Hilfe einen publizistischen Ausweg aus dem Siechtum zu finden, das
den Kölner Express und sein Düsseldorfer Schwesterblatt
befallen hat.
Das Experiment ist gewagt.
Schließlich befindet sich der Boulevard nach wie vor in einer tiefen
Krise. Der Markt für Straßenverkaufszeitungen schrumpft in ganz
Deutschland und ist durch die Übermacht der Bild-Zeitung
völlig verzerrt: Bild verzeichnet zwar auch deutliche
Auflagenverluste, verkauft mit knapp 3,2 Millionen Exemplaren
täglich aber mehr als dreimal so viele Zeitungen wie alle anderen
Boulevardblätter zusammen.
Ist es Wagemut oder Aberwitz, was MDS
dazu verleitet hat, trotzdem expansionistisch auf eine Gattung zu
setzen, der manche seit langem den schleichenden Tod prophezeien?
„Der Boulevard hat keine Entwicklungschancen mehr“, diagnostizierte
bereits Ende der 90er Jahre der Bonner Kommunikationsforscher Walter
J. Schütz. Da das Konzept sich „überlebt“ habe, handele es sich um
eine aussterbende Spezies, die höchstens „noch eine Nischenexistenz
fristen“ könne.
Die Auflagen bröckeln.
Das allerdings war ein etwas zu forscher Abgesang. Immerhin konnte
der Sturzflug ins Bodenlose, in dem sich die Auflagen nach einem
kurzen, der Wiedervereinigung geschuldeten Zwischenhoch zu befinden
schienen, mittlerweile abgebremst werden. Gleichwohl ist die Lage
weiter prekär, denn gestoppt werden konnte der Abwärtstrend bis
heute nicht. Es bröckelt weiter – auch bei den alten und neuen
MDS-Blättern.
So sank laut IVW vom ersten Quartal
2008 bis zum ersten Quartal 2009 die verkaufte Auflage der
Hamburger Morgenpost von 115.000 auf 113.000 Exemplare und des
Berliner Kuriers von 133.000 auf 129.000. Zum Vergleich: Ende
der 90er Jahre verkaufte die MoPo noch mehr als 140.000, der
Kurier mehr als 185.000 Exemplare.
Auch der Express verkaufte im
ersten Quartal 2009 nur noch 162.000 Exemplare – gegenüber 166.000
Exemplaren ein Jahr zuvor. Ende der 90er lag man bei einer runden
Viertelmillion. Die Düsseldorfer Express-Ausgabe, die DuMont
gemeinsam mit dem Verlagshaus Girardet (Westdeutsche Zeitung)
verlegt, findet ebenfalls immer weniger Käufer, inzwischen nur noch
43.000. Zu besten Zeiten Mitte der 80er Jahre kamen die Express-Ausgaben
gemeinsam sogar fast auf eine Verkaufsauflage von einer halben
Million. Lange ist’s her. Nun lautet die Perspektive, die Krise als
Chance zu begreifen. Die Not soll über regionale Grenzen hinweg
zusammenschweißen.
Noch in Beratungen.
Wie weit die Kooperation reichen soll, ob langfristig mit einer
gemeinsamen Chefredaktion für alle drei Boulevardtitel zu rechnen,
möglicherweise gar an eine Verschmelzung gedacht ist, darüber wird
am Kölner Stammsitz bisher nichts verraten. „Wir möchten zu Ihren
Fragen derzeit keine Stellung nehmen, da wir uns noch in Beratungen
über die zukünftige Strategie der Boulevardtitel befinden“, beschied
MDS-Vorstand Konstantin Neven DuMont eine Anfrage des journalists.
Einiges spricht dafür, dass die Entscheider an der Amsterdamer
Straße selbst noch nicht so genau wissen, wohin die Reise eigentlich
gehen soll.
Boulevard-Netzwerk?
Ebenso verschlossen zeigt sich MDS, wenn es um mögliche weitere
Zukäufe in dem Segment geht. Das wäre nicht abwegig, weil damit eine
Art bundesweites Netzwerk an regionalen Boulevardzeitungen etabliert
und unter Umständen der omnipotenten Bild-Zeitung so
überregional wenigstens etwas Konkurrenz entgegengestellt werden
könnte.
Gut ins Portfolio passen würde die
mit wirtschaftlichen Problemen kämpfende Münchner Abendzeitung,
ebenso die Morgenpost Sachsen. Aber solche Überlegungen sind
momentan nur wilde Spekulation. „So ein Konstrukt würde natürlich
betriebswirtschaftlich Sinn ergeben“, sagt Horst Röper vom
Dortmunder Formatt-Institut. „Dazu müssen die Zeitungen aber nicht
zwingend in einer Hand sein“, so der Zeitungsexperte gegenüber dem
Mediendienst Meedia. Man könne schließlich auch Synergien über
Verlagsgrenzen hinaus erschließen.
Zur Neuaufstellung ihrer
Boulevardtitel haben sich die DuMonts einen alten Bekannten zurück
an Bord geholt: den ehemaligen Bild-Chefredakteur und
Herausgeber Claus Larass. Laut Konstantin Neven DuMont soll das
Yellow-Press-Urgestein die Mediengruppe „bei der konzeptionellen
Weiterentwicklung von Express, Berliner Kurier und
Hamburger Morgenpost“ beraten. Larass kennt MDS gut, saß von
2003 an für einige Zeit im Aufsichtsrat. Seniorchef Alfred Neven
DuMont soll große Stücke auf ihn halten. Allerdings agierte der
frühere Vorstand von Axel Springer und der ProSiebenSat.1 Media AG
zuletzt recht glücklos.
Synergien ausloten.
So blieb seiner Hilfe für MDS bei der Weiterentwicklung des
Tabloid-Formats Direkt 2005 ebenso der sichtbare Erfolg
versagt wie seiner Beratung der Verlagsgruppe Handelsblatt bei deren
Tabloid News: Beide Projekte wurden aufgegeben. Nun wird die
Hauptaufgabe von Larass darin bestehen, jenseits der sicherlich
anvisierten Zusammenführung klassischer Verlagsbereiche und der
Verwaltung mögliche Synergien zwischen Express, MoPo
und Berliner Kurier im redaktionellen Bereich auszuloten.
Dabei kann Larass auf den Vorarbeiten
des umstrittenen früheren Berliner-Verlags-Geschäftsführers Josef
Depenbrock aufbauen, der die beiden Mecom-Titel aus Spargründen
bereits eng miteinander verzahnt hat. So sorgen die Hamburger für
die überregionale Politik-Berichterstattung, während die Berliner
große Teile der Sonntagsausgabe liefern. Die Kurier-Redaktion
ist auch für die Ressorts Vermischtes und Auto/Reise zuständig, die
Redaktion der MoPo für das Ressort Digitrend. Wie weit
künftig der Express in diese Redaktionsgemeinschaft
eingebunden werden kann und soll, ist noch eine offene Frage.
Fest dürfte zwar stehen, dass Larass
helfen soll, die Zusammenarbeit und den Austausch von Inhalten
zwischen den drei Blättern zu forcieren. Allerdings warnt der
MoPo-Betriebsrat vor einer allzu weitgehenden Kooperation:
„Synergien, die dazu dienen, Personal abzubauen, werden, wie in der
Vergangenheit bereits geschehen, auf unseren Widerstand stoßen“,
teilte er dem MDS-Vorstand mit.
Keine Gratispläne.
Stattdessen fordern die heuschreckenleidgeprüften
Belegschaftsvertreter, die die Übernahme durch einen „klassischen“
Verleger nachdrücklich begrüßt hatten, „deutlich Verstärkung für das
Redaktionsteam“. Dieser Forderung dürften auch die Betriebsräte der
anderen beiden Zeitungen kaum widersprechen – wenn sie auch wohl
nicht mehr als ein Wunschtraum bleiben wird.
Mit einem signifikanten weiteren
Personalabbau ist aber nicht zu rechnen. Solange Kurier,
MoPo oder Express nicht tiefrote Zahlen produzieren,
dürfte der Umgang mit ihnen entsprechend behutsam sein. Der Option,
etwa den Express in absehbarer Zeit zu einem Kostenlosblatt
umzumodeln, was zwangsläufig eine „Verschlankung“ der Redaktionen
mit sich bringen würde, erteilte Konstatin Neven DuMont unlängst in
einem Interview eine klare Absage: „Zurzeit kann ich mir das nicht
vorstellen.“ Zum einen seien die Verkaufserlöse für die
Wirtschaftlichkeit des Express „einfach zu bedeutend“, zum
anderen sei MDS „derzeit froh, dass es keine Gratiszeitung in
Deutschland gibt“.
Die drei Chefs bleiben.
Ansage aus Köln ist zudem, dass zumindest vorerst keine
Zusammenlegung der Redaktionen beabsichtigt ist. Alles andere wäre
auch ein äußerst riskantes Unterfangen, da der jeweilige Markenkern
und die lokale Kompetenz der einzelnen Titel nachhaltig beschädigt
werden könnten. Gerade die lokale Verankerung ist es jedoch, die sie
– neben ihrer etwas liberaleren Ausrichtung – signifikant von der
Bild-Zeitung unterscheidet und damit für ihre Leser attraktiv
macht.
Laut Alfred Neven DuMont gilt
außerdem für alle seine Zukäufe zunächst weiter die Devise: pro
Blatt ein Chefredakteur. Damit dürften auch seine drei
Boulevardzeitungen also erst einmal ihre Chefs behalten. Beim
Express ist das Rudolf Kreitz, bei der Hamburger Morgenpost
Frank Niggemeier und beim Berliner Kurier Hans-Peter
Buschheuer.
Besonders spannend ist, welche Rolle
Buschheuer künftig spielen wird. Der 56-Jährige war bisher für die
Umsetzung der Synergien zwischen Kurier und MoPo
zuständig und wäre eigentlich aufgrund seiner Kölner Erfahrungen
dafür prädestiniert, nun auch die Kooperation mit dem Express
zu organisieren. Doch die Beziehung zwischen Verlagspatriarch Alfred
Neven DuMont und Hans-Peter Buschheuer gilt nicht gerade als
unkompliziert. Die beiden kennen sich gut seit Buschheuers Zeit beim
Kölner Express. Im Januar 2000 wechselte der gebürtige Bayer
von der Spree und Springers B.Z. an den Rhein, im Juli 2001
stieg er zum Chefredakteur des Express auf.
Doch nur zwei Jahre später und obwohl
sein Vertrag noch zwei weitere Jahre gelaufen wäre, ging er wieder
zurück nach Berlin. In Köln seien die Strukturen „starr, die
Möglichkeiten, etwas zu verändern, nicht groß“, beklagte sich
Buschheuer seinerzeit in einem Interview mit dem Tagesspiegel.
Denn: „Der Kölner Zeitungsmarkt wird von einem einzigen Verleger
beherrscht – und der ist auch noch ein sehr eigenwilliger Mensch.“
Auch wenn Buschheuer beteuerte,
Alfred Neven DuMont habe ihn „sicherlich behalten“ wollen: Seine
Tage in Köln galten ohnehin als gezählt. Denn sein Verhältnis zum
Verleger war wohl spätestens seit der Bundestagswahl im September
2002 zerrüttet. Schon damals war über eine Ablösung Buschheuers
offen spekuliert worden.
„Ohne Wenn und Aber“. Heftig erzürnt
hatte Neven DuMont zu der Zeit die vermeintlich zu
rotgrünfreundliche Ausrichtung des Express am Tag nach der
Wahl: „Die ‚Jubelnummer‘ des heutigen Tages über den Ausgang der
Wahlen kann ich in keiner Weise nachvollziehen“, teilte der
Herausgeber erbost in einem der taz zugespielten internen
Brandbrief mit. Denn die Ausgabe „identifiziert sich stark mit
Rot-Grün, so dass sie nicht nur einen Teil unserer Leser befremdet,
sondern sich auch von der grundsätzlichen Haltung unseres Hauses
entfernt“.
Unmissverständlich machte Neven
DuMont deutlich, was er nun erwartete: „Als Sie Ihren Vertrag mit
unserem Hause eingegangen sind, wussten Sie, dass Sie in ein
liberales Haus eintreten“, schrieb er seinem leitenden Angestellten.
„Ich muss Sie nachdrücklich auffordern, sich wieder mit der
grundsätzlichen Haltung unseres Hauses zu identifizieren, und dies
sofort und ohne Wenn und Aber.“
Ohrfeige zum Ausstand.
Buschheuer, der sein journalistisches Handwerk beim linken
Nürnberger Stadtmagazin Plärrer gelernt und danach auch
einige Zeit als Pressesprecher der bayerischen Grünen gearbeitet
hatte, gehorchte – wenn auch mit der Faust in der Tasche. Ein
Dreivierteljahr später wechselte er zum Berliner Kurier.
An seine Stelle beim Express
trat Rudolf Kreitz, der bis dahin stellvertretender Chefredakteur
des Kölner Stadt-Anzeigers gewesen war. Mit seiner Ernennung
setze der Express nun „verstärkt auf die regionale Kompetenz
der Kölner Boulevardzeitung“, verkündete der Verlag – für den
zugereisten Buschheuer eine Ohrfeige zum Ausstand.
Dabei sollte nicht vergessen werden,
dass Alfred Neven DuMont ein besonderes Faible für das Blatt hat:
Der Express, Mitte der 60er Jahre zunächst als reines
Abwehrprodukt gegen eine von Axel Springer und dem Verlag der
Rheinischen Post für das Rheinland geplante Boulevardzeitung
gegründet, ist sein ganz persönliches „Kind“ – die anderen Zeitungen
hat er hingegen „nur“ von seinen Vorfahren übernommen oder sich im
Laufe der Jahre dazugekauft.
Die Wahl von Kreitz, seit 1985 in
Diensten von MDS, galt auch als Versuch, die Zeitung – soweit das im
Boulevard möglich ist – wieder etwas seriöser werden zu lassen. Denn
für den Geschmack des Herausgebers fing sich der Express
unter Buschheuer etwas zu häufig Watschen vom Presserat ein – und
die Auflage blieb trotzdem mau. So sah sich Alfred Neven DuMont nach
heftigen Protesten sogar zu einer öffentlichen Distanzierung von
seinem eigenen Blatt gezwungen.
Bei Roma entschuldigt.
Mitte August 2002 hatte der Express unter der Überschrift
„Die Klau-Kids von Köln“ die Fotos von 53 Roma-Kindern und
Jugendlichen im Stil eines Fahndungsplakats veröffentlicht. Der
Vorgang – den der Presserat als grobe Verletzung der
Persönlichkeitsrechte und des Diskriminierungsverbots bewertete –
erfülle ihn „mit Trauer“, schrieb Neven DuMont daraufhin in einem
sechsspaltigen Aufsatz im Express.
Solideres Fahrwasser.
Er wolle „auch im Namen seiner Frau und seines Hauses bei dem Volk
der Roma, das wundervolle Menschen hervorgebracht hat, und allen,
die sich von der Art der Veröffentlichung getroffen gefühlt haben,
sein Bedauern zum Ausdruck bringen“, entschuldigte sich Neven DuMont
für die „ungewöhnliche und reißerische Gestaltung“. Buschheuer hatte
eine Entschuldigung abgelehnt – und kassierte eine Abmahnung.
Seit seinem Amtsantritt hat Kreitz
den Express wieder in solideres Fahrwasser gebracht. Das
dürfte einer der Gründe dafür sein, dass er nunmehr seit fast sechs
Jahren und damit länger als zahlreiche seiner Vorgänger auf dem
Chefsessel sitzen darf. Trotzdem ist es keineswegs ausgemacht, dass
Buschheuer nicht doch demnächst der starke Mann in DuMonts neuer
Boulevardwelt wird.
Und zwar nicht nur, weil er ein guter
Blattmacher ist: Er sei einer der wenigen gewesen, die Alfred Neven
DuMont Widerworte gegeben haben, gab Buschheuer einmal als
Begründung an, warum der ihn trotz ihres Zerwürfnisses in Köln hätte
halten wollen. Da könnte etwas dran sein. Früher habe er von der
Redaktion immer sehr viel Widerspruch bekommen, konstatierte der
Kölner Pressezar kürzlich. Heute stelle er fest, dass alle so nett
zu ihm seien. Neven DuMont: „Ich vermisse was.“
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