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05/2009

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  Mehr als ein Beifang
Von Pascal Beucker

Die Besitzerwechsel von Hamburger Morgenpost und Berliner Kurier standen in den vergangenen Wochen im Schatten des spektakulären Berliner-Zeitungs-Deals. Dabei könnte DuMont gerade auf dem Boulevardmarkt große Pläne hegen.

Ob Berliner Zeitung oder Frankfurter Rundschau: Wenn es um den Aufstieg der Mediengruppe M. DuMont Schauberg (MDS) zum drittgrößten Zeitungsverlag in der Bundesrepublik geht, konzentriert sich die Betrachtung schnell auf die namhaften Qualitätszeitungen, die das traditionsreiche Kölner Zeitungshaus erworben hat.

Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass im Zusammenhang mit der im April formell vollzogenen Übernahme des Berliner Verlags die DuMonts auch auf dem Boulevard aufgestiegen sind. Nach dem Erwerb der deutschen Verlagsaktivitäten von David Montgomerys Mecom-Gruppe gebietet MDS nun über drei durchaus beachtenswerte Straßenverkaufszeitungen: Zum Eigengewächs Express haben sich der Berliner Kurier und die Hamburger Morgenpost gesellt.

Gewagtes Experiment. So gerne sich Aufsichtsratsvorsitzender Alfred Neven DuMont im Glanz seiner „seriösen“ Neuerwerbungen sonnt, die beiden Boulevardtitel sind nicht nur ein Beifang. Vielmehr erhofft sich MDS, mit ihrer Hilfe einen publizistischen Ausweg aus dem Siechtum zu finden, das den Kölner Express und sein Düsseldorfer Schwesterblatt befallen hat.

Das Experiment ist gewagt. Schließlich befindet sich der Boulevard nach wie vor in einer tiefen Krise. Der Markt für Straßenverkaufszeitungen schrumpft in ganz Deutschland und ist durch die Übermacht der Bild-Zeitung völlig verzerrt: Bild verzeichnet zwar auch deutliche Auflagenverluste, verkauft mit knapp 3,2 Millionen Exemplaren täglich aber mehr als dreimal so viele Zeitungen wie alle anderen Boulevardblätter zusammen.

Ist es Wagemut oder Aberwitz, was MDS dazu verleitet hat, trotzdem expansionistisch auf eine Gattung zu setzen, der manche seit langem den schleichenden Tod prophezeien? „Der Boulevard hat keine Entwicklungschancen mehr“, diagnostizierte bereits Ende der 90er Jahre der Bonner Kommunikationsforscher Walter J. Schütz. Da das Konzept sich „überlebt“ habe, handele es sich um eine aussterbende Spezies, die höchstens „noch eine Nischenexistenz fristen“ könne.

Die Auflagen bröckeln. Das allerdings war ein etwas zu forscher Abgesang. Immerhin konnte der Sturzflug ins Bodenlose, in dem sich die Auflagen nach einem kurzen, der Wiedervereinigung geschuldeten Zwischenhoch zu befinden schienen, mittlerweile abgebremst werden. Gleichwohl ist die Lage weiter prekär, denn gestoppt werden konnte der Abwärtstrend bis heute nicht. Es bröckelt weiter – auch bei den alten und neuen MDS-Blättern.

So sank laut IVW vom ersten Quartal 2008 bis zum ersten Quartal 2009 die verkaufte Auflage der Hamburger Morgenpost von 115.000 auf 113.000 Exemplare und des Berliner Kuriers von 133.000 auf 129.000. Zum Vergleich: Ende der 90er Jahre verkaufte die MoPo noch mehr als 140.000, der Kurier mehr als 185.000 Exemplare.

Auch der Express verkaufte im ersten Quartal 2009 nur noch 162.000 Exemplare – gegenüber 166.000 Exemplaren ein Jahr zuvor. Ende der 90er lag man bei einer runden Viertelmillion. Die Düsseldorfer Express-Ausgabe, die DuMont gemeinsam mit dem Verlagshaus Girardet (Westdeutsche Zeitung) verlegt, findet ebenfalls immer weniger Käufer, inzwischen nur noch 43.000. Zu besten Zeiten Mitte der 80er Jahre kamen die Express-Ausgaben gemeinsam sogar fast auf eine Verkaufsauflage von einer halben Million. Lange ist’s her. Nun lautet die Perspektive, die Krise als Chance zu begreifen. Die Not soll über regionale Grenzen hinweg zusammenschweißen.

Noch in Beratungen. Wie weit die Kooperation reichen soll, ob langfristig mit einer gemeinsamen Chefredaktion für alle drei Boulevardtitel zu rechnen, möglicherweise gar an eine Verschmelzung gedacht ist, darüber wird am Kölner Stammsitz bisher nichts verraten. „Wir möchten zu Ihren Fragen derzeit keine Stellung nehmen, da wir uns noch in Beratungen über die zukünftige Strategie der Boulevardtitel befinden“, beschied MDS-Vorstand Konstantin Neven DuMont eine Anfrage des journalists. Einiges spricht dafür, dass die Entscheider an der Amsterdamer Straße selbst noch nicht so genau wissen, wohin die Reise eigentlich gehen soll.

Boulevard-Netzwerk? Ebenso verschlossen zeigt sich MDS, wenn es um mögliche weitere Zukäufe in dem Segment geht. Das wäre nicht abwegig, weil damit eine Art bundesweites Netzwerk an regionalen Boulevardzeitungen etabliert und unter Umständen der omnipotenten Bild-Zeitung so überregional wenigstens etwas Konkurrenz entgegengestellt werden könnte.

Gut ins Portfolio passen würde die mit wirtschaftlichen Problemen kämpfende Münchner Abendzeitung, ebenso die Morgenpost Sachsen. Aber solche Überlegungen sind momentan nur wilde Spekulation. „So ein Konstrukt würde natürlich betriebswirtschaftlich Sinn ergeben“, sagt Horst Röper vom Dortmunder Formatt-Institut. „Dazu müssen die Zeitungen aber nicht zwingend in einer Hand sein“, so der Zeitungsexperte gegenüber dem Mediendienst Meedia. Man könne schließlich auch Synergien über Verlagsgrenzen hinaus erschließen.

Zur Neuaufstellung ihrer Boulevardtitel haben sich die DuMonts einen alten Bekannten zurück an Bord geholt: den ehemaligen Bild-Chefredakteur und Herausgeber Claus Larass. Laut Konstantin Neven DuMont soll das Yellow-Press-Urgestein die Mediengruppe „bei der konzeptionellen Weiterentwicklung von Express, Berliner Kurier und Hamburger Morgenpost“ beraten. Larass kennt MDS gut, saß von 2003 an für einige Zeit im Aufsichtsrat. Seniorchef Alfred Neven DuMont soll große Stücke auf ihn halten. Allerdings agierte der frühere Vorstand von Axel Springer und der ProSiebenSat.1 Media AG zuletzt recht glücklos.

Synergien ausloten. So blieb seiner Hilfe für MDS bei der Weiterentwicklung des Tabloid-Formats Direkt 2005 ebenso der sichtbare Erfolg versagt wie seiner Beratung der Verlagsgruppe Handelsblatt bei deren Tabloid News: Beide Projekte wurden aufgegeben. Nun wird die Hauptaufgabe von Larass darin bestehen, jenseits der sicherlich anvisierten Zusammenführung klassischer Verlagsbereiche und der Verwaltung mögliche Synergien zwischen Express, MoPo und Berliner Kurier im redaktionellen Bereich auszuloten.

Dabei kann Larass auf den Vorarbeiten des umstrittenen früheren Berliner-Verlags-Geschäftsführers Josef Depenbrock aufbauen, der die beiden Mecom-Titel aus Spargründen bereits eng miteinander verzahnt hat. So sorgen die Hamburger für die überregionale Politik-Berichterstattung, während die Berliner große Teile der Sonntagsausgabe liefern. Die Kurier-Redaktion ist auch für die Ressorts Vermischtes und Auto/Reise zuständig, die Redaktion der MoPo für das Ressort Digitrend. Wie weit künftig der Express in diese Redaktionsgemeinschaft eingebunden werden kann und soll, ist noch eine offene Frage.

Fest dürfte zwar stehen, dass Larass helfen soll, die Zusammenarbeit und den Austausch von Inhalten zwischen den drei Blättern zu forcieren. Allerdings warnt der MoPo-Betriebsrat vor einer allzu weitgehenden Kooperation: „Synergien, die dazu dienen, Personal abzubauen, werden, wie in der Vergangenheit bereits geschehen, auf unseren Widerstand stoßen“, teilte er dem MDS-Vorstand mit.

Keine Gratispläne. Stattdessen fordern die heuschreckenleidgeprüften Belegschaftsvertreter, die die Übernahme durch einen „klassischen“ Verleger nachdrücklich begrüßt hatten, „deutlich Verstärkung für das Redaktionsteam“. Dieser Forderung dürften auch die Betriebsräte der anderen beiden Zeitungen kaum widersprechen – wenn sie auch wohl nicht mehr als ein Wunschtraum bleiben wird.

Mit einem signifikanten weiteren Personalabbau ist aber nicht zu rechnen. Solange Kurier, MoPo oder Express nicht tiefrote Zahlen produzieren, dürfte der Umgang mit ihnen entsprechend behutsam sein. Der Option, etwa den Express in absehbarer Zeit zu einem Kostenlosblatt umzumodeln, was zwangsläufig eine „Verschlankung“ der Redaktionen mit sich bringen würde, erteilte Konstatin Neven DuMont unlängst in einem Interview eine klare Absage: „Zurzeit kann ich mir das nicht vorstellen.“ Zum einen seien die Verkaufserlöse für die Wirtschaftlichkeit des Express „einfach zu bedeutend“, zum anderen sei MDS „derzeit froh, dass es keine Gratiszeitung in Deutschland gibt“.

Die drei Chefs bleiben. Ansage aus Köln ist zudem, dass zumindest vorerst keine Zusammenlegung der Redaktionen beabsichtigt ist. Alles andere wäre auch ein äußerst riskantes Unterfangen, da der jeweilige Markenkern und die lokale Kompetenz der einzelnen Titel nachhaltig beschädigt werden könnten. Gerade die lokale Verankerung ist es jedoch, die sie – neben ihrer etwas liberaleren Ausrichtung – signifikant von der Bild-Zeitung unterscheidet und damit für ihre Leser attraktiv macht.

Laut Alfred Neven DuMont gilt außerdem für alle seine Zukäufe zunächst weiter die Devise: pro Blatt ein Chefredakteur. Damit dürften auch seine drei Boulevardzeitungen also erst einmal ihre Chefs behalten. Beim Express ist das Rudolf Kreitz, bei der Hamburger Morgenpost Frank Niggemeier und beim Berliner Kurier Hans-Peter Buschheuer.

Besonders spannend ist, welche Rolle Buschheuer künftig spielen wird. Der 56-Jährige war bisher für die Umsetzung der Synergien zwischen Kurier und MoPo zuständig und wäre eigentlich aufgrund seiner Kölner Erfahrungen dafür prädestiniert, nun auch die Kooperation mit dem Express zu organisieren. Doch die Beziehung zwischen Verlagspatriarch Alfred Neven DuMont und Hans-Peter Buschheuer gilt nicht gerade als unkompliziert. Die beiden kennen sich gut seit Buschheuers Zeit beim Kölner Express. Im Januar 2000 wechselte der gebürtige Bayer von der Spree und Springers B.Z. an den Rhein, im Juli 2001 stieg er zum Chefredakteur des Express auf.

Doch nur zwei Jahre später und obwohl sein Vertrag noch zwei weitere Jahre gelaufen wäre, ging er wieder zurück nach Berlin. In Köln seien die Strukturen „starr, die Möglichkeiten, etwas zu verändern, nicht groß“, beklagte sich Buschheuer seinerzeit in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Denn: „Der Kölner Zeitungsmarkt wird von einem einzigen Verleger beherrscht – und der ist auch noch ein sehr eigenwilliger Mensch.“

Auch wenn Buschheuer beteuerte, Alfred Neven DuMont habe ihn „sicherlich behalten“ wollen: Seine Tage in Köln galten ohnehin als gezählt. Denn sein Verhältnis zum Verleger war wohl spätestens seit der Bundestagswahl im September 2002 zerrüttet. Schon damals war über eine Ablösung Buschheuers offen spekuliert worden.

„Ohne Wenn und Aber“. Heftig erzürnt hatte Neven DuMont zu der Zeit die vermeintlich zu rotgrünfreundliche Ausrichtung des Express am Tag nach der Wahl: „Die ‚Jubelnummer‘ des heutigen Tages über den Ausgang der Wahlen kann ich in keiner Weise nachvollziehen“, teilte der Herausgeber erbost in einem der taz zugespielten internen Brandbrief mit. Denn die Ausgabe „identifiziert sich stark mit Rot-Grün, so dass sie nicht nur einen Teil unserer Leser befremdet, sondern sich auch von der grundsätzlichen Haltung unseres Hauses entfernt“.

Unmissverständlich machte Neven DuMont deutlich, was er nun erwartete: „Als Sie Ihren Vertrag mit unserem Hause eingegangen sind, wussten Sie, dass Sie in ein liberales Haus eintreten“, schrieb er seinem leitenden Angestellten. „Ich muss Sie nachdrücklich auffordern, sich wieder mit der grundsätzlichen Haltung unseres Hauses zu identifizieren, und dies sofort und ohne Wenn und Aber.“

Ohrfeige zum Ausstand. Buschheuer, der sein journalistisches Handwerk beim linken Nürnberger Stadtmagazin Plärrer gelernt und danach auch einige Zeit als Pressesprecher der bayerischen Grünen gearbeitet hatte, gehorchte – wenn auch mit der Faust in der Tasche. Ein Dreivierteljahr später wechselte er zum Berliner Kurier.

An seine Stelle beim Express trat Rudolf Kreitz, der bis dahin stellvertretender Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers gewesen war. Mit seiner Ernennung setze der Express nun „verstärkt auf die regionale Kompetenz der Kölner Boulevardzeitung“, verkündete der Verlag – für den zugereisten Buschheuer eine Ohrfeige zum Ausstand.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Alfred Neven DuMont ein besonderes Faible für das Blatt hat: Der Express, Mitte der 60er Jahre zunächst als reines Abwehrprodukt gegen eine von Axel Springer und dem Verlag der Rheinischen Post für das Rheinland geplante Boulevardzeitung gegründet, ist sein ganz persönliches „Kind“ – die anderen Zeitungen hat er hingegen „nur“ von seinen Vorfahren übernommen oder sich im Laufe der Jahre dazugekauft.

Die Wahl von Kreitz, seit 1985 in Diensten von MDS, galt auch als Versuch, die Zeitung – soweit das im Boulevard möglich ist – wieder etwas seriöser werden zu lassen. Denn für den Geschmack des Herausgebers fing sich der Express unter Buschheuer etwas zu häufig Watschen vom Presserat ein – und die Auflage blieb trotzdem mau. So sah sich Alfred Neven DuMont nach heftigen Protesten sogar zu einer öffentlichen Distanzierung von seinem eigenen Blatt gezwungen.

Bei Roma entschuldigt. Mitte August 2002 hatte der Express unter der Überschrift „Die Klau-Kids von Köln“ die Fotos von 53 Roma-Kindern und Jugendlichen im Stil eines Fahndungsplakats veröffentlicht. Der Vorgang – den der Presserat als grobe Verletzung der Persönlichkeitsrechte und des Diskriminierungsverbots bewertete – erfülle ihn „mit Trauer“, schrieb Neven DuMont daraufhin in einem sechsspaltigen Aufsatz im Express.

Solideres Fahrwasser. Er wolle „auch im Namen seiner Frau und seines Hauses bei dem Volk der Roma, das wundervolle Menschen hervorgebracht hat, und allen, die sich von der Art der Veröffentlichung getroffen gefühlt haben, sein Bedauern zum Ausdruck bringen“, entschuldigte sich Neven DuMont für die „ungewöhnliche und reißerische Gestaltung“. Buschheuer hatte eine Entschuldigung abgelehnt – und kassierte eine Abmahnung.

Seit seinem Amtsantritt hat Kreitz den Express wieder in solideres Fahrwasser gebracht. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass er nunmehr seit fast sechs Jahren und damit länger als zahlreiche seiner Vorgänger auf dem Chefsessel sitzen darf. Trotzdem ist es keineswegs ausgemacht, dass Buschheuer nicht doch demnächst der starke Mann in DuMonts neuer Boulevardwelt wird.

Und zwar nicht nur, weil er ein guter Blattmacher ist: Er sei einer der wenigen gewesen, die Alfred Neven DuMont Widerworte gegeben haben, gab Buschheuer einmal als Begründung an, warum der ihn trotz ihres Zerwürfnisses in Köln hätte halten wollen. Da könnte etwas dran sein. Früher habe er von der Redaktion immer sehr viel Widerspruch bekommen, konstatierte der Kölner Pressezar kürzlich. Heute stelle er fest, dass alle so nett zu ihm seien. Neven DuMont: „Ich vermisse was.“


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