Die CDU hat bei der Wahl
in Hessen nichts dazu gewonnen. Doch Roland Koch ist vollständig
rehabilitiert.
Es ist ein
schneller, trauriger Abgang. Keine zehn Minuten nach der ersten
Hochrechnung tritt Andrea Ypsilanti am Sonntagabend um 18.18 Uhr
im Wiesbadener Landtag vor ihre frustrierten Parteifreunde.
Unter 24 Prozent rangiert die SPD in der Wählergunst, so niedrig
wie noch nie in der Geschichte Hessens. »Genossen, das ist ein
schwerer Tag«, sagt Ypsilanti. »Ich resigniere nicht, zugleich
übernehme ich aber die politische Verantwortung für dieses
Ergebnis«, verkündet sie mit müder Stimme und tritt als
Vorsitzende der Landespartei und der Landtagsfraktion zurück.
Ein Teil der Wählerschaft
habe »uns nicht verziehen, dass wir im November 2008 keine
Mehrheit für einen Regierungswechsel hinbekommen haben«,
versucht Ypsilanti die schwere Niederlage ihrer Partei zu
erklären. Der andere Teil sei »enttäuscht« gewesen, »dass wir
den Weg zu einer Minderheitsregierung bestreiten wollten«.
Fast wortgleich formuliert es
kurz darauf Thorsten Schäfer-Gümbel. Offensichtlich hat sich der
biedere SPD-Spitzenkandidat, der innerhalb von nur 71 Tagen zur
neuen Lichtgestalt stilisiert wurde, mit ihr auf eine gemeinsame
Sprachregelung verständigt. Mit der liegen die beiden, die sich
in den vergangenen Monaten nicht gerade den Ruf besonderer
Hellsichtigkeit erworben haben, diesmal ausnahmsweise nicht
daneben. Ein Blick auf das Wahlergebnis bestätigt jedenfalls
ihre Einschätzung: Die 13 Prozent an Zustimmung, die die SPD
seit der Wahl im Januar 2008 verloren hat, verteilen sich
vollständig und beinahe zu gleichen Teilen auf die beiden großen
Wahlgewinner rechts und links der SPD. Die FDP kann sich über
einen Zuwachs von 6,8 Prozent freuen, die Grünen über einen von
6,2 Prozent. Insgesamt verlor die SPD 391 611 Stimmen.
Um Schadensbegrenzung bemüht,
lädt der Parteivorsitzende Franz Müntefering erwartungsgemäß
alle Schuld für das Wahldesaster bei seinen hessischen Genossen
und Andrea Ypsilanti ab, die einen »Denkzettel« erhalten hätten.
Das Debakel werde sich deshalb nicht negativ auf die Chancen der
Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl auswirken. »Wenn wir ein
paar Monate weiter sind, sieht die Welt schon wieder anders
aus«, prophezeit er. Da könnte er sich schwer täuschen. Denn die
hessischen Zahlen korrespondieren verdächtig mit den
Umfragewerten für die Bundespartei.
Tatsächlich hatte es Ypsilanti
entgegen dem Bundestrend vor einem Jahr geschafft, die hessische
SPD auf Augenhöhe mit der CDU zu platzieren. Gelungen war ihr
das mit der Phrase, mehr zu wollen als einen bloßen
Regierungswechsel, was wohl bedeuten sollte, mehr als eine große
Koalition oder eine »Ampel-Koalition«. Weil sie sich
gleichzeitig im Wahlkampf darauf festlegte, auf keinen Fall mit
der »Linken« kooperieren zu wollen, manövrierte sich die
Frankfurterin in ein Dilemma. Ihr Wort musste sie so oder so
brechen. Dass sie sich – für eine Sozialdemokratin völlig
untypisch – in dieser Situation für die linke Variante
entschied, hat sie mit ihrer gnadenlosen Demontage bezahlen
müssen. »Es ist jetzt mal gut mit dem Andrea-Ypsilanti-Bashing«,
versuchte am Wahlabend ihr designierter Nachfolger
Schäfer-Gümbel, sie in Schutz zu nehmen. Zu spät, die
»verbissene Kandidatin einer linken Minderheit« (FR) ist
erledigt.
Für bessere Stimmung
bei
den Sozialdemokraten konnte nicht einmal sorgen, dass auch das
Ergebnis der CDU nicht gerade glänzend ausgefallen ist. Mit
37,2 Prozent der Stimmen schaffte es die Partei Roland Kochs
nicht, enttäuschte SPD-Wähler für sich zu gewinnen und die
Schlappe von 2008 wieder wettzumachen. Im Gegenteil, absolut
verlor sie sogar weitere 45 975 Stimmen. Trotzdem hat Koch
keinen Grund, Trübsal zu blasen. Nachdem er bereits politisch
totgesagt war, kann er nun dank des phänomenalen Abschneidens
der FDP mit einer komfortablen Mehrheit weiterregieren.
Mit 16,2 Prozent fuhr die FDP um
ihren Spitzenkandidaten Jörg-Uwe Hahn so viele Stimmen wie seit
1954 nicht mehr ein. In Hessen seien »ganz alte Verhältnisse
wiederhergestellt worden«, analysiert der Göttinger
Politikprofessor Franz Walter. Wie bereits in den Anfangsjahren
der Bundesrepublik fungiere die FDP als eine »Art Sammel- und
Integrationspartei rechtsbürgerlicher Furchtsamkeit«. Die
»Prätorianergarde beleidigter Bäcker, Großunternehmer und
Spekulanten« habe es geschafft, die von der CDU enttäuschten
Wirtschaftsbürger zu sich zu ziehen.
Hahn wird Roland Koch ein
angenehmer Koalitionspartner sein. Seit den achtziger Jahren
sind die beiden miteinander befreundet. Seinem Duz-Freund hat
Koch einiges zu verdanken: Als Fraktionsvorsitzender der FDP
sorgte der im Jahr 2000 mit dafür, dass die Koalition mit der
CDU in Hessen trotz der Schwarzgeldaffäre und entgegen dem Votum
der Bundespartei hielt. Auch im Wahlkampf hatte der 52jährige
Rechtsanwalt stets seine Treue zu Koch betont. Für die FDP hat
sich das auch über die Landesgrenzen Hessens hinaus ausgezahlt.
Obwohl die gegenwärtigen Turbulenzen des Kapitalismus auch eine
grandiose Blamage der Marktradikalen um den Parteivorsitzenden
Guido Westerwelle darstellen, geht es der FDP derzeit so gut wie
lange nicht mehr. Nach Bayern, Baden-Württemberg,
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wird sie demnächst auch in
Hessen mitregieren. Damit wäre die FDP dann in den fünf
einwohnerstärksten Bundesländern an der Exekutive beteiligt –
und die große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel
hätte ihre hauchdünne Mehrheit im Bundesrat verloren. Eine »sehr
traditionelle Konstellation erobert schrittweise die Macht im
Lande zurück«, kommentierte der Chefredakteur der FR, Uwe
Vorkötter, das Wahlergebnis. Ein »Hauch von Restauration« wehe
durch das Land.
Die Grünen,
deren
Spitzenkandidat Tarek al-Wazir der beliebteste Politiker Hessens
ist, gewannen mit 13,7 Prozent so viele Stimmen wie noch nie in
einem Flächenland. Auf Kosten der SPD konnten sie ihr
zweitbestes Ergebnis überhaupt bei einer Landtagswahl einfahren:
Sogar ihr hervorragendes Hauptstadtergebnis übertrafen die
Grünen, nur den in ihrer traditionellen Hochburg Bremen
erreichten Spitzenwert von 16,5 Prozent konnten sie nicht
schlagen.
Auch der Bundesgeschäftsführer
der Linkspartei, Dietmar Bartsch, bezeichnete am Wahlabend das
Abschneiden seiner hessischen Parteifreunde, wie heutzutage so
üblich, als ein historisches Ereignis: »Wir haben erstmals die
Wiederwahl in einen westdeutschen Landtag geschafft.« Nun ja, es
hatte zuvor ja auch noch nie die Gelegenheit dazu gegeben. Mit
5,4 Prozent schnitt die »Linke« dabei zwar prozentual besser ab
als vor zwölf Monaten. Doch das ist nur ein relativer, der
gesunkenen Wahlbeteiligung geschuldeter Erfolg. Absolut verlor
die Partei 1 689 Stimmen. Immerhin ein geringerer Verlust, als
ihn die Demoskopen vorausgesagt hatten. Die sahen in den
vergangenen Wochen die Linkspartei stets nur bei knapp fünf
Prozent.
Genüsslich zeichneten die
Zeitungen das Bild einer »Chaos-Truppe« und weideten sich an den
innerparteilichen Schwierigkeiten des jungen hessischen
Landesverbandes, die in dem öffentlichkeitswirksamen Austritt
einiger beleidigter Querulanten mündeten. »Der Gegenwind kam
nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch aus eigenen
Reihen«, musste der Landesvorsitzende Ulrich Wilken einräumen.
Nicht wenige hatten bereits auf das Ausscheiden der »Linken« aus
dem Landtag spekuliert. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der
»Linken« ist jedenfalls offenkundig gestoppt. Die Partei
profitiert derzeit weder von der Schwäche der SPD noch von der
Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern stagniert stattdessen in
der Wählergunst.