22.01.2009

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Jungle World

  Vorwärts in die Restauration
Von Pascal Beucker

Die CDU hat bei der Wahl in Hessen nichts dazu gewonnen. Doch Roland Koch ist vollständig rehabilitiert.

Es ist ein schneller, trauriger Abgang. Keine zehn Minuten nach der ersten Hochrechnung tritt Andrea Ypsilanti am Sonntagabend um 18.18 Uhr im Wiesbadener Landtag vor ihre frustrierten Parteifreunde. Unter 24 Prozent rangiert die SPD in der Wählergunst, so niedrig wie noch nie in der Geschichte Hessens. »Genossen, das ist ein schwerer Tag«, sagt Ypsilanti. »Ich resigniere nicht, zugleich übernehme ich aber die politische Verantwortung für dieses Ergebnis«, verkündet sie mit müder Stimme und tritt als Vorsitzende der Landespartei und der Landtagsfraktion zurück.

Ein Teil der Wählerschaft habe »uns nicht verziehen, dass wir im November 2008 keine Mehrheit für einen Regierungswechsel hinbekommen haben«, versucht Ypsilanti die schwere Niederlage ihrer Partei zu erklären. Der andere Teil sei »enttäuscht« gewesen, »dass wir den Weg zu einer Minderheitsregierung bestreiten wollten«.

Fast wortgleich formuliert es kurz darauf Thorsten Schäfer-Gümbel. Offensichtlich hat sich der biedere SPD-Spitzenkandidat, der innerhalb von nur 71 Tagen zur neuen Lichtgestalt stilisiert wurde, mit ihr auf eine gemeinsame Sprachregelung verständigt. Mit der liegen die beiden, die sich in den vergangenen Monaten nicht gerade den Ruf besonderer Hellsichtigkeit erworben haben, diesmal ausnahmsweise nicht daneben. Ein Blick auf das Wahlergebnis bestätigt jedenfalls ihre Einschätzung: Die 13 Prozent an Zustimmung, die die SPD seit der Wahl im Januar 2008 verloren hat, verteilen sich vollständig und beinahe zu gleichen Teilen auf die beiden großen Wahlgewinner rechts und links der SPD. Die FDP kann sich über einen Zuwachs von 6,8 Prozent freuen, die Grünen über einen von 6,2 Prozent. Insgesamt verlor die SPD 391 611 Stimmen.

Um Schadensbegrenzung bemüht, lädt der Parteivorsitzende Franz Müntefering erwartungsgemäß alle Schuld für das Wahldesaster bei seinen hessischen Genossen und Andrea Ypsilanti ab, die einen »Denkzettel« erhalten hätten. Das Debakel werde sich deshalb nicht negativ auf die Chancen der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl auswirken. »Wenn wir ein paar Monate weiter sind, sieht die Welt schon wieder anders aus«, prophezeit er. Da könnte er sich schwer täuschen. Denn die hessischen Zahlen korrespondieren verdächtig mit den Umfragewerten für die Bundespartei.

Tatsächlich hatte es Ypsilanti entgegen dem Bundestrend vor einem Jahr geschafft, die hessische SPD auf Augenhöhe mit der CDU zu platzieren. Gelungen war ihr das mit der Phrase, mehr zu wollen als einen bloßen Regierungswechsel, was wohl bedeuten sollte, mehr als eine große Koalition oder eine »Ampel-Koalition«. Weil sie sich gleichzeitig im Wahlkampf darauf festlegte, auf keinen Fall mit der »Linken« kooperieren zu wollen, manövrierte sich die Frankfurterin in ein Dilemma. Ihr Wort musste sie so oder so brechen. Dass sie sich – für eine Sozialdemokratin völlig untypisch – in dieser Situation für die linke Variante entschied, hat sie mit ihrer gnadenlosen Demontage bezahlen müssen. »Es ist jetzt mal gut mit dem Andrea-Ypsilanti-Bashing«, versuchte am Wahlabend ihr designierter Nachfolger Schäfer-Gümbel, sie in Schutz zu nehmen. Zu spät, die »verbissene Kandidatin einer linken Minderheit« (FR) ist erledigt.

Für bessere Stimmung bei den Sozialdemokraten konnte nicht einmal sorgen, dass auch das Ergebnis der CDU nicht gerade glänzend ausgefallen ist. Mit 37,2 Prozent der Stimmen schaffte es die Partei Roland Kochs nicht, enttäuschte SPD-Wähler für sich zu gewinnen und die Schlappe von 2008 wieder wettzumachen. Im Gegenteil, absolut verlor sie sogar weitere 45 975 Stimmen. Trotzdem hat Koch keinen Grund, Trübsal zu blasen. Nachdem er bereits politisch totgesagt war, kann er nun dank des phänomenalen Abschneidens der FDP mit einer komfortablen Mehrheit weiterregieren.

Mit 16,2 Prozent fuhr die FDP um ihren Spitzenkandidaten Jörg-Uwe Hahn so viele Stimmen wie seit 1954 nicht mehr ein. In Hessen seien »ganz alte Verhältnisse wiederhergestellt worden«, analysiert der Göttinger Politikprofessor Franz Walter. Wie bereits in den Anfangsjahren der Bundesrepublik fungiere die FDP als eine »Art Sammel- und Integrationspartei rechtsbürgerlicher Furchtsamkeit«. Die »Prätorianergarde beleidigter Bäcker, Großunternehmer und Spekulanten« habe es geschafft, die von der CDU enttäuschten Wirtschaftsbürger zu sich zu ziehen.

Hahn wird Roland Koch ein angenehmer Koalitionspartner sein. Seit den achtziger Jahren sind die beiden miteinander befreundet. Seinem Duz-Freund hat Koch einiges zu verdanken: Als Fraktionsvorsitzender der FDP sorgte der im Jahr 2000 mit dafür, dass die Koalition mit der CDU in Hessen trotz der Schwarzgeldaffäre und entgegen dem Votum der Bundespartei hielt. Auch im Wahlkampf hatte der 52jährige Rechtsanwalt stets seine Treue zu Koch betont. Für die FDP hat sich das auch über die Landesgrenzen Hessens hinaus ausgezahlt. Obwohl die gegenwärtigen Turbulenzen des Kapitalismus auch eine grandiose Blamage der Marktradikalen um den Parteivorsitzenden Guido Westerwelle darstellen, geht es der FDP derzeit so gut wie lange nicht mehr. Nach Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wird sie demnächst auch in Hessen mitregieren. Damit wäre die FDP dann in den fünf einwohnerstärksten Bundesländern an der Exekutive beteiligt – und die große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte ihre hauchdünne Mehrheit im Bundesrat verloren. Eine »sehr traditionelle Konstellation erobert schrittweise die Macht im Lande zurück«, kommentierte der Chefredakteur der FR, Uwe Vorkötter, das Wahlergebnis. Ein »Hauch von Restauration« wehe durch das Land.

Die Grünen, deren Spitzenkandidat Tarek al-Wazir der beliebteste Politiker Hessens ist, gewannen mit 13,7 Prozent so viele Stimmen wie noch nie in einem Flächenland. Auf Kosten der SPD konnten sie ihr zweitbestes Ergebnis überhaupt bei einer Landtagswahl einfahren: Sogar ihr hervorragendes Hauptstadtergebnis übertrafen die Grünen, nur den in ihrer traditionellen Hochburg Bremen erreichten Spitzenwert von 16,5 Prozent konnten sie nicht schlagen.

Auch der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, bezeichnete am Wahlabend das Abschneiden seiner hessischen Parteifreunde, wie heutzutage so üblich, als ein historisches Ereignis: »Wir haben erstmals die Wiederwahl in einen westdeutschen Landtag geschafft.« Nun ja, es hatte zuvor ja auch noch nie die Gelegenheit dazu gegeben. Mit 5,4 Prozent schnitt die »Linke« dabei zwar prozentual besser ab als vor zwölf Monaten. Doch das ist nur ein relativer, der gesunkenen Wahlbeteiligung geschuldeter Erfolg. Absolut verlor die Partei 1 689 Stimmen. Immerhin ein geringerer Verlust, als ihn die Demoskopen vorausgesagt hatten. Die sahen in den vergangenen Wochen die Linkspartei stets nur bei knapp fünf Prozent.

Genüsslich zeichneten die Zeitungen das Bild einer »Chaos-Truppe« und weideten sich an den innerparteilichen Schwierigkeiten des jungen hessischen Landesverbandes, die in dem öffentlichkeitswirksamen Austritt einiger beleidigter Querulanten mündeten. »Der Gegenwind kam nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch aus eigenen Reihen«, musste der Landesvorsitzende Ulrich Wilken einräumen. Nicht wenige hatten bereits auf das Ausscheiden der »Linken« aus dem Landtag spekuliert. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der »Linken« ist jedenfalls offenkundig gestoppt. Die Partei profitiert derzeit weder von der Schwäche der SPD noch von der Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern stagniert stattdessen in der Wählergunst.


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