02.04.2009

Startseite
Jungle World

 Ein Bollwerk gegen die Planwirtschaft
Von Pascal Beucker

Krise? Welche Krise? Der Entwurf für das Bundestagswahlprogramm der FDP ist fertig.

Guido WesterwelleRosige Zeiten für die FDP. Noch nie sind die eifrigsten Verfechter des Kapitalismus ihrem einst von Jürgen W. Möllemann ausgerufenen »Projekt 18« näher gekommen als ausgerechnet in diesen Zeiten der tiefsten Finanz- und Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Kein Wunder also, dass der Parteivorsitzende Guido Westerwelle permanent Neuwahlen fordert. Denn bis zum vorgesehenen Termin für die Bundestagswahl ist es noch etwas hin, und demoskopische Höhenflüge sind vergänglich.

In der vergangenen Woche hat der Bundesvorstand der FDP den Entwurf für das Bundestagswahlprogramm der Partei vorgestellt. Endgültig beschlossen werden soll es Mitte Mai auf dem Parteitag in Hannover. 80 Seiten umfasst das »Deutschland-Programm«. Gefühlt sind es jedoch mindestens doppelt so viele – nicht wegen der Schwere der Gedanken, die es gewichtiger erscheinen lassen könnten, sondern wegen der unzähligen Phrasen und Allgemeinplätze, durch die sich der Leser kämpfen muss. »Mehr Netto vom Brutto«, versprechen die Liberalen. Doch für ihr eigenes Programm gilt das leider nicht. Da sind Sätze zu lesen wie: »Wir wollen die Chancen der Zukunft nutzen, indem wir ihre Herausforderungen erfolgreich meistern.« Oder auch: »Unsere realistische Betrachtung der Gegenwart liefert Antworten und Lösungsvorschläge, die frei sind von ideologischer Verblendung.« Was allerdings glatt gelogen ist.

Trotzdem ist das Programm bemerkenswert. Es dokumentiert, wie die FDP nach anfänglichen Verunsicherungen wieder zu jener souveränen Realitätsverdrängung zurückgefunden hat, für die sie der Kleinbürger liebt, der um seine marktideologischen Gewissheiten fürchtet. Als wäre nichts gewesen, skandiert die Partei unverdrossen ihre alten Parolen. Als »Prätorianergarde beleidigter Banker, Großunternehmer und Spekulanten« (Franz Walter) zielt sie erfolgreich auf jene Gruppe von Wählern, die nicht gerne Steuern zahlen, denen üppige Gewinne wichtig, sozialstaatliche Leistungen aber zuwider sind – und die die Politik der Union in der Großen Koalition derzeit schwer verunsichert. Entsprechend zelebriert sich die FDP als letzte Bastion gegen die überbordende Staatswirtschaft und als kämpferische Steuersenkungspartei. Zum Wahlkampfschlager soll dabei nach dem Willen der Parteioberen die schwer angestaubte Forderung nach einem vereinfachten Steuersystem mit drei Steuersätzen in Höhe von zehn, 25 und 35 Prozent werden.

Der Kernsatz des FDP-Programms lautet: »Wir wollen die Maßstäbe politischen Handelns neu definieren: Freiheit vor Gleichheit, Erwirtschaften vor Verteilen, Privat vor Staat, Eigenverantwortung statt Staatsgläubigkeit, Chancengleichheit statt Gleichmacherei.« Die FDP bietet ein Gute-Laune-Programm für all diejenigen, die sich auch in der gegenwärtigen kapitalistischen Krise jegliches Nachdenken über Ursachen und Konsequenzen ersparen wollen. In Zeiten, in denen sogar ein Wirtschaftsminister aus der CSU die Enteignung einer Bank nicht mehr ausschließt, hält sie unerschütterlich daran fest: Der Markt ist gut, der Staat schlecht. Auch an der gegenwärtigen Misere ist nach Auffassung der FDP alleine der Staat schuld. Der habe eben nicht die adäquaten ordnungspolitischen Rahmenbedingungen geschaffen: »Regulierungsversagen ist Staatsversagen, nicht Marktversagen.« So einfach ist das.

Ihre Vorstellungen von Marktregulierung beschränken sich auch jetzt noch weitgehend auf die Verhinderung von Monopolen: »Ziel jeder Regulierung am Finanzmarkt muss ein funktionsfähiger Wettbewerb sein.« Dabei führte doch gerade ein höchst intakter Wettbewerb, in dem sich erfindungsreiche Investoren immer größere Renditeziele setzten, zum Kollaps der allzu freien Finanzmärkte. Gleichwohl halten die Freidemokraten die »soziale Markwirtschaft« nach wie vor für ein »solides Erfolgsrezept«. Deswegen sei es auch »falsch, ihre Leistungsfähigkeit in Frage zu stellen und immer neue weitergehende staatliche Regulierungen zu fordern«. Wobei die FDP ihre ganz speziellen Vorstellungen davon hat, was den sozialen Anteil an der »sozialen Marktwirtschaft« ausmachen soll.

So luftig die Liberalen formulieren, wenn es um mögliche Kontrollen des Kapitals geht, so konkret werden sie beim Abbau von Arbeitnehmerrechten: »Die Kosten der betrieblichen Mitbestimmung müssen begrenzt, die gesetzlich vorgegebene Zahl der Betriebsratsmitglieder deutlich reduziert werden.« So soll ein Betriebsrat künftig erst in einem Unternehmen ab 20 Beschäftigten gebildet werden können. Bisher sind dafür nur fünf ständig wahlberechtigte Arbeitnehmer notwendig. Außerdem sollen nach Auffassung der Liberalen nicht mehr bereits Unternehmen mit 200, sondern erst solche mit mehr als 500 Beschäftigten dazu verpflichtet sein, Betriebsratsmitglieder freizustellen.

Ferner fordert die Partei, das »vor allem für den Mittelstand komplizierte« Kündigungsschutzgesetz müsse »beschäftigungsfreundlicher« werden. Was in der freidemokratischen Logik bedeutet: Es soll noch leichter werden, Leute rauszuschmeißen. So wünscht sich die FDP für den Kündigungsschutz dasselbe wie für den Betriebsrat: Erst in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten soll es ihn geben. Außerdem dürfe er auch erst nach einer Beschäftigungsdauer von zwei Jahren gelten. Zudem sollen die Möglichkeiten für befristete Einstellungen verbessert werden, und die Einkommensgrenze für Minijobs ohne Sozialabgaben soll von 400 auf 600 Euro erhöht werden. Volle Sozialversicherungsbeiträge sollen die Arbeitgeber erst bei Einkommen über 1.000 Euro entrichten müssen. Dass die FDP gleichzeitig gesetzliche Mindestlöhne vehement ablehnt, versteht sich von selbst.

Solcher »staatlicher Lohndiktate« bedarf es nach den Vorstellungen der FDP schon alleine wegen des von ihr propagierten »Bürgergelds« nicht: »Dieses Mindesteinkommen verhindert Armut besser als staatlich verordnete Mindestlöhne.« Außerdem ermögliche das »Bürgergeld« ein »selbstbestimmtes Leben«, heißt es im FDP-Programm. Das allerdings ist gelogen. Denn auch wenn »Bürgergeld« irgendwie nach jenem garantierten Grundeinkommen für alle klingt, für das undogmatische und libertäre Linke bei den Grünen und in der Linkspartei streiten, hat es damit rein gar nichts zu tun. Tatsächlich würde es die soziale Situation vieler derzeitiger Hartz-IV-Empfänger noch weiter verschlechtern. Denn der Anspruch für einen Alleinstehenden ohne Kinder soll nach den Vorstellungen der FDP im Bundesdurchschnitt 662 Euro im Monat betragen – was nur auf den ersten Blick nach mehr aussieht als der gegenwärtige Hartz-IV-Regelsatz. Denn in diesem »Bürgergeld« soll alles zusammengefasst sein: das Arbeitslosengeld II einschließlich der Leistungen für Wohnen und Heizung, das Sozialgeld, die Grundsicherung, die Sozialhilfe, der Kindergeldzuschlag und das Wohngeld. Und bedingungslos ist es ebenso wenig. Voraussetzung für das Bürgergeld sind vielmehr Bedürftigkeit und die Bereitschaft zur Aufnahme einer Beschäftigung: »Bei Ablehnung einer zumutbaren angebotenen Arbeit wird das Bürgergeld gekürzt.« So viel dazu, wie sich Westerwelles Truppe ein »selbstbestimmtes Leben« derjenigen vorstellt, die sie nicht zu ihrem Klientel zählt.

»Wir setzen Eigenverantwortung gegen die Bevormundung durch die bürokratischen Auswüchse des sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates«, verkünden die Liberalen. Denn »Maßstab aller Politik muss die Freiheit sein«. Deswegen setze sich die FDP »für mehr Freiheit und Verantwortung und weniger staatliche Bevormundung« ein. Doch ganz so ernst ist das nicht gemeint, zumindest wenn ihr dies Ärger mit einer für sie wichtigen Wählergruppe einhandeln könnte: den Beamten. Freiheit hin oder her, deren Status soll nicht angerührt werden: »Das Berufsbeamtentum rechtfertigt sich durch Vorteile, wie besondere Loyalitätspflichten und Streikverbot.«

Nur am Rande sei erwähnt, dass die FDP entschieden für Studiengebühren eintritt. Wie bereits in Nordrhein-Westfalen unter der Ägide des stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden und Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart praktiziert, soll jede Hochschule über deren Erhebung und Höhe selbst entscheiden. Dort müssen die Studierenden je nach Hochschule bis 500 Euro pro Semester zahlen. Eine solche Gebührenobergrenze sieht das FDP-Programm indes nicht vor. Dass die FDP darüber hinaus »die Möglichkeit schaffen« will, »staatliche Hochschulen in private Formen zu überführen«, dürfte niemanden überraschen.

Ohne zu lachen, sagte der Generalsekretär der FDP, Dirk Niebel, anlässlich der Präsentation des Programmentwurfs im Deutschlandfunk: »Im Gegensatz zu den anderen, die auf sozialistische Planwirtschaft setzen, inklusive der unionsgeführten Bundesregierung, setzen wir als einzige auf eine deutliche Stärkung der sozialen Marktwirtschaft.« Der Göttinger Politikwissenschaftler Peter Lösche schätzt den Anteil der »Marktgläubigen« an der Gesamtwählerschaft auf 20 Prozent. Bei dieser Art religiöser Menschen kommt derlei Unsinn blendend an. Die Krise hat zwar Kapital vernichten können, den Glauben an die freie Marktwirtschaft aber nicht.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.