Magazin KONKRET
Heft 6/2009

 

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 "100 Prozent für den NS-Staat"
Von Pascal Beucker

Wie ein liberaler Verlag seine braune Vergangenheit zurechtlog, bis er sie von einem Historiker weißwaschen ließ.

Alfred Neven DuMontViele Juden beschäftigte er nicht mehr in seinem Unternehmen. Ende 1935 entschied sich Kurt Neven DuMont, auch noch von den letzten Abschied zu nehmen. In einem Brief an den Leiter seines Berliner Büros schrieb der Kölner Verleger, er teile dessen Auffassung, »daß demnächst Volljuden, auch wenn sie jetzt noch als Kriegsteilnehmer Mitglied der Reichspressekammer sind, ausscheiden müssen … Da wir uns also auf die Dauer doch von den noch verbliebenen jüdischen Mitarbeitern trennen müssen, wir uns anderseits nicht nutzlos Angriffen aussetzen wollen, möchte ich schon jetzt versuchen, auch für diese letzten Nichtarier Ersatz zu schaffen.« Ein eindrucksvolles Dokument vorauseilenden Gehorsams. Der Unternehmenshistoriker Manfred Pohl liest es jedoch anders: Für ihn hat sich Kurt Neven DuMont hier »sachlich und mit einem indirekten Bedauern des Müssens« über das Ausscheiden der jüdischen Mitarbeiter geäußert.

Nach Bertelsmann und Holtzbrinck hat schließlich auch das Kölner Medienimperium M. DuMont Schauberg (»Kölner Stadtanzeiger«, »Frankfurter Rundschau«, »Berliner Zeitung«, »Mitteldeutsche Zeitung«, »Express«, »Hamburger Morgenpost«) seine NS-Zeit untersuchen lassen. Als Konsequenz aus einigen despektierlichen Medienberichten über die Verstrickung der Verlegerfamilie in den Nationalsozialismus hatte das traditionsreiche Familienunternehmen im Mai 2006 den Auftrag an den Historiker und Volkswirt Pohl vergeben. Jetzt hat der frühere Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank seine dreijährige Forschungsarbeit abgeschlossen. Herausgekommen ist ein 544 Seiten starkes Werk, das der Campus-Verlag unter dem schlichten Titel »M. DuMont Schauberg« veröffentlicht hat.

Es ist ein eigenartiges Produkt, das Pohl vorlegt: Es lügt nicht – und sagt doch nicht die Wahrheit. Anders als in früheren Publikationen aus dem Hause DuMont wird nicht mehr peinlich verschwiegen, was inzwischen ohnehin bekannt ist. Doch Aussagen und Schlußfolgerungen des Autors stehen in einem kuriosen Widerspruch zu den von ihm zusammengetragenen Fakten. Sie lassen die Verlegerfamilie und insbesondere den 1967 verstorbenen Kurt Neven DuMont nach wie vor in einem milden Licht erscheinen. Abgesehen von manch handwerklicher Schlamperei (so läßt Historiker Pohl auf Seite 45 Friedrich Ebert bereits 1921, also vier Jahre zu früh sterben), ist es diese Mischung von Fakten und Fiktionen, die sein Buch fragwürdig macht.

Lange Zeit hat sich der heutige Aufsichtsratsvorsitzende Alfred Neven DuMont um die braune Vergangenheit seines Vaters Kurt und des Verlags gedrückt. Gerne verwies der hochbetagte Firmenpatriarch zwar auf die mehr als zweihundertjährige Tradition des stolzen Familienunternehmens als unverwüstliches Bollwerk des deutschen Liberalismus. Aber schmallippig wurde er stets, wenn es um die Jahre zwischen 1933 und 1945 ging. Die eigene Geschichte im Dritten Reich blieb in den verlagseigenen Publikationen nebulös. So fanden die NSDAP-Mitgliedschaften der damaligen Firmeninhaber Kurt und seines Cousins August Neven DuMont bis zum Frühjahr 2006 keinerlei Erwähnung. Mitunter wurde sogar dreist gelogen. »Um zu verstehen, wer er wirklich war«, schrieb 1967 der damalige Chefredakteur des »Kölner Stadtanzeigers«, Joachim Besser, »muß man sich einmal überlegen, wie leicht es sich Kurt Neven DuMont hätte machen können«. Denn was hätte es ihn schon »gekostet, sich bei der Partei anzumelden«? Er hätte nur »die Augen zu verschließen brauchen, seinem Gewissen ein kleines Stößchen versetzen müssen«. Doch dazu, so behauptete Besser, sei Kurt Neven DuMont nicht bereit gewesen: »Er war so aufrecht und unvernünftig, es nicht zu tun.«

Solch offenkundige Geschichtsfälschung kann Pohl nicht vorgeworfen werden. Er unterschlägt und bestreitet nichts: Weder die Tätigkeit Kurt Neven DuMonts als NSDAP-Zellenkassenwart oder seine Auszeichnung mit dem »Kriegsverdienstkreuz Erster Klasse mit Schwertern« noch die Aktivitäten seines Vetters August als Blockleiter der NSDAP und stellvertretender Amtsleiter der NS-Volkswohlfahrt. Seine Botschaft jedoch bleibt dieselbe, mit der die DuMonts auch schon früher ihr Gewissen beruhigt hatten: »Die Verlegerfamilie und eine kleine Gruppe von Redakteuren versuchte, eine gewisse innere Freiheit zu bewahren, waren aber nicht bereit, hierfür Verhaftung und Tod zu riskieren.«

Schon der Untertitel des Buches ist eine Halbwahrheit: »Der Kampf um die Unabhängigkeit des Zeitungsverlags unter der NS-Diktatur«. Zwar kämpften die DuMonts energisch darum, im Besitz ihres Verlags zu bleiben. Einen Kampf um ihre journalistische Unabhängigkeit führten sie indes nicht. In einer Tagebuchaufzeichnung vom 27. Juni 1933 bringt Kurt Neven DuMont diesen Gegensatz selbst auf den Punkt: »Wie der Nationalsozialismus alle Parteien beseitigt hat, will er auch die Presse an die Mauer quetschen, obschon wir natürlich bereit sind, ja es schon getan haben, nämlich in allen Blättern 100 Prozent für den nationalsozialistischen Staat einzustehen. – Wir müssen aber so lange um unsere Zeitung kämpfen, wie wir können.«

Die Entwicklung Kurt Neven DuMonts teilt Pohl in drei Phasen: Bis 1933 »ein liberaler Geist«, bis 1937 »ein verzweifelter und zerrissener Charakter« und schließlich bis 1945 ein resignierter Mitläufer. Gleichwohl bescheinigt ihm Pohl, seine liberale Überzeugung nur »nach außen hin« aufgegeben zu haben. »Er haßte die Nationalsozialisten, sah sich aber gezwungen, mit ihnen zu verhandeln, wollte er die Zeitung retten«, beteuert Pohl. »Schritt für Schritt mußte Kurt Neven DuMont nachgeben, bis er schließlich den Entschluß faßte, 1937 in die Partei einzutreten, die er in seinem Innern verabscheute, der er aber völlig ausgeliefert war, wollte er die Zeitung der Familie erhalten.« Dadurch sei er »zu einer tragischen Figur« geworden.

Aber Kurt Neven DuMont haßte die Nazis nicht genug, um sie nicht schon in der Weimarer Republik mit einem eigens auf sie ausgerichteten Produkt als Zielgruppe erschließen zu wollen: dem »Sonntag Morgen«. Es sei »unbegreiflich, wie ein Verlag, dessen Haupt-Milchkuh sich und wahrscheinlich auch die anderen Verlagsobjekte insbesondere von dem Inseratenfutter der jüdischen Geschäftswelt nährt, einen solchen Affront gegen seine Hauptkunden wagt«, kommentierte seinerzeit der Konkurrent »Kölner Kurier« die von Anfang an nazistische Ausrichtung der von dem glühenden Nazi Donald Stuart geleiteten Wochenschrift. Man frage sich »mit Staunen, was den Verlag M. DuMont Schauberg zu einer derartigen Politik veranlassen konnte«, und ob dem Verlagshaus »das Dritte Reich schon so nahe gerückt sei, daß man meint, auf die jüdische Inserentenschaft des ›Stadt-Anzeigers‹, dessen ›Köpfe ja nun bald rollen werden‹, keine Rücksicht mehr nehmen zu brauchen?« Bereits in seiner ersten Ausgabe im Mai 1932 sei der »Sonntag Morgen« »ideologisch in eine gefährliche Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut« getreten, konstatiert auch Pohl.

Flaggschiff des Verlags war damals die renommierte nationalliberale »Kölnische Zeitung«. »Mit der Diktatur des Nationalsozialismus« habe sie »ihre Widerstandsfähigkeit, ihre sinn- sowie friedensstiftende Wirkung, ihre journalistische Unabhängigkeit« verloren und sei »so automatisch zu einem unterstützenden Blatt in der Zeit des Nationalsozialismus« geworden, schreibt Pohl. Doch das ist nicht ganz richtig, wie der Autor selbst anhand zahlreicher Belege dokumentiert. Denn anders als bei der »Vossischen« oder der »Frankfurter Zeitung«, mit denen der Unternehmenshistoriker die »Kölnische Zeitung« aufgrund ihrer ursprünglichen gemeinsamen politischen Grundausrichtung auf die »bürgerliche Mitte« zu Recht vergleicht, setzte der Prozeß der Anpassung schon weit vorher ein. Die Publikationen DuMonts trommelten bereits 1932 immer lauter für eine Regierungsbeteiligung der NSDAP, letztlich auch zu den Bedingungen Hitlers. Wie löst Pohl das Dilemma, daß sein Vergleich zwischen »Kölnischer«, »Vossischer« und »Frankfurter Zeitung« so ungünstig für das DuMont-Produkt ausgefallen ist? Ganz einfach: Für ihn »spielt es keine Rolle, ob positiv oder negativ über den Nationalsozialismus berichtet wurde«, schreibt Pohl. »Denn Tatsache ist: Die nationalsozialistische Weltanschauung wurde durch die Medien verbreitet.«

Zufrieden resümierte die »Kölnische Zeitung« am 31. Januar 1933, dem Tag nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler: »Ja, der Sprung mußte getan werden über kurz oder lang; denn Deutschland muß endlich zur Ruhe kommen. Es blieb aber ewig Unruhe, solange die Millionen Nationalsozialisten unschlüssig vor den Toren des Staates standen und gleichzeitig Millionen von Kommunisten den Staat aus den Angeln zu heben versuchten.«

Auch Kurt Neven DuMont machte 1933 einen Sprung: hinein in den paramilitärischen deutschnationalen und in der »Harzburger Front« mit der NSDAP verbündeten Stahlhelm. Ein Jahr später folgte die Eingliederung des Stahlhelms und damit auch Neven DuMonts in die SA. »Ich war damals in den Stahlhelm eingetreten, obwohl ich mit dessen Bestrebungen niemals sympathisiert hatte, da ich glaubte, als Stahlhelm-Mitglied könnte ich den Widerstand gegen die NSDAP von einer festeren Basis führen«, wird er nach dem Krieg der Entnazifizierungskommission angeben. Auch nach der Machtübergabe an Hitler gab es trotz aller Repressalien durchaus zunächst noch eine kritische Presse in Deutschland. So blieben die »Vossische« und die »Frankfurter Zeitung« ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der NSDAP bis zur Gleichstellung der Presse mittels des am 1. Januar 1934 in Kraft getretenen Schriftleitergesetzes treu, wie Pohl anhand zahlreicher Zitate eindrucksvoll nachweist. Für die DuMont-Blätter dokumentiert er solche Textstellen nicht.

Zum 1. Mai 1934 verkaufte DuMont den »Sonntag Morgen« an einen anderen Verlag, weil angeblich die Ansichten über die Ausrichtung »zu unterschiedlich« geworden waren, wie Pohl behauptet. Zunehmend sei das Blatt »durch nationalsozialistische Mitarbeiter gestaltet« worden, »was unter anderem den Verlag schließlich zum Verkauf veranlaßte«. Dafür, daß dies tatsächlich ein Verkaufsgrund war, bringt er nur diesen Beleg bei: »Worte des Bedauerns seitens des Verlags fehlten, so daß der Eindruck entstehen könnte, der Verkauf des Blattes sei im Verlag eher mit Erleichterung als mit Enttäuschung quittiert worden.«

Der Zweite Weltkrieg bescherte dem Verlag eine ökonomische Blütezeit. Der deutsche Angriffskrieg erwies sich auch für die DuMonts als ein Konjunkturprogramm: Die »Kölnische« war dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) zwar nicht unbedingt wie einst Bismarck »mehr wert als ein ganzes Armeekorps«, aber immerhin hielt es das Blatt für so linientreu, daß es sie als »Reichszeitung« den Soldaten an allen Fronten zur Verfügung stellte. So konnte kräftig Kasse gemacht werden, wie auch Pohl feststellt: »Der besondere Vorteil lag neben den zusätzlich verkauften Exemplaren darin, daß die Kosten für diese zusätzliche Auflage vom OKW übernommen und über den Reichsverband deutscher Zeitungsverleger mit dem Verlag monatlich abgerechnet wurden.« Aus dem vorteilhaften Deal mit dem OKW ergaben sich weitere lukrative Aufträge, insbesondere der Druck einer Teilauflage der Zeitschrift »Arbeitertum« und der Luftwaffenzeitschrift »Adler« sowie der niederländischen Version des Propagandablatts »Signal«.

Die »Kölnische Illustrierte Zeitung« erschien bis 1944, »Kölnische Zeitung« und »Stadt-Anzeiger« bis wenige Wochen vor der Kapitulation. Es dauerte bis zur Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949, bis Kurt Neven DuMont wieder eine Zeitung herausgeben durfte. »Mindestens zweimal in seinem Leben«, so schrieb Alfred Neven DuMont 1973 über seinen Vater, habe dieser »Unrecht über sich ergehen lassen müssen«: »Zum ersten Mal, als er als überzeugter Demokrat und Liberaler nach 1933 schwer belastet durch sein Bemühen, bis zur letzten Minute das Unheil aufzuhalten, der neuen Bewegung ein Dorn im Auge war.« Das zweite Mal sei ihm Unrecht widerfahren, als ihm die Alliierten nach dem Krieg »ohne Berücksichtigung seines tatsächlichen Verhaltens« verboten hätten, weiter als Zeitungsverleger tätig zu sein. Manfred Pohl hatte die große Chance, diese eigentümliche Historiographie zu korrigieren. Er hat sie nicht genutzt.

Manfred Pohl: M. DuMont Schauberg. Der Kampf um die Unabhängigkeit des Zeitungsverlags unter der NS-Diktatur. Campus, Frankfurt a. M. 2009, 544 Seiten, 29,90 Euro.


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