08.05.2009

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NRZ

 Engagement: überdurchschnittlich
Von Pascal Beucker 

Das Rheinische Zentrum für Massenentsäuerung von Archiv- und Bibliotheksgut beschäftigt Behinderte - mit guten Erfahrungen.

Geduldig nimmt Ilker Cevik ein Blatt nach dem anderen in die Hand. Jedes einzelne beschaut er kritisch. Schon wieder hat der stämmige Mann ein Blatt mit einem Knick entdeckt. Er legt es auf den Tisch an seiner linken Seite, greift zum Bügeleisen und fährt vorsichtig über das Papier. Dann schiebt er es wie die anderen in die große Maschine vor ihm. Er lächelt. „Für mich ist hier alles okay“, sagt der 35-Jährige.

Seit rund eineinhalb Jahren arbeitet Cevik im Rheinischen Zentrum für Massenentsäuerung von Archiv- und Bibliotheksgut, dem Archivcenter West der Neschen AG. Er ist einer von neun Menschen mit Behinderung, die hier arbeiten. Denn der gebürtige Kölner, dessen Eltern aus der Türkei stammen, ist schwerhörig. Im Vorschulalter kostete ihn eine zu spät erkannte Infektion fast achtzig Prozent seines Hörvermögens. Aber immerhin kann der 35-Jährige dank technischer Hilfsmittel noch so viel hören, dass er auch an der riesigen Konservierungsmaschine einsetzbar ist.

Das ist nicht bei allen der Beschäftigten mit Handicap so, erläutert Michael Ströder. Der 49-Jährige ist der Leiter des am Rande der Abtei Brauweiler gelegenen Archivcenters. „Für unsere drei taubstummen Mitarbeiter kommt diese Arbeit nicht infrage“, sagt Ströder. „Man muss die Maschinen auch hören können.“ Denn sonst könnten mögliche Fehler nicht früh genug erkannt werden. „Wenn sich das Bandrauschen verändert, muss sofort gestoppt werden.“

Mit Integrationspreis des Landes ausgezeichnet

Aber dafür haben sie andere Qualitäten. So gilt die Leidenschaft von Alexandra Matousek der sehr filigranen und bisweilen zeitaufwendigen manuellen Restaurierung beschädigter Aktenblätter. „Sie hat einfach ein Händchen dafür“, schwärmt Ströder über das Talent der gelernten Schneiderin, die heute frei hat. Für ihre besonders geglückte Eingliederung wurde die aus Tschechien stammende Gehörlose im vergangenen Jahr von Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann mit dem VdK-Integrationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.

Insgesamt sechzehn Beschäftigte arbeiten für die Neschen AG in Brauweiler, darunter neun Menschen mit Handicap, also mehr als die Hälfte. Die Behinderungen sind unterschiedlich, reichen von fehlenden Fingern über künstliche Herzklappen bis zur spastischen Lähmung. Die Integration der gehandicapten Mitarbeiter in den Arbeitsprozess sei nicht immer leicht, räumt Ströder ein. Denn sie seien nicht so flexibel, je nach der Art und dem Grad der Behinderung gebe es Beschränkungen der Einsatzfähigkeit.

Gemeinsame Motivation

„Sicherlich führen die Handicaps manchmal zu einem Mehraufwand an Arbeit“, sagt auch Helge Kleifeld, Business Unit Manager in der Unternehmenszentrale in Bückeburg. „Aber die Erfahrungen mit unseren Beschäftigten mit Behinderung sind grundsätzlich positiv“, betont er. So überschreite die Neschen AG auch in ihrer Zentrale die gesetzlich festgeschriebene Mindestquote deutlich. „Schon immer waren wir in dieser Hinsicht sehr offen.“ Das Besondere in Brauweiler sei jedoch die enge Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR).

Gemeinsame Motivation sei gewesen, „so viele Behinderte wie möglich in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagt Kleifeld. Dabei wolle er nicht verhehlen, dass „auch einige Vorteile, was die finanzielle Förderung betrifft“, mit den Ausschlag gegeben hätten. „Der LVR hat uns die Hand ausgestreckt und wir haben eingeschlagen“, so Kleifeld.

Eine solche finanzielle Förderung könne jeder Unternehmer erhalten, der über die gesetzliche Quote hinaus, Menschen mit Behinderung beschäftige, betont Martina Krause vom Landschaftsverband. Doch für die Firmen würde sich nicht nur deshalb deren Beschäftigung auszahlen. „Wir hören immer wieder, wie zufrieden Unternehmen mit dem überdurchschnittlichen Engagement ihrer Beschäftigen mit Handicap sind“, sagt sie. Trotzdem zögerten viele Firmen, weil sie befürchteten, solche Mitarbeiter nicht profitabel einsetzen zu können. „Viele Barrieren bestehen in den Köpfen der Personalverantwortlichen“, bedauert Krause.


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