Das Rheinische Zentrum für Massenentsäuerung
von Archiv- und Bibliotheksgut beschäftigt Behinderte - mit guten
Erfahrungen.Geduldig nimmt
Ilker Cevik ein Blatt nach dem anderen in die Hand. Jedes einzelne
beschaut er kritisch. Schon wieder hat der stämmige Mann ein Blatt
mit einem Knick entdeckt. Er legt es auf den Tisch an seiner linken
Seite, greift zum Bügeleisen und fährt vorsichtig über das Papier.
Dann schiebt er es wie die anderen in die große Maschine vor ihm. Er
lächelt. „Für mich ist hier alles okay“, sagt der 35-Jährige.
Seit rund eineinhalb Jahren arbeitet
Cevik im Rheinischen Zentrum für Massenentsäuerung von Archiv- und
Bibliotheksgut, dem Archivcenter West der Neschen AG. Er ist einer
von neun Menschen mit Behinderung, die hier arbeiten. Denn der
gebürtige Kölner, dessen Eltern aus der Türkei stammen, ist
schwerhörig. Im Vorschulalter kostete ihn eine zu spät erkannte
Infektion fast achtzig Prozent seines Hörvermögens. Aber immerhin
kann der 35-Jährige dank technischer Hilfsmittel noch so viel hören,
dass er auch an der riesigen Konservierungsmaschine einsetzbar ist.
Das ist nicht bei allen der
Beschäftigten mit Handicap so, erläutert Michael Ströder. Der
49-Jährige ist der Leiter des am Rande der Abtei Brauweiler
gelegenen Archivcenters. „Für unsere drei taubstummen Mitarbeiter
kommt diese Arbeit nicht infrage“, sagt Ströder. „Man muss die
Maschinen auch hören können.“ Denn sonst könnten mögliche Fehler
nicht früh genug erkannt werden. „Wenn sich das Bandrauschen
verändert, muss sofort gestoppt werden.“
Mit Integrationspreis
des Landes ausgezeichnet
Aber dafür haben sie andere
Qualitäten. So gilt die Leidenschaft von Alexandra Matousek der sehr
filigranen und bisweilen zeitaufwendigen manuellen Restaurierung
beschädigter Aktenblätter. „Sie hat einfach ein Händchen dafür“,
schwärmt Ströder über das Talent der gelernten Schneiderin, die
heute frei hat. Für ihre besonders geglückte Eingliederung wurde die
aus Tschechien stammende Gehörlose im vergangenen Jahr von Arbeits-
und Sozialminister Karl-Josef Laumann mit dem VdK-Integrationspreis
des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.
Insgesamt sechzehn Beschäftigte
arbeiten für die Neschen AG in Brauweiler, darunter neun Menschen
mit Handicap, also mehr als die Hälfte. Die Behinderungen sind
unterschiedlich, reichen von fehlenden Fingern über künstliche
Herzklappen bis zur spastischen Lähmung. Die Integration der
gehandicapten Mitarbeiter in den Arbeitsprozess sei nicht immer
leicht, räumt Ströder ein. Denn sie seien nicht so flexibel, je nach
der Art und dem Grad der Behinderung gebe es Beschränkungen der
Einsatzfähigkeit.
Gemeinsame Motivation
„Sicherlich führen die Handicaps
manchmal zu einem Mehraufwand an Arbeit“, sagt auch Helge Kleifeld,
Business Unit Manager in der Unternehmenszentrale in Bückeburg.
„Aber die Erfahrungen mit unseren Beschäftigten mit Behinderung sind
grundsätzlich positiv“, betont er. So überschreite die Neschen AG
auch in ihrer Zentrale die gesetzlich festgeschriebene Mindestquote
deutlich. „Schon immer waren wir in dieser Hinsicht sehr offen.“ Das
Besondere in Brauweiler sei jedoch die enge Zusammenarbeit mit dem
Landschaftsverband Rheinland (LVR).
Gemeinsame Motivation sei gewesen,
„so viele Behinderte wie möglich in den ersten Arbeitsmarkt zu
integrieren“, sagt Kleifeld. Dabei wolle er nicht verhehlen, dass
„auch einige Vorteile, was die finanzielle Förderung betrifft“, mit
den Ausschlag gegeben hätten. „Der LVR hat uns die Hand ausgestreckt
und wir haben eingeschlagen“, so Kleifeld.
Eine solche finanzielle Förderung
könne jeder Unternehmer erhalten, der über die gesetzliche Quote
hinaus, Menschen mit Behinderung beschäftige, betont Martina Krause
vom Landschaftsverband. Doch für die Firmen würde sich nicht nur
deshalb deren Beschäftigung auszahlen. „Wir hören immer wieder, wie
zufrieden Unternehmen mit dem überdurchschnittlichen Engagement
ihrer Beschäftigen mit Handicap sind“, sagt sie. Trotzdem zögerten
viele Firmen, weil sie befürchteten, solche Mitarbeiter nicht
profitabel einsetzen zu können. „Viele Barrieren bestehen in den
Köpfen der Personalverantwortlichen“, bedauert Krause.