27.01.2009

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taz

*  Countdown für neue Gesamtschule
Von Pascal Beucker

Im Wettlauf gegen Zeit und Schulbehörden sammeln Bonner Eltern über 100 Anmeldungen für eine neue Gesamtschule. Die Nachfrage stimmt, doch es gibt es viele Haken: So soll ein Drittel der Kinder eine Empfehlung für das Gymnasium haben.

Stefan Rau ist guten Mutes. "Das ist eine große Chance", sagt der 40-jährige Familienvater. Nun kann die Einrichtung einer vierten Gesamtschule in Bonn doch noch gelingen. Jahrelang schienen er und seine Elterninitiative auf verlorenem Posten zu stehen, zu groß waren die politischen Widerstände in Stadt und Land. Doch jetzt liegt es in der Hand der Eltern.

Seit vergangenen Freitag haben sie Gelegenheit, ihre Kinder für die geplante vierzügige Gesamtschule anzumelden. Bis zum Mittwoch müssen mindestens 112 Schülerinnen und Schüler aus Bonn registriert sein. Im Falle eines Erfolgs werden sie im Herbst in die Räume einer auslaufenden Hauptschule einziehen.

Die Frist von vier Werktagen ist kurz, dennoch sind die Gesamtschulfans optimistisch. Obwohl die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU) unbeirrbar auf das dreigliedrige Schulsystem setzt, wollen immer mehr Eltern ihre Kinder nach der Grundschule auf einer Gesamtschule unterbringen - weit über die vorhandenen Kapazitäten hinaus: Alleine in Bonn bemühten sich 2008 über 1.000 Kinder vergeblich um einen Platz an einer der drei bestehenden Gesamtschulen.

Trotzdem verweigerten sich SPD, CDU und FDP im Bonner Rat jahrelang der Gründung einer vierten Gesamtschule. Erst im Herbst 2008 schwenkten die Sozialdemokraten und SPD-Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann um. Zuvor hatten sie vor allem die Kosten von rund 16 Millionen Euro gescheut. Mitte Januar genehmigte auch die Bezirksregierung Köln die neue Schule.

Doch die Genehmigung durch diese der schwarz-gelben Landesregierung unterstellte Behörde ist an einige Bedingungen geknüpft. Anmeldungen aus dem Bonner Umland zählen nicht. Zudem muss ein Drittel der Kinder zumindest eine eingeschränkte Gymnasialempfehlung vorweisen, um "die notwendige Leistungsheterogenität" zu gewährleisten, wie es im Bescheid heißt.

Stefan Rau hält das für reine Schikane. "Diese Vorgabe sieht das Schulgesetz überhaupt nicht vor", empört sich der Förderschullehrer. Von einem "vergifteten Geschenk" sprechen die Bonner Grünen. "Die Bezirksregierung versucht mit ihren Auflagen, die Schaffung dieser weiteren Gesamtschule zu verhindern und setzt somit ihre ideologische Politik fort, die seit Jahren den Elternwillen ignoriert", empört sich die grüne Ratsfraktionssprecherin Doro Paß-Weingartz.

Mit der Drittelquote wolle man lediglich den Aufbau der gymnasialen Oberstufe sicherstellen, rechtfertigt das Düsseldorfer Schulministerium die Auflage. Das allerdings hält der Bonner Verwaltungsjurist Christian-Dietrich Bracher für nicht haltbar. Da es keine speziell auf die Gesamtschule bezogene Schulformempfehlung gebe, sei die Prognose der Grundschule nicht aussagekräftig, argumentiert Bracher in einem Rechtsgutachten. Denn eine Gesamtschule unterscheide sich gegenüber einem Gymnasium erheblich, so legten die Schüler erst ein Jahr später, nach der 13. Klasse das Abitur ab. Erstellt hat der Jurist sein Gutachten im Auftrag der SPD-Ratsfraktion von Leverkusen. Auch in der Bayer-Stadt tobt derzeit der Gesamtschulkampf, ebenso in Wuppertal, Lippstadt oder Mönchengladbach.

Nicht nur die Drittelquote ärgert die Gesamtschulbefürworter. Auf Unverständnis stößt ebenfalls, dass die Landesregierung bei den "klassischen" Schulformen, insbesondere der Hauptschule, den Ganztagsbetrieb fördert - ihn bei Gesamtschulen jedoch in der Regel mit dem Hinweis auf "andere Prioritäten" ablehnt. Für die geplante Bonner Gesamtschule stellt die Bezirksregierung denn auch nur lapidar fest, "dass derzeit und auch in absehbarer Zeit kein Ganztagsbetrieb bewilligt werden kann". Ziel dieser offenkundigen Benachteiligung sei es, die Gesamtschule unattraktiv zu machen, ist Initiativensprecher Rau überzeugt.


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