Nach dem Einsturz geht die Suche nach Opfern
weiter. 30 Regalkilometer Kulturgut liegen unter dem Schutt
begraben. Staatsanwaltschaft ermittelt.
Am Tag nach der Katastrophe sieht es an
jenem Ort, an dem bislang das Kölner Stadtarchiv stand, so aus wie
nach einem Bombenangriff. Geblieben ist von dem 1971 bezogenen
mehrstöckigen Magazingebäude in der Severinstraße nur ein riesiger
Schuttberg. Das Betreten weiter Teile der Einsturzstelle ist für die
Einsatzkräfte weiterhin zu gefährlich. Selbst die Rettungshunde
können nicht überall eingesetzt werden.
Das Stadtarchiv war am Dienstagmittag
bei seinem Einsturz auf die Straße und in eine nahe gelegene
U-Bahn-Baustelle gekippt. Unklarheit herrscht immer noch darüber, ob
Menschen bei dem Unglück zu Schaden gekommen sind. Am Mittag gibt
die Einsatzleitung bekannt, dass der Verbleib von zwei Männern
ungewiss sei, die im Dachgeschoss des ebenfalls eingestürzten
Nachbarhauses links neben dem Historischen Archiv wohnten. Die
Polizei ermittle in deren Familien- und Bekanntenkreis sowie auch im
Arbeitsumfeld. "Wir können nur hoffen, dass sich diese beiden
Personen nicht auf diesem Grundstück aufgehalten haben", sagt
Stadtdirektor Guido Kahlen, andernfalls gehe "die
Überlebenswahrscheinlichkeit gegen null", wie Feuerwehrdirektor
Stepan Neuhoff sagt.
Allerdings grenze es an ein Wunder,
dass alle Mitarbeiter und Gäste des Historischen Archivs das Gebäude
innerhalb von nur drei Minuten hätten verlassen können, bevor das
Haus eingestürzt sei, sagt Kölns Kulturdezernent Georg Quander. Er
zeigt sich schwer geschockt von der Zerstörung des größten
kommunalen Archivs nördlich der Alpen. Schließlich handele es sich
hier "um das Gedächtnis des gesamten Rheinlandes und weit darüber
hinaus". Tatsächlich barg das Archiv "30 Regalkilometer mit
kostbaren Handschriften, Plänen und Dokumenten, deren
Versicherungswert 400 Millionen Euro beträgt", so Quander. Von
einigen der kostbaren Archivalien existierten dabei nicht einmal
Abschriften.
Die größte Gefahr für den
verschütteten Kulturschatz ist nun Wasser von oben und von unten. Um
die empfindlichen Papiere, die sich zwischen dem Schutt befinden,
vor Regen zu schützen, wurden nun riesige Plastikplanen über die
Trümmer gezogen. Für die unzähligen Manuskripte, Fotos oder
Urkunden, die in den zwölf Meter tiefen Krater vor dem Gebäude
gestürzt sind, dürfte es jedoch keine Rettung mehr geben. Sie hat
das eingesickerte Grundwasser wohl schon unwiederbringlich zerstört.
Auslöser der Katastrophe im
Severinsviertel ist das Einbrechen einer Sicherungswand in einer 28
Meter tiefen Baugrube für den Neubau der Kölner U-Bahn. Nach Angaben
der Stadt bildete sich im Untergrund vor dem Stadtarchiv durch einen
"akuten drei- bis fünfminütigen Wasser- und Bodeneintritt in ein
unterirdisches Gleiswechselbauwerk" ein Erdkrater. Diese
Kraterbildung sei "ursächlich" für den Einsturz gewesen. "Dem
Stadtarchiv wurde buchstäblich der Boden entzogen", so der
Stadtdirektor Kahlen.
Warum die Sicherungswand nicht hielt,
ist jedoch noch unklar. "Wir sind dabei, die Ursachen für das
Unglück mit Hochdruck zu ermitteln", sagte Jürgen Fenske, der
Vorstandsvorsitzende der für den U-Bahn-Bau verantwortlichen Kölner
Verkehrsbetriebe (KVB). "Wir wissen relativ sicher, was passiert
ist, aber noch nicht, warum." Doch auch nach dem schweren Unfall vom
Dienstag komme ein Baustopp nicht infrage. In einer Krisensitzung
habe sich der Vorstand der KVB dagegen ausgesprochen, so Fenske. Es
handele sich um eine "sehr reflektierte Entscheidung" betonte er.
Oberbürgermeister Fritz Schramma
(CDU) versprach, die Stadt werde "in Zukunft bei solchen Projekten
sehr vorsichtig sein". Es müsse überprüft werden, ob man in Zukunft
in Städten U-Bahn-Bauten in einem solchen Ausmaß durchführen könne
und solle. Hinzu fügte er allerdings: "Das betrifft nicht das
laufende Verfahren." Noch am Vormittag hatte er den Weiterbau der
U-Bahn für "fast unverantwortlich" erklärt. Nach bisherigen
Planungen sollten Mitte 2010 die ersten Züge auf der neuen Strecke
fahren, mit der der historische Teil Kölns an das U-Bahn-Netz
angebunden werden soll. Die vier Kilometer lange Nord-Süd-Bahn ist
seit dem Beginn der Bauarbeiten vor fünf Jahren hoch umstritten. Die
Kosten für das Projekt sind um 320 Millionen Euro auf inzwischen
rund 950 Millionen explodiert. Bereits Ende September 2004 geriet
ein Kirchturm im Severinsviertel durch den Tunnelbau in Schieflage.
Die Kölner Staatsanwaltschaft hat
inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. "Wir gehen dem
Verdacht der Baugefährdung und der fahrlässigen Körperverletzung
nach", sagte Oberstaatsanwalt Günther Feld. Die Ermittlungen
richteten sich zunächst gegen unbekannt.