Zwischen rot-grüner Erfahrung und
schwarz-grüner Option: Sylvia Löhrmann ist Spitzenkandidatin der
NRW-Grünen.
Die nordrhein-westfälischen Grünen sonnen sich im
Umfragehoch. Die oppositionellen Jahre haben gut getan. Drei Monate
vor der Landtagswahl liegt die Partei zwischen elf und zwölf Prozent.
Sylvia Löhrmann strotzt vor Selbstbewusstsein. „Wir sind in der Mitte
der Gesellschaft angekommen, weil wir die Gesellschaft bewegt haben“,
sagt die grüne Spitzenkandidatin. „Das begründet unseren Kurs der
Eigenständigkeit.“
Die Grünen an Rhein und Ruhr wollen wieder
regieren. Mit aller Macht. Auf dem Programmparteitag am vergangenen
Wochenende in Essen haben sie bis auf „Jamaika“ keine
Koalitionsvariante ausgeschlossen. Offiziell betont Löhrmann zwar
stets, die SPD sei „unser Wunschpartner“. Aber das ist kaum mehr als
ein Lippenbekenntnis zur Beruhigung der Wählerbasis, bei der eine
Kooperation mit der CDU auf weit größere Skepsis stößt als bei einem
großen Teil der grünen Funktionäre.
Insbesondere die Spitze der mächtigen
Landtagsfraktion um Löhrmann und ihren Stellvertreter Reiner Priggen
würde gern die Gelegenheit zu Schwarz-Grün ergreifen. Immer noch sitzt
die Verbitterung über die Demütigungen der rot-grünen Jahre tief. Mit
10 Prozent der Stimmen und großen Träumen waren die Grünen 1995 in die
Koalition eingetreten. Als die Landtagswahl 2005 verlorenging, kamen
sie desillusioniert und frustriert gerade noch auf 6,2 Prozent. Zwar
räumt Löhrmann ein, die SPD habe „sich in der Opposition ganz
ordentlich auf uns zubewegt“. Aber nicht zuletzt aufgrund der
Erfahrungen, welche die Grünen nach den Kommunalwahlen im vergangenen
Jahr vielerorts mit den Genossen machen mussten, sind die Zweifel
geblieben. Besonders in ihren einstigen Hochburgen im Ruhrgebiet habe
sich die „alte sozialdemokratische Arroganz der Macht trotz
Machtverlust“ gezeigt.
Die Chemie stimmt
Programmatisch verbindet die Grünen zwar immer noch
herzlich wenig mit der CDU. Aber die Chemie zwischen dem
Führungspersonal der beiden Parteien scheint besser zu sein. So
entspringt die schwarz-grüne Option keiner spontanen Laune. Schon
lange bereitet Löhrmann behutsam und vorsichtig den Boden für diese
Regierungsmöglichkeit, ohne sich allerdings dabei zu weit öffentlich
aus dem Fenster zu lehnen. Dabei verdankt Löhrmann persönlich Rot-Grün
viel. Schließlich bescherte die Koalition mit den Sozialdemokraten der
gebürtigen Essenerin ihr Landtagsmandat. Erst als sich Johannes Rau
nach dem unerwarteten Verlust der absoluten Mehrheit schweren Herzens
dazu durchrang, die Grünen an seinen Hof zu holen, bekam sie im
Oktober 1995 ihren Platz im Parlament – als Nachrückerin von Bärbel
Höhn, die als neue Landesumweltministerin gemäß den grünen Regularien
ihr Mandat zurückgeben musste.
Löhrmann, die zuvor sechs Jahre
kommunalpolitische Erfahrungen im Stadtrat von Solingen gesammelt
hatte, machte in der grünen Landtagsfraktion schnell Karriere. Anfang
1998 wurde die „Regierungslinke“ gegen eine Konkurrentin des linken
Flügels zur parlamentarischen Geschäftsführerin gewählt. Ende 1999
stieg Löhrmann zur Fraktionssprecherin auf. Nach der Landtagswahl vom
Mai 2000 blieb sie alleine an der Spitze übrig. Die Landtagsfraktion
nutzte die günstige Gelegenheit, schaffte kurzerhand die bis dahin
übliche Doppelspitze ab und wählte Löhrmann zur alleinigen
Fraktionsvorsitzenden.
Seit 1985 Mitglied, gehört Löhrmann nicht zu
den rhetorischen Talenten ihrer Partei. Auch nach 15 Jahren im
Parlament wirken die Auftritte der 52-Jährigen hölzern. Zudem liegt
der früheren Gesamtschullehrerin für Deutsch und Englisch die
kämpferische Attitüde nicht. Aber dafür weiß Löhrmann, sich geschickt
hinter den Kulissen in Position zu bringen und auf ihre Chance zu
warten. Das brachte ihr nach dem Wechsel der grünen Ikone Höhn auf die
Bundesebene die unangefochtene Spitzenkandidatur ein.
Rot-Rot-Grün ohne realistische Chance
Auch wenn in den Umfragen Rot-Rot-Grün vorne liegt
und weder die SPD noch die Grünen ein Bündnis mit der Linkspartei
formal ausschließen, bedarf es keiner prophetischen Gaben, um
vorauszusagen, dass die drei Parteien nach der Wahl im kommenden Mai
nicht gemeinsam die nächste Landesregierung stellen werden.
Programmatische Hindernisse ließen sich überwinden, aber die sind
nicht das alleinige Problem. Der alternativ-liberalen Bildungsbürgerin
Löhrmann sind die gewerkschaftlich oder in kleineren Politgruppen
sozialisierten Aktivisten der Linkspartei schlichtweg suspekt und
unsympathisch. Ihre tiefe Abneigung gegen die bunte Truppe kleidet sie
in stereotype Abgrenzungsfloskeln. Das Wahlprogramm der
nordrhein-westfälischen Linkspartei stamme „aus dem politischen
Absurdistan“, wettert sie. Dabei enthält es kaum einen Punkt, den
nicht auch die Grünen zumindest in früheren Jahren mal gefordert
hatten.
In welcher Konstellation auch immer: Es ist
kein großes Geheimnis, dass Sylvia Löhrmann nach dem 9. Mai gerne
Bildungsministerin in Nordrhein-Westfalen werden würde. Öffentlich
sagt sie das selbstverständlich nicht. Diesen Fehler hatte sie 2005
begangen und dafür heftige innerparteiliche Prügel einstecken müssen.
„Ich bin gern Fraktionsvorsitzende“, übte sie sich seinerzeit in
Schadensbegrenzung.
Gut möglich, dass sie das auch nach dem
kommenden Wahltag wird sagen müssen. Die Grünen wähnen sich in einer
komfortablen Situation – und könnten letzten Endes doch mit leeren
Händen dastehen. Fest steht, dass sie für Rüttgers nur „Machtreserve“,
also zweite Wahl sind. Reicht es für Schwarz-Gelb, wird Kohls
„Zukunftsminister“ das Bündnis mit der FDP fortsetzen.