14.01.2010

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Jungle World

 Kleine Lichter, großer Zoff
Von Pascal Beucker

CDU, CSU und FDP verstehen sich schlechter, als man in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hätte.

Guido WesterwelleBei seinem Auftritt auf dem traditionellen Dreikönigstreffen der FDP wirkte Guido Westerwelle der Zeit entrückt. Mit immer neuen Floskeln betonte der FDP-Vorsitzende im Stuttgarter Staatstheater, die Gegenwart hinter sich lassen zu wollen. »In der Vergangenheit hatten wir in der deutschen Politik zu viel Gegenwartsfixierung und zu wenig Zukunftsorientierung«, verkündete er den rund 1 400 gleichgesinnten Zuhörern. »Wir wollen ein Deutschland, das sich nicht im Gestrüpp der Tagespolitik verheddert, sondern das sich mit langen Linien auf die Zukunft einstellt«, propagierte er.

Seine Beschwörungen sind verständlich: Je trister der Alltag, desto größer ist die Verlockung, ihn zu verdrängen. Kaum haben die Freidemokraten die letzten Sektgläser auf ihren strahlenden Erfolg bei der Bundestagswahl geleert, bieten sie nur noch ein Bild des Jammers.

Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid bescheinigen mehr als 60 Prozent der Bevölkerung der schwarz-gelben Koalition einen Fehlstart. Ohne Zweifel ist die FDP maßgeblich verantwortlich für das schlechte Erscheinungsbild. Der Wechsel von der Opposition in die Regierung fällt der Partei schwerer als erwartet. In der Wählergunst ist sie laut Infratest dimap inzwischen von ihren 14,6 auf elf Prozent gesunken, während die Union trotz der negativen Stimmung von 33,8 auf 36 Prozent zulegen konnte.

Kaum ein Fettnäpfchen hat das Führungspersonal der FDP bei den ersten öffentlichen Gehversuchen in der ungewohnten Umgebung ausgelassen – angefangen von Westerwelles peinlicher Zurechtweisung eines BBC-Reporters, in Deutschland werde deutsch gesprochen, bis hin zu Rainer Brüderles Blackout am Rande der Kabinettsklausur im Meseberger Schloss: »Ich freue mich sehr, dass Herr Schäuble und ich in der Analyse, aber auch im Zusammenwirken wirklich ganz dicht beieinanderstehen«, schwätzte Brüderle neben dem mit versteinerter Miene in seinem Rollstuhl sitzenden Finanzminister, »auch wenn ich jetzt stehen muss und er sitzen kann.«

Gerade Westerwelle agiert nach wie vor, als wäre er immer noch der Anführer einer kleinen Oppositionspartei, die sich ständig gegen alle anderen beweisen muss. Absprachen scheint er wegen seiner allmächtigen Stellung in der FDP nicht mehr gewohnt zu sein. Mal droht er zur Überraschung der Koalitionspartner mit einem Boykott der internationalen Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London, mal düpiert er sie, indem er der türkischen Regierung vollmundig verspricht, die Bundesrepublik werde sich in den EU-Beitrittsverhandlungen nicht querstellen. Kurzfristig zu lösende Konflikte, wie den Streit um die Mitgliedschaft der Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach (CDU) im Beirat der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«, versucht Westerwelle nicht zuerst koalitionsintern zu klären, sondern trägt sie lieber gleich in offener Feldschlacht aus.

Auch als Außenminister scheint Westerwelle vor allem an der deutschen Innenpolitik interessiert zu sein. Auf dem Stuttgarter Dreikönigstreffen beschränkte sich der explizit außenpolitische Teil seiner Rede auf wenige Phrasen: »Deutsche Politik ist eingebettet in die Politik der Völkergemeinschaft.« Sein »Kompass« sei: »Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik, sie ist interessengeleitet, aber sie ist ausdrücklich auch werteorientiert.« Zwei, drei nichtssagende Sätze zu Afghanistan (»Wir wollen keine Alleingänge, sondern gemeinsames Handeln.«), ein paar Floskeln zu Europa (»Und deutsche Politik ist eingebettet in die europäische Politik.«) und ein Bekenntnis zur »außenpolitischen Tradition und Kontinuität Deutschlands« – mehr fiel dem politischen Enkel Hans-Dietrich Genschers nicht ein.

Daran irritiert vor allem seine generelle Sicht auf die Welt, die deckungsgleich ist mit dem auf die bundesdeutsche Gesellschaft. Westerwelles Denken ist bestimmt von kapitalistischen Konkurrenzverhältnissen, was seinem Blick auf das Ausland eine ausgesprochen nationalistische Note gibt. Denn abseits der wohlfeilen Allgemeinplätze taucht es bei ihm nur als Bedrohung des »Standortes Deutschland« auf: »Die anderen wollen uns überholen, sie haben Lust am Wettbewerb, weil sie mehr Wohlstand wollen«, warnte er. »Wenn wir den Anschluss nicht verpassen wollen, dann müssen wir bei Wachstum und Innovation aufholen.« Es müsse »der Ehrgeiz unseres Landes sein, wieder ganz vorne zu stehen«.

Viel Raum nahm in Westerwelles Rede hingegen jenes Thema ein, an dem er und die Seinen ideologisch dogmatisch festhalten, komme was wolle: Steuersenkungen. Finanzmarkt- oder Weltwirtschaftskrise, Rekordstaatsverschuldung? In der kleinen Welt der Liberalen existieren sie nicht. Auch in Stuttgart verkündete Westerwelle im schneidigen Offizierston seine allseits bekannte schlichte Botschaft: »Deutschland braucht die geistig-politische Wende: Weg von einer immer stärkeren Abkassiererei bei denjenigen, die den Karren ziehen, hin zu der Anerkennung von Leistung. Diejenigen, die etwas leisten, dürfen nicht länger bestraft werden.« Das ist seine biedere – und im Kern höchst unsoziale – Vorstellung von einer »fairen Gesellschaft«.

Doch so sehr er auch trommelt: Die Enttäuschung seiner sozialdarwinistisch radikalisierten Anhängerschaft ist vorprogrammiert. Auch nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai werden die sozialen Grausamkeiten nicht so weit reichen, um die Steuerentlastungsversprechen Westerwelles finanzieren zu können. Denn im Gegensatz zur FDP muss die Union Rücksicht nehmen auf die in der Bevölkerung vorherrschende »sozialstaatliche, konsensgesellschaftliche Leitmentalität« (Franz Walter). Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat denn auch bereits angekündigt, bei seinem für den 17. Januar vereinbarten Treffen mit Westerwelle und Angela Merkel werde »eine Ernüchterungsphase für Westerwelle in Bezug auf die Steuerpläne« eingeleitet. Steuersenkungen um jeden Preis seien schließlich nicht vereinbart.

Es ist offensichtlich: Schwarz-Gelb ist weitaus schlechter auf das Regieren vorbereitet, als von den einen erhofft, von den anderen befürchtet. Von einem »gackernden Hühnerhaufen« spricht die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, eine »Chaos-Combo« sieht die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, am Werk, und der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, behauptete gar, die Regierungskoalition liefere ein »entwürdigendes Bild an Streit und Zoff«. Dabei müssten sich SPD, Grüne und Linkspartei eigentlich über die Konflikte zwischen CDU, CSU und FDP freuen. Wäre es ihnen etwa lieber, die neue Regierung würde durchregieren?

Auch wäre es fatal, sich von den vielen im Vagen gehaltenen Formulierungen im Koalitionsvertrag täuschen zu lassen. Manche Diskussion erinnert frappierend an den Beginn der unendlich langen Kohl-Ära. Die damals von Schwarz-Gelb propagierte »geistig-moralische Wende« ließ manchen Linken und Linksliberalen ein plötzliches Rollback in die Zeit vor 1968 befürchten. Stattdessen betrieb die Regierung schleichend Sozialabbau und Entdemokratisierung. So hält es auch Angela Merkel. Sie hat viel von Helmut Kohl gelernt – und aus ihren Fehlern bei der Bundestagswahl 2005, als die allzu forsche Ankündigung einschneidender Markt-, Steuer- und Gesundheitsreformen Schwarz-Gelb um den bereits sicher geglaubten Wahlsieg brachte. Merkel hat begriffen, dass sich Mehrheiten weder durch rigide Sozialreformen noch durch traditionskonservative Lager- und Fanfarenkämpfe zu realisieren sind.

So liegen denn auch ihre innerparteilichen Kritiker, die am Wochenende in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Merkels präsidialen Stil beanstandeten, analytisch schwer daneben. Die Regierungsmehrheit für Schwarz-Gelb sei »nicht das Ergebnis einer überzeugenden Wahlkampfstrategie« gewesen, kritisierten die Fraktionsvorsitzenden der CDU von Hessen, Sachsen und Thüringen, Christian Wagner, Steffen Flath und Mike Mohring, sowie die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Brandenburg, Saskia Ludwig. »Vielmehr hatte die Union schlichtweg Glück.« Sie fordern: »Wir müssen unsere Wähler auf der Grundlage einer erkennbaren christlichen Orientierung mit Botschaften zur Leitkultur, zur Bedeutung von Bindung und Freiheit, zur Familie, zum Lebensschutz und zum Patriotismus ansprechen.« Außerdem solle sich die CDU wieder stärker wirtschaftsliberal positionieren.

Folgte Merkel diesen Ratschlägen, verlöre die Union ihre strategische Mehrheitsfähigkeit. Die Partei könnte zwar den einen oder anderen enttäuschten Rechtsaußenwähler zurück an die Urne bringen und auch der FDP wieder einige Stimmen abjagen. Aber sie gäbe gleichzeitig das weitaus größere Wählerspektrum kampflos auf, das sich politisch zwischen ihr und der SPD ansiedelt. Ebenso wäre eine deutlichere Abgrenzung zu den Grünen die logische Folge, die dadurch perspektivisch als alternativer Koalitionspartner ausfallen würden.

Kaum zu erwarten ist auch, dass Merkel den Ratschlägen der unzähligen Zeitungskommentatoren folgt, die unablässig von ihr fordern, sie solle endlich »Führungsstärke« beweisen. »Das Kommando übernehmen!« befiehlt bereits die Bild-Zeitung. Die deutschen Leitmedien bevorzugen offensichtlich den autoritären Politikstil, deswegen bejubelten sie auch Gerhard Schröders fatale »Basta!«-Politik. Tatsächlich ist es Merkel bisher nicht gelungen, das Verhältnis der beiden kleineren Koalitionspartner zu normalisieren. Anstatt ihre zugewiesenen Rollen zu spielen, führen sich die FDP und die CSU auf wie zwei »Kampfzwerge« (Spiegel). Doch mit einem »Machtwort« lässt sich dieser Konflikt nicht lösen. Wegen des desolaten Zustands der Opposition braucht das der Bundeskanzlerin derzeit allerdings keine größeren Sorgen bereiten.


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