CDU, CSU und FDP
verstehen sich schlechter, als man in seinen kühnsten
Träumen zu hoffen gewagt hätte.
Bei seinem
Auftritt auf dem traditionellen Dreikönigstreffen der FDP
wirkte Guido Westerwelle der Zeit entrückt. Mit immer neuen
Floskeln betonte der FDP-Vorsitzende im Stuttgarter
Staatstheater, die Gegenwart hinter sich lassen zu wollen.
»In der Vergangenheit hatten wir in der deutschen Politik zu
viel Gegenwartsfixierung und zu wenig Zukunftsorientierung«,
verkündete er den rund 1 400 gleichgesinnten Zuhörern. »Wir
wollen ein Deutschland, das sich nicht im Gestrüpp der
Tagespolitik verheddert, sondern das sich mit langen Linien
auf die Zukunft einstellt«, propagierte er.
Seine Beschwörungen sind
verständlich: Je trister der Alltag, desto größer ist die
Verlockung, ihn zu verdrängen. Kaum haben die Freidemokraten
die letzten Sektgläser auf ihren strahlenden Erfolg bei der
Bundestagswahl geleert, bieten sie nur noch ein Bild des
Jammers.
Nach einer aktuellen Umfrage
des Meinungsforschungsinstituts Emnid bescheinigen mehr als
60 Prozent der Bevölkerung der schwarz-gelben Koalition
einen Fehlstart. Ohne Zweifel ist die FDP maßgeblich
verantwortlich für das schlechte Erscheinungsbild. Der
Wechsel von der Opposition in die Regierung fällt der Partei
schwerer als erwartet. In der Wählergunst ist sie laut
Infratest dimap inzwischen von ihren 14,6 auf elf Prozent
gesunken, während die Union trotz der negativen Stimmung von
33,8 auf 36 Prozent zulegen konnte.
Kaum ein Fettnäpfchen hat
das Führungspersonal der FDP bei den ersten öffentlichen
Gehversuchen in der ungewohnten Umgebung ausgelassen –
angefangen von Westerwelles peinlicher Zurechtweisung eines
BBC-Reporters, in Deutschland werde deutsch gesprochen, bis
hin zu Rainer Brüderles Blackout am Rande der
Kabinettsklausur im Meseberger Schloss: »Ich freue mich
sehr, dass Herr Schäuble und ich in der Analyse, aber auch
im Zusammenwirken wirklich ganz dicht beieinanderstehen«,
schwätzte Brüderle neben dem mit versteinerter Miene in
seinem Rollstuhl sitzenden Finanzminister, »auch wenn ich
jetzt stehen muss und er sitzen kann.«
Gerade Westerwelle agiert
nach wie vor, als wäre er immer noch der Anführer einer
kleinen Oppositionspartei, die sich ständig gegen alle
anderen beweisen muss. Absprachen scheint er wegen seiner
allmächtigen Stellung in der FDP nicht mehr gewohnt zu sein.
Mal droht er zur Überraschung der Koalitionspartner mit
einem Boykott der internationalen Afghanistan-Konferenz Ende
Januar in London, mal düpiert er sie, indem er der
türkischen Regierung vollmundig verspricht, die
Bundesrepublik werde sich in den EU-Beitrittsverhandlungen
nicht querstellen. Kurzfristig zu lösende Konflikte, wie den
Streit um die Mitgliedschaft der Vertriebenenfunktionärin
Erika Steinbach (CDU) im Beirat der Stiftung »Flucht,
Vertreibung, Versöhnung«, versucht Westerwelle nicht zuerst
koalitionsintern zu klären, sondern trägt sie lieber gleich
in offener Feldschlacht aus.
Auch als Außenminister
scheint Westerwelle vor allem an der deutschen Innenpolitik
interessiert zu sein. Auf dem Stuttgarter
Dreikönigstreffen beschränkte sich der explizit
außenpolitische Teil seiner Rede auf wenige Phrasen:
»Deutsche Politik ist eingebettet in die Politik der
Völkergemeinschaft.« Sein »Kompass« sei: »Deutsche
Außenpolitik ist Friedenspolitik, sie ist
interessengeleitet, aber sie ist ausdrücklich auch
werteorientiert.« Zwei, drei nichtssagende Sätze zu
Afghanistan (»Wir wollen keine Alleingänge, sondern
gemeinsames Handeln.«), ein paar Floskeln zu Europa (»Und
deutsche Politik ist eingebettet in die europäische
Politik.«) und ein Bekenntnis zur »außenpolitischen
Tradition und Kontinuität Deutschlands« – mehr fiel dem
politischen Enkel Hans-Dietrich Genschers nicht ein.
Daran irritiert vor allem
seine generelle Sicht auf die Welt, die deckungsgleich ist
mit dem auf die bundesdeutsche Gesellschaft. Westerwelles
Denken ist bestimmt von kapitalistischen
Konkurrenzverhältnissen, was seinem Blick auf das Ausland
eine ausgesprochen nationalistische Note gibt. Denn abseits
der wohlfeilen Allgemeinplätze taucht es bei ihm nur als
Bedrohung des »Standortes Deutschland« auf: »Die anderen
wollen uns überholen, sie haben Lust am Wettbewerb, weil sie
mehr Wohlstand wollen«, warnte er. »Wenn wir den Anschluss
nicht verpassen wollen, dann müssen wir bei Wachstum und
Innovation aufholen.« Es müsse »der Ehrgeiz unseres Landes
sein, wieder ganz vorne zu stehen«.
Viel Raum nahm in
Westerwelles Rede hingegen jenes Thema ein, an dem er und
die Seinen ideologisch dogmatisch festhalten, komme was
wolle: Steuersenkungen. Finanzmarkt- oder
Weltwirtschaftskrise, Rekordstaatsverschuldung? In der
kleinen Welt der Liberalen existieren sie nicht. Auch in
Stuttgart verkündete Westerwelle im schneidigen Offizierston
seine allseits bekannte schlichte Botschaft: »Deutschland
braucht die geistig-politische Wende: Weg von einer immer
stärkeren Abkassiererei bei denjenigen, die den Karren
ziehen, hin zu der Anerkennung von Leistung. Diejenigen, die
etwas leisten, dürfen nicht länger bestraft werden.« Das ist
seine biedere – und im Kern höchst unsoziale – Vorstellung
von einer »fairen Gesellschaft«.
Doch so sehr er auch
trommelt: Die Enttäuschung seiner sozialdarwinistisch
radikalisierten Anhängerschaft ist vorprogrammiert. Auch
nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai werden
die sozialen Grausamkeiten nicht so weit reichen, um die
Steuerentlastungsversprechen Westerwelles finanzieren zu
können. Denn im Gegensatz zur FDP muss die Union Rücksicht
nehmen auf die in der Bevölkerung vorherrschende
»sozialstaatliche, konsensgesellschaftliche Leitmentalität«
(Franz Walter). Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat denn
auch bereits angekündigt, bei seinem für den 17. Januar
vereinbarten Treffen mit Westerwelle und Angela Merkel werde
»eine Ernüchterungsphase für Westerwelle in Bezug auf die
Steuerpläne« eingeleitet. Steuersenkungen um jeden Preis
seien schließlich nicht vereinbart.
Es ist offensichtlich:
Schwarz-Gelb ist weitaus schlechter auf das Regieren
vorbereitet, als von den einen erhofft, von den anderen
befürchtet. Von einem »gackernden Hühnerhaufen« spricht die
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, eine »Chaos-Combo«
sieht die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, am
Werk, und der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar
Bartsch, behauptete gar, die Regierungskoalition liefere ein
»entwürdigendes Bild an Streit und Zoff«. Dabei müssten sich
SPD, Grüne und Linkspartei eigentlich über die Konflikte
zwischen CDU, CSU und FDP freuen. Wäre es ihnen etwa lieber,
die neue Regierung würde durchregieren?
Auch wäre es fatal, sich von
den vielen im Vagen gehaltenen Formulierungen im
Koalitionsvertrag täuschen zu lassen. Manche Diskussion
erinnert frappierend an den Beginn der unendlich langen
Kohl-Ära. Die damals von Schwarz-Gelb propagierte
»geistig-moralische Wende« ließ manchen Linken und
Linksliberalen ein plötzliches Rollback in die Zeit vor 1968
befürchten. Stattdessen betrieb die Regierung schleichend
Sozialabbau und Entdemokratisierung. So hält es auch Angela
Merkel. Sie hat viel von Helmut Kohl gelernt – und aus ihren
Fehlern bei der Bundestagswahl 2005, als die allzu forsche
Ankündigung einschneidender Markt-, Steuer- und
Gesundheitsreformen Schwarz-Gelb um den bereits sicher
geglaubten Wahlsieg brachte. Merkel hat begriffen, dass sich
Mehrheiten weder durch rigide Sozialreformen noch durch
traditionskonservative Lager- und Fanfarenkämpfe zu
realisieren sind.
So liegen denn auch ihre
innerparteilichen Kritiker, die am Wochenende in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Merkels
präsidialen Stil beanstandeten, analytisch schwer daneben.
Die Regierungsmehrheit für Schwarz-Gelb sei »nicht das
Ergebnis einer überzeugenden Wahlkampfstrategie« gewesen,
kritisierten die Fraktionsvorsitzenden der CDU von Hessen,
Sachsen und Thüringen, Christian Wagner, Steffen Flath und
Mike Mohring, sowie die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende von Brandenburg, Saskia Ludwig.
»Vielmehr hatte die Union schlichtweg Glück.« Sie fordern:
»Wir müssen unsere Wähler auf der Grundlage einer
erkennbaren christlichen Orientierung mit Botschaften zur
Leitkultur, zur Bedeutung von Bindung und Freiheit, zur
Familie, zum Lebensschutz und zum Patriotismus ansprechen.«
Außerdem solle sich die CDU wieder stärker
wirtschaftsliberal positionieren.
Folgte Merkel diesen
Ratschlägen, verlöre die Union ihre strategische
Mehrheitsfähigkeit. Die Partei könnte zwar den einen oder
anderen enttäuschten Rechtsaußenwähler zurück an die Urne
bringen und auch der FDP wieder einige Stimmen abjagen. Aber
sie gäbe gleichzeitig das weitaus größere Wählerspektrum
kampflos auf, das sich politisch zwischen ihr und der SPD
ansiedelt. Ebenso wäre eine deutlichere Abgrenzung zu den
Grünen die logische Folge, die dadurch perspektivisch als
alternativer Koalitionspartner ausfallen würden.
Kaum zu erwarten ist auch,
dass Merkel den Ratschlägen der unzähligen
Zeitungskommentatoren folgt, die unablässig von ihr fordern,
sie solle endlich »Führungsstärke« beweisen. »Das Kommando
übernehmen!« befiehlt bereits die Bild-Zeitung. Die
deutschen Leitmedien bevorzugen offensichtlich den
autoritären Politikstil, deswegen bejubelten sie auch
Gerhard Schröders fatale »Basta!«-Politik. Tatsächlich ist
es Merkel bisher nicht gelungen, das Verhältnis der beiden
kleineren Koalitionspartner zu normalisieren. Anstatt ihre
zugewiesenen Rollen zu spielen, führen sich die FDP und die
CSU auf wie zwei »Kampfzwerge« (Spiegel). Doch mit
einem »Machtwort« lässt sich dieser Konflikt nicht lösen.
Wegen des desolaten Zustands der Opposition braucht das der
Bundeskanzlerin derzeit allerdings keine größeren Sorgen
bereiten.
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