Die FDP geht in NRW auf
Oppositionskurs und beschuldigt SPD und Grüne der
Zusammenarbeit mit Extremisten. Sie verfolgt dabei
möglicherweise eine unbedachte Skandalisierungstaktik, mit
der sie sich endgültig in Abseits manövrieren könnte.
Fast schien es so, als wollten die
nordrhein-westfälischen Freidemokraten um Andreas Pinkwart
es tatsächlich wagen, sich aus der Umklammerung der CDU zu
lösen. Doch dann fehlte dem 49jährigen
FDP-Landesvorsitzenden der Mut. Wollte er am Morgen des
vergangenen Freitags die Tür für rot-gelb-grüne Sondierungen
vorsichtig öffnen, schlug er sie am selben Nachmittag mit
lautem Getöse zu. Nachdem ihm von der SPD und den Grünen
schriftlich zwei alternative Gesprächstermine offeriert
worden waren, verkündete Pinkwart: »Dem Angebot von SPD und
Grünen fehlt offensichtlich jede Ernsthaftigkeit, sonst wäre
nicht am selben Tag auch eine Einladung an die Linkspartei
erfolgt.« Rot-Grün habe »eine klare Entscheidung« für eine
»linksradikale Partneroption« getroffen. »Die Offenheit der
FDP gegenüber Gesprächsangeboten von SPD und Grünen ist
damit beendet«, erklärte er.
Dabei hätte es für Pinkwart viele
gute Gründe gegeben, auf die
schwere Wahlniederlage mit einem Befreiungsschlag zu
reagieren. Denn die Lage für die FDP ist mehr als
bedrohlich. Nicht nur, dass sie im Vergleich zu ihrem
NRW-Bundestagsergebnis von 14,9 Prozent auf 6,7 Prozent
abstürzte, ohne die von der schwarz-gelben Landesregierung
eingeführte Zweitstimme hätten die Liberalen womöglich nicht
einmal mehr den Einzug ins Parlament geschafft. Denn bei den
Erststimmen landete sie mit 4,7 Prozent der Stimmen gar
unter der Fünfprozenthürde. Offenkundig hat die FDP Schaden
genommen durch ihr Auftreten als Klientel- und
Pfründesicherungspartei, ihre Profillosigkeit in der
Landesregierung und durch das lästige Erscheinungsbild ihres
Personals in der Bundesregierung. Und ebensowenig hat sich
ihre bizarre Angstkampagne im Wahlkampf ausgezahlt:
Unablässig warnte die FDP im Einklang mit der CDU vor einem
»Linksblock«, der in NRW angeblich die DDR wiederauferstehen
lassen wolle.
Ohne Not hatte sich die FDP schon vor der
Wahl den Bewegungsspielraum für die Zeit danach genommen,
als sie sich auf ihrem außerordentlichen Landesparteitag
eindeutig positionierte: »Wir werden keine Koalition mit
Parteien eingehen, die Bündnisse mit rechtsextremen oder
linksextremen Parteien nicht eindeutig ausschließen«, heißt
es in ihrem dort beschlossenen Wahlaufruf. Das bedeute:
»Daher kommen für uns Koalitionen mit Grünen oder SPD nicht
in Frage.« Die FDP setzte somit alles auf Schwarz-Gelb,
obwohl sie angesichts der Umfragen davon ausgehen musste,
dass es für die Fortsetzung des schwarz-gelben
Regierungsbündnisses keine Mehrheit geben würde.
»Ja, die Linke ist eine extreme
Partei«, verkündete Pinkwart
auf dem Parteitag. »Eine Partei, die ihre eigene
Vergangenheit immer noch unter den Teppich kehrt und die die
Grundachsen unseres demokratischen Rechtsstaates nicht
anerkennt, darf in Nordrhein-Westfalen und in ganz
Deutschland nie wieder Verantwortung übernehmen.« Es müsse
alles dafür getan werden, dass nicht »die Enkel von Erich
Honecker in Nordrhein-Westfalen an die Macht kommen«. Es
wäre nur allzu logisch gewesen, gerade deswegen offen für
Gespräche über eine Ampelkoalition zu sein. Stattdessen
erklärte »Pinki«, wie sie ihn parteiintern nennen, die
Linkspartei zum Paria des politischen Systems.
Doch wessen »Enkel« ist Pinkwart?
Unabhängig davon, dass die Vorwürfe gegen die Linkspartei
reichlich absurd sind, hatte gerade die FDP in NRW einst
keine Probleme, mit Extremisten zusammenzuarbeiten. Im
Gegenteil: In den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz war die
Partei geradezu ein Sammelbecken von Extremisten. Unter
Assistenz seines persönlichen Referenten Wolfgang Diewerge,
im Dritten Reich enger Mitarbeiter von Joseph Goebbels,
verfolgte der damalige FDP-Landesvorsitzende Friedrich
Middelhauve das Konzept einer »nationalen Sammlung« – und
kannte dabei keinerlei Berührungsängste. So mancher Altnazi
konnte seine Karriere bei den Freidemokraten, die ihnen ein
neues politisches Zuhause boten, fortsetzen. Wie der
Historiker Michael Carlo Klepsch in einer Studie darlegte,
gehörten mindestens 16 der von ihm überprüften 75
FDP-Landtagsabgeordneten vor 1945 der NSDAP oder der SS an.
Und obwohl die Landtagsfraktion der FDP bis 1975 fast
durchgängig von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern geführt wurde,
haben sich die Freidemokraten bis heute um eine Aufarbeitung
ihrer braunen Wurzeln herumgedrückt.
Nicht nur deswegen erscheint der
Beschluss der FDP widersinnig. Er beraubt sie auch einer
recht komfortablen Ausgangsposition. Anders als Andrea
Ypsilanti in Hessen hatte der konservativere und
unternehmerfreundlichere Landesverband der SPD in NRW mit
Wolfgang Clements Ziehtochter Hannelore Kraft an der Spitze
ein ernsthaftes Interesse an einer Koalition mit der FDP.
Die Abneigung Krafts gegenüber der Linkspartei ist nicht
gespielt, sind doch schon die Grünen für so manchen
Ruhrgebietssozi eine Zumutung. Durch offensive
Sondierungsgespräche hätten die Freidemokraten den Streit
innerhalb der SPD über eine mögliche Kooperation mit der
Linkspartei weiter anheizen können. Auch die Grünen wären
mächtig unter Druck geraten, da die Sozialdemokraten sie zu
erheblichen Zugeständnissen gegenüber der ungeliebten
liberalen Konkurrenz gedrängt hätten.
So abwegig wäre eine Ampelkoalition
gar nicht gewesen – und das
nicht nur, weil diese innerhalb der SPD starke Befürworter
hat. Denn immerhin existieren dafür zwei Modellbeispiele:
die Landschaftsversammlungen Rheinland und Westfalen-Lippe,
in denen die Gemeinden, Städte und Kreise
Nordrhein-Westfalens zusammengeschlossen sind. In beiden
Parlamenten bilden SPD, Grüne und FDP eine gemeinsame
Koalition – trotz aller demonstrativ zur Schau getragenen
Unterschiede. Andererseits wäre die Bildung einer
Ampelkoalition in Düsseldorf nicht einfach gewesen. Nicht
nur die inhaltlichen Übereinstimmungen erscheinen gering,
vor allem FDP und Grüne kommen nicht miteinander aus. Die
Exponenten beider Parteien verbindet eine tiefe persönliche
Abneigung.
Auch bei einem Scheitern der
Koalitionsgespräche hätte die FDP zumindest einen Zeitgewinn
zu verbuchen: Je länger die Regierungsbildung dauert, desto
länger bleibt Schwarz-Gelb im Amt. Und wer weiß, was die
Entwicklungen in Berlin noch bringen. Falls – wie es bereits
diskutiert wird – Jürgen Rüttgers tatsächlich in absehbarer
Zeit in die Bundesregierung wechseln sollte, wäre Pinkwart
geschäftsführender Ministerpräsident, solange keine neue
Landesregierung gebildet worden wäre. Eigentlich eine
verlockende Aussicht, gerade im Hinblick auf vorgezogene
Neuwahlen, die aufgrund der komplizierten Situation an Rhein
und Ruhr nicht unrealistisch erscheinen.
Auf Druck von Bundesparteichef Guido
Westerwelle hat sich die FDP jedoch ihrer
Einflussmöglichkeiten beraubt. Mit seiner
Verweigerungshaltung verfolge er einen »geheimen Plan«, warf
ihm sein SPD-Pendant Sigmar Gabriel vor. »Diejenigen, die
die Linkspartei am lautesten beschimpfen, wünschen sie sich
in der Düsseldorfer Regierung – frei nach dem Motto: Dann
können wir zur Bundestagswahl eine schöne Kampagne gegen
Rot-Rot-Grün führen.« Das sei »Parteitaktik à la Westerwelle
statt Verantwortung für das Land«, sagte Gabriel der
Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Wenn er damit
richtig liegt, dann spielt Westerwelle ein gefährliches
Spiel. Er könnte seine Partei damit endgültig ins Abseits
stellen.
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