21.10.2010

Startseite
Jungle World

 Jung, dynamisch und kurz vor dem Absturz
Von Pascal Beucker

Bundesverteidigungsminister Guttenberg wird in der öffentlichen Debatte zum Nachfolger der vom Scheitern bedrohten Angela Merkel gekürt. Der vermeintliche Heilsbringer hat außer muffigen Phrasen jedoch nichts zu bieten.

Im Frühjahr erhielt Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg eine besondere Auszeichnung. Die Deutsche Sprachwelt kürte den Bundesverteidigungsminister zum »Sprachwahrer des Jahres«. Der CSU-Politiker spräche, so teilte die vom Verein für Sprachpflege herausgegebene Zeitschrift mit, »nicht nur gutes Deutsch, sondern auch einwandfreies Englisch und liest Platon im altgriechischen Original«. Außerdem sei er »in der Lage, eine mitreißende Bierzeltrede zu halten«. Vor allem jedoch zeichne sich der »Hoffnungsträger« des deutschen Konservatismus durch sein Bemühen um eine klare, verständliche und schnörkellose Sprache aus: »Anders als sein Amtsvorgänger vermeidet er nicht krampfhaft das Wort ›Krieg‹, wenn von Afghanistan die Rede ist.« Hätte der fränkische Adlige bei so viel Mut nicht gleich das Eiserne Kreuz verdient gehabt, das sein Vorgänger Franz Josef Jung (CDU) 2008 als »Ehrenkreuz der Bundeswehr für außergewöhnlich tapfere Taten« wieder eingeführt hat?

Auch die Boulevardzeitungen und Klatschzeitschriften der Republik lieben den Mann und seine hochadlige Ehefrau, die geborenen Stephanie Gräfin von Bismarck-Schönhausen. Kaum eines der unzähligen Blätter hat es sich in jüngster Zeit nehmen lassen, das »Glamour-Paar« auf der Titelseite abzubilden. Nur ein Starschnitt in der Bravo fehlt noch. In dieser Woche zieht auch der Spiegel nach und präsentiert die beiden auf einem roten Teppich und mit der Schlagzeile: »Die fabelhaften Guttenbergs – Paarlauf ins Kanzleramt«.

Kurz zuvor hatte bereits die FAZ munter darüber spekuliert, ob Guttenberg nicht vielleicht demnächst Angela Merkel ablösen könnte. Angesichts der desolaten Umfrageergebnisse der Union werde »in den Untiefen der Politik« über die weitreichenden Folgen spekuliert, die sich aus einem möglichen Desaster der CDU bei der Landtagswahl im März 2011 in Baden-Württemberg ergeben könnten, raunte das Hofblatt des deutschen Konservatismus Mitte vergangener Woche. Die Rede sei davon, dass ein Ausscheiden der CDU aus der Landesregierung »zu einer explosionsartigen Situation« führen könnte, »in der Frau Merkel und Westerwelle hinweggefegt würden«. Ob es sich schon um reale Machtkämpfe handele oder noch um unverbindliche Gedankenspiele, sei zwar »nach dem Stand der Dinge nicht zu erkennen«. Doch auf jeden Fall stünde Guttenberg »im Zentrum der personalpolitischen Spekulationen«. Ihm würde »von einigen in der Union« zugetraut, den beiden Parteien auf schnellem Wege wieder mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen zu sichern. Denn der konservative Liebling sei sowohl »CSU-Politiker genug, die Stammwählerschaft der Unions-Parteien zu mobilisieren«, als auch »jung genug, CDU und CSU auch bei jüngeren Wählerschichten attraktiv zu machen«. Und nicht nur das. Auch bei den Frauen komme er gut an, befand die FAZ.

Solche Überlegungen sind Ausdruck der großen Verunsicherung, die die Union erfasst hat. Sie stolpert von einem Umfragetief ins nächste – und kann sich nicht so recht erklären, woran es liegt. Von den Meinungsforschungsinstituten werden CDU und CSU zusammen nur noch 29 Prozent (Forsa) oder 31 Prozent (Infratest Dimap) der Wählerstimmen zugesprochen. Da die FDP nur bei fünf Prozent liegt, landet die schwarz-gelbe Regierung derzeit weit abgeschlagen hinter Rot-Rot-Grün. Die Aussichten auf eine schwarz-grüne Koalition stehen so schlecht wie schon lange nicht mehr. Die erbitterten Konflikte um die Atomkraft und um »Stuttgart 21« haben den Grünen unglaubliche Umfragewerte beschert – und das Nachdenken über eine schwarz-grüne Zusammenarbeit auf Bundesebene zumindest vorerst beendet. Die grünen Parteistrategen wissen, dass sie mit der CDU nichts zu gewinnen haben, zumal das Hamburger Referenzmodell seit dem verlorenen Volksentscheid zur Schulreform nur noch trostlos vor sich hindümpelt und auf seine Ablösung nach der nächsten Bürgerschaftswahl wartet.

Die Krise der Christdemokraten und ihrer christsozialen Verbündeten in Bayern ist kein temporäres Problem, das sich durch einen Parteitagsbeschluss oder eine kluge Regierungsentscheidung lösen ließe. Vielmehr setzt sich ein Prozess fort, der nur lange vom Niedergang der SPD und dem daraus resultierenden Gewinn der Kanzlerschaft überdeckt wurde. Zuletzt erhielten CDU und CSU bei der Bundestagswahl 1994 mehr als 40 Prozent der Stimmen. Zu ihren besten Zeiten kam die CDU alleine schon auf fast 40 Prozent, bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 beispielsweise auf 36,7 Prozent. Mittlerweile liegt sie dauerhaft unter 30 Prozent, Tendenz fallend. Da inzwischen auch die CSU an Popularität verliert, wird es eng. Die Welt der Christdemokraten und -sozialen werde »schmaler und schmaler, da immer weniger Menschen im modernen Deutschland noch treue Kirchgänger, lebenslange Heimatverbundene, dogmatische Nationalpatrioten und Bekämpfer jedweder Emanzipation sind«, sagt etwa der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter. Die traditionellen Milieus, die der Union seit der Gründung der Bundesrepublik Wahlsiege beschert hatten, lösen sich auf. Die Antwort darauf, was eine sogenannte Volkspartei in Zukunft zusammenhalten könnte, hat die Union bisher nicht gefunden.

So geht den einen der Modernisierungsprozess der Partei zu weit, den anderen nicht weit genug. Ein exemplarisches Beispiel dafür liefert der Streit um die Einführung einer Frauenquote in der CSU. 30 Jahre nach den Grünen und 22 Jahre nach der SPD hat nun auch Horst Seehofer erkannt, dass es ohne die Quote nicht geht. Denn die Zahlen sind erbärmlich: Seine Partei hat einen Frauenanteil von nur 18 Prozent, den niedrigsten aller im Bundestag vertretenen Parteien. Im Berliner Parlament sind gerade mal sechs von 45 Mitgliedern der CSU-Landesgruppe Frauen, also ganze 13,3 Prozent. Auch im bayrischen Landtag hat die CSU mit weniger als 20,7 Prozent den niedrigsten Frauenanteil aller Parteien. Doch in der reaktionären und männerbündischen Partei sind die Widerstände gegen die geplante Quote von 40 Prozent groß. Es ist gut möglich, dass Seehofer auf dem CSU-Parteitag Ende Oktober mit der von ihm befürworteten Parteireform scheitert. Das könnte auch zu seinem politischen Ende beitragen.

Die Frage der Modernisierung wird auch in anderen Bereichen gestellt: Manche Unionsmitglieder beschwören die Rückbesinnung auf »christliche Werte«, andere fordern eine stärkere Hinwendung zur säkularen Lebensrealität. Den einen ist die Regierungspolitik immer noch nicht wirtschaftsliberal genug, die anderen befürworten einen fürsorglichen, sich kümmernden Staat. »Die Erwartung der Menschen ist nicht, dass wir sagen: Wie schön war es in den Fünfzigern, als die Familien noch intakt waren«, gibt Merkel zu bedenken. Sie versucht, alle Fraktionen zufriedenzustellen: »Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial.« Doch damit befriedigt sie weder die einen noch die anderen. »Klare Linie, klare Kante, klarer Kurs«, fordert der am vergangenen Wochenende wiedergewählte Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Doch wohin soll’s gehen?

Da erscheint nicht wenigen Guttenberg geradezu als Heilsbringer. Denn der begnadete Selbstdarsteller mit der 900jährigen Familientradition und dem auf 400 Millionen Euro geschätzten Familienvermögen vereint in seiner Person scheinbar das Unvereinbare: konservative Tradition und progressive Moderne. Das ist eine trügerische Einschätzung, die sich aus der Mischung aus jung-dynamischem Auftreten und muffigen Phrasen speist. »Nur wer sich selbst kennt, kann auch andere akzeptieren, weshalb Patriotismus und Weltoffenheit untrennbar zusammengehören«, lautet eine dieser Hohlformeln, mit denen Guttenberg den rechten Flügel der Union begeistern kann, ohne sich allzu genau festzulegen. Eine andere stammt ebenfalls aus seiner Rede auf einer Veranstaltung der Jungen Union zum »Tag zur deutschen Einheit«: »Die gefühlte Überhöhung anderer Kulturen resultiert aus der ›Unterhöhung‹ der eigenen.« Es sei lange Zeit in Deutschland Mode gewesen, »im Büßerhemd herumzulaufen und quartalsweise in Selbstanklage zu verfallen«. Seinen Auftritt schloss er mit den Worten: »Gott segne dieses Land.«

Der Mief des Ewiggestrigen aus dem Mund eines 38jährigen – so will die Union anscheinend ihre Krise bewältigen. »Guttenbergs Popularität ist zu einem guten Teil das Produkt einer medialen Überhitzung, die nicht nur Chancen, sondern auch Risiken für seine Partei birgt«, muss selbst die FAZ eingestehen. Guttenberg weiß um die Gefahr, die seine derzeitige Beliebtheit für ihn selbst birgt. Diese erschrecke ihn, weil sie »dem hoffentlich vorhandenen Restmaß an Realitätssinn völlig widerspricht«, sagte der fränkische Freiherr dem Spiegel. Und so treibt den Mann schon die Angst vor dem Absturz um. »Weil er bislang nicht gekommen ist, kann er stündlich kommen.«


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen bei dem Autoren. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autoren.