04.11.2010

Startseite
Jungle World

 Eine Karriere voller Energie
Von Pascal Beucker

Im Bundestag wurde in der vergangenen Woche die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke beschlossen.

Norbert RöttgenNorbert Röttgen hatte gut lachen. Die Debatte um die Zukunft der deutschen Atomkraftwerke am Donnerstag voriger Woche hätte für den Bundesumweltminister zeitlich nicht besser liegen können. Kurz vor dem Ende der Mitgliederbefragung über den Vorsitz der nordrhein-westfälischen CDU konnte der ehrgeizige 45jährige die Bühne des Berliner Parlaments noch einmal nutzen, um Werbung in eigener Sache zu machen. Eine Gelegenheit, die sich »Muttis Klügster« nicht entgehen ließ. In knapp 18 Minuten spulte Röttgen sein ganzes rhetorisches Repertoire ab und zerstreute Vorbehalte in den eigenen Reihen, es könne sich bei ihm um einen verkappten AKW-Gegner handeln.

Nur weil er sich vergeblich für eine nicht ganz so lange Verlängerung der AKW-Laufzeiten eingesetzt hatte, war dieses Gerücht monatelang in den Medien kolportiert worden. Dieses Missverständnis versetzte zwar Journalisten mit einem Faible für schwarz-grüne Koalitionen in Verzückung, Röttgen bereitete es jedoch einige Probleme beim innerparteilichen Wettkampf gegen seinen Konkurrenten Armin Laschet. Der beschwerte sich über das »ganze Theater um die Atomkraft« und umwarb mit einer Mischung aus blinder Fortschrittsgläubigkeit und christentümelndem Traditionsbewusstsein die konservative Parteibasis. Beinahe sah es schon so aus, als würde der Landespolitiker mit diesem schlichten Rezept seinen Gegenkandidaten im Kampf um den Chefposten des größten CDU-Landesverbands ins Hintertreffen bringen können.

Aber dann kam Röttgens großer Auftritt im Reichstag. Dass er pflichtschuldig den Ausstieg aus dem Ausstieg rechtfertigen würde, war zu erwarten. Zum Jubilieren brachte Röttgen die Abgeordneten der Koalition aber mit seinen Attacken gegen die Opposition. Sie seien »energiepolitische Blindgänger«, verhöhnte er SPD, Grüne und Linkspartei. Ihre Proteste gegen die geplanten AKW-Laufzeitverlängerungen tat er als »argumentationsloses Kampfgeschrei« und »reine Retroveranstaltungen« ab. Solche Sprüche goutiert der christdemokratische Stammtisch: Lang anhaltender Beifall begleitete Röttgen, als er nach seiner Rede auf die Regierungsbank zurückehrte.

Röttgen war nicht der einzige, der die parlamentarische Revision des rot-grünen »Atomkonsenses« zum Spott über den politischen Gegner nutzte. »Die Opposition macht zwar viel Wind; aber davon dreht sich in Deutschland noch kein einziges Windrad«, lästerte Rainer Brüderle (FDP). Vor allem die Grünen würden »Kostümfeste« und »Klamauk« aufführen, beschied der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Altmeier. Trotz aller Behauptungen seien die Grünen gar nicht bürgerlich geworden, flachste sein FDP-Pendant Jörg van Essen. Denn es sei nun mal so, »dass ihnen das Wichtigste fehlt: Stil und Anstand«. Das zeige auch ihr Auftreten in der Sitzung: »Es hat keinem Parlament in der Geschichte gutgetan, wenn eine Fraktion einheitlich gekleidet aufgetreten ist.« Mit seinem unverhohlenen Hinweis auf die uniformierten Aufmärsche der NSDAP-Abgeordneten im Reichstag der Weimarer Republik zielte der FDP-Politiker darauf, dass die grünen Parlamentarier kollektiv in schwarzer Kleidung erschienen waren, an der sie kleine gelbe X-Kreuze befestigt hatten – das Symbol des Anti-AKW-Widerstands aus Gorleben.

So abgeschmackt van Essens Vergleich auch ist: Die Rückbesinnung der Grünen auf eine Protestform, die sie schon lange nicht mehr praktiziert hatten, entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie. Sie erinnert an jene Zeiten, als Jürgen Trittin und Renate Künast noch den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie gefordert hatten – um sich dann nach ihrem Eintritt in die Bundesregierung mit jenem als »Atomkonsens« verkauften Kompromiss abzufinden, der es jetzt Schwarz-Gelb ermöglicht, die Interessen der Atomlobby so vortrefflich zu bedienen. Daran erinnerte der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein. Gerne hätte er von den Grünen die Frage beantwortet, vor wem sie damals eingeknickt seien: »Vor der Atomlobby? Vor der SPD? Oder ging es darum, einen Dienstwagen zu ergattern?«

Zu Recht fragte Gregor Gysi die schwarz-gelben Parlamentsmehrheit: »Was passiert denn, wenn uns jemals ein AKW um die Ohren fliegt?« Dann gäbe es dieses Land überhaupt nicht mehr, dann lebte hier keiner mehr. »Das alles nehmen Sie für die Profitinteressen von vier Konzernen in Kauf.« Damit steht Schwarz-Gelb in der Tradition der Regierung von Gerhard Schröder (SPD).

Seit dem rot-grünen »Atomkonsens« im Jahr 2002 wurden zwei Schrottreaktoren abgeschaltet. 17 Meiler sind bis heute in Betrieb. Wie erwartet beschloss der Bundestag am Donnerstag mit großer Mehrheit, dass sie nun auch über das Jahr 2021 hinaus weiter laufen sollen. Außer den Parlamentariern von SPD, Grünen und Linkspartei stimmten nur fünf Abgeordnete der Union und drei der FDP dagegen. Zwei CDU-Mitglieder enthielten sich der Stimme, darunter auch Bundestagspräsident Norbert Lammert. Es handele sich nicht um »ein Glanzstück von Parlamentsarbeit«, kritisierte er. Das von der Parlamentsmehrheit gewählte Verfahren setze sich dem »Verdacht mangelnder Sorgfalt« aus. Die Verlängerung der Laufzeiten entbehre jeder Plausibilität. Nach seiner Kenntnis seien die Laufzeiten nicht sachlich begründet, sondern schlicht ausgehandelt worden. »Das entspricht nicht meinen Anforderungen an ordentliche Gesetzgebungsarbeit«, sagte er der FAZ. Jetzt wird das letzte Wort wohl das Bundesverfassungsgericht sprechen, vor das die Opposition ziehen will.

Am Sonntag nach der Abstimmung feierte Bundesumweltminister Norbert Röttgen seinen nächsten großen Erfolg. Mit einer klaren Mehrheit von 54,8 Prozent setzte sich der »Guttenberg der CDU« (Welt) bei der Mitgliederbefragung seines Landesverbandes gegen Armin Laschet durch, der nur auf 45,2 Prozent kam. An diesem Samstag wird Röttgen auf dem Parteitag der NRW-CDU zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Es gilt als sicher, dass er anschließend auf dem Bundesparteitag Mitte November auch die Nachfolge von Jürgen Rüttgers in der CDU-Führung antreten wird.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen bei dem Autoren. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autoren.