Im Bundestag wurde in der
vergangenen Woche die Laufzeitverlängerung für
Atomkraftwerke beschlossen.
Norbert
Röttgen hatte gut lachen. Die Debatte um die Zukunft der
deutschen Atomkraftwerke am Donnerstag voriger Woche hätte
für den Bundesumweltminister zeitlich nicht besser liegen
können. Kurz vor dem Ende der Mitgliederbefragung über den
Vorsitz der nordrhein-westfälischen CDU konnte der
ehrgeizige 45jährige die Bühne des Berliner Parlaments noch
einmal nutzen, um Werbung in eigener Sache zu machen. Eine
Gelegenheit, die sich »Muttis Klügster« nicht entgehen ließ.
In knapp 18 Minuten spulte Röttgen sein ganzes rhetorisches
Repertoire ab und zerstreute Vorbehalte in den eigenen
Reihen, es könne sich bei ihm um einen verkappten AKW-Gegner
handeln.
Nur weil er sich vergeblich für
eine nicht ganz so lange Verlängerung der AKW-Laufzeiten
eingesetzt hatte, war dieses Gerücht monatelang in den
Medien kolportiert worden. Dieses Missverständnis versetzte
zwar Journalisten mit einem Faible für schwarz-grüne
Koalitionen in Verzückung, Röttgen bereitete es jedoch
einige Probleme beim innerparteilichen Wettkampf gegen
seinen Konkurrenten Armin Laschet. Der beschwerte sich über
das »ganze Theater um die Atomkraft« und umwarb mit einer
Mischung aus blinder Fortschrittsgläubigkeit und
christentümelndem Traditionsbewusstsein die konservative
Parteibasis. Beinahe sah es schon so aus, als würde der
Landespolitiker mit diesem schlichten Rezept seinen
Gegenkandidaten im Kampf um den Chefposten des größten
CDU-Landesverbands ins Hintertreffen bringen können.
Aber dann kam Röttgens großer Auftritt im
Reichstag. Dass er pflichtschuldig den Ausstieg aus dem
Ausstieg rechtfertigen würde, war zu erwarten. Zum
Jubilieren brachte Röttgen die Abgeordneten der Koalition
aber mit seinen Attacken gegen die Opposition. Sie seien
»energiepolitische Blindgänger«, verhöhnte er SPD, Grüne und
Linkspartei. Ihre Proteste gegen die geplanten
AKW-Laufzeitverlängerungen tat er als »argumentationsloses
Kampfgeschrei« und »reine Retroveranstaltungen« ab. Solche
Sprüche goutiert der christdemokratische Stammtisch: Lang
anhaltender Beifall begleitete Röttgen, als er nach seiner
Rede auf die Regierungsbank zurückehrte.
Röttgen war nicht der einzige, der die
parlamentarische Revision des rot-grünen »Atomkonsenses« zum
Spott über den politischen Gegner nutzte. »Die Opposition
macht zwar viel Wind; aber davon dreht sich in Deutschland
noch kein einziges Windrad«, lästerte Rainer Brüderle (FDP).
Vor allem die Grünen würden »Kostümfeste« und »Klamauk«
aufführen, beschied der Parlamentarische Geschäftsführer der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Altmeier. Trotz aller
Behauptungen seien die Grünen gar nicht bürgerlich geworden,
flachste sein FDP-Pendant Jörg van Essen. Denn es sei nun
mal so, »dass ihnen das Wichtigste fehlt: Stil und Anstand«.
Das zeige auch ihr Auftreten in der Sitzung: »Es hat keinem
Parlament in der Geschichte gutgetan, wenn eine Fraktion
einheitlich gekleidet aufgetreten ist.« Mit seinem
unverhohlenen Hinweis auf die uniformierten Aufmärsche der
NSDAP-Abgeordneten im Reichstag der Weimarer Republik zielte
der FDP-Politiker darauf, dass die grünen Parlamentarier
kollektiv in schwarzer Kleidung erschienen waren, an der sie
kleine gelbe X-Kreuze befestigt hatten – das Symbol des
Anti-AKW-Widerstands aus Gorleben.
So abgeschmackt van
Essens Vergleich auch ist: Die Rückbesinnung der Grünen auf
eine Protestform, die sie schon lange nicht mehr praktiziert
hatten, entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie. Sie
erinnert an jene Zeiten, als Jürgen Trittin und Renate
Künast noch den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie
gefordert hatten – um sich dann nach ihrem Eintritt in die
Bundesregierung mit jenem als »Atomkonsens« verkauften
Kompromiss abzufinden, der es jetzt Schwarz-Gelb ermöglicht,
die Interessen der Atomlobby so vortrefflich zu bedienen.
Daran erinnerte der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein. Gerne
hätte er von den Grünen die Frage beantwortet, vor wem sie
damals eingeknickt seien: »Vor der Atomlobby? Vor der SPD?
Oder ging es darum, einen Dienstwagen zu ergattern?«
Zu Recht fragte Gregor Gysi die
schwarz-gelben Parlamentsmehrheit:
»Was passiert denn, wenn uns jemals ein AKW um die Ohren
fliegt?« Dann gäbe es dieses Land überhaupt nicht mehr, dann
lebte hier keiner mehr. »Das alles nehmen Sie für die
Profitinteressen von vier Konzernen in Kauf.« Damit steht
Schwarz-Gelb in der Tradition der Regierung von Gerhard
Schröder (SPD).
Seit dem rot-grünen »Atomkonsens« im Jahr
2002 wurden zwei Schrottreaktoren abgeschaltet. 17 Meiler
sind bis heute in Betrieb. Wie erwartet beschloss der
Bundestag am Donnerstag mit großer Mehrheit, dass sie nun
auch über das Jahr 2021 hinaus weiter laufen sollen. Außer
den Parlamentariern von SPD, Grünen und Linkspartei stimmten
nur fünf Abgeordnete der Union und drei der FDP dagegen.
Zwei CDU-Mitglieder enthielten sich der Stimme, darunter
auch Bundestagspräsident Norbert Lammert. Es handele sich
nicht um »ein Glanzstück von Parlamentsarbeit«, kritisierte
er. Das von der Parlamentsmehrheit gewählte Verfahren setze
sich dem »Verdacht mangelnder Sorgfalt« aus. Die
Verlängerung der Laufzeiten entbehre jeder Plausibilität.
Nach seiner Kenntnis seien die Laufzeiten nicht sachlich
begründet, sondern schlicht ausgehandelt worden. »Das
entspricht nicht meinen Anforderungen an ordentliche
Gesetzgebungsarbeit«, sagte er der FAZ. Jetzt wird das
letzte Wort wohl das Bundesverfassungsgericht sprechen, vor
das die Opposition ziehen will.
Am Sonntag nach der Abstimmung feierte
Bundesumweltminister Norbert Röttgen seinen nächsten großen
Erfolg. Mit einer klaren Mehrheit von 54,8 Prozent setzte
sich der »Guttenberg der CDU« (Welt) bei der
Mitgliederbefragung seines Landesverbandes gegen Armin
Laschet durch, der nur auf 45,2 Prozent kam. An diesem
Samstag wird Röttgen auf dem Parteitag der NRW-CDU zum neuen
Landesvorsitzenden gewählt. Es gilt als sicher, dass er
anschließend auf dem Bundesparteitag Mitte November auch die
Nachfolge von Jürgen Rüttgers in der CDU-Führung antreten
wird.
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