Sechsundneunzig Seiten umfasst die
Dokumentation der nordrhein-westfälischen CDU über ihren
erfolgreichen Landtagswahlkampf 2005. "Die Strategie der Ehrlichkeit
ist Grundlage des Wahlkampfs", steht darin.
Jetzt wird
immer deutlicher: Das war wohl eine Lüge. Die Christdemokraten haben
offenbar kräftig getarnt, getrickst und getäuscht, um nach düsteren
39 Jahren in der Opposition die SPD von der Macht zu verdrängen. So
finanzierten sie auch eine angeblich parteiunabhängige
Wählerinitiative. Jetzt holt den CDU-Landesvorsitzenden und
Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers diese Vergangenheit ein.
Es geht um
die Initiative "Wähler für den Wechsel", die vor fünf Jahren mit
ganzseitigen Zeitungsanzeigen für den damaligen Oppositionsführer
warb. Nach außen hin gab sich die mehr als hundert Köpfe umfassende
Gruppe, zu der unter anderem der Springreiter Ludger Beerbaum,
Schlagersänger Tony Marshall, DGB-Landesvizechefin Brigitte Grosse
und der frühere Bauernverbandspräsident Constantin Freiherr Heereman
von Zuydtwyck gehörten, den Anschein der Unabhängigkeit. Doch das
entsprach nicht der Wahrheit.
Die Idee für
die "Wähler für den Wechsel" soll der CDU-Wahlkampfmanager Boris
Berger gemeinsam mit dem Chef der Frankfurter Kommunikationsagentur
Equipe, Jürgen Aha, und Tim Arnold, dem späteren
Hauptverantwortlichen der Initiative, entwickelt haben. Für den
Aufbau schloss die CDU mit Equipe einen mit 40.000 Euro dotierten
Vertrag.
"Man kann juristisch durchaus die Ansicht
vertreten, dass die Praxis bedenklich war", räumte jetzt der
nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Andreas Krautscheid
gegenüber dem Spiegel
ein. "Damals hat man geglaubt, das gehe so; heute muss man das
juristisch vielleicht anders sehen." Nach der Landtagswahl, die
Rüttgers gewann, soll die Initiative ihre Akten samt
Rechnungsunterlagen in der Parteizentrale abgeliefert haben. Arnold
wurde wenige Monate danach Leiter der NRW-Landesvertretung in
Berlin.
Der Union
könnte ihr zwielichtiges Engagement teuer zu stehen kommen. Denn
falls es sich tatsächlich um eine Tarnorganisation handeln sollte,
hätte die CDU das Geld, das die "Wähler für den Wechsel" für ihre
Zeitungsanzeigen und Plakate einsammelten, in ihrem
Rechenschaftsbericht als Spenden ausweisen müssen - was sie nicht
tat. Das würde bedeuten, sie hätte gegen das Parteiengesetz
verstoßen. Die Bundestagsverwaltung prüft den Vorgang. Ein Strafgeld
wegen verdeckter Parteienfinanzierung droht.
"Rüttgers'
Amtszeit und der Wahlerfolg von 2005 werden immer mehr von einem
Filz aus unsauberen Parteispenden und fragwürdigen
Sponsoring-Methoden überzogen", sagte der grüne Landesvorsitzende
Arndt Klocke. Von einem "Sumpf illegaler Parteienfinanzierung"
sprach SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Auch die Linkspartei
forderte die Union auf, die Vorwürfe noch bis zum Wahltag
vollständig aufzuklären.
Erst die
Videoüberwachungs-Affäre, dann die Sponsoring-Affäre und jetzt auch
noch die Wählerini-Affäre: Mit jeder Enthüllung sinkt der Stern von
Jürgen Rüttgers weiter. Nach den jüngsten Umfragen liegt er in der
Beliebtheitsskala inzwischen hinter seiner SPD-Herausforderin
Hannelore Kraft - vor wenigen Wochen noch undenkbar.
Noch ist es
zu früh für einen Nachruf. Aber die Anzeichen mehren sich, dass die
politische Karriere von Helmut Kohls einstigem Zukunftsminister am
kommenden Sonntag um 18 Uhr Vergangenheit ist.