Fünf Stunden verhandelten
SPD und Grüne mit der Linken über eine Koalition in
Nordrhein-Westfalen - bis Rot-Grün der Kragen platzte. Grund dafür
waren vor allem drei Punkte.
Endlich hat das lange Warten ein Ende. Um 18.35
Uhr treten die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft und die grüne
Fraktionsvorsitzende Sylvia Löhrmann vor die Kameras in der Lobby
des Holiday Inn. Ihre Mienen sind ernst. Rund fünf Stunden haben SPD
und Grüne hinter verschlossenen Türen in dem Düsseldorfer Hotel mit
der Linkspartei getagt. Die spärlichen Signale, die während dieser
Zeit nach außen drangen, waren widersprüchlich. Doch nun gibt es
keinen Zweifel mehr: Rot-Grün-Rot in Nordrhein-Westfalen ist passé.
„Wir konnten hier kein Vertrauen aufbauen“, verkündet Kraft.
Es habe sich
ihre Einschätzung bestätigt, dass die Linkspartei „in der jetzigen
Verfassung weder regierungs- noch koalitionsfähig“, sagt Kraft.
Deswegen seien die SPD-Unterhändler einstimmig zu dem Schluss
gekommen, „dass es keinen Sinn macht, die Sondierungsgespräche
fortzusetzen oder in Koalitionsverhandlungen einzusteigen“. Es sei
„ein sehr ernüchterndes Gespräch“ mit der Linkspartei gewesen,
sekundiert Löhrmann. Auch die Grünen seien geschlossen dafür,
„lieber heute einen klaren Schlussstrich zu ziehen". Die Emissäre
der Linkspartei stehen abseits und schütteln sichtlich frustriert
die Köpfe.
Nachdem die
beiden Frontfrauen von SPD und Grünen ihre knappen Statements
abgegeben haben und zurück in den Verhandlungssaal gegangen sind,
treten Katharina Schwabedissen und Wolfgang Zimmermann an die
Mikrofone. „Ein Politikwechsel ist heute an Rot-Grün gescheitert“,
sagt Linken-Landessprecherin Schwabedissen. „Es wurde für
Nordrhein-Westfalen eine große Chance vertan.“ Landtagsfraktionschef
Zimmermann spricht von „offensichtlichen Scheingesprächen“.
Bereits im
Vorfeld hatte es eine gehörige Verunsicherung innerhalb der
Linkspartei gegeben, ob SPD und Grüne tatsächlich an einer
Kooperation interessiert sind. Genährt wurde das Misstrauen durch
Äußerungen Krafts, zunächst müsse "das Demokratieverständnis,
die Demokratiefestigkeit der Linken" geklärt, bevor man überhaupt
zur Landespolitik kommen könne. „Die Linke müssen wir politisch
offen bekämpfen“, hatte zudem Löhrmann noch in einem am Donnerstag
pünktlich zum Beginn der Sondierung erschienenen Interview in der
FAZ verkündet. Auch die in den Tagen zuvor immer wieder von den
Grünen aufgestellte Forderung nach einer eindeutigen Abgrenzung vom
„Unrechtsstaat DDR“, sorgte bei dem größten Landesverband der
Linkspartei im Westen für Irritationen.
Was sich
dann an Donnerstag in den Sitzungssälen "Motivation", "Passion" und
"Vision" abspielte, lässt in der Tat Zweifel an der Intention von
SPD und Grünen aufkommen. Anstatt mögliche Gemeinsamkeiten in der
Landespolitik auszuloten, ging es die meiste Zeit nur um das
Demokratieverständnis und die „Verfassungsfestigkeit“ der
Linkspartei. Die Gretchenfrage an die linken Emissäre lautete: "Wie
haltet ihr es mit der DDR?" Die Antwort fiel für Kraft und Löhrmann
unbefriedigend aus. Unisono kritisierten sie, es habe „sehr viel
relativierende Äußerungen“ gegeben. "Dies war ein wesentliches
Hindernis", sagte Kraft. „Wir haben nichts relativiert“, widersprach
Linken-Landeschefin Schwabedissen entschieden: „Wir waren bereit,
den Satz zu unterschreiben: Die DDR war keine Demokratie, die DDR
war eine Diktatur.“ Das habe der anderen Seite jedoch nicht genügt.
Der
Konfliktpunkt: Die rot-grünen Unterhändler hatten verlangt, die
Linkspartei müsse die "Thüringer Erklärung" zur DDR als
„Unrechtsstaat“ akzeptieren. Dazu war die sie jedoch nicht so
einfach bereit, wollte vielmehr das Papier an "Westverhältnisse"
angleichen. Auch eine Kritik an der politischen Justiz in der
Bundesrepublik sollte darin aufgenommen werden – was die andere
Seite brüsk zurückwies. "Die
sagten immer nur: Ja, aber in der BRD gab es die Verfolgung von
Kommunisten", berichtet später SPD-Landesvize Jochen Ott
verständnislos.
Sowohl die
Thematisierung des FDJ- und KPD-Verbots in den fünfziger Jahren als
auch des „Radikalenerlasses“ in den Siebzigerjahren in der BRD stieß
bei SPD und Grünen auf blankes Unverständnis. Sie konnten oder
wollten nicht nachvollziehen, dass es sich hierbei um weit mehr als
eine vermeintlich relativierende „Retourkutsche“ handelte. Nicht nur
dass etliche heutige Linkspartei-Mitglieder selbst einst von der
skandalösen Berufsverbotepraxis betroffen waren: Es ging für die
Linkspartei um ihre Verpflichtung denjenigen gegenüber, in deren
politischer Tradition sie sich im Westen versteht. Für ein
Delegationsmitglied ist das auch eine ganz persönliche Frage: Zu den
tausenden Kommunisten, die während der Adenauer-Ära wegen ihrer
Überzeugung in den Knast gesteckt wurden, gehörte auch der Vater der
Linken-Schatzmeisterin Nina Eumann. Nicht einmal 20 Jahre alt war
der damalige FDJ-Sekretär, als er Mitte der Fünfzigerjahre
eingesperrt wurde.
Zähe
zweieinhalb Stunden dauert die DDR-Diskussion. Es ist ein
Scheingefecht. Denn eigentlich geht es um etwas anderes: Es passt
einfach nicht zwischen den drei Parteien. Schon alleine
atmosphärisch kommen sie nicht zueinander. Es findet sich keine
gemeinsame Wellenlänge. Trotzdem: Als klar wird, dass man nicht
weiterkommt, leiten Kraft und Löhrmann erst einmal zum nächsten
Thema über. Nun geht es um den Verfassungsschutz. Auch hier kommt
Rot-Grün-Rot auf keinen Nenner. Es habe kein gemeinsames Verständnis
darüber gegeben, „dass der Verfassungsschutz als Instrument zur
Sicherstellung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zur
Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger notwendig ist“, heißt es
nachher von den Grünen. Die Linkspartei sei nicht von ihrer Position
abgerückt, dass sie den Verfassungsschutz, der sie bis heute in NRW
beobachtet, eigentlich abschaffen wolle. Angeboten hätte sie
lediglich, in den nächsten fünf Jahren auf diese Forderung zu
verzichten. Das genügt SPD und Grünen nicht.
Der nächste
Knackpunkt: Wie verlässlich wäre die Linkspartei in einer
gemeinsamen Koalition? Sozialdemokraten und Grüne verlangen,
angesichts der schwierigen Haushaltslage müsse sie auch schmerzhafte
Einsparungen beim Landeshaushalt mittragen. Die linken Unterhändler
wollen hingegen keine Blankoschecks ausstellen. Auch über den
Umgang mit den 8.700 als "künftig wegfallend" bezeichneten Stellen
in Nordrhein-Westfalens Verwaltung gibt es keine Einigung. Die
Linkspartei ist gegen ihre Streichung. "Auch das ist Stellenabbau,
hier geht es schließlich um Menschen", wird der linke
Spitzenkandidat Wolfgang Zimmermann hinterher schimpfen.
Als die
Linken-Vertreter nicht garantieren wollen, in schwierigen
Situationen als Landespartei auch gegen ihre Fraktion und eine
gemeinsame Regierung beispielsweise zu Demos zu mobilisieren, reicht
es Sozialdemokraten und Grünen endgültig. "Wir konnten keine
Verlässlichkeit erkennen", konstatierte Kraft. „Für ein stabiles und
verantwortungsbewusstes Regierungshandeln im größten Bundesland mit
den Herausforderungen der kommenden Zeit ist es aus unserer Sicht
untragbar, dass die Linke damit Regierung und Opposition in einem
sein will“, heißt es in einem Brief der Grünen-Parteivorsitzenden
Daniela Schneckenburger und Arndt Klocke sowie
Landtagsfraktionschefin Sylvia Löhrmann an ihre Parteibasis. Die
Linkspartei käme aus der außerparlamentarischen Opposition, ihr
fehlten grundlegende Kenntnisse der Landespolitik. Die Linkspartei
sei „nicht sicher und erfahren genug, um eine gemeinsame Regierung
zu tragen und nicht in der Lage, die an sie gestellten Erwartungen
an ein verantwortungsbewusstes Regierungshandeln zu erfüllen“.
Nun will es
die SPD mit der CDU versuchen. Noch am Donnerstagabend ging die
Einladung zu Sondierungsgesprächen Anfang kommender Woche. Die
Christdemokraten nahmen umgehend das Angebot an. Außer einer großen
Koalition wäre rechnerisch auch noch ein Ampel- oder ein
Jamaika-Bündnis möglich - ersteres will jedoch die FDP nicht, die
zweite Option wird von den Grünen ausgeschlossen.