REGIERUNG Warum Hannelore Kraft nicht in die Staatskanzlei will,
Jürgen Rüttgers den Übervater gibt und die Grünen und die
Linkspartei in der Opposition bleiben werden. Vier Fragen - vier
Antworten.
Was plant
Hannelore Kraft?
Die
SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft hat mit den Linken, der FDP
und der CDU gesprochen, doch mit keiner Partei will sie
Koalitionsgespräche führen. Jetzt wartet Kraft und belässt
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers geschäftsführend im Amt. Wäre er
irgendwann bereit, sein Amt abzugeben, würde Kraft auch wieder über
Koalitionen nachdenken, doch das ist im Moment unwahrscheinlich. Die
damit weiterbestehende schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat soll
freilich keine politischen Auswirkungen haben: Denn sobald eines der
verhassten Vorhaben - die Kopfpauschale oder die Verlängerung der
Atomlaufzeiten - in die Länderkammer zu gehen droht, will Kraft eine
Minderheitenregierung mit den Grünen bilden. Und damit die Projekte
im Bundesrat blockieren. Dann könnten Neuwahlen folgen - denn als
eine stabile Option wird eine solche Regierung im Kraft-Lager nicht
angesehen. So eine Regierung könnte sie natürlich schon jetzt
bilden, doch Kraft ist dafür zu vorsichtig. Ihr könnte ja nachgesagt
werden, es ginge ihr doch nur um Posten. Nicht um Inhalte, wie sie
immer betont.
Da will
Kraft mit Gesetzesinitiativen die Abschaffung der Studiengebühren
und eine Schulreform erreichen - längeres gemeinsames Lernen für
mehr Chancengleichheit. Auf der SPD-Agenda steht auch der Kampf
gegen die "Dumpinglohngesellschaft": Kraft will deshalb die Rechte
der Landesbediensteten stärken und mehr Mitbestimmung im
öffentlichen Dienst. In der Energiepolitik will sie das
Kohlekraftwerk Datteln verhindern, der Klimaschutz soll dazu wieder
per Gesetz verankert werden. Doch Krafts "Politikwechsel aus dem
Parlament heraus" dürfte dauern - vor der Sommerpause ist nur noch
eine Landtagssitzung terminiert. Erst im Oktober werden erste
Gesetzesänderungen erwartet. Dann sieht vielleicht wieder alles
anders aus. GOR, WYP
Wie regiert Jürgen Rüttgers?
Rüttgers
spielt auf Zeit. "Die Landesregierung wird ihre Verantwortung so
lange engagiert wahrnehmen, wie der Landtag dies bestimmt", gibt
sich der geschäftsführende Ministerpräsident gelassen. Er ist
überzeugt, dass die Verfassung ihm weit mehr Spielraum lässt, als
die Opposition annimmt. Sein Ziel: so lange im Amt zu bleiben, bis
sich die politische Großwetterlage wieder verbessert hat. Bis dahin
will er sich als über dem Gezänk schwebender Landesvater
präsentieren, der nur noch Rheinländer und Westfalen kennt.
Während
Rüttgers hinter den Kulissen intensiv ausloten lässt, wie er seine
verfassungsrechtlichen Befugnisse maximal nutzen kann, übt der
CDU-Landeschef nach
außen hin die staatsmännische Pose: "Wir haben jetzt eine Phase, die
zur Zusammenarbeit zwingt." Gegenseitige Blockaden dürfe es nicht
geben. Die von ihm geführte Landesregierung und die
CDU-Landtagsfraktion würden sich deshalb auch nicht a priori
Anträgen anderer Parteien verweigern, sondern "unterstützen, was im
Interesse des Landes und seiner Menschen ist". Gleichzeitig kündigt
NRW-CDU-Generalsekretär Andreas Krautscheit an: "Genauso wie die SPD
wird auch die CDU parlamentarische Mehrheiten für ihre Projekte
suchen und finden."
In der CDU
wird darüber hinaus davon ausgegangen, dass es der SPD nicht
gelingt, mit Unterstützung von Grünen und Linkspartei die
schwarz-gelbe Regierungsarbeit der vergangenen Jahre rückgängig zu
machen. Aus der Opposition heraus seien mehr als ein paar
symbolische Gesetzesinitiativen kaum möglich. Denn schließlich
müsste die SPD bei Fragen, die Geld kosten, einen
Finanzierungsvorschlag mitliefern. "Für zusätzliche Ausgaben gelten
Verfassung und Schuldenbremse", sagt Rüttgers.
Gleichzeitig
betont er unablässig seine Bereitschaft zu einer großen Koalition, um Hannelore
Kraft den Schwarzen Peter für die Hängepartie an Rhein und Ruhr zuzuschieben. Die Verweigerung der SPD sei
eine "Form der Gestaltungsverweigerung". PAB
Was wollen die Grünen?
Schnellstmöglich eine rot-grüne Minderheitsregierung. Aus Angst vor
Fehlern sei Hannelore Kraft dabei, die Chance auf einen Wechsel zu
verspielen, glauben führende Grüne: aus Angst, bei der Wahl zur
Regierungschefin durchzufallen wie SPD-Ministerpräsidentin Heide
Simonis in Kiel oder zu enden wie Andrea Ypsilanti. Sie habe Angst,
als Regierungschefin keinen Haushalt verabschieden zu können und
geschwächt in mögliche Neuwahlen zu starten, und so Grüne oder Linke
zu stärken.
Krafts
Zaudern stärke den Ministerpräsidenten. "Jürgen Rüttgers gewinnt
jeden Tag 0,1 Prozent dazu", warnt der grüne Landtagsfraktionsvize
Reiner Priggen. Denn Rüttgers werde sich im Sommer nicht wie sonst
nach Südfrankreich zurückziehen, sondern präsent sein:
"Repräsentativ, konziliant, gesprächsbereit und geschmeidig" werde
er sich als "solider Landesvater" inszenieren. "Dem wächst wieder
eine Größe zu, die ihm die Wähler genommen haben."
Krafts
Strategie des "Politikwechsels aus dem Parlament heraus" werde auch
nicht funktionieren, warnt die Grünen-Fraktionschefin Sylvia
Löhrmann. Bis zur Sommerpause ist bisher nur eine zweitägige
Landtagssitzung geplant. Frühestens im Oktober könne Rot-Grün mit
Gesetzesbeschlüssen Druck ausüben - und ob die geschäftsführende
Regierung diese dann umsetzt, sei unklar. "Der versprochene
Politikwechsel wird zum symbolischen lähmenden Schaukampf zwischen
Parlament und geschäftsführender Minderheitsregierung", sagt
Löhrmann. Als undenkbar gilt für die Grünen, dass Rot-Grün dann
gegen eine Landesregierung klage, die beide schon längst hätten
ablösen können. Schon heute droht Löhrmann deshalb mit dem Gang der
Grünen in die Opposition: Wenn Kraft "das Wagnis einer rot-grün
geführten Minderheitsregierung" scheute, müsse die SPD eben in die
große Koalition. "Ich würde das respektieren."
WYP
Und wie verhält sich die Linkspartei?
Bei der
Linkspartei stößt die Linie Hannelore Krafts, Jürgen Rüttgers
vorläufig kommissarisch im Amt zu belassen, auf Unverständnis. "Die
SPD handelt verantwortungslos", sagt Landtagsfraktionschef Wolfgang
Zimmermann. Seine Co-Vorsitzende Bärbel Beuermann spricht von
"hilflosem und ziellosem Lavieren".
Die
Landtagsfraktion der Linkspartei berät noch bis zum heutigen
Donnerstag auf einer
zweitägigen Klausur über ihr Vorgehen. Sie will in den nächsten Wochen
zahlreiche Gesetzesinitiativen in den Landtag einbringen. Geplant
sind etwa Anträge zur sofortigen Abschaffung der Kopfnoten und der
Studiengebühren sowie zum Ausbau der Mitbestimmung im öffentlichen
Dienst. Dann könnten SPD und Grüne ja zeigen, wie ernst sie es mit
dem versprochenen Politikwechsel meinten.
Nicht
verlassen sollten sich SPD und Grüne hingegen darauf, dass die
Linkspartei deren Parlamentsinitiativen einfach so durchwinke. "Wir
wollen die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen verbessern",
sagt Fraktionschef Zimmermann. Das sei das einzige Kriterium dafür,
ob die Linkspartei Anträgen anderer Parteien ihre Zustimmung geben
oder verweigern werde. Außerdem erwarte er schon, dass SPD und Grüne
sich um Absprachen bemühten.
Immer noch
groß ist die Verärgerung über die aus ihrer Sicht Scheinsondierung,
die Rot-Grün Mitte Mai mit der Linkspartei führte. Offenbar sei es
nur darum gegangen, sie vorzuführen, beklagen führende Genossen.
Voraussetzung für jede Zusammenarbeit seien jedoch Fairness und
gegenseitiger Respekt. Daran mangele es insbesondere der SPD. Sie
würde die linken Abgeordneten wie Parias behandeln. Trotzdem wollen
sie sich nicht in die fundamental-oppositionelle Verweigerungsecke
stellen lassen. "Unser Angebot steht: Wir sind zu Gesprächen über
Inhalte und zu einem Politikwechsel im Interesse der Mehrheit der
Menschen in NRW bereit", sagt Landessprecherin Katharina
Schwabedissen. PAB
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