UNGLÜCK
Die Loveparade-Veranstalter geraten immer
stärker unter Druck. Das Gelände soll nur für 250.000 Menschen
zugelassen gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen
fahrlässiger Tötung, Duisburgs OB Adolf Sauerland spricht erstmals
über Rücktritt.
Während in Duisburg die Vorbereitung für die
Trauerfeier laufen, geraten die Stadtoberen und der Veranstalter der
Loveparade, bei der 19 Menschen starben, immer stärker unter Druck.
Schon im Vorfeld sollen gravierende Mängel beim Sicherheitskonzept
offenbar geworden sein. Doch die Verantwortlichen ignorierten
offenbar alle Warnungen.
So soll ein internes Dokument existieren, aus
dem eindeutig hervorgeht, dass der Alte Güterbahnhof, auf dem das
Event stattfand, nur für 250.000 Menschen zugelassen war. "Die
maximale Personenzahl, die sich gleichzeitig auf dem
Veranstaltungsgelände aufhalten darf, wird […] auf 250.000 Personen
begrenzt", zitiert Spiegel Online das Dokument in einem Schreiben
eines Sachbearbeiters der Unteren Bauaufsicht im Duisburger Rathaus,
das an die Berliner Lopavent GmbH, den Ausrichter der Loveparade,
gerichtet war. Kurz vor der Tragödie hatten Stadt und Veranstalter
die Gesamtzahl der Teilnehmer noch stolz auf rund 1,4 Millionen
geschätzt. Inzwischen geben sie keine Angaben mehr heraus. Aus dem
Schreiben geht zudem hervor, dass der Sachbearbeiter die
Organisatoren von der Vorschrift befreit hatte, die vorgeschriebenen
Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen.
Aus Sicht von Deutschlands führendem
Konzertveranstalter Marek Lieberberg führten die Profilierungssucht
der Stadt Duisburg und eine amateurhafte Organisation zu der
Katastrophe. Sie sei "Ergebnis eines verhängnisvollen
Zusammenwirkens von völlig überforderten Behörden und inkompetenten
Organisatoren, die weder mit derartigen Großveranstaltungen vertraut
noch in der Lage waren, auf Notsituationen zu reagieren". Das
Konzept mit einem einzigen Ein- und Ausgang sei "eine Todesfalle"
gewesen. Offenbar hätten die Verantwortlichen der Stadt "die
Veranstaltung um jeden Preis haben wollen und haben sich deshalb
offensichtlich über alle notwendigen Sicherheitserwägungen
hinweggesetzt".
Ihre Vorwürfe bekräftigte die Deutsche
Polizeigewerkschaft (DPolG). "Ich habe vor einem Jahr Duisburg als
ungeeignet für die Loveparade abgelehnt und bin dafür als
Spaßverderber und Sicherheitsfanatiker beschimpft worden", sagte der
Bundesvorsitzende Rainer Wendt. "Aber die Verantwortlichen waren
besessen von der Idee, etwas für diese gebeutelte Stadt zu tun."
Die Toten seien "Opfer materieller Interessen
eines Veranstalters, der unter dem Deckmäntelchen der
,Kulturhauptstadt 2010' " Druck ausgeübt habe, kritisierte der
stellvertretende NRW-Landesvorsitzende Wolfgang Orscheschek. "Vor
dem drohenden Szenario eines irreparablen Imageschadens für die
Region und die Stadt" seien die Duisburger Stadtoberen "dermaßen in
die Enge getrieben wurden, dass sie zum Ereignis Loveparade, trotz
eindringlicher Warnungen aus dem Sicherheitsbereich, nur Ja sagen
konnten."
Der ehemalige Bochumer Polizeipräsident Thomas
Wenner hat gegen den Veranstalter, die Berliner Lopavent des
McFit-Geschäftsführers Rainer Schaller, aber auch gegen Duisburgs OB
Sauerland und Beamte der Stadt inzwischen Anzeige erstattet. Nach
seiner Auffassung hätte eine solche Veranstaltung nie stattfinden
dürfen. Als amtierender Polizeipräsident hatte Wenner 2009 die für
Bochum geplante Loveparade aus Sicherheitsgründen abgesagt. "Städte
wie Bochum und Duisburg mit ihren engen Bahnhöfen sind dafür nicht
geeignet", sagte er der Bild.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte
hingegen vor verfrühten Schuldzuweisungen. "Wir machen den
entscheidenden Fehler nicht, jetzt besserwisserisch zu sein und zu
sagen, was man alles hätte machen müssen, um die Situation zu
verhindern", sagte der GdP-Vizebundesvorsitzende Hugo Müller der
taz. Scharf kritisierte er "selbst ernannte Sicherheitsexperten, die
jetzt schon meinen zu wissen, wer die Verantwortung für die Tragödie
zu tragen habe". Sie handelten "in höchstem Maße scheinheilig und
unverantwortlich". Notwendig sei jetzt eine sachliche und
vorurteilsfreie Untersuchung. "Vorab kann festhalten werden, dass
die eingesetzten Polizisten vor Ort besonnen gehandelt und hunderte
von Personen gerettet haben", lobte Müller seine Duisburger
Kollegen. Augenzeugenberichte widersprechen allerdings dieser
Darstellung.
Auf jeden Fall wird die Duisburger Polizei nicht
länger mit den Untersuchungen der Geschehnisse befasst sein. Ab dem
gestrigen Montag haben die Kölner Beamten die Ermittlungen
übernommen. Das Landesinnenministerium habe so entschieden, um
Befangenheit zu vermeiden, sagte ein Sprecher der Kölner Polizei.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.
Inzwischen will OB Sauerland seinen Rücktritt
nicht mehr ausschließen. "Ich werde mich dieser Frage stellen, das
steht außer Frage", sagte Sauerland. Zunächst müsse es jedoch darum
gehen, die schrecklichen Ereignisse vom Samstag aufzuarbeiten. "Dann
werden wir auch diese Frage beantworten", versprach er. Der CDU-
Politiker war am Sonntag von Trauernden ausgebuht, beschimpft und
mit Müll beworfen worden. Nach neuen Erkenntnissen hat sich die Zahl
der Verletzten inzwischen auf 511 erhöht. Wie der Sprecher der
Duisburger Staatsanwaltschaft, Rolf Haferkamp, mitteilte, wurden
42 Menschen auch zu Wochenbeginn weiter in Kliniken behandelt, ein
Opfer schwebte noch in Lebensgefahr.
Trotz der Tragödie halten die Organisationen der
Kölner Gay Games an ihren Planungen fest. "Wir werden jetzt
natürlich unsere Sicherheitskonzepte noch einmal sehr kritisch
überprüfen", sagte Michael Lohaus, Kopräsident der Kölner Gay Games.
"Aber ich weiß, dass wir sehr gut aufgestellt sind." Das einwöchige
internationale Breitensport-Festival für schwule und lesbische
Sportler, das am Samstag von Außenminister Guido Westerwelle (FDP)
eröffnet werden soll, ist nach der Loveparade die nächste größere
Veranstaltung in Deutschland.
Erwartet werden 10.000 Teilnehmer und bis zu
einer Million Besucher. "Die Sicherheit solcher Großveranstaltungen
ist immer eine gemeinsame Kraftanstrengung der Organisatoren mit den
Behörden", sagte Lohaus. "Bei den Gay Games hat diese Abstimmung
bereits vor Jahren begonnen." Zusammen mit Experten seien dabei auch
mögliche Gefahren durchgespielt und Szenarien entwickelt worden.