LOVEPARADE Die Stadt gedenkt in einer
Trauerfeier der 21 Getöteten. Ministerpräsidentin Kraft fragt: "Wer
trägt Schuld?" Weit weniger Menschen als erwartet nehmen teil.
Harry
ringt mit den Tränen, seine Augen sind stark gerötet. Mit
zusammengefalteten Händen blickt der bullige Vollbartträger auf die
Großbildleinwand, auf der gerade die Trauerrede von
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft übertragen
wird. "Uns alle lässt das Geschehene nicht los", sagt Kraft. Das
Leben von 21 jungen Menschen sei grausam und jäh beendet worden, sie
seien aus ihren "Hoffnungen und Träumen, aus ihren Zukunftsplänen,
Familien und Freundeskreisen" gerissen worden. Sie spricht über die
mehr als 500 Verletzten und "die vielen Tausend, die dabei waren,
die überlebt haben". Viele von ihnen empfänden "Ohnmacht, weil sie
nicht haben helfen können". Harry ist einer von ihnen.
Der
tätowierte 33-Jährige ist aus Münster in die
Schauinsland-Reisen-Arena gekommen. Er ist einer von nur rund 2.000,
die sich an diesem Samstagvormittag in dem 31.500 Zuschauer
fassenden Stadion des Fußballzweitligisten MSV Duisburg versammelt
haben. Wegen des prognostizierten Massenandrangs hatte sich die
Düsseldorfer Staatskanzlei entschieden, die zentrale Gedenkfeier in
der Salvatorkirche in mehrere Gotteshäuser sowie die MSV-Arena
übertragen zu lassen. Mit insgesamt bis zu 100.000 Besuchern wurde
gerechnet. Doch es kommen weit weniger.
Eine Woche
zuvor gehörte Harry zu den etwa 150.000 Loveparade-Besuchern, die es
nach neuesten Polizei-Erkenntnissen schafften, auf das Gelände des
Alten Güterbahnhofs zu kommen. Als die Katastrophe am Eingangstunnel
ausbrach, machte der Mann mit dem in Piratenmanier über den Kopf
gespannten Tuch Party. "Wir haben da oben getanzt, wir wussten ja
von nichts", berichtet er. "Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich hier
auch auf der Suche nach ein bisschen Absolution."
Wie Harry
sind viele sichtlich gerührt von der Ansprache Hannelore Krafts. Sie
redet nach dem Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland,
Nikolaus Schneider, und dem Essener Bischof Franz-Josef Overbeck.
Deutlich ist der Sozialdemokratin, deren Sohn auch auf der
Loveparade gefeiert hatte, ihre Erschütterung über das Geschehene
anzusehen. "Es macht uns betroffen, hilflos und manche auch wütend",
sagt sie mit tränenerstickter Stimme. "Wie konnte dies geschehen?
Wer trägt Schuld, wer ist verantwortlich?" Diese Fragen "müssen und
werden eine Antwort finden".
Der Vater
eines der Opfer habe ihr die Bitte mitgegeben, "unser aller
Wertesystem zu überdenken: Der Mensch, sein Wohlergehen und seine
Sicherheit müsse wieder wichtigste Leitlinie unseres Handelns sein."
Die Stimme versagt ihr beinahe, als sie das sagt. Viele Menschen in
der MSV-Arena weinen.
Auch zwei
Trauermärsche am Samstagnachmittag und am Sonntag bleiben mit knapp
2.000 und weniger als 1.000 Teilnehmern weit hinter den Erwartungen
der Veranstalter. Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) blieb
allen Trauerveranstaltungen fern.