Christ & Welt
Ausgabe 48 / 2011

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  Köln denkt, Ankara lenkt
Von Pascal Beucker

ISLAM Entwickelt sich die Riesenmoschee am Rhein zu einem Monument gescheiterter Integration? Der Eklat in Köln hat zu einer neuen Debatte über die Rolle des Verbandes Ditib geführt – auch unter Muslimen.

DITIB-Moschee in Köln-EhrenfeldAuf dem schwarzen Konferenztisch in Paul Böhms Architekturbüro im Kölner Stadtteil Marienburg steht ein Modell. So soll einmal die größte Moschee Deutschlands aussehen. Der Rohbau im nahe gelegenen Stadtteil Ehrenfeld ist fertig. Doch jetzt tobt um das Haus ein Streit. Der Bauherr, die Ditib, der deutsche Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet, hat den Vertrag mit ihm, dem bekannten Sakralarchitekten, gekündigt, ziemlich überraschend für die Öffentlichkeit. Seither rätseln Beteiligte, was im Vorstand der Ditib vor sich geht. Und fürchten, dass sich der Bau zu einem Monument gescheiterter Integration entwickelt. Die Ditib verlangt Korrekturen am Bau und wirft dem Architekten Schlamperei und Selbstherrlichkeit vor.

Böhm hat das Modell des Gotteshauses aus hellem Holz bauen lassen. Es ist daher gelblich, so wie er es liebt. Anders als die Ditib. Der neue Vorstand des größten muslimischen Dachverbands in der Bundesrepublik will das Haus, das auch seine künftige Zentrale beherbergen soll, lieber weiß erstrahlen lassen. Das sei die Vereinbarung gewesen. Böhm widerspricht: „Wir haben keinen Vertrag, in dem steht, wir sollen eine weiße Moschee liefern“, sagt er. „Das ist Humbug.“ Inzwischen kämpft der Moschee-Beirat für eine Lösung. Zweimal hat sich das Beratergremium mittlerweile mit den Konfliktparteien hinter verschlossenen Türen getroffen, zuletzt am vergangenen Freitag. „Die Situation ist verfahren“, berichtet ein Teilnehmer. „Das Eis ist dünn.“

Streit um Fassaden, Minarette oder Öffnungszeiten – seit der ersten von einer islamischen Gemeinde errichteten Moschee 1923 in Berlin-Wilmersdorf gibt es in Deutschland keinen Moscheebau ohne Diskussionen und Demonstrationen. Im Duisburger Ortsteil Marxloh konnten Gegner und Befürworter der Riesenmoschee im vergangenen Jahr nur durch Polizeigewalt davon abgehalten werden, aufeinander loszugehen. In Berlin wurde Ende 2010 sogar eine Anschlagsserie auf mehrere Gebetshäuser verübt, unter anderem auf die Sehitlik-Moschee in Tempelhof, Berlins größtes muslimisches Gotteshaus.

Zwar sind die Moscheen mittlerweile aus den hässlichen Hinterhöfen ausgezogen. Doch ihr architektonisches Außenseitertum ist geblieben. Egal ob in Duisburg, Köln, München, Mannheim, Frankfurt oder Berlin, es dominiert bis auf wenige Ausnahmen – wie zum Beispiel beim 2005 im bayerischen Penzberg eröffneten Islamischen Forum – der traditionelle osmanische Baustil. Auch die mangelnde Einbeziehung von Anwohnern gerät regelmäßig zum Stolperstein. Im Münchner Stadtteil Sendling scheiterte der Moscheebau im vergangenen Jahr an mangelnden Absprachen mit der Ditim, einem Münchner Ableger der Ditib.

In Köln-Ehrenfeld sollte alles anders werden. Die Ditib ließ dort bereits im Mai 2007 einen Beirat einrichten, damit der Moscheebau „offen und nachvollziehbar für die Nachbarn und die Bevölkerung gestaltet wird“. In dem Gremium sitzen neben Vertretern der Stadt auch Repräsentanten gesellschaftlicher und religiöser Gruppen – vom DGB über den Katholikenausschuss und die Caritas bis zur Synagogen- Gemeinde. Auch Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) und sein Vorgänger Fritz Schramma (CDU) gehören dazu. Von Böhms Kündigung allerdings erfuhren die Mitglieder trotz aller angestrebten Offenheit erst aus der Zeitung.

Hat sich die Ditib vom Bau entfremdet? Derzeit scheint es ungewiss, ob es Fritz Schramma, der von Oberbürgermeister Roters als Moderator zwischen Ditib und Böhm eingesetzt wurde, gelingt, die Konfliktparteien wieder zusammenzubringen. In dieser Woche beginnen die Vermittlungsgespräche. Der liberale Christdemokrat hatte sich während seiner Amtszeit wie kaum ein anderer für die Moschee eingesetzt. Von Rechtsradikalen wird er dafür noch heute als „Türken- Fritz“ diffamiert.

Schon seit Jahren sorgt die geplante Großmoschee für Diskussionen. Heftig wetterten die rechtsextremistische „Bürgerbewegung Pro Köln“, aber auch der Publizist Ralph Giordano gegen das Millionenprojekt. Seit dem Richtfest im Februar ruhte der Streit. Jetzt sorgen die unmittelbar Beteiligten für neuen Ärger. Am 22. Oktober gab die Ditib bekannt, „die Notbremse zu ziehen und dem Architekturbüro Böhm mit sofortiger Wirkung zu kündigen“.

Der Verband begründet seinen Schritt mit schweren Mängeln am Bau, ausufernden Kosten und überschrittenen Terminen. „Als Künstler hat Herr Böhm brilliert, als Baumeister hat er leider versagt“, resümiert Ditib-Sprecherin Ayse Aydin. Böhm wiederum sieht sich als Opfer eines Ränkespiels. Baumängel, die ihm ein Gutachten im Auftrag der Ditib unterstellt, weist Böhm als vorgeschoben zurück: „Unlautere Methoden.“ Bauprobleme hätten sich „in keinem unüblichen Rahmen bewegt“. Der Spross einer Kirchenbaumeisterdynastie glaubt, „dass sie mich loswerden wollen, um eigene Konzepte umzusetzen“. Der jetzige Vorstand habe „völlig andere Vorstellungen – nicht nur ästhetisch, sondern auch politisch und ideologisch“. Böhm warnt: „Ohne meine Zustimmung stellt jede Veränderung eine Verletzung meines Urheberrechts dar.“

Krach zwischen Bauherrn und Architekten ist nichts Außergewöhnliches. Beim „Weltstadthaus“, einem schiffsartigen Kleiderkonsumtempel des italienischen Stararchitekten Renzo Piano auf der Kölner Schildergasse, verhielt es sich nicht anders. Zu den Streitpunkten bei der Moschee gehört natürlich auch das Geld. 2008 ging die Ditib von 28,7 Millionen Euro Gesamtkosten aus.

Schon damit stieß sie in eine neue Dimension vor. Das derzeit größte islamische Gotteshaus in Deutschland, die im Oktober 2008 eröffnete Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh, kostete mit 7,5 Millionen Euro weniger als ein Viertel davon – und 3,2 Millionen Euro kamen von der EU und dem Land Nordrhein-Westfalen. Den Kölner Bau will die Ditib dagegen aus eigenen Einnahmen und Spenden finanzieren. Bisher sind knapp zehn Millionen Euro Spenden zusammengekommen. Aber schon zu Baubeginn 2009 musste die Kalkulation nach oben korrigiert werden: auf 32 Millionen Euro. Der aktuelle Kostenstand beläuft sich auf 38,1 Millionen Euro. Und es könnte noch mehr werden.

Über die Gründe gehen die Auffassungen weit auseinander. Die Ditib macht den Architekten verantwortlich: „Herr Böhm hätte die Kosten konservativer planen müssen“, kritisiert Ditib-Sprecherin Ayse Aydin. Er sei „nicht Herr über den Bau- und den damit einhergehenden Kostenverlauf“ gewesen. Der Angegriffene kontert: Immer neue Sonderwünsche der Ditib hätten die Kosten hochgetrieben.

Zum Beispiel bei der Kuppel: Im Entwurf, mit dem Böhm 2006 den Architekturwettbewerb gewonnen hat, bestand sie aus drei Schalen. Aber dann habe die Ditib gestört, dass dies als Sinnbild für die christliche Dreifaltigkeit gedeutet werden könne. Also habe er eine vierte Schale geplant. Kurz nach Baubeginn sei ein Veto aus Ankara gefolgt: Jetzt sehe es von oben so aus, als sei in die Kuppel ein Christogramm eingearbeitet worden, ein aus den griechischen Buchstaben XP bestehendes Symbol des Christentums. Ein angereistes türkisches Mitglied der Ditib habe die vierteilige Fassade beanstandet, bestätigt Naim Nuha, Geschäftsführer des für den Rohbau zuständigen Düsseldorfer Bauunternehmens Nuha. Die Einwände aus Ankara hätten „eine komplette Umplanung mit statischer Neuberechnung“ gefordert.

Das kostete, dauerte und sollte nicht bekannt werden. Die Ditib muss in heller Aufregung gewesen sein: „Die Umplanung bezüglich der ‚Entschärfung‘ vermutlicher Symbolik ist ein Auftrag“, schrieb sie im Oktober 2009 an Böhm. Eine Diskussion, ob sich ein christliches Zeichen in der Moschee verberge, gefährde das Projekt, könne sogar „dazu führen, dass der gesamte Bau als undurchführbar eingestellt werden müsste“, heißt es in dem Schreiben. In „jedem Fall“ bestehe die Gefahr, „dass Spendengelder eingestellt werden, womit wiederum die Finanzierung des Bauvorhabens scheitern würde“. Selbstverständlich würden Mehrkosten honoriert. Jetzt besteht die Kuppel nur noch aus zwei Schalen.

An einen Termin am 20. Januar 2010 mag sich mancher Ditib-Funktionär nicht mehr gerne erinnern. Im Untergeschoss der Baustelle trafen sich alle, die etwas zur Zentralmoschee zu sagen hatten. Der damalige Vorstandsvorsitzende Sadi Arslan war ebenso dabei wie sein Stellvertreter, der jetzige Vorsitzende Ali Dere, und Generalsekretär Mehmet Yildirim. Zusammen mit dem Architekten Paul Böhm und dessen Projektleiter Martin Amme sowie Mitarbeitern des Rohbauunternehmens begutachteten sie Betonflächen. Eine schwere Entscheidung stand an: Aus welchem Beton soll das islamische Gotteshaus bestehen? „Nach ausgiebiger Diskussion“, so heißt es im Protokoll der „Besichtigung Musterflächen Betonierarbeiten“, sprachen sich die Beteiligten „in Farbgebung“ für die „gelblicheren Betone“ aus.

Der Entscheidung, auf den ursprünglich angedachten Weißzement zugunsten eines sandfarbenen Betons zu verzichten, war eine monatelange Meinungsbildung vorangegangen. Der Architekt hatte sich diese Wahl gewünscht. Sie entsprach seinen ästhetischen Vorstellungen. Schon bei seiner Pfarrkirche St. Theodor im Kölner Stadtteil Vingst – eingeweiht im März 2002 von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner – hatte er einen gelblich-ockerfarbenen Beton verwendet. Die Gemeinde war angetan. Anders bei der Ditib: Je weiter der Bau der Ehrenfelder Moschee voranschritt, desto bewusster wurde den Verantwortlichen offenbar, eigentlich etwas anderes gewollt zu haben.

Den 2010 neu eingesetzten Vorstandsmitgliedern der Ditib ging der Modernisierungsmut ihrer Vorgänger offenbar zu weit. Zumindest der Innenraum sollte klassisch werden – und die Fassade weiß. Wie es heißt, überlegt die Ditib jetzt, die Kuppelfassade abfräsen zu lassen und mit einer glatten weißen Oberfläche zu überdecken. Das kann bis zu sieben Millionen Euro kosten. Als Begründung der „Sanierung“ soll das Gutachten über angebliche „Baumängel“ dienen. Die Kosten wären dann bei Böhm abzuladen. Dessen Rechtsanwalt Frank Siegburg kontert: „Als Lehrbeauftragter an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen bezeichne ich so was bei meinen Studenten als ,kölsche Baufinanzierung‘“.

Offenkundig sei mit der jetzigen Ditib-Spitze „die Zusammenarbeit, die früher möglich war, nicht mehr in dieser Form möglich“, sagt die SPD-Politikerin Lale Akgün. Das Problem liege in der Abhängigkeit der Ditib, die über die staatliche Religionsbehörde Diyanet an die AKP-Regierung in der Türkei angebunden sei. „Die politische Großwetterlage in der Türkei und damit auch bei ihrer Außenstelle Ditib in Köln ist jetzt viel konservativer geworden“, konstatiert die frühere Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion. Dieses Phänomen lasse sich auch bei der Duisburger Merkez-Moschee beobachten. Dort wurde im Herbst 2009 die liberaler ausgerichtete Leitung des Moscheegemeindevereins abgelöst.

Akgün hatte der Jury angehört, die den Kölner Böhm-Entwurf 2007 ausgewählt hatte. Gegen ihr Votum: Wie auch die beteiligten türkischen Architekten hatte Akgün ein anderes Modell präferiert, „etwas ganz Neues, Gewagteres“ – und ohne Minarette. Jetzt befürchtet sie, dass die Gestaltung der Kölner Moschee osmanisch-traditionalistischer ausfallen soll, als Böhm geplant hat.

Die Ditib bestreitet, dass die Auseinandersetzung mit Böhm auf Einfluss aus Ankara zurückgeht. Das kann stimmen. Denn der Streit eskalierte während der Abwesenheit des neuen Vorsitzenden Ali Dere. Erst seit Ende vergangener Woche ist er wieder in Deutschland. Er kam verspätet zur letzten Moschee-Beiratssitzung am Freitag. Sein Stellvertreter Orhan Bilen räumt zwar ein, dass der Streit etwas mit dem Vorstandswechsel im vergangenen Jahr zu tun hat. Aber es gehe weder um Politik noch um Ideologie. Vielmehr gehörten der neuen Spitze mehrere Ingenieure und Naturwissenschaftler an. „Wir haben viel von der deutschen Mentalität übernommen: Was nicht fachgerecht gemacht ist, muss reklamiert und repariert werden“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber es bleiben Zweifel: Geht es wirklich um Baumängel – oder steht hinter dem Konflikt nicht doch eine politische Kursänderung der Ditib?


Rechtsruck bei der Migrantenvertretung

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, abgekürzt Ditib, mit Sitz in Köln ist nach eigenen Angaben die mitgliederstärkste Migrantenorganisation in Deutschland mit fast 900 Moscheegemeinden. Organisatorisch ist sie mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden, die den Moscheegemeinden vom türkischen Staat bezahlte Imame schickt. Kritiker halten ihr ihre Nähe zum türkischen Staat vor. Sie beanstanden, dass es zu den erklärten Aufgaben der Ditib gehöre, die nationale Identität unter den türkischen Einwanderern zu pflegen. Im August des vergangenen Jahres wurde der Vorstand der Ditib neu berufen. Der bisherige Vorsitzende Sadi Arslan wurde in die Türkei zurückbeordert. Auch der bisherige Geschäftsführer Mehmet Yildirim schied aus. Als Einziger aus dem alten Vorstand blieb der Theologe und Botschaftsrat Ali Dere zurück. Er rückte vom bisher stellvertretenden Vorsitzenden zum neuen Präsidenten auf. Dere hat 1994 in Göttingen im Fach Orientalistik promoviert und lehrte danach als Professor für Hadith-Wissenschaften an der Universität Ankara. Vor seinem Ditib-Engagement war er als Außen-Abteilungsleiter des Diyanet auch für die Entsendung von Imamen nach Westeuropa verantwortlich. Mit dem neuen Vorstand übernahmen deutlich konservativer ausgerichtete Männer die Leitung des Verbandes. PB


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