ISLAM Entwickelt sich die Riesenmoschee am
Rhein zu einem Monument gescheiterter Integration? Der Eklat in Köln
hat zu einer neuen Debatte über die Rolle des Verbandes Ditib geführt
– auch unter Muslimen.
Auf dem schwarzen Konferenztisch in Paul Böhms
Architekturbüro im Kölner Stadtteil Marienburg steht ein Modell. So
soll einmal die größte Moschee Deutschlands aussehen. Der Rohbau im
nahe gelegenen Stadtteil Ehrenfeld ist fertig. Doch jetzt tobt um das
Haus ein Streit. Der Bauherr, die Ditib, der deutsche Arm der
türkischen Religionsbehörde Diyanet, hat den Vertrag mit ihm, dem
bekannten Sakralarchitekten, gekündigt, ziemlich überraschend für die
Öffentlichkeit. Seither rätseln Beteiligte, was im Vorstand der Ditib
vor sich geht. Und fürchten, dass sich der Bau zu einem Monument
gescheiterter Integration entwickelt. Die Ditib verlangt Korrekturen
am Bau und wirft dem Architekten Schlamperei und Selbstherrlichkeit
vor.
Böhm hat das Modell des Gotteshauses aus hellem
Holz bauen lassen. Es ist daher gelblich, so wie er es liebt. Anders
als die Ditib. Der neue Vorstand des größten muslimischen Dachverbands
in der Bundesrepublik will das Haus, das auch seine künftige Zentrale
beherbergen soll, lieber weiß erstrahlen lassen. Das sei die
Vereinbarung gewesen. Böhm widerspricht: „Wir haben keinen Vertrag, in
dem steht, wir sollen eine weiße Moschee liefern“, sagt er. „Das ist
Humbug.“ Inzwischen kämpft der Moschee-Beirat für eine Lösung. Zweimal
hat sich das Beratergremium mittlerweile mit den Konfliktparteien
hinter verschlossenen Türen getroffen, zuletzt am vergangenen Freitag.
„Die Situation ist verfahren“, berichtet ein Teilnehmer. „Das Eis ist
dünn.“
Streit um Fassaden, Minarette oder Öffnungszeiten –
seit der ersten von einer islamischen Gemeinde errichteten Moschee
1923 in Berlin-Wilmersdorf gibt es in Deutschland keinen Moscheebau
ohne Diskussionen und Demonstrationen. Im Duisburger Ortsteil Marxloh
konnten Gegner und Befürworter der Riesenmoschee im vergangenen Jahr
nur durch Polizeigewalt davon abgehalten werden, aufeinander
loszugehen. In Berlin wurde Ende 2010 sogar eine Anschlagsserie auf
mehrere Gebetshäuser verübt, unter anderem auf die Sehitlik-Moschee in
Tempelhof, Berlins größtes muslimisches Gotteshaus.
Zwar sind die Moscheen
mittlerweile aus den hässlichen Hinterhöfen ausgezogen.
Doch ihr architektonisches Außenseitertum ist
geblieben. Egal ob in Duisburg, Köln, München, Mannheim, Frankfurt
oder Berlin, es dominiert bis auf wenige Ausnahmen – wie zum Beispiel
beim 2005 im bayerischen Penzberg eröffneten Islamischen Forum – der
traditionelle osmanische Baustil. Auch die mangelnde Einbeziehung von
Anwohnern gerät regelmäßig zum Stolperstein. Im Münchner Stadtteil
Sendling scheiterte der Moscheebau im vergangenen Jahr an mangelnden
Absprachen mit der Ditim, einem Münchner Ableger der Ditib.
In Köln-Ehrenfeld sollte alles anders werden. Die
Ditib ließ dort bereits im Mai 2007 einen Beirat einrichten, damit der
Moscheebau „offen und nachvollziehbar für die Nachbarn und die
Bevölkerung gestaltet wird“. In dem Gremium sitzen neben Vertretern
der Stadt auch Repräsentanten gesellschaftlicher und religiöser
Gruppen – vom DGB über den Katholikenausschuss und die Caritas bis zur
Synagogen- Gemeinde. Auch Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) und
sein Vorgänger Fritz Schramma (CDU) gehören dazu. Von Böhms Kündigung
allerdings erfuhren die Mitglieder trotz aller angestrebten Offenheit
erst aus der Zeitung.
Hat sich die Ditib vom Bau entfremdet? Derzeit
scheint es ungewiss, ob es Fritz Schramma, der von Oberbürgermeister
Roters als Moderator zwischen Ditib und Böhm eingesetzt wurde,
gelingt, die Konfliktparteien wieder zusammenzubringen. In dieser
Woche beginnen die Vermittlungsgespräche. Der liberale Christdemokrat
hatte sich während seiner Amtszeit wie kaum ein anderer für die
Moschee eingesetzt. Von Rechtsradikalen wird er dafür noch heute als
„Türken- Fritz“ diffamiert.
Schon seit Jahren sorgt die geplante Großmoschee
für Diskussionen. Heftig wetterten die rechtsextremistische
„Bürgerbewegung Pro Köln“, aber auch der Publizist Ralph Giordano
gegen das Millionenprojekt. Seit dem Richtfest im Februar ruhte der
Streit. Jetzt sorgen die unmittelbar Beteiligten für neuen Ärger. Am
22. Oktober gab die Ditib bekannt, „die Notbremse zu ziehen und dem
Architekturbüro Böhm mit sofortiger Wirkung zu kündigen“.
Der Verband begründet seinen Schritt mit schweren
Mängeln am Bau, ausufernden Kosten und überschrittenen Terminen. „Als
Künstler hat Herr Böhm brilliert, als Baumeister hat er leider
versagt“, resümiert Ditib-Sprecherin Ayse Aydin. Böhm wiederum sieht
sich als Opfer eines Ränkespiels. Baumängel, die ihm ein Gutachten im
Auftrag der Ditib unterstellt, weist Böhm als vorgeschoben zurück:
„Unlautere Methoden.“ Bauprobleme hätten sich „in keinem unüblichen
Rahmen bewegt“. Der Spross einer Kirchenbaumeisterdynastie glaubt,
„dass sie mich loswerden wollen, um eigene Konzepte umzusetzen“. Der
jetzige Vorstand habe „völlig andere Vorstellungen – nicht nur
ästhetisch, sondern auch politisch und ideologisch“. Böhm warnt: „Ohne
meine Zustimmung stellt jede Veränderung eine Verletzung meines
Urheberrechts dar.“
Krach zwischen Bauherrn und
Architekten ist nichts Außergewöhnliches.
Beim „Weltstadthaus“, einem schiffsartigen Kleiderkonsumtempel des
italienischen Stararchitekten Renzo Piano auf der Kölner
Schildergasse, verhielt es sich nicht anders. Zu den Streitpunkten bei
der Moschee gehört natürlich auch das Geld. 2008 ging die Ditib von
28,7 Millionen Euro Gesamtkosten aus.
Schon damit stieß sie in eine neue Dimension vor.
Das derzeit größte islamische Gotteshaus in Deutschland, die im
Oktober 2008 eröffnete Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh, kostete mit
7,5 Millionen Euro weniger als ein Viertel davon – und 3,2 Millionen
Euro kamen von der EU und dem Land Nordrhein-Westfalen. Den Kölner Bau
will die Ditib dagegen aus eigenen Einnahmen und Spenden finanzieren.
Bisher sind knapp zehn Millionen Euro Spenden zusammengekommen. Aber
schon zu Baubeginn 2009 musste die Kalkulation nach oben korrigiert
werden: auf 32 Millionen Euro. Der aktuelle Kostenstand beläuft sich
auf 38,1 Millionen Euro. Und es könnte noch mehr werden.
Über die Gründe gehen die Auffassungen weit
auseinander. Die Ditib macht den Architekten verantwortlich: „Herr
Böhm hätte die Kosten konservativer planen müssen“, kritisiert
Ditib-Sprecherin Ayse Aydin. Er sei „nicht Herr über den Bau- und den
damit einhergehenden Kostenverlauf“ gewesen. Der Angegriffene kontert:
Immer neue Sonderwünsche der Ditib hätten die Kosten hochgetrieben.
Zum Beispiel bei der Kuppel: Im Entwurf, mit dem
Böhm 2006 den Architekturwettbewerb gewonnen hat, bestand sie aus drei
Schalen. Aber dann habe die Ditib gestört, dass dies als Sinnbild für
die christliche Dreifaltigkeit gedeutet werden könne. Also habe er
eine vierte Schale geplant. Kurz nach Baubeginn sei ein Veto aus
Ankara gefolgt: Jetzt sehe es von oben so aus, als sei in die Kuppel
ein Christogramm eingearbeitet worden, ein aus den griechischen
Buchstaben XP bestehendes Symbol des Christentums. Ein angereistes
türkisches Mitglied der Ditib habe die vierteilige Fassade
beanstandet, bestätigt Naim Nuha, Geschäftsführer des für den Rohbau
zuständigen Düsseldorfer Bauunternehmens Nuha. Die Einwände aus Ankara
hätten „eine komplette Umplanung mit statischer Neuberechnung“
gefordert.
Das kostete, dauerte und sollte nicht bekannt
werden. Die Ditib muss in heller Aufregung gewesen sein: „Die
Umplanung bezüglich der ‚Entschärfung‘ vermutlicher Symbolik ist ein
Auftrag“, schrieb sie im Oktober 2009 an Böhm. Eine Diskussion, ob
sich ein christliches Zeichen in der Moschee verberge, gefährde das
Projekt, könne sogar „dazu führen, dass der gesamte Bau als
undurchführbar eingestellt werden müsste“, heißt es in dem Schreiben.
In „jedem Fall“ bestehe die Gefahr, „dass Spendengelder eingestellt
werden, womit wiederum die Finanzierung des Bauvorhabens scheitern
würde“. Selbstverständlich würden Mehrkosten honoriert. Jetzt besteht
die Kuppel nur noch aus zwei Schalen.
An einen Termin am 20. Januar 2010 mag sich mancher
Ditib-Funktionär nicht mehr gerne erinnern. Im Untergeschoss der
Baustelle trafen sich alle, die etwas zur Zentralmoschee zu sagen
hatten. Der damalige Vorstandsvorsitzende Sadi Arslan war ebenso dabei
wie sein Stellvertreter, der jetzige Vorsitzende Ali Dere, und
Generalsekretär Mehmet Yildirim. Zusammen mit dem Architekten Paul
Böhm und dessen Projektleiter Martin Amme sowie Mitarbeitern des
Rohbauunternehmens begutachteten sie Betonflächen. Eine schwere
Entscheidung stand an: Aus welchem Beton soll das islamische
Gotteshaus bestehen? „Nach ausgiebiger Diskussion“, so heißt es im
Protokoll der „Besichtigung Musterflächen Betonierarbeiten“, sprachen
sich die Beteiligten „in Farbgebung“ für die „gelblicheren Betone“
aus.
Der Entscheidung, auf den ursprünglich angedachten
Weißzement zugunsten eines sandfarbenen Betons zu verzichten, war eine
monatelange Meinungsbildung vorangegangen. Der Architekt hatte sich
diese Wahl gewünscht. Sie entsprach seinen ästhetischen Vorstellungen.
Schon bei seiner Pfarrkirche St. Theodor im Kölner Stadtteil Vingst –
eingeweiht im März 2002 von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner –
hatte er einen gelblich-ockerfarbenen Beton verwendet. Die Gemeinde
war angetan. Anders bei der Ditib: Je weiter der Bau der Ehrenfelder
Moschee voranschritt, desto bewusster wurde den Verantwortlichen
offenbar, eigentlich etwas anderes gewollt zu haben.
Den 2010 neu eingesetzten
Vorstandsmitgliedern der Ditib
ging der Modernisierungsmut ihrer Vorgänger
offenbar zu weit. Zumindest der Innenraum sollte klassisch werden –
und die Fassade weiß. Wie es heißt, überlegt die Ditib jetzt, die
Kuppelfassade abfräsen zu lassen und mit einer glatten weißen
Oberfläche zu überdecken. Das kann bis zu sieben Millionen Euro
kosten. Als Begründung der „Sanierung“ soll das Gutachten über
angebliche „Baumängel“ dienen. Die Kosten wären dann bei Böhm
abzuladen. Dessen Rechtsanwalt Frank Siegburg kontert: „Als
Lehrbeauftragter an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule
in Aachen bezeichne ich so was bei meinen Studenten als ,kölsche
Baufinanzierung‘“.
Offenkundig sei mit der jetzigen Ditib-Spitze „die
Zusammenarbeit, die früher möglich war, nicht mehr in dieser Form
möglich“, sagt die SPD-Politikerin Lale Akgün. Das Problem liege in
der Abhängigkeit der Ditib, die über die staatliche Religionsbehörde
Diyanet an die AKP-Regierung in der Türkei angebunden sei. „Die
politische Großwetterlage in der Türkei und damit auch bei ihrer
Außenstelle Ditib in Köln ist jetzt viel konservativer geworden“,
konstatiert die frühere Integrationsbeauftragte der
SPD-Bundestagsfraktion. Dieses Phänomen lasse sich auch bei der
Duisburger Merkez-Moschee beobachten. Dort wurde im Herbst 2009 die
liberaler ausgerichtete Leitung des Moscheegemeindevereins abgelöst.
Akgün hatte der Jury angehört, die den Kölner
Böhm-Entwurf 2007 ausgewählt hatte. Gegen ihr Votum: Wie auch die
beteiligten türkischen Architekten hatte Akgün ein anderes Modell
präferiert, „etwas ganz Neues, Gewagteres“ – und ohne Minarette. Jetzt
befürchtet sie, dass die Gestaltung der Kölner Moschee
osmanisch-traditionalistischer ausfallen soll, als Böhm geplant hat.
Die Ditib bestreitet, dass die Auseinandersetzung
mit Böhm auf Einfluss aus Ankara zurückgeht. Das kann stimmen. Denn
der Streit eskalierte während der Abwesenheit des neuen Vorsitzenden
Ali Dere. Erst seit Ende vergangener Woche ist er wieder in
Deutschland. Er kam verspätet zur letzten Moschee-Beiratssitzung am
Freitag. Sein Stellvertreter Orhan Bilen räumt zwar ein, dass der
Streit etwas mit dem Vorstandswechsel im vergangenen Jahr zu tun hat.
Aber es gehe weder um Politik noch um Ideologie. Vielmehr gehörten der
neuen Spitze mehrere Ingenieure und Naturwissenschaftler an. „Wir
haben viel von der deutschen Mentalität übernommen: Was nicht
fachgerecht gemacht ist, muss reklamiert und repariert werden“, sagte
er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber es bleiben Zweifel: Geht es
wirklich um Baumängel – oder steht hinter dem Konflikt nicht doch eine
politische Kursänderung der Ditib?
Rechtsruck bei
der Migrantenvertretung
Die Türkisch-Islamische
Union der Anstalt für Religion, abgekürzt Ditib, mit Sitz in Köln ist
nach eigenen Angaben die
mitgliederstärkste Migrantenorganisation in Deutschland
mit fast 900 Moscheegemeinden. Organisatorisch
ist sie mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden, die den
Moscheegemeinden vom türkischen Staat bezahlte Imame schickt. Kritiker
halten ihr ihre Nähe zum türkischen Staat vor. Sie beanstanden, dass
es zu den erklärten Aufgaben der Ditib gehöre, die nationale Identität
unter den türkischen Einwanderern zu pflegen. Im August des
vergangenen Jahres wurde der Vorstand der Ditib neu berufen. Der
bisherige Vorsitzende Sadi Arslan wurde in die Türkei zurückbeordert.
Auch der bisherige Geschäftsführer Mehmet Yildirim schied aus. Als
Einziger aus dem alten Vorstand blieb der
Theologe und Botschaftsrat Ali Dere
zurück. Er rückte vom bisher stellvertretenden
Vorsitzenden zum neuen Präsidenten auf. Dere hat 1994 in Göttingen im
Fach Orientalistik promoviert und lehrte danach als
Professor für Hadith-Wissenschaften an der
Universität Ankara. Vor seinem
Ditib-Engagement war er als Außen-Abteilungsleiter des Diyanet auch
für die Entsendung von Imamen nach Westeuropa verantwortlich. Mit dem
neuen Vorstand übernahmen deutlich konservativer ausgerichtete Männer
die Leitung des Verbandes. PB
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