10.03.2011
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Freitag

 Auf ewig treu ergeben
Von Pascal Beucker

Der Staat im Dienst seiner Diener: Die Beamten haben ihre Vorteile über alle Sparrunden hinweg gerettet. Jetzt drohen ihre Ruhestandsansprüche, Deutschland zu lähmen.

Die Berufsbeamten haben in der deutschen Geschichte eine erstaunliche Zählebigkeit bewiesen. Sie haben Könige und Kaiser überstanden, die Weimarer Republik und das „Dritte Reich“ ebenso wie die Entnazifizierungsversuche der Alliierten und alle Reformen in der Bundesrepublik. Sie haben sich sogar zäher erwiesen als die DDR, die das Berufsbeamtentum abgeschafft hatte. Seit 1990 leben Beamte auch wieder in Chemnitz, Dresden, Magdeburg und Eisenhüttenstadt.

Einst Bollwerk Bismarcks gegen sozialdemokratische Umtriebe, ertrug die deutsche Beamtenschaft die Weimarer Republik mehr schlecht als recht, schwor Adolf Hitler die Treue und rettete schließlich ihre „hergebrachten Grundsätze“ bis ins Grundgesetz. Zu denen gehört nicht zuletzt jenes mit dem demokratischen Gleichheitsprinzip kaum zu vereinbarende außergewöhnliche Treueverhältnis gegenüber dem Staat, dem der Beamte sich verpflichtet. Nicht nur, dass er sich „mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen“ hat. Er hat auch, so schreibt es das Beamtengesetz vor, „bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben.“ Und er muss „sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten“. Zu den „hergelaufenen Grundsätzen“, wie manche die Prinzipien auch bezeichnen, zählt ebenso eine gewichtige Grundrechtseinschränkung: das Streikverbot.

Als Belohnung für ihre staatsnahe Stellung genießen Beamte Privilegien. Anders als andere Berufstätige erhalten sie für ihre Arbeit keinen Lohn, sondern Alimente. Diese Alimentation, so gilt es seit den Zeiten Preußens bis heute, soll für den Beamten und seine Familie einen angemessenen Ausgleich dafür bieten, dass dieser sich mit seiner ganzen Persönlichkeit dem Dienstherrn zur Verfügung stellt. Beamte werden auch nicht einfach eingestellt, sie werden ernannt – und zwar im Regelfall nach Ausbildung sowie Probezeit und wenn sie mindestens 27 Jahre alt sind: auf Lebenszeit.

Bollwerk der Privilegierten

Unumstritten waren die Beamten nie. Im Kaiserreich war es die SPD, in der Weimarer Republik zunächst die USPD, dann die KPD, die gegen ihre Sonderstellung opponierten. In der Gründungsphase der Bundesrepublik stemmten sich SPD und KPD vergeblich gegen die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in seiner „bewährten“ Form. Heutzutage geben sich vor allem die Grünen und die Linkspartei kritisch, aber auch manche Neoliberale fordern die Abschaffung des Standes, da sie in ihm einen Störfaktor bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen sehen. Doch wirklich etwas anhaben konnte den Beamten bisher nichts, im Gegenteil.

Im vergangenen Jahrhundert ist Deutschland zweimal geschrumpft. So büßte es nach 1918 seine überseeischen Kolonien sowie knapp 15 Prozent seines damaligen Staatsgebiets ein; nach dem Ende der Nazi-Barbarei wurde es abermals um ein Drittel reduziert und zudem noch geteilt, wobei nur der westliche Teilstaat am Berufsbeamtentum festhielt. Das Resultat war jedoch keine Verkleinerung der Beamtenschaft. „Beamte sind ein wunderbares Beispiel für die Vermehrung der Menschen auf ungeschlechtliche Weise“, formulierte einmal die Kabarettistin Ursula Noack. Da ist etwas dran. Waren es 1960 noch 670.000 Staatsdiener, so gibt es laut Statistischem Bundesamt inzwischen 1,76 Millionen Beamte. Hinzu kommen etwa 94.000 „privatisierte“ Beamte in den Nachfolgeunternehmen der Bundespost. Der weitaus überwiegende Teil der Beamten ist bei den Ländern beschäftigt. Der Grund dafür ist einfach: Viele staatliche Aufgaben wie Innere Sicherheit oder Bildung sind nicht nur Ländersache sondern auch personalintensiv.

Der exorbitante Anstieg der Beamtenschaft in den vergangenen fünf Jahrzehnten resultiert daraus, dass von Mitte der sechziger bis Mitte der achtziger Jahre die damals handelnden Politiker massenhaft auf das vermeintlich günstige Arbeitsverhältnis zurückgriffen. Möglichst viele öffentlich Bedienstete sollten in den Genuss des Beamtenstatus kommen, weil sich so die Abgaben an die Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sparen ließen. Für die später einmal anfallenden Versorgungslasten wurde nichts zurückgelegt. Sonst hätte sich das Manöver ja nicht gerechnet. Das rächt sich jedoch heute: Es droht ein kaum mehr zu bewältigender Versorgungsberg.

Zu diesem Berg trägt bei, dass der so genannte „Stellenkegel“ im Öffentlichen Dienst seinen Schwerpunkt in den oberen Personalsegmenten hat. Der einfache – und schlechter bezahlte – Dienst ist im Laufe der Jahre immer unbedeutender geworden. 1960 waren mehr als sieben Prozent der Beamten dort tätig. Heutzutage sind es nach Angaben des Deutschen Beamtenbundes nur noch knapp 2,5 Prozent. Demgegenüber gehört jeder vierte Beamte dem mittleren Dienst, fast jeder zweite dem gehobenen Dienst und jeder fünfte dem höheren Dienst an. Das Bruttomonatseinkommen eines Beamten beträgt im Schnitt 3.380 Euro – 850 Euro mehr alsdie Angestellten im Öffentlichen Dienst verdienen.

Beamtenpensionen zahlt nach dem Alimentationsprinzip der Dienstherr aus seinem Haushalt. Anders als bei der gesetzlichen Rente wird dabei die Höhe der Pension nicht auf der Grundlage der gesamten Erwerbsbiographie errechnet. Sie bemisst sich vielmehr nach dem zuletzt gezahlten Bruttogehalt. Dabei beträgt der aktuelle Höchstpensionssatz nach 40 Dienstjahren 72,5 Prozent, während das Rentenniveau derzeit bei knapp 48 Prozent nach 45 Beitragsjahren liegt. Kein Wunder, dass das durchschnittliche Nettoeinkommen der Pensionshaushalte fast ein Drittel höher liegt als das der Haushalte mit Einkünften aus der gesetzlichen Rente.

Tröpfchen auf den heißen Berg

In den fünfziger Jahren stand das Problem künftiger Pensionszahlungen erstmals auf der politischen Tagesordnung. Damals wurde beschlossen, dass die Besoldungen im Vergleich zu den Löhnen und Gehältern der Angestellten und Arbeiter etwas abgesenkt werden, um die Ruhestandslasten für den Staat abzufedern. Durchschnittlich 7 Prozent wurden seinerzeit den Beamten vorenthalten. Was auf den ersten Blick nach vorsorgender Politik klingt, war allerdings eine Mogelpackung: Die Bundes- und die Länderregierungen sackten das Geld für die aktuellen Haushalte ein.

Erst in den neunziger Jahren setzte sich in der Politik langsam die Einsicht durch, dass die Pensionen eine tickende Zeitbombe für die öffentlichen Haushalte darstellen. 1992 wurde die Pensionsskala gestreckt. Ein Jahr später wurden Sonderzuwendungen von den Gehaltserhöhungen abgekoppelt und auf dem damaligen Stand eingefroren. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass der Höchstsatz der Pensionszahlung nicht länger nach 35, sondern erst nach 40 Dienstjahren erreicht wird. 1998 erst beschloss der Bundestag den Aufbau einer Versorgungsrücklage. Hiervon erhofft sich der Bund ab 2017 eine jährliche Entlastung von etwa 500 Millionen Euro – ein Tropfen auf den heißen Stein. 2007 errichtete der Bund zudem einen Versorgungsfonds, mit dem die Beamten- und die Soldatenversorgung schrittweise auf Kapitaldeckung umgestellt wird. Eingezahlt wird allerdings nur für die seit Januar 2007 beim Bund neu eingestellten Beamten, Richter und Berufssoldaten.

Bereits heute muss die öffentliche Hand für mehr als 702.000 Pensionäre aufkommen. Hinzu kommen etwa 120.000 frühere Bahn- und 210.000 Ex-Postbeamte sowie 404.000 Hinterbliebene. Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl der Versorgungsempfänger deutlich ansteigen. Wie teuer das den Steuerzahler zu stehen kommt, ist umstritten. Dass es teuer wird, ist es nicht. Auch wenn der Beamtenbund sich vehement gegen den Begriff „Pensionslawine“ wehrt: Sogar er sagt, „dass die künftigen Pensionsausgaben allein durch die zunehmende Anzahl von Pensionären um geschätzte 60 Prozent steigen werden“.

Gegenwärtig geben Bund, Länder und Gemeinden etwa 35 Milliarden Euro jährlich für Pensionen aus. Laut dem dritten Versorgungsbericht der Bundesregierung wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf 40 Milliarden Euro erhöhen – wenn die Beamten komplett auf Bezugserhöhungen verzichten. Für den realistischeren Fall einer Steigerung der Bezüge um jährlich 1,5 Prozentpunkte wären es indes schon 81,6 Milliarden. Enorme Summen, die vor allem die Länder zu schultern hätten. Wie sie das angesichts der für sie ab dem Jahr 2020 zwingend vorgeschriebenen Schuldenbremse bewältigen wollen, bleibt zurzeit noch ein Rätsel.


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