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01/2011

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  Gewagte Thesen
Von Pascal Beucker

Gleichbleibende Qualität trotz 300 abgebauter Stellen? Eine Studie zu den Tageszeitungen der WAZ forscht an der Realität vorbei.

Die Ergebnisse sind wenig überraschend, manche Schlussfolgerung schon. Zwei Zeitungsforscher haben die Folgen des zentralen Newsdesks für die Mantelteile der Ruhrgebietstitel des WAZ-Konzerns untersucht und ihre Studie Mitte Dezember veröffentlicht. Zu Unrecht hätten viele Medienjournalisten, Gewerkschafter und Politiker der WAZ vorgeworfen, "dass das neue Redaktionsmodell unweigerlich zu einem journalistischen Qualitätsverlust führen müsste", jubilierten die WAZ-Zeitungen. Der Umbau habe weder zu einer Verschlechterung der publizistischen Vielfalt noch der journalistischen Qualität geführt. Stattdessen habe die Untersuchung des emeritierten Dortmunder Journalistik-Professors Günther Rager und seines Kollegen Lars Rinsdorf von der Hochschule der Medien Stuttgart "zum entgegengesetzten Ergebnis geführt". Doch das ist eine mehr als gewagte These.

Rager und Rinsdorf haben die Mantelberichterstattung von WAZ, Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung (NRZ) und Westfälischer Rundschau in jeweils zwei Berichterstattungswochen im Herbst 2008 kurz vor der und im November 2009 nach der Einführung des Contentdesks verglichen. Bei den Grundanforderungen wie Richtigkeit und Aktualität hätten sich "kaum Unterschiede ergeben". Allerdings hätten sich die Relevanz der Beiträge und die Vermittlungsqualität "partiell gesteigert".

Was das Kriterium Relevanz betrifft, seien die Befunde jedoch "durchwachsen". So würden die drei Titel seit der Einführung des Contentdesks zwar häufiger als vorher nationale Themen in die Region herunterbrechen, Alltagsbezüge hätten jedoch weiterhin Seltenheitswert. In puncto Vermittlungsqualität loben die Wissenschaftler hingegen, "dass die Texte in der zweiten Untersuchungswelle einfacher und kürzer geworden sind". Gleichwohl lasse sich fragen, "ob sich der beträchtliche Umfang der Reorganisation aus publizistischer Sicht ausgezahlt hat".

In Bezug auf die publizistische Vielfalt fällt das Urteil deutlich kritisch aus. Vor allem in der Regionalberichterstattung im Mantel griffen die Redaktionen nun "seltener Themen auf, die in den anderen beiden Titeln fehlen". Auch bei bundespolitischen Themen "scheint sich die  Perspektive einzuengen".

Dass der WAZ-Konzern die Studie jetzt als Beleg anführt, die Vielfalt sei nicht eingeschränkt worden, liegt an einer kuriosen Abschwächung, die Rager und Rinsdorf vornehmen: Wer nur die WAZ, die NRZ oder die WR lese, der bekomme "kein weniger differenziertes Bild aktueller Diskurse als vor der Einführung des Newsweeks". Besser hätten sie geschrieben: Wer vorher schon nichts von einer publizistischen Vielfalt mitbekommen hat, vermisst sie nachher auch nicht.

Die größte Schwachstelle ihrer von der Stiftung Pressehaus NRZ und der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Studie ist allerdings, dass sie ausgerechnet die Lokalteile der drei WAZ-Blätter außer Acht lässt – obwohl Rager und Rinsdorf selbst schreiben, "selbstverständlich" seien diese "aus Sicht vieler Leser relevanter als die Mantelberichterstattung". Genau hier setzte die WAZ-Gruppe aber den Rotstift an: Während die Mantelredaktion der WAZ sogar erheblich ausgeweitet wurde, ging der Abbau von rund 300 Redakteursstellen zu einem Großteil auf Kosten der Lokalredaktionen.

Die Leser jedenfalls haben sich ihr eigenes Urteil über die Folgen des personellen Kahlschlags gebildet: Vom vierten Quartal 2008 bis zum dritten Quartal 2010 sank die von Montag bis Samstag verkaufte Gesamtauflage der WAZ-Gruppe in NRW von 860.675 auf 787.211 Exemplare – ein Minus von 8,54 Prozent.


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