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Von Pascal Beucker |
Ein Gewinner, viele Verlierer –
die für die Grünen äußerst erfolgreichen Wahlen in
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigen die
existenziellen Schwierigkeiten, mit denen die anderen
Parteien zu kämpfen haben. Die Gelegenheit gibt es nicht oft, einen
geradezu historischen Wahltag mitzuerleben. Der Sonntag war
ein solcher. Es war 17.12 Uhr, als eine Eilmeldung über den
Ticker ging. Die DPA meldet unter Berufung auf »dessen
Umgebung«, Guido Westerwelle werde »unter keinen Umständen«
zurücktreten. Der FDP-Vorsitzende und Bundesaußenminister
musste zu diesem Zeitpunkt noch befürchten, dass seine
Partei auch in Baden-Württemberg völlig untergehen würde. Immerhin ist ihr das zunächst
erspart geblieben. Doch für die Partei, die vor
nicht einmal zwei Jahren bei der Bundestagswahl mit 14,6
Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte feiern konnte,
dürfte das nur ein schwacher Trost sein. 4,2 Prozent in
Rheinland-Pfalz, landesweit 3,5 Prozent bei den
Kommunalwahlen in Hessen, und auch in Baden-Württemberg
hätte es für die FDP kaum schlimmer kommen können. Im
einzigen Bundesland, in dem sie je einen Ministerpräsidenten
stellen durfte, kommt sie nun nur noch auf 5,3 Prozent der
Stimmen. Trotz einer gestiegenen Wahlbeteiligung
manövrierten die Freidemokraten damit nicht nur sich selbst,
sondern auch die CDU in die Opposition. »Auf jedem Schiff, das dampft und segelt,
gibt’s einen, der die Sache regelt«, lautet ein
Lieblingssatz von Westerwelle. Nun scheint der Kapitän fest
entschlossen zu sein, als letzter von Bord zu gehen. Dass es
nicht schon am Wahlabend zur Meuterei kam, liegt an der
armseligen Truppe, die er um sich versammelt hat. Seine drei
Stellvertreter Andreas Pinkwart, Cornelia Pieper und Rainer
Brüderle, die Bundestagsfraktionsvorsitzende Birgit
Homburger – sie alle waren oder sind Landesvorsitzende
ausgerechnet in jenen Ländern, in denen die FDP ihre letzten
vier Wahlniederlagen hinnehmen musste: in
Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und
Baden-Württemberg. Sie alle dürften den FDP-Bundesparteitag
Mitte Mai in Rostock nicht überstehen, sofern sie es
überhaupt noch bis dahin schaffen. Auch Westerwelles Tage
sind gezählt. Seine Partei befindet sich in einem
Überlebenskampf. Und sie weiß das. Das unterscheidet die FDP von der
Linkspartei. Für diese endete der Wahlsonntag ebenfalls
äußerst unerfreulich. Bei der Bundestagswahl 2009 erhielt
sie in Baden-Württemberg noch 7,2 Prozent der Zweitstimmen,
in Rheinland-Pfalz kam sie sogar auf 9,4 Prozent. Nun
scheiterte ihr Einzug in den Landtag von Mainz mit 3,0
Prozent ebenso deutlich an der Sperrklausel wie der in
Stuttgart. Dabei erhielt sie im Süden mit 2,8 Prozent nur
unwesentlich mehr Stimmen als die Piratenpartei. Die
hessischen Kommunalwahlen hinzugerechnet, bei der sie und
linke Listen, an denen sie sich beteiligte, zusammen
landesweit auf 3,4 Prozent kamen, wird mehr als deutlich:
Auch die Linkspartei befindet sich in einer Krise. Sie kann
nur hoffen, dass die rot-grüne Minderheitsregierung in
Nordrhein-Westfalen nicht der Verlockung erliegt, noch in
diesem Jahr für Neuwahlen zu sorgen. Die Linkspartei könnte tatsächlich bald
wieder eine ostdeutsche Regionalpartei mit einigen politisch
unbedeutenden Ablegern im Westen werden. Doch statt ihre
Situation zu analysieren, setzt die Führung auf
Durchhalteparolen. »Für dieses Ergebnis ist einzig und
allein das Thema Atomkraft verantwortlich«, bilanzierte der
Bundesvorsitzende Klaus Ernst. Wenn sich die störende
Atomwolke verzogen hat, wird es schon wieder aufwärts gehen,
lautet die schlichte Botschaft. Doch schon vor dem
japanischen Gau hatte die Linkspartei im Westen große
Schwierigkeiten. Die Hamburger Bürgerschaftswahl, bei der
sie unter guten Bedingungen bei 6,4 Prozent verharrte und in
absoluten Zahlen sogar Stimmen verlor, war dafür bereits ein
deutliches Anzeichen. Man muss nicht sein Anhänger
sein, trotzdem ist offenkundig: Die Linkspartei hat
den Rückzug Oskar Lafontaines nicht kompensieren können. Er
öffnete der Partei erst den Weg in den Westen, nun fehlt er
ihr sowohl als Stratege wie als Wahlkämpfer. Mit seiner
Biographie und seiner kämpferischen Attitüde konnte
Lafontaine jene Zielgruppen im Westen ansprechen, die die
alte PDS nie hatte erreichen können. Mit seiner Präsenz bot
Lafontaine auch ein Gegenbild zur grauen Garde der
Funktionäre, die in den östlichen Landesverbänden den Ton
angeben. Aber er lenkte auch vom desolaten Zustand etlicher
westlicher Landesverbände ab. Anstatt ein eigenes Profil zu entwickeln,
beschäftigen sich einige von diesen damit, wie sie möglichst
schnell mit der SPD ins Geschäft kommen könnten, die anderen
mit sich selbst – und dann gibt es noch jene, die sich an
ihrem Verbalradikalismus ergötzen. Die Folge ist eine
Substanzlosigkeit, die schnell zu einer Wahlniederlage
führen kann. Bestes Beispiel dafür ist die derzeitige
Atomdebatte. Eigentlich liegt die Linkspartei mit ihrer
Forderung, die AKW sofort abzuschalten, gar nicht schlecht,
entspricht dies doch dem Bedürfnis vieler Menschen. Aber das
zahlt sich aus gutem Grund nicht aus. Schließlich drängt
sich der Verdacht auf, dass sie den sofortigen Ausstieg nur
fordert, um die Grünen und die SPD zu überbieten – und
nicht, weil er ihr wirklich wichtig wäre. So wirkt auch ihre
Kritik am rot-grünen »Atomkonsens« der Regierung Schröder
vor allem wohlfeil. Nicht einmal eine kleine
Protestmahnwache vor dem Reichstag war es der damaligen PDS
wert, als sich die Grünen im Jahr 2000 von der SPD den
Kompromiss mit der Atomindustrie abpressen ließen.
Tatsächlich nahm der sofortige Atomausstieg auf der
Prioritätenliste der Linkspartei noch nie eine so exponierte
Stelle ein, dass sie selbst deshalb irgendeine Koalition
hätte scheitern lassen. Daran hat sich nichts geändert –
weswegen sich mögliche Wähler, für die das Thema wichtiger
ist, lieber für die Grünen entscheiden. Die SPD gab sich am Wahlabend im Berliner
Willy-Brandt-Haus alle Mühe, ihren Misserfolg schönzureden.
Neben der FDP und der Linkspartei sind die Sozialdemokraten
die großen Verlierer. In Rheinland-Pfalz erzielten sie mit
35,7 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1959. Im
Vergleich zur Landtagswahl 2006 verloren sie 9,9
Prozentpunkte – keine andere Partei musste am Sonntag einen
höheren Verlust einstecken. Noch schlimmer sieht es in
Baden-Württemberg aus. Hier muss die SPD mit 23,1 Prozent
ihr schlechtestes Ergebnis seit Gründung des Bundeslandes
verkraften. Dass im Berliner Willy-Brandt-Haus
trotzdem keine Weltuntergangsstimmung herrschte, resultiert
zum einen aus dem Scheitern der Linkspartei – einem
erklärten Wahlziel der SPD. Zum anderen erlaubt der
historische Erfolg der Grünen, die in Baden-Württemberg 24,2
und in Rheinland-Pfalz 15,4 Prozent der Stimmen erhielten,
den Sozialdemokraten, sich in einer bemerkenswerten
Realitätsverweigerung zu üben: Das Abschneiden der Grünen
beschert dem blassen Nils Schmid den Karrieresprung auf die
Regierungsbank in Stuttgart und dem bräsigen Kurt Beck die
unverdiente Laufzeitverlängerung in Mainz. Zum Glück für den ehemaligen
SPD-Vorsitzenden sind die Grünen nicht nachtragend: Als Beck
noch die Wahl hatte, entschied sich der Provinzgenosse
lieber für eine Koalition mit der FDP Rainer Brüderles. Dass
sich die Grünen nun nicht dafür revanchieren, ist allerdings
auch auf jenen strategischen Fehler Angela Merkels
zurückzuführen, der sich derzeit für die CDU verhängnisvoll
auswirkt: die Aufkündigung des rot-grünen »Atomkonsenses«.
Damit hat sie nicht nur auf Bundesebene für absehbare Zeit
ein schwarz-grünes Bündnis unmöglich gemacht und sich der
desolaten FDP ausgeliefert. Seit der Katastrophe von
Fukushima wäre eine solche Koalition auch auf Länderebene
für die Grünen nicht mehr vermittelbar, weswegen die Avancen
der rheinland-pfälzischen CDU-Spitzenkandidatin Julia
Klöckner unerwidert blieben. Auffällig ist, dass die CDU
trotz der Turbulenzen der vergangenen Wochen erstaunlich
stabil geblieben ist. In Rheinland-Pfalz konnte die Union
sogar Stimmen gewinnen und schloss mit 35,2 Prozent wieder
zur SPD auf. Auch der unbeliebte Stefan Mappus schnitt
besser ab, als es auf den ersten Blick scheint. Der
Machtwechsel in Stuttgart resultiert nicht aus großen
Verlusten, sondern – neben der FDP-Pleite – vor allem aus
der gestiegenen Wahlbeteiligung. Zwar sank der prozentuale
Anteil der CDU von 44,2 auf 39,0 Prozent, in absoluten
Stimmen gewann sie jedoch 193 638 Stimmen hinzu. Damit sind
die Christdemokraten wider Erwarten unter den vielen
Verlierern noch am glimpflichsten davongekommen. Der in der
Partei umstrittene und von der politischen Konkurrenz als
unehrlich bewertete Sinneswandel Merkels in der Atompolitik
scheint sich ausgezahlt zu haben. Entscheidend für die noch anstehenden Wahlen in diesem Jahr wird sein, ob der Andeutung eines beschleunigten Ausstiegs aus der Atomenergie Taten folgen oder sich die »energiepolitischen Piusbrüder« durchsetzen, wie Heiner Geißler die Befürworter der Atomkraft in der Partei nennt. Das wird auch mit darüber entscheiden, ob sich CDU aus der Abhängigkeit von der FDP lösen kann und neue Koalitionsmöglichkeiten entstehen. Denn in Baden-Württemberg führten Merkels großzügige Zugeständnisse an die Atomkonzerne vom vergangenen Herbst nun dazu, dass mit Winfried Kretschmann ausgerechnet der eifrigste Verfechter von Schwarz-Grün der künftigen rot-grünen Landesregierung vorstehen wird. Mit bemerkenswerter Ausdauer warb das Mitglied verschiedener K-Gruppen (früher Kommunistische Hochschulgruppe, derzeit Zentralkomitee der deutschen Katholiken) jahrzehntelang in seiner Partei für eine Zusammenarbeit mit der CDU. Gedankt hat es ihm die Union nicht. Nun sitzt sie in der Opposition. |
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