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Von Pascal Beucker |
Vor der Entscheidung über den Ausstieg aus der
Atomenergie mehren sich die Spekulationen über künftige
schwarz-grüne Bündnisse.
Die Aufregung unter den Grünen vor ihrer außerordentlichen
Bundesdelegiertenversammlung am kommenden Samstag in Berlin
ist wieder einmal groß. Gestritten wird vordergründig
darüber, ob die Partei dem schwarz-gelben Plan für den
Atomausstieg im Bundestag zustimmen soll. Manche fürchten
schon die Wiederauferstehung des alten Fundi-Realo-Streits.
Dabei geht es bei der gegenwärtigen Debatte weder um die
Spaltung des Atoms noch der Partei, sondern nur um schnöde
Strategie und Taktik.
»Bei der Diskussion, ob wir den Ausstiegsplänen und den
Energiegesetzen der Regierung zustimmen werden, geht es uns
einzig um die Frage, ob wir damit tatsächlich und endgültig
den Ausstieg aus der Atomenergie schaffen können«,
versichert die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth. Das ist
stark geflunkert. Schließlich weiß auch Roth, dass der
Ausstieg aus der Atomenergie nicht davon abhängt, ob nun
auch noch die Grünen ihre Hand für die Vorlage der
schwarz-gelben Regierung heben. Dank der angekündigten
Unterstützung der SPD kann diese so oder so mit einer satten
Zweidrittelmehrheit im Parlament rechnen. »Für uns Grüne ist
der breite Konsens möglichst aller politischen Parteien im
Bundestag für den Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie
Atom ein Wert an sich«, heißt es im Leitantrag des
Bundesvorstands. So kann man sich den Weiterbetrieb der
deutschen AKW bis zum Jahr 2022 auch schönfabulieren.
Ohnehin sind es andere Gründe, die die grüne Parteiführung
für eine Zustimmung votieren lassen. Es geht um Profil- und
Koalitionsfragen – auch wenn darüber in der Berliner
Parteizentrale derzeit nicht gerne gesprochen wird. Sie will
ein Signal in Richtung Union senden, ohne die eigene
Anhängerschaft zu verschrecken.
Entsprechend verstimmt reagierte die Spitze der Bundespartei
auf ein Interview Winfried Kretschmanns, in dem der
baden-württembergische Ministerpräsident offen aussprach,
was sie nur im stillen Kämmerlein diskutiert sehen will. Der
Kurswechsel Merkels in der Atompolitik verdiene »großen
Respekt«, lobte Kretschmann im Berliner
Tagesspiegel die
christdemokratische Kanzlerin. Denn damit sei ein
wesentliches Hindernis für Schwarz-Grün im Bund beseitigt
worden. »Die Verlängerung der Laufzeiten hat unüberbrückbare
Gräben aufgerissen, die werden nun wieder eingeebnet«,
zeigte sich der 63jährige erfreut. Auf dem Sonderparteitag
werde er »für ein kraftvolles Ja« zu Merkels Novelle des
Atomgesetzes werben. »Im Fall einer Ablehnung schaden wir
unserer Mehrheitsfähigkeit, dann bremsen wir uns selbst aus
auf dem Weg hin zur führenden politischen Kraft in
Deutschland«, sagte Kretschmann. Mit einem solchen »Akt der
Selbstbeschränkung« würden sich die Grünen »im
Oppositionsgestus einmauern«.
Was man dem »Moses aus Sigmaringen« (Die
Zeit) auch immer vorwerfen kann: Immerhin versucht er
nicht, seine Absichten im Unklaren zu lassen. Seit rund zwei
Jahrzehnten kämpft der frühere Maoist nun bereits dafür,
seine Partei auch für Bündnisse mit der Union zu öffnen. In
den neunziger Jahren warf ihm der damalige grüne
Bundesvorsitzende Ludger Volmer deshalb noch vor, er
gefährde »in hohem Maße« die Identität der Partei.
Kretschmanns Werben für Schwarz-Grün liefe »maximal auf eine
Zersetzung der eigenen Partei« hinaus, warnte Volmer.
Solche Töne würden Volmers Nachfolger heutzutage nicht mehr
anschlagen. Zumal sie längst ähnlich pragmatisch denken wie
Kretschmann: Ob Rot-Grün oder Schwarz-Grün – es wird
genommen, was zu bekommen ist. Allerdings will die Berliner
Parteiführung tunlichst den Eindruck vermeiden, ihr Werben
für Merkels Atomausstiegsgesetz könnte rein bündnispolitisch
motiviert sein. Es gehe beim Thema Atom »nicht um
Parteitaktik oder irgendwelche strategischen Aufstellungen,
und schon gar nicht um mögliche schwarz-grüne Optionen«,
beteuert Roth. Und Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke
sekundiert: »Koalitionsdebatten helfen bei der Bewertung der
schwarz-gelben Gesetzentwürfe zum Atomausstieg im Moment
nicht weiter.«
In der eigenen Wählerschaft stoßen schwarz-grüne
Gedankenspiele
immer noch auf emotionale Widerstände. Nach einer aktuellen
Umfrage des Meinungsforschungsinstitut TNS-Emnid können sich
nur 33 Prozent der Grünen-Anhänger mit Schwarz-Grün
anfreunden, 64 Prozent lehnen eine solche Verbindung ab.
Auch viele an der grünen Basis bleiben weiterhin eisern auf
das Bündnis mit der SPD fixiert. So spricht sich nicht nur
der Bundesvorstand der Grünen Jugend gegen eine
Unterstützung der schwarz-gelben Regierungslinie aus.
»Angela Merkel will mit ihrem Atomausstieg nach der SPD und
der FDP nun auch noch die Grünen kaputtmachen«, warnt der
Gelsenkirchener Grüne Robert Zion. Der Parteitag dürfe
Merkels Atompolitik kein grünes Gütesiegel geben und ihr
damit den Weg für schwarz-grüne Koalitionen freimachen.
Gemeinsam mit mehr als 100 Gesinnungsgenossen will Zion
deshalb auf dem Parteitag am Samstag eine
»Globalalternative« zum Leitantrag des Bundesvorstandes zur
Abstimmung stellen. »Merkels ›Irrtumskorrekturgesetz‹ mit
einer Rückkehr zum Zustand vor der Laufzeitverlängerung
bleibt weiter hinter den gesellschaftlichen Anforderungen
zurück«, heißt es darin. Deswegen sei es nur mit
umfangreichen Nachbesserungen zustimmungsfähig.
Das ist zwar nicht unbedingt falsch. Aber dass Zion diesmal
ein ähnlicher Coup gelingen wird wie auf dem Göttinger
Parteitag zur Afghanistan-Politik 2007, als der damals noch
weithin unbekannte Parteilinke beinahe im Alleingang die
grüne Nomenklatura das Fürchten lehrte, ist dennoch nicht
sehr wahrscheinlich. Es wäre auch in der Sache widersinnig:
Merkels »Atomausstieg« ist schließlich nicht schlechter als
Gerhard Schröders »Atomkonsens«. Wer einst den miesen
rot-grünen Deal mit der Atomindustrie absegnete, kann jetzt
nur schwerlich gegen die schwarz-gelben Pläne stimmen.
Immerhin soll nun bereits 2022 der letzte Meiler
abgeschaltet werden – nach den einst von SPD und Grünen
vereinbarten Regelungen hätten die Energiekonzerne den
Ausstieg noch bis zum Jahr 2026 hinausschieben können. Und
ein Argument, warum unter Rot-Grün das Restrisiko geringer
gewesen sein soll als unter Schwarz-Gelb, findet sich im
Gegenantrag der Parteilinken und Basisgrünen auch nicht. Den
sofortigen Ausstieg fordert ohnehin niemand mehr in der
Partei.
Das Ganze ist ein aussichtsloses Rückzugsgefecht. Ob die
Grünen nun zustimmen oder nicht: Kretschmann hat recht mit
seiner Feststellung, dass Merkel mit ihrer Kehrtwende in der
Atompolitik das entscheidende Hindernis für Schwarz-Grün auf
Bundesebene aus dem Weg geräumt hat. Solange die Union an
ihrem Pro-Atom-Kurs festhielt, konnte auch die geneigteste
Grünen-Führung nicht mit ihr koalieren. Denn ihre Ablehnung
der Atomkraft ist das einzige Identitätsmerkmal, das den
Grünen aus ihren Gründungszeiten noch geblieben ist. Das
Thema ist nun erledigt. In einer gemeinsamen Regierung mit
der SPD würden die Grünen schließlich auch keinen früheren
Atomausstieg durchsetzen können. Alles andere ist
verhandelbar.
Warum sollte die Partei bei ihrer Partnerwahl auch weniger
flexibel sein als die SPD?
Zahlreiche unüberwindlich scheinende Hürden für eine
Zusammenarbeit mit der Union haben die einstigen Ökopaxe
längst beiseite geräumt, indem sie während ihrer
Regierungszeit mit den Sozialdemokraten ihre Skrupel
gegenüber deutschen Kriegsbeteiligungen, sozialem Kahlschlag
und dem Abbau von Bürgerrechten überwanden. Wer Schröder,
Clement und Scharping überlebt hat, hält es auch mit Merkel,
Schäuble und de Maizière aus.
Nun wollen »Realpolitiker« wie Kretschmann oder der Tübinger
Oberbürgermeister Boris Palmer den Grünen die letzten
Flausen austreiben. Um andere Wählermilieus erreichen zu
können, müsste die Partei ihre Programmatik und ihren
Auftritt verändern, forderte Palmer in einem internen
Thesenpapier. »Radikales Oppositionsgehabe und Fokussierung
auf klassisch grüne Themen bindet die Kernwählerschaft,
verschreckt aber Neugrüne«, schreibt er darin. »Und wenn man
nachts in den Innenstädten nicht mehr schlafen kann, muss
eine breit im Bürgertum verankerte Partei auch
Alkoholverbote und polizeiliche Repression gegen Widerstand
in den eigenen Reihen vertreten.« Auch Kretschmann fordert
von den Grünen ein Bekenntnis zu mehr law and order. »Für
innere Sicherheit fühlen sich andere Parteien zuständig, wir
übernehmen die Gegenposition und verteidigen die
Bürgerrechte gegen die innere Sicherheit«, kritisiert er.
»Wer politisch führen will, muss sich selbst um innere
Sicherheit kümmern und sie verantworten.« Was spräche da
noch gegen eine Koalition mit der Union?
»Schwarz-Grün wäre der Handschlag der politischen Erben von
Kurt Georg Kiesinger und von Rudi Dutschke, eine Art späte
Familienzusammenführung nach dem Generations-Riss, der seit
1968 die bundesdeutschen Eliten durchzog«, schwärmt bereits
Stefan Reinicke in der Taz. Dutschke dreht sich wohl im Grab
um. Aber noch ist es nicht soweit – und ob es überhaupt in
absehbarer Zeit auf Bundesebene zu einer schwarz-grünen
Koalition kommen wird, ist keineswegs ausgemacht. Je mehr
über Schwarz-Grün geredet wird, desto heftiger werden die
Abwehrreaktionen. »Koalitionsgedankenspielchen sind derzeit
so unnütz wie ein Kropf«, warnte denn auch
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe in der
Frankfurter Rundschau.
Auch er weiß, dass aufgrund der Mentalität der
christdemokratischen wie der grünen Anhängerschaft
Schwarz-Grün eine auf beiden Seiten nur schwer zu
vermittelnde Option ist. So bleibt Rot-Grün weiterhin die
wahrscheinlichste Variante nach der Bundestagwahl 2013.
Falls es denn rechnerisch reichen sollte. Selbst für die
konservativen Grünen in Baden-Württemberg kam nach der
Landtagswahl Ende März nichts anderes in Frage. Falls es
jedoch nicht für SPD und Grüne alleine reichen sollte? So
sehr grüne und christdemokratische Politiker um rhetorische
Distanz bemüht sind – ausschließen wollen sie nichts. |
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