In der SPD
formiert sich ein neues Führungstrio. Die besten Aussichten,
zum Kanzlerkandidaten gewählt zu werden, hat derzeit Peer
Steinbrück.
Wenn er nicht gerade seinen Sommerurlaub
in Cornwall verbringt, ist Peer Steinbrück ein
vielbeschäftigter Mann. Der Sozialdemokrat reist umtriebig
durch die Republik. Von der Bausparkasse Schwäbisch-Hall bis
zur Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und
Schleswig-Holstein – in der laufenden Legislaturperiode
bringt es kein anderer Bundestagsabgeordneter auf so viele
gutdotierte Auftritte wie der frühere Finanzminister. Längst
liegen seine Nebeneinkünfte als Vortragsreisender weit über
den Einkünften Angela Merkels als Bundeskanzlerin. Für seine
Partei wäre es besser, er würde sich damit begnügen. Doch
den Gefallen dürfte Steinbrück der SPD nicht tun.
Steinbrück führt seit Wochen die
Beliebtheitsskalen für Politiker an. Inzwischen gilt der
64jährige sogar als Anwärter auf die SPD-Kanzlerkandidatur.
Aus dem »Abwracker« der Sozialdemokratie ist ihr neuer
Hoffnungsträger geworden. Dabei hatte zunächst alles danach
ausgesehen, als würde sich Steinbrück nach der Niederlage
bei der Bundestagswahl 2009 darauf konzentrieren, Geld zu
verdienen: Ende Oktober 2009 erhielt er seine
Entlassungsurkunde als Finanzminister, einen Monat später
teilte die »Alfried Krupp von Bohlen und Halbach«-Stiftung
mit, ihn in den Aufsichtsrat von Thyssenkrupp zu berufen.
Inzwischen steht fest, dass der Mann, »der eigentlich schon
fest für den Vorruhestand im Abklingbecken des Bundestags
gebucht war« (Westdeutsche Zeitung), beides will: große
Einkünfte und das politische Comeback.
Es scheint ihm zu gelingen. Als Mitte
Juli der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel und der
Bundestagsfraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier vor
die Bundespressekonferenz traten, um über das Thema »Europa
in der Krise« zu reden, war Steinbrück an ihrer Seite.
»Sonst hätten Sie ja sofort gefragt, warum einer von uns
nicht dabei ist«, begründete Gabriel gegenüber Journalisten
den ungewöhnlichen Vorgang, mit einem SPD-Abgeordneten ohne
Amt in Partei und Fraktion vor die Vertreter der
Hauptstadtpresse zu treten. Steinbrück, der gemessen an
seinen Redeauftritten im Bundestag getrost als Hinterbänkler
bezeichnet werden kann, steht nun wieder im Mittelpunkt.
Spätestens seit dem Auftritt von Steinbrück,
Steinmeier und Gabriel in Berlin
ist wieder einmal von einer »Troika« in der SPD die Rede.
Noch ist nicht entschieden, wer Kanzlerkandidat wird, diese
Entscheidung will die SPD erst im Herbst kommenden Jahres
treffen. Wie es scheint, will sich Gabriel darauf
beschränken, als Herr des Verfahrens zu erscheinen.
Steinmeier, der »Technokrat der Macht«, stände wieder
bereit, die besseren Aussichten scheint indes Steinbrück zu
haben. »Er distanziert sich so nachhaltig von der SPD, dass
dieser Partei wahrscheinlich nichts anderes übrigbleiben
wird, als ihn zum Kanzlerkandidaten zu machen«, schrieb Kurt
Kister in der Süddeutschen Zeitung. »Steinbrück zieht die
Vertreter der veröffentlichten Meinung an wie ein Magnet«,
konstatierte Majid Sattar in der FAZ.
Mit »Troikas« haben Sozialdemokraten
Erfahrung. In den sechziger Jahren verhalfen Willy Brandt,
Herbert Wehner und Fritz Erler der SPD aus der Opposition in
die Große Koalition. Brandt, Wehner und Helmut Schmidt, der
nach dem Tod Erlers den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion
übernahm, führten die Partei in die sozialliberale
Koalition. In den siebziger Jahren sicherten dieselben drei
die sozialdemokratische Regierung. Eine Einheit war diese
Troika allerdings nie. Mit den Jahren wurde die
Zweckgemeinschaft der in jeglicher Hinsicht
unterschiedlichen Politiker immer brüchiger. Als die FDP
1982 eine Koalition mit der Union einging, waren nicht nur
die Gemeinsamkeiten der Freidemokraten mit der SPD
aufgebraucht. Auch zwischen Schmidt, Wehner und Brandt ging
nichts mehr.
Er fühle sich »jenem politischen
Pragmatismus zu sittlichen Zwecken verbunden, den Helmut
Schmidt als Maxime politischen Handelns formuliert hat«,
schreibt Peer Steinbrück in seinem Buch »Unterm Strich«, das
im vergangenen September veröffentlicht wurde und einige
Aufmerksamkeit erhielt. Unter dem Kanzler Schmidt begann der
Niedergang der SPD. Mit dem Amtsantritt des selbsternannten
Krisenmanagers endete 1974 die kurze sozialliberale
Reformperiode. Von einem »plötzlich wieder modischen
nationalen Egoismus«, der »als Realismus aufgeputzt« worden
sei, schreibt Erhard Eppler in seinem Buch »Komplettes
Stückwerk«. Es begann jene bleierne Zeit, die im Deutschen
Herbst kulminierte. Der junge Oskar Lafontaine hatte gute
Gründe, als er Schmidt Sekundärtugenden attestierte, mit
denen »man auch ein KZ betreiben« könne. Als Schmidt abtrat,
hinterließ er dem Vorsitzenden Brandt einen Trümmerhaufen.
Mit seiner Ignoranz gegenüber den sozialen Bewegungen hatte
Schmidt seiner Partei auch noch die Grünen als
parlamentarische Konkurrenz beschert.
Seine größten Unterstützer hatte Schmidt,
mit dem gemeinsam Steinbrück voraussichtlich Ende Oktober
sein nächstes Buch veröffentlichen wird, während seiner
aktiven Zeit stets in konservativen Kreisen. Für sie war er
»der richtige Mann in der falschen Partei«. Das hat er mit
Steinbrück gemeinsam, den der Arbeitgeberpräsident Dieter
Hundt als einen Politiker lobt, »der weiß, wovon er spricht,
und der den Mut hat, richtige Entscheidungen auch gegen
Widerstände zu treffen«. Dass damit keine Entscheidungen
gegen Widerstände der Unternehmer gemeint sind, versteht
sich von selbst. Steinbrück will die Politik Gerhard
Schröders fortsetzen. Denn auch auf Schröder hält er große
Stücke. Es handele sich um einen guten, weil »atypischen«
Politiker. Von dieser Spezies gibt es offenbar nicht viele,
neben Schröder und Schmidt fallen Steinbrück nur noch
Richard von Weizsäcker und Joschka Fischer ein, der letzte
»Rock’n’Roller der Politik«.
Die »Agenda 2010« von Schröder und Fischer
sei »gegen den Strich eigener Positionen und Überzeugungen,
aber im übergeordneten Interesse des Landes verkündet«
worden. Damit nicht genug, der Sozialabbau muss Steinbrück
zufolge weitergehen: »Der langjährig gültige
bundesrepublikanische Konsens lag in dem Versprechen, der
Sozialstaat solle den sozialen Status jedes einzelnen
Bürgers erhalten und ihm einen durchschnittlichen
Lebensstandard garantieren«, schreibt er in seinem Buch.
Dieses Versprechen ist zwar nie wirklich eingelöst worden,
aber inzwischen hält Steinbrück es auch für »heute nicht
mehr finanzierbar«.
»Reformen haben, anders als Ende der
sechziger Jahre, Anfang der siebziger Jahre und in der
ersten Zeit nach der Ära Kohl, keine Konjunktur in
Deutschland«, klagt Steinbrück. Dass seine »Reformpolitik«
vor allem die Armen träfe, schert ihn nicht sonderlich. Es
gebe eine der SPD ziemlich unversöhnlich gegenüberstehende
Wählerklientel: Langzeitarbeitslose, geringqualifizierte
Arbeiter, Gewerkschaftsmitglieder von Mitte 40 bis Ende 50.
Diese Klientel lasse sich nicht mehr zurückzugewinnen,
»höchstens um den Preis einer völligen Verbiegung der
Partei«. Denn ihr stehe »mit der Linkspartei eine inzwischen
etablierte politische Formation als Alternative zur
Verfügung«. Steinbrück schlägt vor: »Die SPD überlässt der
Linkspartei ihre rund zehn Prozent bundesweit, von denen sie
ihr kaum etwas abjagen kann.« Stattdessen sollten sich die
Sozialdemokraten »auf die fetteren Weiden« verlegen, die
sogenannte gesellschaftliche Mitte.
Steinbrücks Buch »Unterm Strich« liest
sich wie ein Bewerbungsschreiben für die
SPD-Kanzlerkandidatur. Dazu passt, dass die
Friedrich-Ebert-Stiftung es wegen der vermeintlich
»herausragenden Qualität« mit dem Preis »Das politische Buch
2011« auszeichnete. »Steinbrück formuliert klare
Perspektiven als Alternativen zu den Problemlagen und scheut
sich auch nicht, unbequeme Wahrheiten auszusprechen«,
begründete die der SPD nahestehende Stiftung die
Entscheidung. Wie es kommt, dass die SPD trotz der Schwäche
der schwarz-gelben Bundesregierung in den Umfragen weiterhin
konstant unter 30 Prozent verharrt, dafür hat weder sie noch
Steinbrück eine plausible Erklärung.
Wie kurz ist das Gedächtnis der
Sozialdemokraten? Bei der vergangenen Bundestagswahl
bescherte die damalige »Troika«, bestehend aus Steinmeier,
Steinbrück und Müntefering, der Partei das schlechteste
Ergebnis ihrer bundesdeutschen Geschichte. Als politische
Alternative zu Merkel taugt hingegen weder Steinmeier noch
Steinbrück. Dass in der SPD nun ernsthaft über Peer
Steinbrücks Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur diskutiert
wird, zeigt, wie tief die Genossen weiterhin in der Krise
stecken. Freuen könnte sich die schwächelnde Linkspartei –
wenn es ihr gelänge, sich nicht nur mit sich selbst zu
befassen. Steinbrück steht jedenfalls wie kaum ein zweiter
für jene wirtschaftsfreundliche und unsoziale SPD-Politik,
die dazu führte, dass die Linkspartei entstand.
Auch die Befürworter eines schwarz-grünen
Bündnisses könnten sich freuen.
Die Grünen dürften sich allzu gut daran erinnern, wie
kooperationsunfähig sich Steinbrück als Ministerpräsident
während der gemeinsamen Regierungszeit in
Nordrhein-Westfalen zeigte. Zudem ist den Grünen sicher
nicht entgangen, dass Steinbrück zu jenen gehörte, die die
sogenannte Energiewende für eine überhastete Reaktion auf
die Reaktorkatastrophe von Fukushima hielten. Mit Merkel
oder Norbert Röttgen dürfte sich die Zusammenarbeit
jedenfalls nicht schwieriger gestalten als mit einer SPD
unter Steinbrück.
Es gibt noch eine weitere »Troika«, die
nicht unerwähnt bleiben sollte, die von Rudolf Scharping,
Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine Mitte der neunziger
Jahre. Sie bescherte der Republik vier weitere lange Jahre
mit Helmut Kohl. Immerhin hatte dieses Trio Infernale einen
entscheidenden Vorteil gegenüber dem derzeit im Gespräch
befindlichen: Mit Scharping, Schröder und Lafontaine traten
damals drei in ihren Ländern erfolgreiche Sozialdemokraten
an, denen es gelungen war, langjährig regierende
christdemokratische Ministerpräsidenten aus ihren Ämtern zu
vertreiben. Mit Gabriel, Steinbrück und Steinmeier verbinden
sich hingegen Not und Elend. Der eine verspielte
Niedersachsen, der andere Nordrhein-Westfalen und der dritte
hatte keine Chance gegen Merkel.
Nach den jüngsten Umfragen kann Rot-Grün
mit einer absoluten Mehrheit bei der Bundestagswahl 2013
rechnen. Wenn ein rot-grünes Bündnis unter der absoluten
Mehrheit bliebe, »dann wäre eine schwarz-grüne Regierung das
Gebot der Stunde«, sagte der Bonner Politikwissenschaftler
Gerd Langguth dem Schweizer Tages-Anzeiger. Wahrscheinlich
wäre das nicht die schlechteste Lösung, auf jeden Fall
besser als eine mit einem Kanzler Steinbrück.
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