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Von Pascal Beucker |
Für die Berliner Grünen endet das »Superwahljahr«
mit einer Pleite. Selten wurde eine Partei so bloßgestellt
wie sie bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD.
Volker Ratzmann hätte gewarnt sein können. Am Ende des
Wahlkampfs gab Klaus Wowereit ihm einen deutlichen Hinweis.
»Für eine Partei im Sinkflug ist es dumm, Maximalforderungen
zu stellen«, sagte der Regierende Bürgermeister anlässlich
des Streits um die Verlängerung der Stadtautobahn A 100.
Doch der Vorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus
hörte die Signale nicht. Oder er wollte sie nicht hören,
genauso wenig wie der Rest seiner Partei. Selbstverschuldet
endet für die Grünen das »Superwahljahr« nun mit einer
Pleite. Nicht nur bei jenen, die sich bereits auf einem
Senatsposten gesehen hatten, ist die Enttäuschung groß. Die
Bereitschaft zu einer gründlichen Fehleranalyse scheint
hingegen weit weniger ausgeprägt zu sein.
Selten hat sich eine Partei derartig übertölpeln lassen wie
die Berliner Grünen bei ihren Verhandlungen mit der SPD über
eine Regierungsbeteiligung. Naiv dachten sie, für Wowereit
gebe es keine Alternative. Anders als 2006 hatte sich dieser
jedoch diesmal ausdrücklich die Möglichkeit offengehalten,
mit den Christdemokraten zu koalieren. »Ich schließe das
nicht aus – aber ich kann es mir wirklich nicht vorstellen«,
lautete im Wahlkampf Wowereits sibyllinische Antwort auf die
Frage nach einer möglichen Koalition mit der CDU.
Im Wissen, dass es nicht mehr zur Weiterführung von Rot-Rot
reichen würde, hatte der Machtpolitiker ganz bewusst darauf
hingewiesen, um eine Abhängigkeit von den Grünen zu
vermeiden. Schließlich zeichnet ihn von jeher eine tiefe
Abneigung gegen die Hauptstadtgrünen aus. Das
Führungspersonal erscheint ihm zu vorlaut, die Basis zu
unberechenbar und die wohlhabende Klientel der Partei hält
er für versnobt und borniert. Dass Wowereit sich lieber
einen Partner wünscht, der sich nach dem olympischen Motto
»Dabeisein ist alles« willig seinen Bedingungen unterwirft,
hätte den Berliner Grünen spätestens seit den gescheiterten
Verhandlungen 2006 klar sein müssen. So wie er sich damals,
trotz knapperer Mehrheit, für die Fortsetzung des Bündnisses
mit der PDS entschied, holt sich der »Tempelhofer
Sonnenkönig« nun eben die nicht minder handzahme CDU an
seinen Hof.
Dass er es zuerst mit den Grünen versuchen musste,
war den Erwartungen und Kräfteverhältnissen innerhalb der
SPD geschuldet. Wowereit hätte, wenn auch ungern, unter
bestimmten Bedingungen sogar durchaus mit ihnen koaliert.
Entweder wenn ihm nichts anderes übrig geblieben wäre, was
nicht der Fall ist. Oder wenn sie sich ihm vollständig
unterworfen hätten. Deshalb hat die gescheiterte grüne
Spitzenkandidatin Renate Künast recht mit ihrer
Feststellung, Wowereit habe »Kapitulationsverhandlungen« und
keine »Koalitionsverhandlungen« geführt. Dabei wählte er den
einzigen wirklichen Angriffspunkt, den ihm die Grünen
gelassen hatten. Von den anfänglichen Umfragen geblendet,
hatten diese sich in Erwartung, die SPD überflägeln und mit
Künast die künftige Regierende Bürgermeisterin stellen zu
können, für einen Wahlkampf entschieden, in dem konsequent
auf die Formulierung eindeutiger Alternativen zum bisherigen
rot-roten Regierungskurs verzichtet wurde. Was sich hinter
der postulierten »ökologischen und sozialen Modernisierung«
verbarg, blieb nebulös.
Damit setzten die Grünen um, was der »Realo«-Vordenker Boris
Palmer in einem internen Thesenpapier vorgegeben hatte.
»Radikales Oppositionsgehabe und Fokussierung auf klassisch
grüne Themen binden die Kernwählerschaft, verschrecken aber
Neugrüne«, schrieb der Tübinger Oberbürgermeister im Sommer.
Doch statt mit ihren schwammigen Inhalten die Wähler zu
erreichen, verprellten die Berliner Grünen Teile des
Alternativmilieus – wovon vor allem die Piratenpartei
profitierte. Nur in einer Frage gaben sich die Grünen
unflexibel: Wegen schlechter Umfragewerte in Panik geraten,
erklärte der Fraktionsvorsitzende Ratzmann drei Tage vor der
Wahl den Verzicht auf die A 100 zur Voraussetzung für
Rot-Grün: »Wir werden keinen Koalitionsvertrag
unterzeichnen, der den Weiterbau der Stadtautobahn A 100 zum
Inhalt hat.« Damit engte er den Verhandlungsspielraum
unnötig ein.
Nach der Wahl hätte es zwei Möglichkeiten für die Berliner
Grünen gegeben, mit Ratzmanns Fehler umzugehen. Wie in
anderen Bundesländern vielfach erprobt, hätten sie sich
einfach dem Willen der SPD unterwerfen und vielleicht noch
einen Kompromiss schließen können, um das Gesicht zu wahren.
So haben es die Grünen 1995 in der Frage des
Braunkohletageabbaus Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen
gehalten, 2008 in der Auseinandersetzung um das
Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg oder 2011 im Streit um
den Hochmoselübergang in Rheinland-Pfalz. Das wäre zwar
einem Wählerbetrug gleichgekommen, hätte den Grünen aber
wenigstens die lang ersehnte Regierungsbeteiligung beschert.
Im Bewusstsein, dass Wowereit nicht an ernsthaften
Verhandlungen interessiert war, hätte die Partei sich auch
für eine den Bruch einkalkulierende Verhandlungsstrategie
entscheiden können. Dann jedoch hätte sie sich in den
Sondierungsgesprächen nicht auf eine halbseidene
Vereinbarung zur A 100 einlassen dürfen. Denn in der Frage,
ob eine Autobahn gebaut oder nicht gebaut wird, muss ein
Kompromiss, »der die Kernanliegen beider Partner
berücksichtigt«, wie es die Führung der Grünen formulierte,
ein fauler sein. Außerdem hätte sich die Partei noch andere
strittige Punkte einfallen lassen sollen. Schließlich
spricht einiges dafür, dass Berlin größere Probleme hat als
das, ob die Stadt nun 3,2 Kilometer Autobahn mehr erhält
oder nicht. So jedoch ließen sich die Grünen von Wowereit
allzu billig vorführen. »Für ihn sind drei Kilometer
Autobahn offenbar wichtiger als die Zukunft Berlins«, sagten
Bettina Jarasch und Daniel Wesener, die Vorsitzenden der
Berliner Grünen, im beleidigten Ton nach dem Scheitern der
Koalitionsverhandlungen. Das könnte man genauso gut auf sie
selbst beziehen.
Dass die Ausgebooteten wütend auf den sozialdemokratischen
Affront reagieren, ist nicht überraschend. »Kein Grüner wird
das der SPD vergessen«, empörte sich Künast. Allerdings
trägt Künast, die Wowereit zuletzt nur noch als »Renatchen«
verspottete, Mitschuld an dem Desaster – nicht nur durch
ihre völlig misslungene Spitzenkandidatur. Offenkundig um
vom eigenen Versagen abzulenken, stellte sie unmittelbar
nach der Wahl die bündnispolitische Offenheit der Grünen in
Frage. »Die Option Schwarz-Grün werden wir bei den nächsten
Wahlen zumachen müssen«, sagte sie dem Spiegel. Berlin habe
»gezeigt, dass unsere Wählerinnen und Wähler da 150 Prozent
Klarheit brauchen«. Für ein Bundesland, in dem sich eine
Zweidrittelmehrheit der Wähler links der CDU verortet,
trifft das sicherlich zu – und es war ein grober Fehler,
dass Künast das erst in der Endphase des Wahlkampfes
bemerkte. Doch zum einen ist Berlin nicht überall. Zum
anderen würde die Aufgabe ihrer Politik der Eigenständigkeit
letztlich bedeuten, sich wie in früheren Zeiten den
Sozialdemokraten auszuliefern.
Für die Sozialdemokraten waren und sind Koalitionen kühle
Kosten-Nutzen-Kalkulationen.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die SPD für die CDU
entscheidet, obwohl sie auch mit den Grünen regieren könnte.
Für den Bremer Bürgermeister Henning Scherf, wie Wowereit
dem linken Parteiflügel zugerechnet, zahlte sich diese
Entscheidung aus: Als er 2005 nach zehnjähriger gemeinsamer
Regierungszeit mit der Union die Macht an seinen Nachfolger
Jens Böhrnsen weitergab, hatte er den Vorsprung der SPD zur
CDU von 0,8 bei der Bürgerschaftswahl 1995 auf 12,5
Prozentpunkte ausgebaut. Auch Wowereits Sprung von Rot-Rot
zur Großen Koalition ist nicht so groß, wie er auf den
ersten Blick erscheinen mag. Sein Parteifreund Harald
Ringstorff hat damit bereits in Mecklenburg-Vorpommern beste
Erfahrungen gemacht. Ringstorff entschied sich, den
Koalitionspartner zu wechseln, nachdem die Christdemokraten
der SPD bei der Landtagswahl 2006 gefährlich nahe gekommen
und aus der zuvor komfortablen eine hauchdünne rot-rote
Parlamentsmehrheit geworden war. Der Wechsel lohnte sich:
Aus einem knappen Vorsprung von 1,4 Prozentpunkten ist seit
der Wahl Anfang September dieses Jahres wieder ein
beruhigender Abstand von 12,6 Prozentpunkten geworden. Da
verwundert es nicht, dass auch Ringstorffs Nachfolger Erwin
Sellering weiter auf das Bündnis mit der Union setzt. Auch
vor diesem Hintergrund ergibt Wowereits Entscheidung gegen
die Grünen zugunsten der zweitstärksten Partei im
Abgeordnetenhaus Sinn: Unter Wowereit sank die jetzige
Linkspartei innerhalb von zehn Jahren von 22,6 Prozent auf
11,6 Prozent. Nun ist die CDU dran.
Nach Wowereits Absage an seine Berliner Parteifreunde
kritisierte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, damit sende
die SPD »bundesweit ein Signal, dass es möglicherweise auch
die Alternative gibt, eine sogenannte Große Koalition im
Bund zu machen«. Eine intellektuell unterkomplexe
Feststellung, denn eines solchen Signals hätte es nicht
bedurft. Seit Godesberg hat sich die SPD stets äußerst
flexibel gezeigt, wenn es um ihre Koalitionspartner ging.
Jenseits aller Programmatik war und ist sie nach allen
Seiten koalitionskompatibel – wenn der Preis stimmt. Das
bedeutet allerdings auch: Solange die Union auf Bundesebene
vor der SPD rangiert, wird diese sich selbstverständlich im
Falle einer rechnerischen Mehrheit immer für Rot-Grün statt
für Schwarz-Rot entscheiden. Für die Grünen ist das nicht
unbedingt eine frohe Botschaft.
Ihnen stehen harte Zeiten bevor:
Nach den Wahlerfolgen und hohen Umfragewerten nach der
Reaktorkatastrophe in Fukushima ist der Traum von der
»Volkspartei« vorerst ausgeträumt – und auch die illusionäre
Vorstellung, die SPD wäre bereit, ihnen auf Augenhöhe zu
begegnen. Mit dem Scheitern von Rot-Grün in Berlin hätte
Wowereit »auch seine Chancen als Kanzlerkandidat verspielt«,
glaubt die stellvertretende Vorsitzende der grünen
Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn. Damit könnte sie recht
haben. Schwer daneben liegt die frühere
nordrhein-westfälische Umweltministerin jedoch mit ihrer
Annahme, dass die übrigen potentiellen Kandidaten der SPD
andere Umgangsformen pflegten und nicht jene
»Unterwerfungsrituale, die Wowereit noch drauf hat«. Aus
eigener leidvoller Erfahrung sollte sie zumindest Peer
Steinbrück eigentlich besser kennen. |
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