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Von Pascal Beucker |
Die Grünen haben ein erfolgreiches Jahr hinter sich,
doch mittlerweile scheint der Traum vom Dasein als
»Volkspartei« ausgeträumt zu sein. Die Werte, die die Grünen
in Umfragen erreichen, sinken. Auf dem Bundesparteitag
wollte man sich damit lieber nicht auseinandersetzen.
Schade, was für eine verpasste Gelegenheit! Der Auftritt von
Giorgos Andrea Papandreou auf der Bundesdelegiertenkonferenz
der Grünen in Kiel hätte von großem pädagogischen Wert sein
können – als warnendes aktuelles Beispiel, wie links der
Mitte angesiedelte Politiker und Parteien grandios scheitern
können, die es nicht wagen, sich mit »denen da oben«
anzulegen. Und zur Erinnerung für jene, die schon vergessen
haben, wie kläglich die letzte rot-grüne Bundesregierung
scheiterte. Stattdessen feierten die Delegierten den
abgehalfterten Premierminister Griechenlands – und verloren
kein kritisches Wort über dessen dubiose Regierungspraxis,
die der griechischen Bevölkerung einen Demokratie- und
Sozialabbau kaum vorstellbaren Ausmaßes beschert hat. Aber
es war ohnehin kein Parteitag der kritischen Reflexion.
Stattdessen herrschte gepflegte Langweile. Die Parteioberen
wollten »Seriosität« demonstrieren, um sich auf die
Regierungsübernahme 2013 vorzubereiten. Da war kein Platz
für politischen Streit, geschweige denn für originelle
Ideen.
Ein höchst erfolgreiches Jahr geht für die Grünen zu Ende.
Sie haben bei allen Landtagswahlen hinzugewonnen, in der
Regel sogar deutlich. Sie sitzen nun in allen
Landesparlamenten, sind an fünf Landesregierungen beteiligt
und stellen in Baden-Württemberg sogar den
Ministerpräsidenten. In den Umfragen stiegen ihre Werte bis
auf 28 Prozent und näherten sich damit denen der SPD und der
Union. Doch inzwischen ist der Höhenflug vorbei, die Träume
von der Volkspartei sind ausgeträumt. Mittlerweile rangiert
die Partei zwischen 14 und 17 Prozent, Tendenz fallend. Ihre
Frustration darüber versucht sie mit Routine zu überspielen.
Mit dem Sinken ihrer Umfragewerte ist auch der politische
Gestaltungsanspruch der Grünen geschrumpft. Die wagemutigste
Forderung, die sie sich in Kiel leisten wollten, war die
nach einer Plastiktütenabgabe von 22 Cent. Mehr war nicht
drin. Ansonsten gab’s nur Altbekanntes, Wiedergekäutes und
Platitüden. »Maß und Mitte« war angesagt, ganz so wie es
sich Winfried Kretschmann gewünscht hatte. »Wir müssen auf
dem Teppich bleiben«, dekretierte der baden-württembergische
Ministerpräsident. Da konnte auch die Grüne Jugend mit der
von ihr geforderten Wiedereinführung des Spitzensteuersatzes
von 53 Prozent, wie es ihn zu Helmut Kohls Zeiten gab, nicht
gegen ankommen. Lieber folgten die Delegierten der Mahnung
ihres Vorsitzenden Cem Özdemir: »Bitte beschließt kein
Wiederbelebungsprogramm für die FDP!« Beschlüsse, die den
angestrebten Schulterschluss der Grünen mit
Besserverdienenden und Unternehmern stören könnten,
widersprachen der Parteitagsregie.
In einem früheren Kommentar hat der langjährige
Hessen-Korrespondent der Taz, Klaus-Peter Klingelschmitt,
der am Montag mit nur 59 Jahren viel zu früh verstorben ist,
geschrieben: »Wichtig für die grünen Politiker ist heute,
dass sie ihre Worthülsen auf den Phrasendreschplätzen in der
richtigen Folge aneinanderreihen können.« Das hätte auch zu
diesem Parteitag gepasst. |
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