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Von Pascal Beucker |
Einige
Anmerkungen zum Redaktionspapier "Die grüne Herausforderung:
Für eine öko-soziale Paradoxie".
VORBEMERKUNG: Als
Journalist sich in eine innerparteiliche Debatte
einzumischen, ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Aber es gibt
Ausnahmen, die das rechtfertigen können. Diese ist so eine.
Dass ich mich als parteiloser Linker nicht jenen
Rücksichtnahmen eines innerparteilichen Diskurses
unterwerfe, wie sie allzu häufig üblich sind, dafür bitte
ich schon vorab um Verständnis.
I.
Mit großem Interesse habe ich das von Euch verfasste Redaktionspapier „Die
grüne Herausforderung: Für eine öko-soziale Paradoxie“
gelesen. Es hebt sich intellektuell deutlich von so manchem
Murks ab, der derzeit in der Linkspartei fabriziert wird.
Besonders schlimm finde ich das aktuelle und äußerst
geschwätzige „Reformer/-innen-Papier“, das vollgestopft ist
mit dämlichen Phrasen wie dieser: „Wir plädieren dafür, die
LINKE stärker zu machen, damit ein Politikwechsel und nicht
nur ein Regierungswechsel zu Stande kommt.“ Gibt es jemanden
in Eurer Partei, der für etwas anderes plädiert? Aber die
„Antikapitalistische Linke“ ist ja auch nicht besser, hat
sie doch als einzige Konsequenz aus den jüngsten
Wahldesastern in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und
Hessen die Losung ausgegeben: „Weiterkämpfen! Jetzt erst
recht!“ Wie das gesamte FdS-Papier vom Geist der
Sozialdemokratie durchströmt ist, ist der AKL-Text von einem
befremdlichen K-Gruppen-Slang durchzogen - hilfreich für die
Linkspartei, einen Ausweg aus ihrer schweren Krise zu
finden, sind beide nicht. Denn es fehlt ihnen an auch nur
einem einzigen originellen, neuen Gedanken.
Das ist bei dem Papier des „Prager Frühlings“ anders. Klug
löst Ihr Euch von der starren Fixierung auf die SPD, die das
Forum Demokratischer Sozialismus mit der Sozialistischen und
der Antikapitalistischen Linken bei allem Streit verbindet,
jedoch - so oder so - eine Orientierung auf die
Vergangenheit ist. Euer Plädoyer für eine Rationalisierung
des Verhältnisses von Linkspartei und Grünen nimmt
demgegenüber gesellschaftliche Veränderungen und damit
verbundene Chancen für eine emanzipatorische Linke wahr -
auch wenn ich das Reden von „einer im Werden begriffenen
grünen Hegemonie“ für übertrieben halte. Gleichwohl spricht
vieles für Eure Feststellung, dass es perspektivisch um die
Alternative geht: entweder Mitte-Unten-Bündnis oder
Mitte-Oben-Bündnis.
II.
Für problematisch halte ich allerdings Eure Herangehensweise
an die von Euch richtig beschriebene Spaltung von sozialer
und ökologischer Linker. Hier seid Ihr doch noch zu sehr
„altem Denken“ verfangen. Eure Herangehensweise erscheint
mir zu taktisch, zu instrumentell. Ihr schreibt: „Die
soziale Linke muss sich der grünen Herausforderung stellen.“
Aber der ökologischen Frage stellt ihr Euch leider nicht.
Selbstverständlich stimmt es, dass es sich bei der
Linkspartei und den Grünen „um grundverschiedene Formationen
handelt“. Die einen verstehen sich als
sozialistisch-proletarisch, die anderen sind eine
bürgerlich-liberale Partei. Diesen gravierenden Unterschied
anzuerkennen, kann zu einer sinnvollen Entspannung des
Verhältnisses beider Parteien beitragen. Und die Linkspartei
muss sich nicht mehr darin verbeißen, „gerade die Grünen in
Regierungsbeteiligung als neoliberale Partei zu entlarven“
(AKL-Papier). Es würde reichen, konkret zu kritisieren, was
zu kritisieren ist. Und es ließe sich an jenen inhaltlichen
Punkten die Zusammenarbeit suchen, wo es sinnvoll ist.
Nur: Auch wenn Linkspartei und Grüne grundverschieden sind,
gilt das deshalb auch für soziale und ökologische Linke? Und
falls dem praktisch so wäre, würde es sich dann nicht um ein
dringend zu überwindendes Problem handeln? Meines Erachtens
wird eine moderne Linke nur bestehen können, wenn für sie
eben auch der entschlossene Einsatz gegen die Vernichtung
der natürlichen Lebensgrundlagen ebenso integral gehört wie
der Kampf für Grund- und Freiheitsrechte. Das gehört doch
sowohl zu den Lehren aus den verdientermaßen tragisch
geendeten realsozialistischen Experimenten in Osteuropa als
auch aus dem Scheitern der Traditionslinken in Westeuropa.
III.
Die Erkenntnis, dass es nicht nur eine Klassen-, sondern
auch eine sogenannte Gattungsfrage gibt, die zusammen
beantwortet werden müssen, führte Ende der Siebziger-/Anfang
der Achtzigerjahre in Westdeutschland viele undogmatische
Sozialisten - wie beispielsweise Rudi Dutschke - zur grünen
Bewegung. Für die meisten war das keine Entscheidung von
heute auf morgen, sondern ein komplizierter und auch
schmerzhafter Prozess der Loslösung von alten Weisheiten.
Etliche der damaligen Texte aus dem - in der Anfangsphase
starken - ökosozialistischen Flügel der Grünen sind heute
vergessen. Dabei sind sie alleine schon lesenswert wegen der
Grabungsarbeiten mancher Autoren, wie zum Beispiel Thomas
Ebermann und Rainer Trampert, die es in ihrem 1985
erschienenen Buch „Die Zukunft der Grünen“ sogar schafften,
Marx und Engels noch als frühe Ökologen zu outen.
Der Untertitel des Buches von Trampert und Ebermann war
selbstverständlich quatsch: „Ein realistisches Konzept für
eine radikale Partei“. Die Ökosozialisten waren
taktisch-strategisch zu blauäugig, unterschätzten den
Anpassungssog des bürgerlichen Parlamentarismus - und
pflegten bisweilen untereinander Umgangsformen, die nicht
gerade nachahmenswert sind. So verloren sie Ende der
Achtzigerjahre auch selbstverschuldet den innerparteilichen
Machtkampf gegen die „Realos“ und zogen sich anschließend in
Zynismus (Ebermann) oder Sektierertum (Ditfurth) zurück. Ein
paar wenige, wie den heutigen „Neues
Deutschland“-Chefredakteur Jürgen Reents, verschlug es nach
ihrem Scheitern in den Grünen zur PDS. Wie auch immer: Sie
haben Ansätze für eine Verbindung zwischen sozialer und
ökologischer Frage aufgezeigt, die heute eine zeitgemäße
Linke wieder aufgreifen sollte.
IV.
Die Linkspartei und ihre Vorgängerinnen haben das nicht
getan. Ich kann mich noch gut an ein Ereignis im Jahr 1990
erinnern. Seinerzeit, um konkret zu sein: am 28. und 29.
Juli 1990, fand in Köln eine Konferenz statt, an der auch
ich teilnahm. Auf der verkündete Gregor Gysi die Gründung
der Linken Liste/PDS. Das war der erste - und aus diversen
Gründen gescheiterte - Versuch einer Verbindung der aus der
SED übriggebliebenen Reste mit relevanten Teilen der
Westlinken. Auf der Konferenz wurde ein Aufruf für „eine
linke Opposition in Deutschland“ verabschiedet. Dieser
begann mit den Worten: „Zur ersten gesamtdeutschen Wahl
tritt die Linke Liste/PDS als Oppositionskraft an. Wir
wollen denen Rückhalt geben und Mut machen, die von einer
rigorosen Anschlusspolitik sozial, kulturell und politisch
ins Abseits gedrängt werden. Gegen den herrschenden Trend
wollen wir erkämpfte demokratische, soziale, ökologische und
frauenrechtliche Standards sichern und ausbauen.“ Klingt
gut, aber ist gerade mit Blick auf die „ökologischen
Standards“ nur die halbe Wahrheit.
Es gab damals eine aufschlussreiche Diskussion zwischen
Gregor Gysi und Michael Stamm, einem der vormals führenden
Denker des ökosozialistischen Flügels in den Grünen. Und
zwar über die Atomkraft. Selbstverständlich war auch Gysi
für den Ausstieg, er wusste schließlich um die
Befindlichkeiten seines westlinken Publikums. Aber Stamm
insistierte: Aufgrund der unkalkulierbaren Risiken der
Atomenergie müsse der sofortige Ausstieg auch dann gefordert
werden, wenn den in den Kraftwerken Beschäftigten
unmittelbar keine Ersatzarbeitsplätze geboten werden können,
sie also erwerbslos zu werden drohten. Zu dieser Konsequenz
war Gysi seinerzeit nicht zu bewegen. Die
Erwerbsarbeitsplatzfrage hatte letztlich doch Vorrang. Die
Ökologie musste dahinter zurücktreten.
Wer nicht zum Selbstbetrug neigt, muss feststellen: Aller
Rhetorik zum Trotz hat sich an dieser Haltung insbesondere -
aber nicht nur - in den östlichen Landesverbänden
substanziell bis heute nicht viel geändert. Auch im Westen
gibt es etliche, für die der Atomausstieg nicht wirklich
einen vorderen Platz auf ihrer Prioritätenliste einnimmt.
Das ist auch ein Grund dafür, warum die Wählerinnen und
Wähler die über den katastrophalen rot-grünen „Atomkonsens“
hinausgehende Forderung der Linkspartei nach einem
sofortigen Ausstieg nicht goutiert haben: Sie wirkt schlicht
unglaubwürdig. Schließlich drängt sich der unangenehme
Verdacht auf, dass die Linkspartei den nur deshalb fordert,
um Grüne und die SPD zu überbieten - und nicht, weil er ihr
wirklich wichtig wäre. „Systemfrage und Ökologie gehören
zusammen“, schreibt jetzt die AKL. Wenn es denn so einfach
wäre! Seit Harrisburg und Tschernobyl weiß nicht nur die
aufgeklärte Linke, dass es eben nicht so einfach ist. Das
Problem ist nicht nur das jeweilige gesellschaftliche System
und die jeweilige Verfügungsgewalt über die
Produktionsmittel, sondern vor allem die unbändige
systemübergreifende Fortschrittsgläubigkeit, für die ein
Restrisiko nur eine vernachlässigbare statistische Größe
darstellt. So wichtig die Eigentumsfrage ist: Atomkraftwerke
sind nicht nur wegen der Profitgier der Konzerne gefährlich.
V.
Es kann nicht verwundern, wenn überzeugte AKW-Gegner sich
daher trotz alledem lieber für die Grünen entscheiden.
Deswegen zielt auch der etwas beleidigte Hinweis der "Prager
Frühling"-Redakteure Jörg Schindler und Thomas Lohmeier in
ihrer Wahlauswertung unter dem Titel "kein schönreden." ins
Leere. Nein, die Grünen haben nicht von der „Vergesslichkeit
der WählerInnen, die die Anti-Atom-Sonne ausschließlich mit
den Grünen assoziieren“, profitiert. „Schlicht vergessen“
haben sie auch nicht, „wer den halbherzigen ‚Atomausstieg‘
zu verantworten hatte, den die schwarz-gelbe Regierung
problemlos im vergangen Herbst wieder einkassieren konnte“.
So dumm sind die gar nicht. Die meisten wissen genau, dass
die von Rot-Grün gewährten Restlaufzeiten de facto
Bestandsgarantien für die AKWs waren.
Aber: Dem grünen Image als Anti-Atom-Partei hat das deswegen nicht geschadet, weil die Wählerinnen und Wähler
den Grünen abnehmen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles für
den AKW-Ausstieg unternommen zu haben, letztlich jedoch nur
das durchsetzten konnten, was machtpolitisch zum damaligen
Zeitpunkt gegen die SPD und die Atomindustrie durchsetzbar
war. Das war verdammt wenig. Goutiert wird jedoch, es
wenigstens versucht zu haben. Weswegen zwar jetzt die Grünen
von Fukushima „profitieren“, nicht jedoch die SPD - und
schon gar nicht die Linkspartei. Seid ehrlich: In
vergleichbarer Situation wäre der Linkspartei die AKW-Frage
doch scheißegal gewesen. Daran hätte sie nie etwas scheitern
lassen. Als sich die Grünen im Jahr 2000 den miesen Deal mit
der Atomindustrie von der SPD abpressen ließen, war das der
damaligen PDS nicht einmal eine kleine Protestmahnwache vor
dem Reichstag wert. Deshalb würde „eine scharfe Kritik an
den Grünen und deren halbherzigem Atomausstieg sicherlich
nicht geschadet“, aber eben auch wahlpolitisch nicht genützt
haben.
VI.
Was heißt das für die Linkspartei? Dass sie sich in einem
Dilemma befindet. Ihr Wählerklientel insbesondere im Westen
rekrutiert sich vorranging aus jenem deklassierter Teil der
Gesellschaft, der in der Wissenschaft als Prekariat
bezeichnet wird und für den die Verbesserung seiner sozialen
Lage im Zentrum steht. Wie Ihr richtig schreibt, ist es
deshalb auch „die vornehmste Aufgabe der Linkspartei, den
Unmut der Exkludierten und Enttäuschten ‚gegen die da oben‘
zu mobilisieren“. Allerdings fehlt es diesem Klientel aus
nachvollziehbaren Gründen an ökologischem Bewusstsein. Wer
angewiesen ist auf die Angebote einer „Tafel“, darf nicht
wählerisch sein und auf Bioprodukte bestehen; wer nicht
weiß, wie er seine Stromrechnung bezahlen soll, wird nicht
zu „Lichtblick“ wechseln.
Doch das ist nicht das Einzige, was fehlt. Diese Menschen
sind in jeder Hinsicht abgehängt. Denn sie sind nicht einmal
mehr in der Lage, ihre eigenen unmittelbaren Interessen
wahrzunehmen, wie ihr am Beispiel des Hamburger
Volksentscheids ganz richtig aufzeigt. Zutreffend stellt Ihr
fest, dass „das größte Problem“ darin bestand, „dass es der
sozialen Linken nicht gelungen ist, diejenigen, die
eigentlich ein Interesse an einer Gemeinschaftsschule haben
sollten, an die Wahlurnen zu bringen“. Für den Antrag der
reaktionären Reformgegner stimmten im Juli 2010 276.304
Bürger, 218.065 dagegen - weniger als bei der Bürgerschaftswahl
Mitte Februar ihre Stimme für die Linkspartei abgaben.
Auch ein Volksentscheid über das von Euch präferierte
bedingungslose Grundeinkommen würde gegenwärtig übrigens
keine Chance haben, ja sogar zuvorderst an jenem Klientel
scheitern, für die Ihr es einführen wollt. Denn die Debatte
um ein „existenzsicherndes Einkommen als soziale
Demokratiepauschale“, da solltet Ihr Euch nichts vormachen,
war schon immer und ist bis heute eine unter
Intellektuellen. Für eine „Massenorientierung“ ist diese
Forderung gänzlich untauglich. Das macht sie keineswegs
überflüssig oder gar verkehrt. Ich bin da sogar ganz bei
Euch - weil ich dazugelernt habe. Es ist ein
Grundsatzstreit: Was soll im Mittelpunkt der Gesellschaft
stehen – die Erwerbsarbeit oder der selbstbestimmte Mensch?
In den Achtzigerjahren, als ich selbst noch Mitglied einer
Partei war, gehörte ich in den Grünen zu jenen
ökosozialistischen Gegnern des bedingungslosen
Grundeinkommens, die schon deshalb nicht dafür sein konnten,
weil es von den Falschen kam: Damals waren es noch
zuvorderst „Ökolibertäre“ wie der heutige erzreaktionäre
Herausgeber der „Welt“, Thomas Schmid, die für die
Selbstbestimmung stritten. Anders als heute vertrat er
damals in dieser Frage eine progressive Position. Ich
hingegen vertrat seinerzeit leider eine, wie sie heute
intellektuell stehengebliebene Gewerkschaftsfunktionäre wie
Klaus Ernst vertreten.
VII.
Ihr kritisiert die „Abklatsch“-Theorien zur
Präferenzbildung, die behaupten, dass aufgrund
unterschiedlicher sozio-ökonomischer Lage keine politischen
Schnittmengen entstehen. Ich glaube, damit liegt Ihr
richtig. Eurer Klientel wird die Schnittmengen jedoch nur
erkennen, wenn Ihr es eindringlich darauf aufmerksam macht.
Und vielleicht könnte die Linkspartei dann auch manch
heimatlosen Linken für sich gewinnen.
Für Linke ist das Eintreten für soziale Gerechtigkeit
konstitutiv, keine Frage. Das manifestiert sich jedoch nicht
an der einen oder anderen Detailforderung. Wenn
beispielsweise die AKL schreibt, es schade der Linkspartei,
„wenn wir in unseren Kernthemen unglaubwürdig werden: wenn
die Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 10 Euro
auch aus der Partei infrage gestellt wird, wenn nicht in
aller Konsequenz am Nein zur Rente erst ab 67 festgehalten
wird“, dann halte ich das für völligen Blödsinn. Denn 12
oder 14 Euro Mindestlohn fände ich genauso in Ordnung wie
die Rente ab 60.
Ohnehin reicht es nicht, wenn Linke nur den Anspruch haben,
eine Antwort auf die soziale Frage zu geben. Zu den
Anforderungen an eine emanzipatorische linke Partei gehört
auch, dass sie sich konsequent gegen die Ausgrenzung
gesellschaftlicher Minderheiten stellt - und zwar nicht nur
theoretisch, sondern praktisch. Auch da beschleicht mich
ebenfalls manch Zweifel. Denn in ihren Hochburgen, also
dort, wo sich die SED zur PDS zur Linkspartei transformiert
hat und für sich in Anspruch nimmt, so etwas wie
„Volkspartei“ zu sein, tümelt es doch ganz schön deutsch.
Wer sich die Landtagsfraktionen von Mecklenburg-Vorpommern,
Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg anschaut,
wird dort jedenfalls keinen einzigen Abgeordneten mit
Zuwanderungsgeschichte entdecken können. Ich bin zu weit
weg, um fundiert beurteilen zu können, ob dieser blamable
Zustand schlicht den gesellschaftlichen Realitäten in den
sogenannten fünf neuen Ländern oder einem fehlenden
Problembewusstsein geschuldet ist. Und vielleicht gibt es ja
sogar in einigen ostdeutschen Kreisverbänden eine tolle
antirassistische Politik, die sich nicht nur darauf
beschränkt, gegen Nazi-Aufmärsche zu mobilisieren (so
richtig und wichtig das auch ist), sondern die sich auch in
einem multikulturellen Zusammenleben manifestiert, von der
ich im tiefsten Westen nur leider nichts mitbekomme.
Gleichwohl erschreckt es mich. In den Landtagsfraktionen im
Westen der Republik sieht es übrigens besser aus. Aber dort
spielt die Linkspartei auch keine so große Rolle, ist
ohnehin mehr „Randgruppenpartei“.
VIII.
Es gibt darüber hinaus eine Grundposition, die
beispielsweise für meine persönliche Entscheidung bei einer
Bundestagswahl ausschlaggebend ist: Parteien, die im
Bundestag für die Beteiligung deutscher Soldatinnen und
Soldaten an irgendwelchen Kriegshandlungen in der Welt
eintreten, können nicht mit meiner Stimme rechnen. So habe
ich es gehalten, seitdem ich 1985 zum ersten Mal in der
Bundesrepublik an einer Wahl teilnehmen durfte. Und so halte
ich es bis heute. Im Gegensatz zu manch anderem weiß ich
noch sehr gut, warum ich einst den Kriegsdienst verweigert
habe. Entsprechend freut es mich, wenn es in dem Papier des
„Prager Frühlings“ heißt, Ihr tretet ein für „eine
menschenrechtsorientierte, der Charta der UN verhaftete und
auf Ausgleich in der Weltwirtschaft ausgerichtete
Außenpolitik, die pazifistisch und internationalistisch
ausgerichtet“ ist.
Allerdings habe ich den Eindruck, Ihr befindet Euch hier
schon in einem Rückzugsgefecht. Ich bin mir äußerst
unsicher, wie lange die Linkspartei noch bei ihrer strikten
Ablehnung deutscher Militäreinsätze bleiben wird. Es ist
schon auffällig, dass beispielsweise das FdS nur noch den
Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan als eines der
„wichtigen Themen“ bezeichnet - und nicht mehr die generelle
Ablehnung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wie für
die Grünen gilt schließlich auch für die Linkspartei:
Bedingung für ihr Entrée in die Bundesregierung ist, ihren
Frieden mit dem Krieg zu machen. Der Preis könnte allerdings
hoch sein: Es mag nicht mehr viele Pazifistinnen und
Pazifisten in der BRD geben. Aber reichen könnten sie
durchaus noch, um die Linkspartei wieder aus dem Bundestag
zu befördern ...
IX.
Wenn sie nicht schwer aufpasst, ist die Linkspartei bald
wieder das, was sie vor der Fusion mit der WASG war: im
Osten verankerte Regionalpartei mit ein paar politisch
unbedeutenden Westsplittern. Doch statt schonungsloser
Analyse der schweren Niederlagen bei den jüngsten
Landtagswahlen setzt die Führungsmannschaft im
Karl-Liebknecht-Haus auf Durchhalteparolen. „Für dieses
Ergebnis ist einzig und allein das Thema Atomkraft
verantwortlich“, bilanzierte der Bundesvorsitzende Ernst.
Ähnlich äußerte sich auch seine Co-Vorsitzende Gesine
Lötzsch. Wenn sich die blöde Atomwolke erst wieder verzogen
hat, wird es schon wieder aufwärts gehen, lautet die
schlichte Botschaft. Wenn’s denn so einfach wäre. Schon vor
dem japanischen Super-GAU taumelte die Linkspartei im Westen
bedenklich. Die Hamburger Bürgerschaftswahl, bei der sie
unter für sie politisch optimalen Bedingungen bei 6,4
Prozent verharrte und in absoluten Zahlen sogar Stimmen
verlor, hätte bereits alle Alarmglocken erschallen lassen
müssen.
Die Linkspartei wird nicht darum herum kommen: Neben der
strategischen und programmatischen Debatte wird sie
zwangsläufig auch über Personalien zu sprechen haben. Man
muss kein Anhänger von ihm sein, trotzdem ist mehr als
offenkundig: Die Linkspartei hat den Rückzug Oskar
Lafontaines nicht kompensieren können. Der saarländische
Politzampano, der der SED-Nachfolgetrümertruppe erst den Weg
in den Westen öffnete, fehlt sowohl als strategischer Kopf
als auch als wahlpolitisches Zugpferd. Mit seiner durch und
durch westgeprägten Biografie als auch mit seiner
kämpferischen Attitüde und seinem Populismus konnte
Lafontaine jene proletarischen und sozial deklassierten
Zielgruppen in der alten Bundesrepublik ansprechen, die die
alte PDS mit ihrem Post-DDR-Mief nie hat erreichen können.
Mit seiner bisweilen brachialen Präsenz übertünchte
Lafontaine gerade auch jene graue Garde von
sozialdemokratischen Ex-FDJ-Funktionären, die in den
östlichen Landesverbänden den Ton angeben und für die - wie
aktuell das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern zeigt -
innerparteiliche Pluralität nur solange ein Wert ist, wie
sie sich in der Minderheit sehen. Gleichfalls überstrahlte
Lafontaine aber auch den desolaten Zustand etlicher
westlicher Landesverbände, deren Mitgliedern oft jene
gemeinsame politische Identität fehlt, die sie davor
bewahren könnte, ihre Kämpfe um Pöstchen und Mandate bis zum
Äußersten zu führen.
X.
Anstatt ein eigenes Profil zu entwickeln, beschäftigen sich
die einen in der Partei damit, wie sie möglichst schnell mit
der SPD ins Geschäft kommen können, die anderen mit sich
selbst - und dann gibt es noch jene, die sich an ihrem
Verbalradikalismus ergötzen. Nichts passt wirklich zusammen.
Die Folge ist eine Kopf- und Substanzlosigkeit, die schnell
zu einem gefährlichen Glaubwürdigkeitsproblem und (nicht
nur) in die Wahlniederlage führen kann. Ein wunderbares
Beispiel ist Sachsens Linksparteichef Rico Gebhardt, der
sich in der sächsischen „Freien Presse“ vehement gegen ein
Comeback Lafontaines ausgesprochen hat und stattdessen der
Meinung war, „dass sich eine Mehrheit um Bodo Ramelow oder
Dietmar Bartsch scharen würde“. Wenn es so kommen sollte,
bräuchte die Linkspartei im Westen zu den nächsten Wahlen
gar nicht mehr antreten. Wer meint, mit dem alten
PDS-Personal aus dem Osten im Westen reüssieren zu können,
hat nichts aus den vergangenen zwei Jahrzehnten gelernt -
oder leidet an einem gravierenden Realitätsverlust.
Übrigens und bei allen ideologischen Unterschieden zwischen
den beiden: Was für Bartsch gilt, gilt auch für Sahra
Wagenknecht. Mit ihr an der Spitze wäre die Linkspartei
ebenfalls im Westen, und damit als gesamtdeutsche Partei zum
Scheitern verurteilt. Darüber sollte auch ihre Medienpräsenz
als „kommunistisches Postergirl“ („Spiegel“) und ihre
Fangemeinde in der - überschaubaren - traditionslinken Szene
nicht hinwegtäuschen. Es mag weder von dem einen noch dem
anderen Flügel in der Partei gerne gehört werden: Beide
stehen auf ihre Weise für jene SED-Nachfolgepartei, die die
PDS vor dem Zusammenschluss mit der WASG war und von der sie
danach behauptete, es nicht mehr zu sein. Das Forum
Demokratischer Sozialismus und die Antikapitalistische Linke
stellen die Linkspartei in der Konsequenz vor die
Alternative: sozialdemokratische ostdeutsche Regionalpartei
oder „klassenkämpferische“ Kleinpartei á la DKP der
Siebzigerjahre in der BRD. In der Bundespolitik wäre die
eine wie die andere Variante unbedeutend. Es wäre ein
Verlust. Die Chance, die eine moderne, also undogmatische,
emanzipatorische und ökologische linkssozialistische Partei
böte, werden jedenfalls beide nicht nutzen können. Es wird
spannend sein, zu beobachten, ob die Mitglieder der
Linkspartei das noch früh genug erkennen werden. |
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