![]() 15.01.2011 |
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Von Pascal Beucker |
Der Dresdner Hans-Jürgen Westphal liefert seinen ganz eigenen Beitrag zur Kommunismusdebatte – unter anderem mit einem Musikvideoclip.
Für
den Kommunismus streitet er. Für den Kommunismus singt er. Für den
Kommunismus zieht er auch schon mal blank. Wenn alles zusammenkommt,
kommt ein bemerkenswerter Musikvideoclip dabei heraus:
„DDR, wir erkämpfen unseren Staat! Wo ist die
Oppositionspartei? Der Kommunismus ist unser Ziel!“,
lautet der etwas sperrige Titel. Unendlich lange zwölf Minuten und
47 Sekunden dauert das Stück. Wer sich für den Kommunismus des
Hans-Jürgen Westphal interessiert, muss eine gute Kondition und
starke Nerven besitzen. Trotzdem ist sich der 59-jährige Dresdner
sicher: "Unser Sieg wird sein!" Der Mann mit der Halbglatze, dem weißen Vollbart
und der stark behaarten Brust ist Dresdens bekanntester Kommunist.
Seit mehr als zwanzig Jahren folgt der gelernte Ingenieur-Pädagoge
nun schon unverdrossen der Losung der Linkspartei-Vorsitzenden
Gesine Lötzsch:
"Die Wege zum Kommunismus können wir nur
finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in
der Opposition oder in der Regierung." Westphal hat sich
auf den Weg gemacht. Das erste Mal am 3. Oktober 1990, „dem Tag, als
mein Vaterland geraubt wurde“. Seit damals zieht er tagaus, tagein
und bei Wind und Wetter in die Dresdner Innenstadt. Dort steht der
zweifache Familienvater dann mittags für ein paar Stunden mit seiner
roten Hammer-und- Sichel-Fahne auf der Prager Straße in der Höhe von
Karstadt und agitiert mal alleine, mal mit Mitstreitern für den
Kommunismus. Beziehungsweise das, was er sich darunter vorstellt. Inzwischen ist Westphal die sächsische
Landeshauptstadt als Aktionsfeld allerdings zu klein geworden. Es
reicht ihm nicht mehr, die Passanten in der Fußgängerzone mit
selbstverfassten Traktaten à la "Diktatur des Proletariats, jetzt!"
zu traktieren. Er hat das Internet für sich und seine Heilsbotschaft
entdeckt. Der komische Kauz, der es bitter ernst meint, lässt nichts
unversucht, um seine Mitbürger – er würde einschränkend sagen: die
Proletarier – auf den rechten linken Weg zu bringen. Der seit 1992
erwerbslose Westphal nutzt seine freie Zeit äußerst produktiv:
Unzählige Aufsätze und Gedichte hat er für die Sache des Kommunismus
geschrieben. Er produziert Broschüren, Kalender mit eigenen
Bleistift- und Tuschezeichnungen, Hörspiele und inzwischen auch eine
Menge Videos. Sogar ein Puppenspiel gehört zu seinem umfangreichen
Œuvre. Eine eigene "kommunistische Rockband" hat er ebenfalls
gegründet. VERITAS nennt sich die dreiköpfige Combo. Zwanzig CDs hat
sie inzwischen herausgebracht. Westphal ist der Leadsänger, spielt
E-Bass, sechsseitige und 12-seitige Gitarre, Querflöte - und
schreibt die meisten Texte. "VERITAS ist lateinisch und bedeutet so
viel wie Wahrheit, Wahrheitsliebe, Wirklichkeit", erläutert er. Und
um die Wahrheit gehe es ihm. Seine Wahrheit. Westphal trat acht Jahre vor Gesine Lötzsch in
die SED ein. Das war 1978. Mit ihr gemeinsam machte er die
Transformation der einst allmächtigen Staatspartei zur PDS mit. Doch
im Gegensatz zu Lötzsch war für den ehemaligen Leitenden
Museumsassistenten am Museum für Geschichte der Stadt Dresden 1994
Schluss in der SED-Nachfolgepartei. Sie war ihm nicht mehr
kommunistisch genug. Anders als die Junge Welt, jenes
ehemalige Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend, das heute das
Kampfblatt für alle kommunistischen Plattformen in und außerhalb der
Linkspartei ist. In ihr veröffentlichte Lötzsch ihren umstrittenen
Beitrag zur „Rosa-Luxemburg-Konferenz“. Westphal ist begeisterter
Abonnent der Jungen Welt, hält sie für „die beste
Tageszeitung der BRD“ – und hat ihr sogar eine eigene DVD gewidmet.
Wie der Chefredakteur der Jungen Welt bis heute auf seine
Spitzeldienste für die Stasi stolz ist, hält auch er den Untergang
der DDR für eine "Konterrevolution". Die Bundesrepublik ist ihm ein
Graus: "Wir haben hier nichts zu verlieren, in der verhassten BRD." Westphals Weg zum Kommunismus ist ein Weg zurück:
"Unser Staat, der war schon da." Er möchte seine gute, alte DDR
wiederhaben. Deren Untergang betrauert er inbrünstig: „Ja, ich bin
in dir geboren, meine schöne DDR", singt er mit trauriger Stimme,
„und ich habe dich verloren, dieser Schmerz vergeht nie mehr". Aber
kapituliert vor den herrschenden Verhältnissen hat Westphal nicht:
„Unsere Tränen sind geflossen, doch wir haben uns aufgerafft. Unsere
Tränen wurden Schwerter. Auch aus dem Leid erwächst uns Kraft für
unseren Sieg.“ Solche Zeilen hält er für Kunst, "kommunistische
Kunst". Was sonst? Ideologische Unterstützung holt sich der glühende
Marxist-Leninist dabei bisweilen vom Genossen Stalin. Auch ihn
besingt er in einem seiner Musikvideos:
"Schau in die Stalin-Werke und versteh!"
Die Kommunismus-Äußerungen von Lötzsch in der Jungen Welt
kommentierte Gregor Gysi mit den Worten: „Als Politiker muss ich
berücksichtigen, dass andere unter dem Begriff Kommunismus Stalin
verstehen oder an die Mauer denken.“ Hans-Jürgen Westphal ist ein
Beispiel dafür, wie richtig der Linkspartei-Bundestagsfraktionschef
mit seiner Einschätzung liegt - wenn auch etwas anders, als er es
sich gedacht haben dürfte. |
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