16.03.2011

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taz

 Richter rüffeln Rot-Grün
Von Pascal Beucker und Christian Rath

NRW-VERFASSUNGSGERICHT Landesverfassungsrichter kippen den Nachtragshaushalt der nordrhein-westfälischen Regierung. Über rasche Neuwahlen will aber keiner mehr reden.

Die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen hat sich eine Klatsche eingefangen. Das Landesverfassungsgericht erklärte am Dienstag ihren Nachtragshaushalt 2010 für verfassungswidrig. Damit gaben die Münsteraner Richter einer Klage der Landtagsfraktionen von CDU und FDP statt.

Der Nachtragsetat verstoße wegen der Überschreitung der Kreditgrenze gegen die Landesverfassung, sagte Gerichtspräsident Michael Bertrams zur Begründung. Die Landesregierung habe keine plausible Erklärung vorgelegt, warum die mit den Stimmen von SPD, Grünen sowie einiger Abgeordneter der Linkspartei im Dezember zusätzlich beschlossenen Kredite von 1,8 Milliarden Euro "zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" nötig seien. Das Urteil ist zwar ein klarer Rüffel für die rot-grüne Landtagsmehrheit, es ist aber keine Vorentscheidung, ob auch die geplante Neuverschuldung für 2011 verfassungswidrig ist.

Nach der Landesverfassung dürfen nicht mehr Schulden gemacht werden, als das Land für Investitionen ausgibt. Die Richter mussten nun klären, ob im Herbst 2010 durch eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eine Ausnahmesituation vorlag. Sie äußerten wegen der damals guten Wachstums- und Arbeitsmarktzahlen zwar massive Zweifel, ließen die Frage letztlich aber offen. Als Kriterium für die Annahme einer Störung stellen die Richter auf die "erkennbare Entwicklungstendenz" ab. Und diese Tendenz dürfte im Mai 2011, wenn der nächste Haushalt aufgestellt wird, eher nach unten zeigen. Dafür dürften schon die Erdbebenkatastrophe in Japan, die Umwälzungen in Nordafrika und die Turbulenzen des Euro sorgen. Auch der letztliche Grund für die Verfassungswidrigkeit des Nachtragshaushalts dürfte Rot-Grün zu einem Schmunzeln verleiten. Die Richter kritisierten nämlich, dass Rückstellungen für Kommunen und die WestLB keine Konjunktureffekte haben, da das Geld nur gebunkert und nicht ausgegeben wird. Schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme hätten die Richter also eher akzeptiert.

Von einem "Scherbenhaufen", den Rot-Grün angerichtet habe, sprach dennoch der CDU-Landesvorsitzende Norbert Röttgen. Anders als noch auf dem CDU-Landesparteitag am Samstag zeigte sich der Bundesumweltminister, der wegen der schwarz-gelben Atompolitik derzeit unter Druck steht, im Hinblick auf mögliche Neuwahlen sehr zurückhaltend. Auch FDP-Landeschef Daniel Bahr verzichtete auf die Forderung nach einem vorgezogenen Urnengang.

Die Landesregierung wolle das Verfassungsgerichtsurteil jetzt erst mal gründlich prüfen, kündigte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft an. "Für den Haushalt 2011 ergibt sich erst mal keine direkte Folge." Der Frage, ob sie Neuwahlen anstrebe, falls CDU und FDP auch gegen den neuen Etat Klage einreichen, wich die SPD-Politikerin aus. Sie gehe davon aus, "dass wir einen verfassungskonformen Haushalt vorgelegt haben", so Kraft. Gleichwohl kündigte Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) an, an allem zu klopfen, "wo Sparpotenzial da ist". Der rot-grüne Etatentwurf für 2011 sieht bisher eine Neuverschuldung von 7,1 Milliarden Euro vor. "Das Gericht hat betont, dass es hohe Hürden für die Darlegung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts anlegt", sagte Grünen-Landtagsfraktionschef Reiner Priggen. "Das werden wir sehr ernst nehmen."

Scharf attackierte NRW-Linksfraktionschef Wolfgang Zimmermann den Münsteraner Richterspruch. Das Urteil schränke die politischen Gestaltungsspielräume unzumutbar ein. Fest steht jedenfalls, dass das Regieren für Rot-Grün nicht einfacher geworden ist. Konsequenzen für den Haushalt 2011 dürften zwingend sein. Ob die Linkspartei bereit sein wird, auch Einsparungen zumindest zu tolerieren, ist völlig unklar. Ihre "roten Linien" blieben bestehen, betonte Zimmermann: „Sozialabbau und Stellenstreichungen per Saldo im Öffentlichen Dienst sind mit uns auch weiterhin nicht machbar.“


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