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Von Pascal Beucker |
Trotz aller Spekulationen: Auch nachdem der
rot-grüne Nachtragshaushalt 2010 für verfassungswidrig erklärt
wurde, dürfte NRW nicht unmittelbar vor Neuwahlen stehen.
Nach dem Münsteraner Verfassungsgerichtsurteil
wird wieder kräftig über baldige Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen
spekuliert. Doch wahrscheinlicher sind sie deswegen nicht geworden.
Nachdem ihr Nachtragshaushalt 2010 für verfassungswidrig erklärt
wurde, übt sich die rot-grüne Minderheitsregierung vielmehr in
demonstrativer Gelassenheit. Auch die Rufe nach
Neuwahlen der schwarz-gelben Opposition sind inzwischen wieder etwas
leiser geworden, als sie es noch vor dem für sie so erfreulichen
Richterspruch waren. Und die Linkspartei hat sich ohnehin stets
dagegen ausgesprochen.
Das verwundert nicht.
Denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann keine der fünf im Düsseldorfer
Landtag vertretenen Parteien ein übermäßiges Interesse an einem
schnellen Urnengang haben. Gleichwohl schien noch vor ein paar Tagen
alles darauf hinzustreben, nachdem der
SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Norbert Römer den Eindruck
vermittelt hatte, die SPD strebe umgehend
vorgezogene Neuwahlen an, falls die
schwarz-gelbe Opposition auch gegen den Landeshaushalt 2011 vor das
Verfassungsgericht ziehen sollte. Doch von einem solchen Automatismus will
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft inzwischen nichts mehr wissen.
"Das werden wir alles in Ruhe abwarten“, weicht sie entsprechenden
Fragen aus. Kein Wunder, wäre eine erneute Verfassungsklage von CDU
und FDP gerade nach dem Urteil vom Dienstag ein denkbar schlechter
Grund für Neuwahlen. Wer will schon unbedingt als "Schuldenkönigin"
und "Verfassungsbrecherin" in den Wahlkampf ziehen. Auch wenn die politische Großwetterlage zur Zeit
günstig für SPD und Grüne erscheint und die beiden Parteien nach den
letzten Umfragen mit einer absoluten Mehrheit rechnen können, wäre
das ein unnötiges Risiko. Außerdem arbeitet die rot-grüne Koalition
aufgrund des konstruktiven Verhaltens der Linkspartei auch ohne
eigene Mehrheit im Parlament bislang erstaunlich reibungslos. Die CDU sitzt in der Zwickmühle Aber auch für die drei Oppositionsparteien würde
ein Urnengang zum jetzigen Zeitpunkt ein unkalkulierbares Risiko
bedeuten. Linkspartei und die FDP werden von den Demoskopen bei
gerade 5 Prozent taxiert. Sie müssten also um ihren Wiedereinzug ins
Parlament bangen. Die CDU, die sich nach dem Ende der Ära von Jürgen
Rüttgers unter ihrem neugewählten Landesvorsitzenden Norbert Röttgen
gerade erst frisch aufstellt, kann ebenfalls nicht damit rechnen,
gestärkt aus Neuwahlen hervorzugehen. Denn sie befindet sich in
einer Zwickmühle. Auf dem CDU-Landesparteitag am Samstag in Siegen
verkündete Röttgen, die Verschuldung des Landes zu der
"Grundauseinandersetzung" in NRW machen zu wollen. Doch die Planung,
mögliche Neuwahlen mit einem derartig monothematisch ausgerichteten
Wahlkampf gewinnen zu können, ist ein in mehrfacher Hinsicht heikles
Unterfangen. Zum einen setzt sie ein kurzes Gedächtnis der
Wählerinnen und Wähler voraus. So ärgerlich das
Landesverfassungsgerichtsurteil für Rot-Grün auch ist und
CDU-Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann sogar von einem
"historischen Urteil" schwadronierte: Es ist keineswegs so
einzigartig, wie CDU und FDP nun glauben machen wollen. So handelten
auch sie sich 2007 eine schwere Niederlage in Münster ein. Wie jetzt wieder, erklärten seinerzeit die
Verfassungsrichter den nach der schwarz-gelben Regierungsübernahme
2005 aufgestellten Nachtragshaushalt des damaligen
CDU-Finanzministers Helmut Linssen wegen einer nicht hinreichend
begründeten Überschreitung der Kreditgrenze für verfassungswidrig.
Damals hatte die SPD-Landtagsfraktion geklagt. Tatsache ist, dass auch die Vorgängerregierungen
regelmäßig gegen die in der Landesverfassung festgeschriebene
Kreditfinanzierungsgrenze verstoßen haben. So war nur zweimal in den
vergangenen zehn Jahren nach Angaben des Landesrechnungshofes die
Neuverschuldung niedriger als die Summe der Investitionen.
Allerdings gab es in diesen beiden Jahren, 2007 und 2008, auch die
höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte des Landes. Heute dagegen
liegen die Steuereinnahmen über drei Milliarden Euro niedriger. Zum anderen bestreitet die CDU zwar, dass es
gegenwärtig eine "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts"
gibt, die eine Überschreitung der Regelverschuldungsgrenze von 3,77
Milliarden Euro rechtfertigen würde. Aber sie verzichtet aus gutem
Grund darauf, ihre Vorstellungen offenzulegen, wie sie gegenüber dem
rot-grünen Etatentwurf für 2011 stolze 3,3 Milliarden Euro
einzusparen gedenk. Denn ein solcher Kraftakt wäre ohne drastische
soziale Einschnitte nicht möglich. Schließlich würde auch die
Wiedereinführung der unpopulären Studiengebühren gerade mal 249
Millionen Euro bringen. Das wäre also nicht mehr als ein Tropfen auf
den heißen Stein. Atomkatastrophe und Gewerkschaften
machen der CDU das Leben schwer Entsprechend haben SPD
und Grüne bereits angekündigt, im Falle von Neuwahlen die
Auseinandersetzung darüber führen zu wollen, in welchem Land die
Bürgerinnen und Bürger künftig leben wollen: einem sozial und
ökologisch ausgerichteten Nordrhein-Westfalen -
oder einem Land, das aus ideologischen
Gründen kaputt gespart wird. Unterstützung für ihre Regierungslinie
erhalten sie dabei von den Gewerkschaften. "Die Landesregierung muss
ihren Kurs fortsetzen und mehr Geld in Bildung und Soziales
investieren", kommentierte der DGB-Landesvorsitzende Andreas Lauber
am Dienstag denn auch den Münsteraner Richterspruch. "Daran darf das
heutige Urteil nichts ändern." Allerdings ist ohnehin fraglich, ob es
angesichts der japanischen Atomkatastrophe der schwarz-gelben
Opposition bei einer Neuwahl noch in diesem Jahr gelingen könnte,
die Schuldenfrage zu dem zentralen Wahlkampfthema zu machen. Denn
die deutsche Atompolitik bewegt derzeit auch die Menschen in NRW wie
keine andere. Und das bringt den christdemokratischen Frontmann
Röttgen schwer in die Bredouille. Auf dem Siegener Parteitag hatte der
Bundesumweltminister noch jegliche Diskussionen über die Sicherheit
und Laufzeit der AKWs in Deutschland als "völlig deplatziert" brüsk
abgekanzelt - unter dem Beifall der Delegierten. Getrieben von den
aktuellen Ereignissen, geriert er sich seitdem von Tag zu Tag
atomkritischer. Besonders glaubwürdig wirkt das nicht. Auch die
Entscheidung, die Laufzeitverlängerung ausgerechnet für drei Monate
auszusetzen, birgt für Röttgen eine große Gefahr. Das Ende der Frist
liegt nur einen Monat vor jenem Termin, den seine Partei als Datum
für mögliche Neuwahlen in NRW ins Gespräch gebracht hat, dem 17.
Juli. Wenn dann der eine oder andere Schrottreaktor wieder
hochgefahren wird, sieht es ganz düster für ihn aus. Trotz allem: Nach wie vor spricht viel dafür, dass die derzeitige Landesregierung nicht die volle Legislaturperiode amtieren wird. Die Versuchung dürfte für SPD und Grüne schlicht zu groß sein. Allerdings werden sie sich nicht von der Opposition den Zeitpunkt diktieren lassen, wann sie die Bürgerinnen und Bürger an Rhein und Ruhr vorzeitig zur Urne rufen. Dafür haben sowohl Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als auch ihre grüne Stellvertreterin Sylvia Löhrmann bislang viel zu klug und besonnen agiert. Gut denkbar, dass sie sich im Herbst einen passenden Grund suchen, um zu versuchen, endlich die von ihnen ersehnte absolute Mehrheit zu erringen. Das Atomthema steht dann sicherlich immer noch auf der Tagesordnung. Aber das Münsteraner Verfassungsgerichtsurteil liegt dann lang genug zurück, um keinen größeren Schaden mehr anzurichten. Die Linkspartei wird höllisch aufpassen müssen, nicht in die Falle zu gehen und Rot-Grün den passenden Vorwand zu liefern. |
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