Die Kölner Sparkasse will die
"Rechtsstaatlichkeit" wieder herstellen und eine Immobilie räumen
lassen, die sie vergammeln ließ. Dort hat sich ein Autonomes Zentrum
etabliert.
KÖLN taz | Es herrscht eine gespannte Ruhe in der
Wiersbergstraße 44 im Kölner Stadtteil Kalk. Hinter Barrikaden
verschanzt, beobachten rund 200 Menschen aufmerksam die Umgebung.
Viele sind vermummt, noch mehr übernächtigt. Kein Wunder, seit
nunmehr 48 Stunden rechnen sie mit dem Schlimmsten: Der Räumung
ihres "Autonomen Zentrums". Jeden Moment könnte es soweit sein. Die
Polizei steht in Sichtweite.
Seit fast einem Jahr ist die ehemalige
Betriebskantine der Firma Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) nun bereits
besetzt. "Die Besetzung hat das Ziel einen Raum zu schaffen, der
abseits von Konsumzwang, Diskriminierung und Repression Platz für
kreatives, politisches und kulturelles Leben bietet", erklärten
seinerzeit die überwiegend jugendlichen AktivistInnen der Kampagne
"Pyranha", die die Besetzung initiierten. Seitdem zog wieder Leben
in das zweigeschossige Gebäude ein, das eine Immobilientochter der
Stadtsparkasse Köln-Bonn jahrelang leer vor sich hin hatte gammeln
lassen.
Mit wenig Geld, aber desto mehr Engagement
entstanden Ateliers, Arbeitsräume, Holz-, Metall- und
Farbwerkstätten, eine kleine Bibliothek, eine Fahrradwerkstatt, ein
Infoladen, ein "Umsonst-Laden" und ein "autonomer Wintergarten".
Zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, Workshops und Ausstellungen
fanden im "Autonomen Zentrum" statt - und noch mehr Konzerte und
Partys. Sogar der Eurovision Song-Contest wurde im vergangenen Jahr
im "Kinosaal" übertragen.
Doch mit alledem soll es nun vorbei sein.
Offenkundig mit Rückendeckung des Kölner SPD-Oberbürgermeisters
Jürgen Roters will die Sparkasse "die Rechtsstaatlichkeit wieder
herstellen". Seit Anfang der Besetzung im April 2010 hätten sie
versucht, mit dem Geldinstitut konstruktive Gespräche zu führen und
immer wieder nach Gesprächsterminen gefragt, beklagen sich die
BesetzerInnen. Die Anfragen seien jedoch "lediglich mit dem
Abschalten der Strom- und Wasserversorgung beantwortet" worden.
Inzwischen hat die Sparkasse einen Räumungstitel erwirkt. Und sie
scheint fest entschlossen, ihn mit allen Mitteln durchsetzen zu
lassen - trotz zahlreicher Appelle, zu einer Verständigung mit den
BesetzerInnen zu kommen.
So forderte die Ratsfraktion der Kölner Grünen
den Sparkassen-Vorstand auf, von einer Räumung der Ex-KHD-Kantine
abzusehen. Ein "Kurs der Deeskalierung" sei "politisch unbedingt
geboten". Deshalb solle die Nutzung des Gebäudes für soziokulturelle
Aktivitäten bis zu einer endgültigen Bebauung des Areals geduldet
werden. "Köln braucht kreative Räume", heißt es in der grünen
Fraktionserklärung. "Daher ist das Interesse der jungen Menschen,
ein solches Kulturzentrum auf legaler Basis zu betreiben,
interessant und sollte nicht einfach vom Tisch gewischt werden."
Jetzt einfach ein Gebäude abzureißen sei
"widersinnig", kritisiert auch die Ratsfraktion der Kölner
Linkspartei. Nach Räumung und zwangsläufigem Abriss entstünde in
Kalk lediglich eine weitere ungenutzte Industriebrache.
Linksfraktionschef Jörg Detjen vermutet ein perfides politisches
Manöver. "Spätestens am 31. März muss die Stadt das Gelände von der
Sparkasse übernehmen", sagt er. "Es scheint so, als wollten SPD und
Oberbürgermeister die ,Schreibtischarbeit' von der Sparkasse und die
‚Drecksarbeit' von der Kölner Polizei erledigen lassen." Der
Hintergrund: Im Zuge der von der EU-Kommission geforderten
Neuordnung der Sparkasse ist das Geldinstitut gezwungen, das gesamte
KHD-Gelände samt besetzter Werkskantine zu verkaufen.
Auch die Polizei scheint sich nicht ganz wohl in
ihrer Haut zu fühlen. Laut Informationen des Kölner
Stadt-Anzeigers soll die Behördenleitung Oberbürgermeister
Roters schriftlich Bedenken gegen eine Räumung mitgeteilt haben. Die
BesetzerInnen hätten sich schließlich bislang stets friedlich
verhalten. Ob solche Hinweise noch etwas nützen, ist fraglich.
Die BesetzerInnen sind jedenfalls vorbereitet.
Nachdem sie den Tipp erhalten hatten, die Räumung stehe unmittelbar
bevor, sind sie seit Dienstagmorgen um 4 Uhr in Alarmbereitschaft.
Die jungen Leute wollen ihr "Autonomes Zentrum" nicht einfach
kampflos aufgeben, sondern passiven Widerstand leisten. "Von den
BesetzerInnen wird keine Eskalation der Räumungssituation
angestrebt", heißt es in ihrem "Aktionskonsens". Das bedeute unter
anderem: "Keine Steine oder andere Dinge werfen, keine Barrikaden
anzünden, keine körperlichen Angriffe auf PolizistInnen u.ä." Es sei
"allerdings in Ordnung und erwünscht, die Entschlossenheit der
Besetzung durch körperliche Präsenz zu demonstrieren".
Aber noch ist es nicht soweit. Zwar fuhr die
Polizei am Dienstag mit zahlreichen Wannen vor und postierte sich um
das "Autonome Zentrum". Wer keinen Schleichweg fand, kam nur noch
nach einer Personenkontrolle ins Haus. Geräumt wurde jedoch erst mal
nicht. Bundespräsident Christian Wulff war in der Stadt, besuchte
Gedenkveranstaltungen zum 100. Geburtstag der
NS-Widerstandskämpferin Freya von Moltke. Ein Polizeieinsatz hätte
sich da nicht so gut gemacht.
Jetzt ist Mittwoch – und Wulff wieder weg. Die
Polizeipräsenz rund um das Haus ist geblieben. Trotzdem hoffen die
BesetzerInnen noch auf eine Verhandlungslösung in letzter Sekunde.
Hinter den Kulissen sollen die Drähte heiß laufen. Sie wollten
"weiterhin Gespräche mit Stadt, Sparkasse und Politik über Lösungen
für die Situation führen", heißt es in einer am Mittwochmittag
veröffentlichten Erklärung der BesetzerInnen. Grundlage für solche
Gespräche müsse jedoch die Zusage sein, dass für die Dauer der
Gespräche keine Räumung stattfinden wird. Die Spannung an der
Wiersbergstraße 44 steigt weiter.
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