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Von Pascal Beucker |
AMNESTY
Die Basis stellt sich hinter den Vorstand, der Generalsekretärin
Monika Lüke im Mutterschutz freistellte. Sie habe sich in den
Amnesty-Strukturen nicht zurechtgefunden. Alexander Hülle wirkt erschöpft, aber
erleichtert. Drei kraftraubende Konferenztage in Köln liegen hinter
dem frischgewählten neuen Vorstandsprecher der deutschen Sektion von
Amnesty International. Der öffentliche Streit um die beurlaubte
Generalsekretärin Monika Lüke hat an den Nerven gezerrt. Doch die
knapp 700 Mitglieder auf der Amnesty-Jahresversammlung haben den
Kurs des Vorstandes am Wochenende bestätigt. Der alte Vorstand von Amnesty in Deutschland
hatte die 42-jährige Lüke, die sich gerade im Mutterschutz befindet,
in der vergangen Woche mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Grund seien
organisationsinterne Querelen gewesen. Lüke selbst hatte erklärt,
sie fühle sich diskriminiert. "Es ist schade, wenn ein
solcher Konflikt unsere wichtigen menschenrechtspolitischen Anliegen
zu überstrahlen droht", bedauert Hülle nun. Viel lieber möchte der
52-jährige Stuttgarter im Gespräch mit der taz über den
unzureichenden Schutz von Flüchtlingen in der Europäischen Union
reden. Oder über die Forderung von Amnesty, dass die Bundesregierung
endlich das Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert. "Alleine
wegen wirtschaftlicher Interessen blockiert Deutschland eine
wichtige Verbesserung im internationalen Menschenrechtsschutz",
empört er sich. Auch die Unterstützung der Reformbewegungen in
der arabischen Welt, bei der sich Amnesty vor allem auf
Religionsfreiheit und Frauenrechte konzentrieren will, zählt er auf.
Und selbstverständlich erwähnt Hülle die von der
Amnesty-Mitgliederversammlung beschlossene Forderung nach einer
sofortigen unabhängigen Untersuchung der gewaltsamen Übergriffe auf
Schwule und Lesben in Kroatien. Die Auseinandersetzung mit der beurlaubten
Generalsekretärin, die in der Öffentlichkeit die Jahresversammlung
überschattete, kann Hülle jedoch nicht umkurven. "Wir haben schlicht
und ergreifend keine Grundlage mehr für eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit gesehen", sagt Hülle, der seit 27 Jahren bei Amnesty
und seit drei Jahren im Vorstand ist. Zu den Einzelheiten, die den
bisherigen Vorstand zu der einstimmig beschlossenen Ablösung Lükes
bewogen hat, will sich Hülle aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht
äußern. Auch der neugewählte Vorstand strebe "eine einvernehmliche
Einigung über die endgültige Auflösung des Arbeitsverhältnisses an". Das Scherbengericht blieb aus Am Rande der nichtöffentlichen Jahresversammlung im Gespräch mit Amnesty-Aktivisten bekommt man eine Ahnung, woran die Zusammenarbeit mit Lüke gescheitert ist. Offenkundig hat es die Völkerrechtlerin, die vor ihrem Einstieg bei Amnesty als Projektkoordinatorin für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in verschiedenen afrikanischen Ländern und in Kambodscha arbeitete, nicht geschafft, sich in den spezifischen Strukturen von Amnesty zurechtzufinden. Sowohl im Umgang mit dem ehrenamtlichen Vorstand als auch mit den Mitarbeitern soll es mehrfach kräftig gekracht haben. So habe Lüke Vorstandsbeschlüsse nicht ernstgenommen und umgesetzt. Auch soll sie bisweilen "ausgeflippt" sein und andere hauptamtlich Beschäftigte angebrüllt haben, berichtet ein Mitglied. Auf der Jahresversammlung verlief die eineinhalbstündige Debatte über ihre Freistellung weniger heftig als erwartet. Auch wenn es einige kritische Nachfragen insbesondere zu dem ungünstig wirkenden Timing gab: Die Grundentscheidung traf auf breite Zustimmung. So fiel auch das von manchen prophezeite Scherbengericht über den Amnesty-Vorstand aus: Der scheidende Vorstandssprecher Stefan Keßler wurde mit Standing Ovations verabschiedet. Trotz Gegenkandidaten erhielt sein bisheriger Stellvertreter Alexander Hülle bei der Wahl zum neuen Sprecher eine Zweidrittelmehrheit. Als Generalsekretär amtiert nun Lükes bisheriger Stellvertreter Wolfgang Grenz. Der 64-Jährige gilt allerdings nur als Übergangskandidat. Lüke war der Versammlung ferngeblieben. |
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