15.07.2011

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taz

 Stabil mit Schrammen: Kraft zieht Jahresbilanz
Von Pascal Beucker

NRW Zum Jubiläum steht Rot-Grün einigermaßen erfolgreich da. Doch ist nicht alles Gold, was glänzt.

Ein Politexperiment feiert einjähriges Jubiläum. Ob sie eine Wette darüber annehmen würde, ob die rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleibt? Ministerpräsidentin Hannelore Kraft überlegt kurz. Dann antwortet sie: "Ich neige nicht dazu, zu wetten." Bisher hat ihre Koalition noch alle Neuwahldiskussionen überstanden. "Es war ein anstrengendes Jahr, das hinter uns liegt", räumt Kraft ein.

Gestern zogen die sozialdemokratische Regierungschefin und ihre grüne Stellvertreterin Sylvia Löhrmann in Düsseldorf eine erste Bilanz. Die Regierung arbeite "stabil und gut", resümierte Kraft. Viel sei auf den Weg gebracht worden - von der Abschaffung der Studiengebühren bis zur Wiederherstellung echter Mitbestimmung im öffentlichen Dienst.

Rein mathematisch betrachtet, kann sich die selbst ernannte "Koalition der Einladung" tatsächlich sehen lassen. Der Landtag verabschiedete 27 von rot-grün eingebrachte Gesetzentwürfe: 11 mit Zustimmung der CDU, 14 mit der FDP und 16 mit der Linkspartei. Sechs Entwürfe wurden von allen Fraktionen beschlossen. Kein einziger wurde abgelehnt. Damit hätten SPD und Grüne genauso viele Gesetze verabschiedet, wie CDU und FDP in ihrem ersten Regierungsjahr. "Es funktioniert", stellte Sylvia Löhrmann stolz fest.

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Auch manch schwere Schlappe mussten SPD und Grüne hinnehmen. So erklärte das Landesverfassungsgericht Anfang des Jahres den Nachtragshaushalt 2010 der rot-grünen Regierung für verfassungswidrig. Damit scheiterte auch der Versuch, eine dramatische Erhöhung der Neuverschuldung als "Abschlussbilanz" von Schwarz-Gelb zu deklarieren.

Teuer zu stehen kommt der Landesregierung auch das von ihren Vorgängerinnen verschiedener Couleur angerichtete Desaster der Westdeutschen Landesbank (WestLB). "Eine Zerschlagung der WestLB ist nicht akzeptabel", hatten SPD und Grüne noch in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Ein Jahr später steht genau diese Zerschlagung jetzt bevor. "Das ist ein Prozess, den wir uns nicht gewünscht hatten", räumt Kraft ein.

Dass die SPD dann noch äußerst dilettantisch und vergeblich versuchte, das WestLB-Restrukturierungskonzept Ende vergangenen Monats per erschwindelter rot-grüner Mehrheit durchs Parlament zu bringen, hat der Regierung einige Schrammen zugefügt. Der Bruch des mit der CDU vereinbarten Pairing-Abkommens, bei dem in einem Krankheitsfall der einen Fraktion die andere ebenfalls einen Abgeordneten zurückzieht, sorgte für eine völlig unnötige Vergiftung des Klimas.

"Wer viel arbeitet, macht sicher auch Fehler", gab sich Kraft selbstkritisch. Die derzeitigen Mehrheitsverhältnisse erforderten einen "konstruktiven Dialog" von Regierung und Opposition. "Beiden Seiten gelingt das nicht immer."


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