20.07.2011

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taz

 Rot-Grün kippt die Schule für Alle
Von Pascal Beucker

BILDUNG Schulkonsens in Nordrhein-Westfalen: SPD, Grüne und CDU erfinden eine weitere Schulform. Gegliedertes System kommt in die Verfassung.

Nordrhein-Westfalens Schullandschaft wird bunter. Das ist das Ergebnis des "Schulkonsenses", auf den sich die rot-grüne Minderheitsregierung mit der CDU-Opposition verständigt hat. Danach kommt zu den bestehenden Schulformen jetzt noch eine weitere hinzu: die "Sekundarschule". Ohne Oberstufe ausgestattet, soll mit ihr als Alternative zur Haupt- und Realschule den sinkenden Schülerzahlen begegnet werden. Ein integriertes Schulsystem soll es hingegen nicht geben.

Von einer "historischen Verständigung" sprach Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) am Dienstag in Düsseldorf: "Wir haben für Nordrhein-Westfalen einen Schulfrieden für die nächsten zwölf Jahre geschlossen." Auch die grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann übte sich in Politprosa: "Es geht darum, Kontinuität zu wahren und Aufbruch zu ermöglichen."

Die Jubelarien Krafts und Löhrmanns auf der Pressekonferenz mit den Landes-CDU-Fürsten können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rot-Grün große Kröten schlucken musste. Zwar soll die Hauptschule nicht länger in der Landesverfassung verankert sein, ersetzt wird der entsprechende Passus jedoch durch eine Festschreibung des Status quo: "Das Land gewährleistet in allen Landesteilen ein ausreichendes und vielfältiges öffentliches Bildungs- und Schulwesen, das ein gegliedertes Schulsystem, integrierte Schulformen sowie weitere andere Schulformen umfasst." Damit verabschieden sich SPD und Grüne von ihrem Traum einer Schule für Alle. Diese sollte ein längeres gemeinsames Lernen mit individueller Förderung kombinieren, damit auch die Talente der sozial benachteiligten Kinder gefördert werden.

Vorbei. "Es wird definitiv in Nordrhein-Westfalen keine Einheitsschule geben", freute sich CDU-Landeschef Röttgen. Das sei ein "Ergebnis, hinter dem man stehen kann". Der Konsens werde "Bedeutung auch über Nordrhein-Westfalen hinaus" haben, so Röttgen zuversichtlich. Auch CDU-Landtagsfraktionschef Laumann lobte die Einigung: "Da ist verdammt viel CDU drin."

Neben der neuen Sekundarschule werden in NRW auch künftig weiterhin Haupt- und Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, Berufskollegs und Förderschulen - "soweit sie trotz Inklusion erforderlich sind" - existieren. "Von Landesseite wird keine Schulform abgeschafft", heißt es in der rot-grün-schwarzen Vereinbarung.

Die Sekundarschule muss mindestens dreizügig sein. In Jahrgang 5 und 6 wird gemeinsam gelernt. Ab der 7. Klasse kann in getrennten Bildungsgängen unterrichtet werden. Sie werde in ihrem Aufbau der Gesamtschule "sehr ähnlich" sein, erläuterte Ministerpräsidentin Kraft. Der große Unterschied: Sie umfasst keine eigene gymnasiale Oberstufe. Damit beinhalte die gefundene Einigung eine "Systemstärkung der Gymnasien", sagte Röttgen.

Der Weg von der Sekundarschule zum Abitur soll durch "verbindliche Kooperation" mit einem Gymnasium, Berufskollegs oder einer Gesamtschule sichergestellt werden. Der Bildungsgang über eine Sekundarschule zum Abitur dauert allerdings ein Jahr länger als am Gymnasium.


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