15.09.2011

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 PORTRÄT: Er liebt es diplomatisch
Von Pascal Beucker

Seine Nominierung viel einstimmig aus: Nach dem Willen der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament soll ihr bisheriger Vorsitzender Martin Schulz neuer EU-Parlamentspräsident werden. Damit kann sich der rheinische SPD-Abgeordnete auf die Krönung seiner politischen Karriere freuen: Aufgrund eines Deals mit der mit der Europäischen Volkspartei EVP dürfte seine Wahl am 17 Januar 2012 zum Nachfolger des konservativen Polen Jerzy Buzek nur eine Formsache sein.

Seit 1994 sitzt Schulz im Europaparlament. Ins öffentliche Rampenlicht trat er am 2. Juli 2003 - dank Silvio Berlusconi. Bei seinem Antrittsbesuch als EU-Ratspräsident konterte Italiens Ministerpräsident kritische Nachfragen von Schulz mit einem „Witz“: In Italien werde gerade ein Film über Konzentrationslager gedreht und er wolle den Sozialdemokraten „für die Rolle des Kapo vorschlagen“, sagte Berlusconi im Europaparlament. „In dieser Rolle wären Sie perfekt, Herr Schulz."

Die Aufregung war groß, eine Entschuldigung lehnte Berlusconi jedoch ab. Vielleicht sollte er Schulz "lieber eine Rechnung schicken", spottete der italienische Premier. Schließlich habe er "den EU-Parlamentarier erst bekannt gemacht". Was stimmt.

Bis heute zieht der ehemalige Friedensaktivist NS-Vergleiche scheinbar magisch an: Erst im November vergangenen Jahres flog der Brite Godfrey Bloom aus dem Plenum, nachdem Schulz von dem europafeindlichen Abgeordneten als „Führer“ und "undemokratischer Faschist" beschimpft worden war.

Schulz stammt aus Würselen, einer Kleinstadt in der Nähe von Aachen. Sein Vater war Polizist, seine Mutter eine der Mitbegründerinnen der örtlichen CDU. Mit 19 Jahren trat er in die SPD ein, mit 31 Jahren wurde er 1987 Bürgermeister seiner Heimatstadt. Dann zog es den „Kissinger von Würselen“, wie er einst wegen seiner Ambitionen bezeichnet wurde, in die große, weite Welt: nach Brüssel und Straßburg.

Im EU-Parlament machte er sich einen Namen als scharfzüngiger und streitlustiger Redner. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er eigentlich ein bürgerlicher Sozialdemokrat ist, der im Bundestag wohl dem Seeheimer Kreis angehören würde. Hinter den Kulissen liebt er es diplomatisch. So wettere Schulz zwar vehement gegen die Mediengesetze in Ungarn, votierte jedoch mit den Konservativen gegen eine ungarnkritische Resolution der Grünen. „Weil er deren Stimmen bei der Präsidentenwahl braucht“, wie sich Grünen-Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit empörte.


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