05.11.2011

Startseite
taz

 Mit gutem Gewissen austreten
Von Pascal Beucker

CHRISTEN Das "Jahr des Kirchenaustritts" neigt sich seinem Ende zu. Religionskritische Verbände hatten mit dieser Kampagne das Finanzgebaren der Kirchen angeprangert.

Kirchenaustrittsjahr"Die Resonanz war doch ganz erstaunlich", resümiert der Politikwissenschaftler Frank Welker. Er ist einer der Organisatoren des "Jahres des Kirchenaustritts", das in diesen Tagen zu Ende geht. Mit ihrer Kampagne unter dem Motto "Mehr Netto, mehr Freiheit, mehr Solidarität" wollten mehrere religionskritische Organisationen darüber aufklären, dass soziales Verantwortungsbewusstsein allein kein Grund ist, in der Kirche zu bleiben.

Mit Flugblättern, Plakaten und Zeitungsanzeigen protestierten sie gegen das Finanzgebaren der Kirchen und warben für den Kirchenaustritt. Das war nicht immer einfach: So lehnten mehrere Tageszeitungen die von dem Düsseldorfer Künstler Jacques Tilly gestalteten Anzeigen ab, berichtet Rainer Ponitka vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA). Die Mittelbayerische Zeitung etwa habe "ethische Gründe" ins Feld geführt. "Unser Haus ist grundlegend christlich, unser Kerngebiet ist Bischofssitz und selbst der Hl. Papst Benedikt XVI. in Rom hat unsere Zeitung abonniert", teilte sie dem Konfessionslosenverband mit.

Neben dem IBKA gehören die Giordano Bruno Stiftung (gbs), der Bund für Geistesfreiheit (bfg) Bayern und der Aschaffenburger Alibri Verlag zu den Unterstützern der Aktion. Mit ihrer Kampagne wollten sie jene Menschen erreichen, die immer noch einer Kirche angehörten, "obwohl sie mit dem Christentum nur noch wenig am Hut haben". Davon gibt es nicht wenige. So ordneten sich laut einer Allensbach-Umfrage von 2009 nur 17 Prozent der deutschen Katholiken als "Gläubige Kirchennahe" und 37 Prozent als "Kritische Kirchenverbundene" ein. Fast die Hälfte bezeichnet sich dagegen als distanziert, unsicher oder nicht religiös.

"Wichtig war für uns, deutlich zu machen, dass die Kirchen mit ihren Kirchensteuern nicht so viel Gutes tun, wie sie behaupten", sagt Frank Welker. Ein Kirchenaustritt lohne sich für alle, argumentiert er. Seine einfache Rechnung: Ein Normalverdiener mit einem Bruttogehalt von 25.000 Euro könne durch einen Kirchenaustritt etwa 170 Euro im Jahr sparen. Wenn nur die Hälfte des eingesparten Geldes direkt an soziale Organisationen gespendet würden, diene dies dem Allgemeinwohl mehr als eine Kirchenmitgliedschaft.

Tatsächlich geben die beiden großen Kirchen nur rund 10 Prozent ihrer Einnahmen aus Kirchensteuern für öffentliche soziale Zwecke aus - Tendenz fallend. Ihre Krankenhäuser und Altenheime werden aus den Töpfen der Sozialversicherungen finanziert, bei anderen Einrichtungen wie Kindergärten ist die kirchliche Kostenbeteiligung gering. Man erziehe zwar im kirchlichen Sinne, lasse aber den Staat in der Regel 80 bis 100 Prozent der Kosten übernehmen, erläutert Welker. Insgesamt würden die Kirchen Jahr für Jahr mit Milliardenbeträgen aus der öffentlichen Hand bezuschusst.

Seit 1990 verabschieden sich jährlich mehr als 200.000 Menschen aus den beiden Großkirchen. Derzeit gehören noch 24,1 Millionen Menschen der evangelischen und 24,6 Millionen der katholischen Kirche an. Die Angehörigen evangelischer Freikirchen (rund 300.000), orthodoxer Kirchen (1,2 Millionen) sowie anderer christlicher Kirchen (33.000) hinzugezählt, gehören noch 62 Prozent der Gesamtbevölkerung einer christlichen Kirche an - ein historisches Tief.

Und warum endet das "Kirchenaustrittsjahr" jetzt ausgerechnet am 11. 11.? Das habe etwas mit dem Beginn der närrischen Jahreszeit und dem Künstler Jacques Tilly zu tun. Denn der sei schließlich nicht nur Atheist, sondern auch noch der führende Karnevalswagenbauer für den Düsseldorfer Rosenmontagszug. "Außerdem ist die Kirche ja auch irgendwie so ein Karnevalsverein. Darum passt das", schmunzelt Welker.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen bei dem Autoren. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autoren.