10.05.2012 |
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„Gemobbt und ausgegrenzt“ |
Von Pascal Beucker |
Die Chancen für die Linkspartei in
Nordrhein-Westfalen sinken. Auch weil ihr Personal immer öfter zu den
Piraten überläuft Ob er zurück zur Linkspartei will? Ali Kaya muss
nur kurz überlegen. „Überhaupt nicht“, antwortet er. „Unsere
Entscheidung haben wir nicht bereut.“ Anfang des Jahres bescherten der
45 Jahre alte Kaufmann und sein politischer Mitstreiter Matthias
Fischer der Piratenpartei die erste Stadtratsfraktion in
Nordrhein-Westfalen. Auf Kosten der Linkspartei, die jetzt in Werl
nicht mehr parlamentarisch vertreten ist. Zusammen mit den beiden
Ratsherren heuerten im größten Marienwallfahrtsort im Erzbistum
Paderborn fast alle Aktiven des bisherigen Linkspartei-Ortsverbandes
bei den Piraten an. Der Werler Aderlass ist für die Linkspartei kein
Einzelfall. Zahlreiche Aktivisten, darunter etliche Mandatsträger,
haben der Partei in Nordrhein-Westfalen mittlerweile den Rücken
gekehrt. In vielen Kreisverbänden kracht es kräftig. Auch das macht es
der Partei bei der Landtagswahl am 13. Mai so schwer, den Wiedereinzug
ins Düsseldorfer Parlament zu schaffen. Einem Experiment droht das Ende – und zwar genau
dort, wo es angefangen hat. Es waren jene 2,2 Prozent, die die
Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) bei der
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 einfahren konnte, die die
WASG erst zum Objekt der Begierde für die im Westen jenseits der
Wahrnehmungsgrenze dümpelnde PDS machte. Und ohne diesen
Achtungserfolg hätte sich wohl auch Oskar Lafontaine nie auf das
Wagnis Linkspartei eingelassen. Als die Linke beim Urnengang 2010 mit
5,6 Prozent den Sprung in den Landtag schaffte, galt das als der
Durchbruch im Westen. Nur Einzelfälle – aber viele Der Landesverband steht denn auch wie kein anderer
für das Projekt „Die Linke“. Doch die Euphorie der Anfangsjahre ist
weitergezogen – hin zu den Piraten, die jetzt von jener
Aufbruchstimmung beflügelt werden, die früher die Linke trug. Bei den vergangenen beiden Landtagswahlen war
Rainer Sauer noch selbst mit dabei. 2005 trat der Ex-SPDler für die
von ihm mitgegründete WASG an, nach der Fusion mit der PDS kandidierte
der frühere Gewerkschaftssekretär 2010 für die Linkspartei. Ende März
ist er als Vorsitzender im Stadtverband Bocholt zurück- und zusammen
mit vier Getreuen aus der Partei ausgetreten. Seine Frau Bärbel nahm
ihr Stadtratsmandat mit. Nun bereiten sie sich mit der neuen
„Initiative für soziale Gerechtigkeit“ auf die Kommunalwahl 2014 vor. Es sind nicht die großen politischen Linien, die
zum Zerwürfnis der Sauers mit der Linkspartei geführt haben. Die
Gründe sind lokaler Natur. Die Rede ist von „schweren Anfeindungen
durch Mitglieder dieses Kreisvorstandes“, der die Arbeit des
Stadtverbandes „systematisch bekämpft“ habe. Es geht wohl nicht
zuletzt um persönliche Animositäten. So wie in etlichen Orten, wo
einfach die Chemie nicht stimmte. Ob in Gelsenkirchen, Herne oder
Leverkusen: Auf gut 30 schätzt Rainer Sauer die Zahl der
Linkspartei-Fraktionen, welche die Partei in NRW inzwischen ganz oder
teilweise verlassen haben. Diese Zahl will der Landessprecher der Linken,
Hubertus Zdebel, nicht bestätigen. Er spricht lieber von „singulären
Ereignissen“ aufgrund von „örtlichen Problemen“. Aber auch er
bestreitet nicht eine „immense Fluktuation“ innerhalb der
Mitgliedschaft. „Das gehört zu der schwierigen Phase, in der sich die
Partei befindet“, sagt Zdebel. Ohne Rücksicht auf Verluste Die Linkspartei zahlt nun den Preis für ihr
rasantes Wachstum: Als sich WASG und Linkspartei im Sommer 2007
vereinigten, hatten sie in Nordrhein-Westfalen zusammen gerade einmal
4.500 Mitglieder. Nur zwei Jahre später waren es bereits 8.200. Zu den
Kommunalwahlen im Sommer 2009 trat die Partei mit mehr als 4.200
Kandidaten an. Nach der Landtagswahl 2010 zählte der Landesverband
knapp 9.000 Mitglieder. Doch seitdem geht es bergab. Mittlerweile sind
es nur noch 7.900, Tendenz fallend. Um einige der verlorenen
Mitglieder sei es schade, sagt Zdebel. Bei anderen sei er aber auch
froh, dass sie gegangen sind. Zdebel meint damit jene Karrieristen,
Politdesperados und Querulanten, die die Aussicht auf Posten und
Mandate in die Partei spülte. Manche sind inzwischen zu neuen Ufern
aufgebrochen, zu den Piraten etwa. Doch das wäre eine zu einfache
Erklärung für den Mitgliederschwund. Es ist auch das fehlende
Konfliktmanagement. Da werden selbst läppische Konflikte mit härtesten
Bandagen und ohne Rücksicht auf Verluste ausgefochten. Die Partei sei
dabei, „sich selber zu zerlegen“, beklagte die Erwerbslosenaktivistin
Margit Marion Mädel, Gründerin des Sozialen Zentrums Höxter, in ihrem
Austrittsschreiben. Mitglieder würden „gemobbt, diffamiert,
denunziert, beleidigt, ausgegrenzt“. In wohl allen westlichen Landesverbänden gibt es
ähnliche Probleme im Umgang miteinander. Von einem komplizierten
Konsolidierungsprozess spricht Zdebels Co-Sprecherin Katharina
Schwabedissen. „Was wir versäumt haben, ist, kontinuierlich
Parteiaufbau vor Ort zu machen“, räumt sie ein. Die Partei müsse „eine
Alltagspartei werden und das gleichzeitig verbinden mit
parlamentarischer Arbeit, das ist noch ein langer Weg“. Die Frage ist nur, ob sie noch genug Zeit für diesen Weg hat. Im Fall des nicht gerade unwahrscheinlichen Scheiterns bei der Landtagswahl am Sonntag steht das gesamte Westprojekt auf der Kippe. Doch Spitzenkandidatin Schwabedissen gibt sich auch nach dem 2,2-Prozent-Desaster in Schleswig-Holstein unverdrossen zuversichtlich: „Das wird total eng, aber wir schaffen es.“ Und wenn nicht? „Die Grünen sind auch immer wieder aus Landtagen herausgeflogen und haben sich wieder berappelt“, sagt Schwabedissen. |
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