Jahrgang 2012 / Ausgabe 09 / 01.03.2012 |
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Die Gegenkandidatin |
Von Pascal Beucker |
Beate Klarsfeld tritt an. Es war eigentlich nur so dahingesagt, wie so
manches in der Linkspartei. Wortreich entrüstete sich deren
Vorsitzende Gesine Lötzsch am Karnevalssonntag, dass das
Bundespräsidialamt es mal wieder abgelehnt hatte, Beate Klarsfeld
mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen. Dann sagte sie auf dem Parteitag der
Brandenburger Linken jenen Satz, der eine unerwartete Eigendynamik
entwickeln sollte: »Wenn ich mir eine Bundespräsidentin wünschen
dürfte, dann wäre es eine Frau wie Beate Klarsfeld.« Womit sie nicht
gerechnet hatte: Aus dem fernen Paris rief Klarsfeld Lötzsch an und
erklärte ihre Bereitschaft zur Kandidatur. ZWEIFEL Am Montag wurde die
73-Jährige vom Vorstand der Linkspartei als Herausforderin von
Joachim Gauck nominiert. Klarsfeld stehe für Antifaschismus, Mut,
soziale Verantwortung und »für das Aufbegehren gegen die
herrschenden Verhältnisse«, begründete Lötzschs Co-Vorsitzender
Klaus Ernst die Entscheidung. Sie habe »ohne zu zögern daran erinnert, dass
Deutschland eine besondere Verantwortung für Israel und die
Verteidigung des Existenzrechts des jüdischen Staates hat – übrigens
genau so, wie es im Parteiprogramm der Linken formuliert ist, um da
jedem Zweifel sofort zu begegnen«. Die Zweifel sind berechtigt. Klarsfelds
entschiedenes Eintreten für Israel stößt manchem »Antizionisten« in
der Partei übel auf. Deren publizistisches Flaggschiff, die »junge
Welt«, nennt sie eine »glatte Fehlbesetzung«. Das einstimmige Vorstandsvotum darf denn auch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entscheidung für Klarsfeld
innerparteilich nicht unumstritten war. Der Kölner Armutsforscher
Christoph Butterwegge und die Frankfurter Bundestagsabgeordnete Luc
Jochimsen wurden gehandelt, ein Boykott diskutiert. Eine quälend
lange Woche brauchte die Partei, um sich schließlich doch auf
Klarsfeld zu verständigen. OHRFEIGE Für die Linkspartei ist
das ein Glücksfall. Denn die Biografie Klarsfelds ist beeindruckend.
1939 in Berlin geboren, zog sie 1960 als Au-pair-Mädchen nach Paris.
Hier lernte sie den Jurastudenten Serge Klarsfeld kennen. 1963
heiratete sie den französischen Juden, dessen Vater in Auschwitz
ermordet wurde. »Er hat mir die Augen geöffnet«, wird sie später
sagen. Für weltweites Aufsehen sorgte Beate Klarsfeld, als sie 1968
auf einem CDU-Bundesparteitag in Berlin dem Bundeskanzler Kurt Georg
Kiesinger mit den Worten »Nazi, Nazi, Nazi!« eine Ohrfeige
verpasste. Noch am selben Tag wurde sie in einem
Schnellverfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die Strafe
wurde im Berufungsverfahren auf vier Monate zur Bewährung reduziert.
Zwei Monate erhielt Klarsfeld einige Jahre darauf – ebenfalls
ausgesetzt zur Berufung –, weil sie 1971 zusammen mit ihrem Mann
versucht hatte, den unbehelligt in Köln lebenden früheren
SS-Obersturmbannführer und Gestapo-Chef Kurt Lischka zu entführen
und an die französische Justiz auszuliefern. Auch zahlreiche andere NS-Verbrecher wie Alois
Brunner, Ernst Ehlers, Kurt Asche, Walter Rauff oder Josef Mengele
nahmen die Klarsfelds ins Visier. Zu der Auslieferung von Klaus
Barbie von Bolivien an Frankreich wäre es wohl ohne ihren Einsatz
nicht gekommen. Die Verfolgung und Bestrafung von Nazis ist eine
Seite von Klarsfelds Engagements. Die andere war und ist das
Erinnern an die Opfer. So gab das Ehepaar ein Gedenkbuch heraus, in
dem die Namen von 80.000 Opfern der Schoa in Frankreich dokumentiert
sind, und initiierte eine Wanderausstellung auf 18 französischen
Bahnhöfen mit Fotos der über 11.400 aus Frankreich deportierten
jüdischen Kinder. Nach einigem Widerstand der Deutschen Bahn ist die
Ausstellung seit 2008 unter dem Titel »Sonderzüge in den Tod« auch
auf deutschen Bahnhöfen zu sehen gewesen. RENOMEE Es gibt zwei Spielfilme
über Beate Klarsfelds Leben. In Israel erhielt sie die
Tapferkeitsmedaille der Ghettokämpfer und den Golda-Meir-Preis. Die
Knesset schlug sie sogar für den Friedensnobelpreis vor. »Frau
Klarsfeld ist eine starke und anerkannte Frau«, kommentierte der
Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, ihre
Nominierung für das Bundespräsidentenamt. »Wer sich sein ganzes Leben lang der Aufarbeitung
von NS-Verbrechen, der Verantwortung und dem Gedenken an die Schoa
widmet, ist für mich ohne Zweifel eine bemerkenswerte
Persönlichkeit«, sagte er. »Und wenn ihr enthusiastisches Engagement
für Israel nun sogar auch noch ein wenig auf die Linkspartei
abfärben könnte, wäre das ganz besonders schön.« |
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