12.01.2012

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Jungle World

 Geld und Nerven
Von Pascal Beucker

Als Ministerpräsident hätte Christian Wulff seinen Posten wegen der Kreditaffäre längst verloren. Für Bundespräsidenten gelten andere Regeln.

Er nervt, und zwar gewaltig. Und es steht zu befürchten, dass Christian Wulff auch noch länger als Bundespräsident nerven wird. Ein Karrierist in seiner Position geht nicht mit 52 Jahren freiwillig in den Vorruhestand. Zumindest nicht, solange ihm kein offensichtlicher Gesetzesverstoß unzweifelhaft juristisch nachgewiesen werden kann. Da mag seine Glaubwürdigkeit angeschlagen sein, sein Krisenmanagement katastrophal wirken und in den Medien schon eifrig nach potentiellen Nachfolgern gesucht werden. Solche Spekulationen sind nichts weiter als mediale Beschäftigungstherapie. Als Ministerpräsident wäre Wulff längst weg, so wie einst die Amigo-Freunde Max Streibl oder Lothar Späth. Aber für einen Bundespräsidenten gelten andere Regeln. Wulff spielt auf Zeit und kann auf die restmonarchische Stimmung „im Volke“ bauen, bei dem schon Ermüdungserscheinungen eintreten. Viele sehen Wulff als Opfer einer „Medienhetze“. Daran wird auch sein Scharmützel mit der Bild-Zeitung nichts ändern, im Gegenteil. Dem Boulevardblatt droht in kurzer Zeit die zweite schwere Niederlage: Erst hat es Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister nicht halten können, nun gelingt es ihm nicht, Christian Wulff aus dem Amt zu vertreiben.

„Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten“, hat einmal der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner das „Prinzip Bild“ erklärt. Wulff ist lange mit der Bild-Zeitung nach oben gefahren – und der Christdemokrat mit dem Image des Schwiegersohns hätte es wohl ohne die exklusiven Homestories mit Überschriften a là „Liebes-Glück unterm Dach: CDU-Wulff und seine schöne Bettina“ nicht bis ganz oben geschafft. Dass die Bild-Zeitung auch anderes als konservative Hofberichterstattung kann, scheint Wulff nie in den Sinn gekommen zu sein. Anders sind seine empörten Anrufe bei Chefredakteur Kai Diekmann, Vorstandschef Döpfner und wohl auch Mehrheitsaktionärin Friede Springer am 12. Dezember nicht erklärbar. Dass er bei seinem als „Befreiungsschlag“ geplanten Fernsehinterview am 4. Januar einen Streit mit der Bild-Zeitung darüber provozierte, welche Botschaft er auf Diekmanns Mailbox hinterlassen hat, war eine Eselei. Zu seinem Glück dürfte das Possenspiel ausgehen wie das Hornberger Schießen. Wer sich das Protokoll von Wulffs Anruf „auf dem Weg zum Emir“ durchliest, wird Wulffs Behauptung nicht widerlegt finden, er habe um eine eintägige Verschiebung des für ihn unangenehmen Artikels über seine Kreditgeschäfte gebeten. Und zugleich kann nach der Lektüre kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass es ihm eindeutig darum ging, die Veröffentlichung zu verhindern. Wulff hat also nicht gelogen. Nur nicht die Wahrheit gesagt.

Tarnen, tricksen, täuschen – nach dieser Methode verfährt Wulff in der ganzen Affäre. Von Anfang an muss ihm bewusst gewesen sein, dass der von ihm gewählte Weg zur Finanzierung seiner Spießeridylle in Großburgwedel nicht koscher ist. Anders ergibt die Mühe keinen Sinn, die er sich gemacht hat, um die Geldflüsse zu verschleiern. Sonst hätte er sich im Oktober 2008 die benötigten 500.000 Euro direkt von seinem „väterlichen Freund“ Egon Geerkens geliehen und nicht den formalen Umweg über Edith Geerkens genommen, obwohl das Geld nach aller Lebenserfahrung von dem Unternehmer und nicht von seiner Frau stammt. Sonst hätte sich Wulff nicht im November 2008 die Darlehenssumme per anonymen Bundesbankscheck auszahlen lassen, bei dem weder Geldgeber noch Empfänger zu sehen ist. Sonst hätte der damalige niedersächsische Ministerpräsident nicht im Februar 2010 im hannoverschen Landtag auf Anfrage der Grünen nur erklärt, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Geerkens „in den letzten zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen“ gegeben habe, sondern den Kredit erwähnt. Sonst hätte er nicht im März 2010 den Privatkredit durch ein Darlehen bei der BW-Bank ersetzt. Sonst hätte Wulff dem Spiegel bereits im Dezember 2010 freiwillig Einsicht ins Grundbuch gegeben, anstatt das Hamburger Nachrichtenmagazin bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe ziehen zu lassen. Sonst hätte sein inzwischen geschasster Sprecher Olaf Glaeseker nicht dem Stern im Februar 2011 die irreführende Auskunft erteilt, Kreditgeber „war und ist“ die BW-Bank. Dass Glaeseker letztlich einem Redakteur der Bild-Zeitung Anfang Dezember 2011 Einsicht in den Kreditvertrag zwischen Wulff und Geerkens gewährte, geschah auch nur aus der Not heraus – und verbunden mit der Forderung, den Namen der Kreditgeberin nicht zu nennen. Weswegen sich denn auch Wulff bei seinem Telefonat mit der Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann bitter beklagte: „Ich habe alles offengelegt, Informationen gegeben, mit der Zusicherung, dass die nicht verwandt werden.“ Trotzdem würden diese „jetzt indirekt verwandt, das heißt, ich werde auch Strafanzeige stellen gegenüber Journalisten morgen, und die Anwälte sind beauftragt“.

Mit der Offenbarung des Namens von Edith Geerkens gegenüber Bild wollte Wulff dem Boulevardblatt zeigen, dass es ebenso wie Spiegel und Stern falsch liege. Denn deren Rechercheure gingen bis dahin einem Gerücht nach, das in niedersächsischen Unionskreisen kursierte: Es sei Carsten Maschmeyer gewesen, der Wulffs Traum vom Eigenheim realisiert habe. Das war zwar eine falsche, aber nicht unbedingt abwegige Fährte, schließlich ist der Gründer des Finanzvertriebs AWD bekannt für sein großes Herz für notleidende Politiker. Dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder planierte er 1998 anonym mit einer 650 000 D-Mark teuren Zeitungswerbekampagne den Weg ins Kanzleramt. Und nachdem der „Genosse der Bosse“ 2005 dort wieder ausgezogen war, kaufte Maschmeyer ihm die Vermarktungsrechte an dessen Memoiren „Entscheidungen“ ab, dem Vernehmen nach für eine Million Euro.

Seit er eine wichtige Rolle in der niedersächsischen Politik spielt, verbindet auch Wulff eine enge „Freundschaft“ mit dem Multimillionär. Sie dürfte auch der Grund gewesen sein, warum Maschmeyer völlig uneigennützig pünktlich zum Landtagswahlkampf 2007 für 42 731 Euro Anzeigen in niedersächsischen Tageszeitungen spendierte, in denen für Wulffs Gesprächsband „Besser die Wahrheit“ geworben wurde. Bescheiden wie er ist, verzichtete der Finanzmagnat auch hierbei darauf, öffentlich in Erscheinung zu treten. Die Anzeigen schaltete offiziell der Verlag Hoffmann und Campe, der sich die Beträge dann von Maschmeyer zurückholte. Den Rechnungsgrund „Anzeigen“ änderte der Verlag auf Rechnungen vom 30. Oktober und 2. November 2007 in „Beratungsleistungen“ ab, auf Wunsch Maschmeyers. Der Deal sei „ein absolut normaler Vorgang“ gewesen, beteuert der damalige Hofmann-und-Campe-Manager Manfred Bissinger, der als Geschäftsführer des Bereichs Corporate Publishing verantwortlich für Buch und Werbekampagne war. Wulff habe davon nichts erfahren: „Niemand sah die Notwendigkeit, das zu kommunizieren.“ Über seine Anwälte lässt auch der heutige Bundespräsident versichern, ihm sei von den Zahlungen Maschmeyers „bis zu den entsprechenden Medienveröffentlichungen nichts bekannt“ gewesen. Dabei hätten die beiden Freunde genug Zeit gehabt, sich über das Werbemanöver zu unterhalten, beispielsweise auf einer von Maschmeyers Partys, auf denen die Wulffs zu den Stammgästen gehören. Oder bei ihrem Aufenthalt in Maschmeyers 4.272 Quadratmeter großer Ferienanlage „Paradise Castle“.

Sein Trip nach Mallorca im Juli 2010, den er auf Anraten Maschmeyers selbst bezahlt haben soll, war Wulffs erste Urlaubsreise als Bundespräsident – und brachte ihm einige unerfreuliche Schlagzeilen ein. Von daher ist es erklärlich, dass der Christdemokrat keinerlei Interesse daran hatte, dass auch noch sein Hauskredit in Verbindung mit dem schmierigen Unternehmer gebracht wird. Was Wulff allerdings dazu bewogen hat, auch die angebliche Generosität Edith Geerkens derartig vor der Öffentlichkeit verbergen zu wollen, dass er der Bild-Zeitung sogar mit einer Strafanzeige bei Veröffentlichung des Namens drohte, bleibt bisher sein Geheimnis. Er „möchte nicht Präsident in einem Land sein, wo sich jemand von Freunden kein Geld mehr leihen kann“, sagte Wulff im Interview mit ARD und ZDF. Die Frage, warum von einem solchen Freundschaftsdienst niemand erfahren soll, hat er bislang nicht beantwortet.

Falls nicht noch weitere, bisher unbekannte Details seines Geschäfts mit den Geerkens bekannt werden, gibt es nur eine logische Erklärung für Wulffs Verhalten: Er hat seinerzeit seinen ganz eigenen Schluss aus dem Sturz des Sozialdemokraten Gerhard Glogowski gezogen: Bloß nicht erwischen lassen! Im Oktober 1998 als Nachfolger Schröders angetreten, musste Glogowski bereits im November 1999 vom Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten zurücktreten, weil er den Verlockungen des Kapitals erlegen war. „Was ist dabei, wenn sich ein Ministerpräsident von guten Freunden etwas schenken lässt“, rechtfertigte sich der „Genosse Genießer“ vergeblich. „Es darf nicht der Eindruck entstehen und bleiben, eine Hand wische dort die andere und es sei alles miteinander verwoben zum jeweiligen Vorteil des Ministerpräsidenten“, ereiferte sich Wulff, damals CDU-Oppositionsführer. Es müsse schon „der Anschein von Korrumpierbarkeit, von Abhängigkeiten, von Sponsoring von Politik und Politikern vermieden werden“. Glogowski fehle jene „Grundsensibilität“, deswegen besitze er letztlich auch nicht „die Voraussetzungen für die Würde des Amtes des Ministerpräsidenten“.

Auch in diesen Tagen ist viel von der „Würde des Amtes“ die Rede, die nicht beschädigt werden dürfe. „Aus Respekt vor dem Amt sollte die Diskussion unverzüglich eingestellt werden“, forderte beispielsweise die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt. Stets haben diejenigen, aus deren Reihen das formale Staatsoberhaupt kam, versucht, den Bundespräsidenten für sakrosankt und Kritik an ihm zur Majestätsbeleidigung zu erklären. Und immer wieder haben die anderen darauf so gekontert, wie nun der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ulrich Kelber: „Wulff hat das Amt des Bundespräsidenten so beschädigt, dass er darin nicht verbleiben kann.“ Als Johannes Rau im Jahr 2000 wegen der West-LB-Flugaffäre in Bedrängnis geriet, war es genau anders herum. Die SPD solle „Johannes Rau zurückziehen“, forderte Wulff damals. Es sei „tragisch, dass Deutschland in dieser schwierigen Zeit keinen unbefangenen Bundespräsidenten hat, der seine Stimme mit Autorität erheben kann“. Heute könne er „Rau besser verstehen“, sagt Wulff inzwischen.

Bei seinem Versuch der Affärenbewältigung orientiert sich Wulff an seinem sozialdemokratischen Vorvorgänger – wozu auch gehört, dass er sich mittlerweile dessen anwaltlichen Troubleshooter Gernot Lehr an die Seite geholt hat. Der 54jährige Sohn der ehemaligen Bundesfamilienministerin Ursula Lehr (CDU) gilt als gewiefter Medienrechtler, der nicht nur Rau erfolgreich vertreten hat. Wenn nicht noch irgendwelche neuen Enthüllungen auf den Tisch kommen, stehen seine Chancen auch im Fall Wulff gut. Dann könnte Wulff leider richtig mit seiner Zuversicht liegen, „dass dieses Stahlgewitter bald vorbei“ und in einem Jahr „alles vergessen ist“.

Das Amt und die Republik haben schon ganz andere ausgehalten – von Theodor Heuss, der als Reichstagsabgeordneter 1933 Hitlers Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatte, über den an Demenz leidenden und als Lachnummer in Erinnerung gebliebenen Heinrich Lübke bis hin zum NSDAP- und SA-Mitglied Karl Carstens. Dessen hervorstechendstes Merkmal als Bundespräsident war seine Wanderleidenschaft, weswegen ihm Wolf Biermann seinerzeit auch ein „Deutsches Wanderlied“ widmete: „Heil Hitler! Teurer Wandersfreund / Wie geht es Ihren Füßen? / Ich soll Sie von Herrn Filbinger / Mit Deutschem Gruße grüßen.“ Carstens ist heute zum Glück längst vergessen. Von seinem Vorgänger Walter Scheel, während des „Tausendjährigen Reiches“ ebenfalls Parteigenosse, ist nichts weiter in Erinnerung geblieben als sein „Hoch auf dem gelben Wagen“. Und von der Amtszeit des Cholerikers Horst Köhler wird in ein paar Jahren in der Rückschau auch nur noch sein spektakulärer wie peinlicher Rücktritt übrig sein. Selten in der Geschichte der Bundesrepublik ließ sich über deren höchsten Repräsentanten sagen, es handele sich wirklich um eine honorige Persönlichkeit – und auch dann waren die Meinungen noch geteilt, wie im Fall des ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, dem die Konservativen nie verziehen haben, dass er aus Protest gegen die Wiederbewaffnung einst Adenauers Kabinett und Partei verließ.

Gleich wer in der Villa Hammerschmidt oder im Schloss Bellevue residierte, eine Frage konnte keiner der mittlerweile zehn Amtsinhaber je überzeugend beantworten: Warum es eigentlich überhaupt eines Bundespräsidenten bedarf. Sie wünsche sich „einen starken Präsidenten, der moralische Autorität ist“, sagte die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth. Aber wozu? Um sich einige wenige kluge, jedoch in der Regel belanglose oder bisweilen auch ärgerlich reaktionäre Reden anzuhören, wie Roman Herzogs „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“, bedarf es dieses aus gutem Grund machtlos gemachten Überbleibsels aus vordemokratischen Zeiten nicht. Solche Reden könnten die Herren, die sich dazu berufen fühlen, auch so halten. Den Bundespräsidenten abzuschaffen, würde Geld sparen – und vor allem Nerven.


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