16.02.2012 |
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Schnäppchenjäger |
Von Pascal Beucker |
Bis in die siebziger Jahre hatten deutsche Politiker
noch ganz andere Nehmerqualitäten als Christian Wulff. Beim Festakt im gotischen Altstadtrathaus
von Braunschweig herrschte gute Stimmung. Christian Wulff
war in Anekdotenlaune. Der damalige niedersächsische
Ministerpräsident wollte vom Ehrengast Gerhard Glogowski
wissen, ob es stimme, dass dieser einst damit gedroht habe,
alle Schützenvereine zusammenzurufen, um den Umzug des
Braunschweiger Löwen nach Hannover zu verhindern.
Überschwänglich lobte Wulff seinen Vorvorgänger für »dieses
endlose Engagement über Jahrzehnte für seine Stadt«. Auch
Oberbürgermeister Gert Hoffmann würdigte die »bleibenden
Verdienste« und die »politische Lebensleistung« des frisch
ernannten Ehrenbürgers. »Für mich bestand nie ein Zweifel,
dass gerade Gerhard Glogowski diese Auszeichnung verdient«,
sagte der CDU-Mann. Die Affären, die Glogowski nach nur 13
Monaten im Amt im November 1999 zum Rücktritt als
Ministerpräsident bewegten, waren auf der Veranstaltung am
11. Februar 2008 kein großes Thema mehr. »Niemand behauptet
im Rückblick, es sei bei den damaligen Vorgängen um eine
Staatsaffäre oder gar strafbare Handlungen gegangen«, nahm
Hoffmann, ein früheres NPD-Mitglied, den Sozialdemokraten in
Schutz. Glogowski selbst sagte einem Fernsehteam nur patzig:
»Wofür sollte ich ein schlechtes Gewissen haben?« Es habe
seinerzeit »vielleicht hier und da Fehler und Versäumnisse
gegeben«, beschied Wulff milde. Dass hatte sich einige Jahre zuvor ganz
anders angehört. Den damaligen christdemokratischen
Oppositionsführer hatte das Verhalten des
sozialdemokratischen Amtsinhabers noch kräftig in Rage
versetzt. Die Räumungsklage gegen eine alleinstehende
Sozialhilfeempfängerin, die mit einem behinderten Kind in
einer von Glogowskis Eigentumswohnungen lebte, scherte Wulff
nicht so sehr. Ein Sozialromantiker war er schließlich noch
nie. Umso empörter reagierte er allerdings auf Berichte,
nach denen auf der Hochzeitsfeier Glogowskis in Braunschweig
zwei örtliche Brauereien großzügig das Bier gestellt, eine
Kaffeerösterei weitere Party-Utensilien spendiert und das
Musikprogramm ein Vertreter der Norddeutschen Landesbank
besorgt hatte. Auch das Faible Glogowskis für das eigene
Portemonnaie schonende Urlaubsreisen geißelte Wulff: »Da
gilt der Satz aus jedem Antikorruptionsbericht, dass man
private und dienstliche Dinge strikt zu trennen hat.« Es
müsse schon »der Anschein von Korrumpierbarkeit, von
Abhängigkeiten, von Sponsoring von Politik und Politikern
vermieden werden«. Mittlerweile klingen solche Worte aus dem
Mund des derzeitigen Bundespräsidenten unfreiwillig komisch.
Und wie es scheint, war Wulff auch schon bei dem Festakt vor
vier Jahren bewusst, dass seine früheren Maßstäbe, nach
denen Glogowski nicht »die Voraussetzungen für die Würde des
Amtes des Ministerpräsidenten« erfülle, nicht allzu gut mit
seinem eigenen Handeln in Einklang zu bringen sind. »Die glamouröse
Großzügigkeit, mit der führende Politiker anderer
europäischer Staaten – es genügt ein Blick nach Frankreich,
Italien oder Griechenland – sich selbst und ihren Freunden
und Verwandten bedenkenlos die Taschen füllen, ist
hierzulande kaum je anzutreffen«, schreibt Christian
Bommarius in der
Frankfurter Rundschau. Vielmehr
käme der politische Skandal in der Bundesrepublik »so
gewöhnlich, so kleinbürgerlich und verschwitzt daher wie
eine sepiafarbene Karikatur des Spießers«. Sofern es sich
nicht um kollektive Beutezüge zur Parteienfinanzierung
handele, sondern um einzelne, auf eigene Rechnung agierende
Politiker, sei »zumeist weniger Habgier das Motiv, sondern
das Kalkül des zu allem entschlossenen Kleinsparers«.
Erstaunlich ist dabei, welche Risiken Politiker wie
Glogowski und nach ihm auch Wulff einzugehen bereit waren,
nur um beispielsweise bei ihrem Urlaub den einen oder
anderen Euro zu sparen. Dabei hätten ihnen die Fälle der
Ministerpräsidenten Lothar Späth in Baden-Württemberg und
Max Streibl in Bayern eigentlich als abschreckende Beispiele
dienen können. Anders als Bommarius vermutet, könnte es
sich bei dieser Schnäppchenjägermentalität allerdings
weniger um ein nationales als um ein Generationenproblem
handeln. Zumindest zu Zeiten von Franz Josef Strauß konnte
die Gier deutscher Politiker dem internationalen Vergleich
durchaus standhalten. Der Bayer zeichnete sich jedenfalls
durch eine phänomenale Begabung aus, Gemein-, Partei- und
Eigennutz vorteilhaft miteinander zu verbinden. Eine
CSU-Broschüre warb sogar in den siebziger Jahren ohne jedes
Arg mit der Geschäftstüchtigkeit ihres Frontmanns: »Der
Mehrung seines Vermögens gibt er sich mit demselben Eifer
hin, den er in der Politik walten lässt.« Als Strauß 1988
starb, soll er seinen Erben ein enormes Vermögen
hinterlassen haben. Wie er das geschafft hatte, darüber gab
es immer wieder wilde Gerüchte. »A Hund is er scho!« – in
Bayern ist das ein Kompliment. Gestürzt ist Strauß über
seine Nehmerqualitäten nie. Der CSU garantierte er absolute
Mehrheiten. Auch die Beutezüge zur
Parteienfinanzierung sind heute nicht mehr das, was sie
früher waren. Zu Zeiten der »Staatsbürgerlichen Vereinigung«
(SV) ging es immerhin noch nicht darum, dass Unternehmen ein
paar Euro für das eine oder andere Entgegenkommen springen
ließen. Stattdessen organisierten die Arbeitgeberverbände
nach dem Prinzip »legal – illegal – scheißegal« die
Spendenakquise im großen Maßstab – und durften dafür auch
bestimmen, wo es langgeht. An der Spitze der Mitte der fünfziger
Jahre gegründeten SV stand die Crème de la Crème des
deutschen Kapitals: Für den Bundesverband der Deutschen
Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände (BDA) waren deren Präsidenten Fritz Berg
und Hans Constantin Paulssen an Bord. Der Deutsche
Industrie- und Handelstag schickte sein geschäftsführendes
Vorstandsmitglied Paul Beyer, auch der Adenauer-Intimus
Robert Pferdmenges, Mitgesellschafter des Kölner Bankhauses
Sal. Oppenheim jr. & Cie., gehörte zum erlesenen Kreis. Als
Vorsitzender des BDI-Rechtsausschusses war
Mannesmann-Vorstand Wolfgang Pohle dabei, der spätere
Flick-Generalbevollmächtigte und CSU-Schatzmeister. Als
erster Präsident fungierte AEG-Chef Friedrich Spennrath, die
Geschäftsführung bekam Gustav Stein (BDI) übertragen. Sie
alle verband ein großes Ziel: die Bedrohung durch den
Kommunismus abzuwehren. Offizieller Zweck des eingetragenen
Vereins war laut Satzung die »Förderung des demokratischen
Staatswesens in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere
Verteidigung und Festigung der im Grundgesetz verankerten
persönlichen und politischen Grundrechte«. Während die in
Köln ansässige SV das Inkasso zunächst bei den 50, später
den 100 größten Unternehmen und Verbänden der Bundesrepublik
übernahm, kümmerten sich regionale »Fördergesellschaften« um
kleinere Firmen und Organisationen. Das Zahlungssystem
funktionierte nach einem effektiven Prinzip: Unternehmer und
Verbände überwiesen monatliche Beiträge an die von den
Wirtschaftsverbänden kontrollierten Organisationen. Deren
Aufgabe war es, der Union, der FDP, der DP, zeitweise auch
noch dem Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen
und Entrechteten (GB/BHE) sowie der kurzlebigen
FDP-Abspaltung Freie Volkspartei (FVP) laufende Zuschüsse
für den Unterhalt ihrer Partei anzuweisen. Außerdem
erhielten die Parteien noch üppige »Wahlsonderleistungen«.
Die SPD war selbstverständlich von den Segnungen
ausgeschlossen. Für die westdeutsche Wirtschaftselite war
das in einer rechtlichen Grauzone angesiedelte Fördermodell
attraktiv. Erstens ermöglichte es die erwünschte
Anonymisierung des Spendenflusses, da die Zahlungen an die
Vereinigungen nicht veröffentlichungspflichtig waren.
Zweitens waren die Zuwendungen steuerlich abzugsfähig, die
Unternehmen und Verbände holten sich einen nicht
unbeträchtlichen Teil ihres Geldes vom Staat zurück.
Drittens stärkte das Modell den Einfluss der Manager, sie
konnten auf die Parteien Druck ausüben. Um die SPD von der Macht fernzuhalten,
war es notwendig, um jeden Preis eine Zersplitterung des
bürgerlichen Lagers zu vermeiden. Die Spenden dienten als
Disziplinierungsmittel. Wer aus dem Anti-SPD-Block
auszuscheren versuchte, dem drohte die Streichung von der
Spendenliste. Die nordrhein-westfälischen Liberalen wagten
es 1956, die Einheitsfront zu verlassen und mit der SPD
sowie dem katholischen Zentrum per konstruktivem
Misstrauensvotum den CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold
durch den Sozialdemokraten Fritz Steinhoff zu ersetzen. Die
Strafe folgte umgehend: Dem FDP-Landesverband wurden die
Spenden gestrichen. Die bisherige Geschäftsgrundlage bestehe
nicht mehr, ließ die SV die Partei wissen. Die
niedersächsischen Freidemokraten erlitten das gleiche
Schicksal, nachdem sie sich für eine Koalition mit der SPD
entschieden hatten. Auch nicht linientreue CDU-Landesverbände
wurden so abgestraft. Als die CDU in Hessen 1953 ein
Wahlbündnis mit der FDP ablehnte, strich die dortige
Fördergesellschaft dem Landesverband umgehend die Mittel.
Erst als die hessischen Christdemokraten klein beigaben und
zur FDP zurückkehrten, wurden die Zahlungen wieder
aufgenommen. Empörung über das erpresserische Vorgehen
konnte Bundeskanzler Konrad Adenauer nicht nachvollziehen.
»Die Fördergesellschaft gibt ihr Geld – und daraus hat sie
nie einen Hehl gemacht – nicht etwa aus Freude an Wahlen,
sondern sie gibt ihr Geld lediglich, damit die
Sozialdemokratie geschlagen wird«, sagte er auf einer
Bundesvorstandssitzung im Juli 1953 seinen Parteifreunden. Die Spendenbeschaffung über die SV und
die Fördergesellschaften lohnte sich für Adenauer. 18,5
Millionen Mark investierte die CDU in den
Bundestagswahlkampf 1957. Dieser kostspielige Wahlkampf war
rein wirtschaftsfinanziert. Die Union deklassierte die SPD
und gewann mit 50,2 Prozent der Stimmen zum ersten und bis
heute einzigen Mal die absolute Mehrheit. Ihre Blütezeit
erlebte die SV in den sechziger und siebziger Jahren. Das
Inkassogeschäft lief bestens. Mittlerweile kümmerte sich die
Organisation um die Spenden der 125 größten deutschen
Unternehmen. Die Geschicke lenkten nach wie vor die beiden
BDI-Funktionäre Fritz Berg und Gustav Stein. Dritter im
Bunde war der Wirtschaftsprüfer Hans Buwert, auch er ein
Gründungsmitglied. Buwert hatte vor 1945 – wie auch Stein –
der NSDAP angehört, er war Hauptschriftleiter des
NS-Kampfblattes »Die nationale Wirtschaft« gewesen. In der
SV waren etliche frühere Nazis am Werk. Deren
nationalsozialistische Vergangenheit war den Spitzen von
Union und FDP durchaus bekannt, störte sie aber nicht,
solange das Geld floss. Und das floss reichlich. Von
Deutscher bis Dresdner Bank, von Karstadt bis Kaufhof, von
Mercedes bis Porsche, von Hoechst bis Bayer, vom
Waschmittelkonzern Henkel bis zur Marmeladenfabrik Zentis –
alle leisteten pflichtschuldig ihren Obolus. Insgesamt
verzeichnete die SV alleine zwischen 1969 und 1980 Einnahmen
in Höhe von etwa 218 Millionen Mark. Dann flog das illegale
System auf. Und heute? Da muss die nordrhein-westfälische CDU während ihrer Regierungszeit potentiellen Sponsoren für 20 000 Euro ein sogenanntes Partnerpaket für den Landesparteitag anbieten – »Einzelgespräche mit dem Ministerpräsidenten und den Minister/innen« inbegriffen. »Rent a Rüttgers«, höhnten Opposition und Medien. Da spendiert Zentis dem CDU-Mann Christian Wulff noch gerade mal einen Ausflug zum Deutschen Filmball 2010 samt Übernachtung im Bayerischen Hof. Irgendwie popelig, oder? |
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