29.03.2012

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Jungle World

 Politiker mit Vollkasko
Von Pascal Beucker

Norbert Röttgen ist der erste Verlierer im nordrhein-westfälischen Wahlkampf.

Norbert Röttgen (CDU)Am Nachmittag kam die Einladung, am Abend die Absage. Das Pressegespräch, bei dem Norbert Röttgen am Dienstag »ein weiteres Mitglied seiner Regierungsmannschaft präsentieren« wollte, könne wegen Terminüberschneidungen leider nicht stattfinden, teilte am Montag die Landesgeschäftsstelle der nordrhein-westfälischen CDU mit. Es läuft nicht rund für den christdemokratischen Herausforderer der SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen hat kaum begonnen, da steht der erste große Verlierer schon fest.

Am Tag der Auflösung des Landesparlaments hatte sich Röttgen noch siegessicher gegeben. Er stehe als Spitzenkandidat bereit und »werde die Partei anführen in einen Wahlkampf, auf den wir uns freuen«, kündigte Röttgen unter dem tosenden Beifall seiner Parteifreunde an. Er sehe sehr gute Chancen, dass die Union wie 2010 stärkste Partei werde. Zwei Wochen sind seitdem vergangen – und die Chancen sind drastisch gesunken. Als der Landtag seinen Neuwahlbeschluss fasste, lagen Christ- und Sozialdemokraten in den Umfragen noch etwa gleichauf. Am Wochenende lag laut Infratest Dimap die SPD in der Sonntagsfrage mit 40 Prozent bereits deutlich vor der CDU, der mit 32 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in der Landesgeschichte droht. Schlechter könnte es kaum aussehen – und so manchen Christdemokraten beschleicht bereits das mulmige Gefühl, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben.

Zur Freude der politischen Konkurrenz und zum Leidwesen der eigenen Partei hat sich »Muttis Klügster«, wie Spötter den Vertrauten Angela Merkels nennen, in seinen Karriereambitionen verheddert. Beharrlich verweigert der Bundesumweltminister eine klare Antwort auf die Frage, ob er auch im Fall einer Niederlage von Berlin nach Düsseldorf wechseln wolle. Nicht einmal die Bundeskanzlerin konnte ihn bisher dazu bewegen, sich festzulegen. Röttgen will sich nicht bei einer Lüge erwischen lassen, aber auch nicht die Wahrheit sagen – und hat sich damit in ein Dilemma manövriert. Das sei eine »Politprofi-Debatte, die Journalisten interessiert, die Gegner interessiert, aber eigentlich einen normalen Bürger überhaupt nicht«, behauptet der 46jährige Rheinländer.

Der in Meckenheim geborene Röttgen gilt als zielstrebig. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Bonn legte er mit 24 Jahren sein erstes juristisches Staatsexamen ab, das zweite folgte 1993. Seinen Doktor machte er 2001, da war er längst Berufspolitiker. Seine politische Karriere begann Röttgen 1992 als Vorsitzender der nordrhein-westfälischen Jungen Union, es blieb bisher die einzige Station mit landespolitischem Bezug. Zwei Jahre später zog er erstmals in den Bundestag ein und zählte dort zur sogenannten »Pizza-Connection« junger CDU-Abgeordneter, die in einem Bonner Restaurant erste Kontakte zu Parlamentskollegen von den Grünen aufnahmen. 2005 wurde er parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, vier Jahre später machte ihn Merkel zum Bundesumweltminister. Dass er sie gerne einmal als Bundeskanzler beerben würde, ist kein Geheimnis.

Nun hat ihn eine Debatte eingeholt, die ihm schon im Wettstreit mit seinem Konkurrenten Armin Laschet um den Vorsitz der NRW-CDU im Herbst 2010 Probleme bereitete: Ist er bereit, sich mit vollem Risiko auf das Wagnis Nordrhein-Westfalen einzulassen? Schon damals unterstellten parteiinterne Kritiker dem »Großdenker«, dass er aus reinem Machtkalkül die Führung im mitgliederstärksten CDU-Landesverband übernehmen wolle, um seine Position in der Bundespartei zu festigen. Mit unzweideutig klingenden Bekenntnissen beendete Röttgen seinerzeit die Diskussion. Es sei für ihn »selbstverständlich, auch für die Spitzenkandidatur bei der nächsten Landtagswahl und als Ministerpräsident oder Oppositionsführer zur Verfügung zu stehen«, sagte er der WAZ. Wenn die Partei es wünsche, werde er im Falle einer Wahlniederlage »auch die Rolle des Oppositionsführers übernehmen«, gab Röttgen der Rheinischen Post zu Protokoll. Im November 2010 gewann er den Mitgliederentscheid mit 54,8 Prozent gegen Laschet. Noch im selben Monat wurde Röttgen auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe mit 88,2 Prozent zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Sein Plan ging auf.

Jetzt aber droht am 13. Mai der Ernstfall – und wo immer auch Röttgen derzeit hinkommt, wird ihm stets die alte Frage neu gestellt. Nur seine Antworten klingen heute etwas anders, der Politiker weicht wortreich aus. »Ich kämpfe um den Posten des Ministerpräsidenten«, sagt Röttgen. »Das ist das, was wir heute beantworten, und alle anderen Fragen stellen sich vielleicht später.« Er setze »auf Sieg, nicht auf Platz«. Wenn er »heute sagen würde, ich gehe auch als zweiter Sieger nach Düsseldorf, bräuchte ich erst gar nicht antreten«. Wenn man sich darauf einlasse, »die Eventualität zu diskutieren und zu planen und anzukündigen, dann hat man schon halb aufgegeben«. Die Wähler würden außerdem nicht fragen, »ob ich Oppositionsführer werden will, sondern, ob die CDU regiert, ob Röttgen regiert«. Er sage allerdings »nicht, dass das Amt des Oppositionsführers für mich nicht in Frage kommt«. Selbstverständlich sei er sich seiner »Verantwortung für die CDU und Nordrhein-Westfalen uneingeschränkt bewusst, im Fall des Sieges und im Fall einer Niederlage, und daran braucht keiner einen Zweifel haben«.

Es ist ein einziges Lavieren, doch die Botschaft ist angekommen: Röttgen scheut das volle Risiko. Er ist ein politischer Schnäppchenjäger. Er nimmt mit, was er kriegen kann – nur allzu viel investieren will er nicht. Indem er sich sein Berliner Karrieretürchen offenhält, beraubt er sich aller Aussichten auf einen Meinungsumschwung an Rhein und Ruhr. Potentielle CDU-Wähler mögen keine Vollkasko-Politiker. Formal betrachtet ist es keineswegs zwingend, dass ein Spitzenkandidat nach einer Niederlage aus der Bundes- in die Landespolitik wechselt. Aber mit der Abkehr von früheren Äußerungen bestärkt Röttgen den Eindruck, dass er mit der Landespolitik ohnehin fremdelt und nicht einmal selbst daran glaubt, die populäre Amtsinhaberin ablösen zu können.

Ein Karrierist bleibt sich treu: Wagemutig ist er nur mit Netz und doppelten Boden. So war es schon 2006, als er nur unter der Bedingung, sein Bundestagsmandat behalten zu können, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) werden wollte. Als ihn die BDI-Spitze nach öffentlicher Empörung zum Mandatsverzicht bewegen wollte, sagte Röttgen den lukrativen Job kurzerhand ab, weil er »die Geschäftsgrundlage nicht mehr gegeben sah«. Damals bekam seine Karriere nur eine kleine Delle. Diesmal dürfte der Schaden größer ausfallen.

Röttgen scheint nichts aus dem Debakel Norbert Blüms gelernt zu haben: Der damalige Bundesarbeitsminister hatte 1990 auch nur im Falle eines Wahlsiegs nach Düsseldorf gehen wollen – und musste sich dafür vom damaligen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau als »Kandidat auf der Durchreise« verspotten lassen. Blüm bescherte der NRW-CDU mit 36,7 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis in der Landesgeschichte. Heute könnte Röttgen froh sein, wenn seine Partei mit ihm an der Spitze noch so viele Stimmen holen würde. Auch wenn er dem innerparteilichen Druck noch nachgeben sollte, den Schaden wird er in der Kürze der Wahlkampfzeit nicht mehr wettmachen können. Blüm konnte nach seiner Niederlage noch acht Jahre als Bundesminister weitermachen. Vergleichbares dürfte Röttgen nicht vergönnt sein. Geht seine Partei in Nordrhein-Westfalen unter, sind die Tage der schwarz-gelben Regierung gezählt. Und zwar genau bis zur Bundestagswahl im September 2013. Rot-Grün kann sich freuen.


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