Norbert Röttgen ist der erste Verlierer im
nordrhein-westfälischen Wahlkampf.
Am
Nachmittag kam die Einladung, am Abend die Absage. Das
Pressegespräch, bei dem Norbert Röttgen am Dienstag »ein
weiteres Mitglied seiner Regierungsmannschaft präsentieren«
wollte, könne wegen Terminüberschneidungen leider nicht
stattfinden, teilte am Montag die Landesgeschäftsstelle der
nordrhein-westfälischen CDU mit. Es läuft nicht rund für den
christdemokratischen Herausforderer der
SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Der Wahlkampf in
Nordrhein-Westfalen hat kaum begonnen, da steht der erste
große Verlierer schon fest.
Am Tag der Auflösung des Landesparlaments hatte sich Röttgen
noch siegessicher gegeben. Er stehe als Spitzenkandidat
bereit und »werde die Partei anführen in einen Wahlkampf,
auf den wir uns freuen«, kündigte Röttgen unter dem tosenden
Beifall seiner Parteifreunde an. Er sehe sehr gute Chancen,
dass die Union wie 2010 stärkste Partei werde. Zwei Wochen
sind seitdem vergangen – und die Chancen sind drastisch
gesunken. Als der Landtag seinen Neuwahlbeschluss fasste,
lagen Christ- und Sozialdemokraten in den Umfragen noch etwa
gleichauf. Am Wochenende lag laut Infratest Dimap die SPD in
der Sonntagsfrage mit 40 Prozent bereits deutlich vor der
CDU, der mit 32 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in der
Landesgeschichte droht. Schlechter könnte es kaum aussehen –
und so manchen Christdemokraten beschleicht bereits das
mulmige Gefühl, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben.
Zur Freude der politischen Konkurrenz und zum Leidwesen der
eigenen Partei hat sich »Muttis Klügster«, wie Spötter den
Vertrauten Angela Merkels nennen, in seinen
Karriereambitionen verheddert. Beharrlich verweigert der
Bundesumweltminister eine klare Antwort auf die Frage, ob er
auch im Fall einer Niederlage von Berlin nach Düsseldorf
wechseln wolle. Nicht einmal die Bundeskanzlerin konnte ihn
bisher dazu bewegen, sich festzulegen. Röttgen will sich
nicht bei einer Lüge erwischen lassen, aber auch nicht die
Wahrheit sagen – und hat sich damit in ein Dilemma
manövriert. Das sei eine »Politprofi-Debatte, die
Journalisten interessiert, die Gegner interessiert, aber
eigentlich einen normalen Bürger überhaupt nicht«, behauptet
der 46jährige Rheinländer.
Der in Meckenheim geborene Röttgen gilt als zielstrebig.
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Bonn legte er
mit 24 Jahren sein erstes juristisches Staatsexamen ab, das
zweite folgte 1993. Seinen Doktor machte er 2001, da war er
längst Berufspolitiker. Seine politische Karriere begann
Röttgen 1992 als Vorsitzender der nordrhein-westfälischen
Jungen Union, es blieb bisher die einzige Station mit
landespolitischem Bezug. Zwei Jahre später zog er erstmals
in den Bundestag ein und zählte dort zur sogenannten
»Pizza-Connection« junger CDU-Abgeordneter, die in einem
Bonner Restaurant erste Kontakte zu Parlamentskollegen von
den Grünen aufnahmen. 2005 wurde er parlamentarischer
Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, vier Jahre
später machte ihn Merkel zum Bundesumweltminister. Dass er
sie gerne einmal als Bundeskanzler beerben würde, ist kein
Geheimnis.
Nun hat ihn eine Debatte eingeholt, die ihm schon im
Wettstreit mit seinem Konkurrenten Armin Laschet um den
Vorsitz der NRW-CDU im Herbst 2010 Probleme bereitete: Ist
er bereit, sich mit vollem Risiko auf das Wagnis
Nordrhein-Westfalen einzulassen? Schon damals unterstellten
parteiinterne Kritiker dem »Großdenker«, dass er aus reinem
Machtkalkül die Führung im mitgliederstärksten
CDU-Landesverband übernehmen wolle, um seine Position in der
Bundespartei zu festigen. Mit unzweideutig klingenden
Bekenntnissen beendete Röttgen seinerzeit die Diskussion. Es
sei für ihn »selbstverständlich, auch für die
Spitzenkandidatur bei der nächsten Landtagswahl und als
Ministerpräsident oder Oppositionsführer zur Verfügung zu
stehen«, sagte er der
WAZ. Wenn die Partei es wünsche, werde er im Falle einer
Wahlniederlage »auch die Rolle des Oppositionsführers
übernehmen«, gab Röttgen der
Rheinischen Post
zu Protokoll. Im November 2010 gewann er den
Mitgliederentscheid mit 54,8 Prozent gegen Laschet. Noch im
selben Monat wurde Röttgen auf dem CDU-Parteitag in
Karlsruhe mit 88,2 Prozent zum stellvertretenden
Bundesvorsitzenden gewählt. Sein Plan ging auf.
Jetzt aber droht am 13. Mai der Ernstfall –
und wo immer auch Röttgen derzeit hinkommt, wird ihm stets
die alte Frage neu gestellt. Nur seine Antworten klingen
heute etwas anders, der Politiker weicht wortreich aus. »Ich
kämpfe um den Posten des Ministerpräsidenten«, sagt Röttgen.
»Das ist das, was wir heute beantworten, und alle anderen
Fragen stellen sich vielleicht später.« Er setze »auf Sieg,
nicht auf Platz«. Wenn er »heute sagen würde, ich gehe auch
als zweiter Sieger nach Düsseldorf, bräuchte ich erst gar
nicht antreten«. Wenn man sich darauf einlasse, »die
Eventualität zu diskutieren und zu planen und anzukündigen,
dann hat man schon halb aufgegeben«. Die Wähler würden
außerdem nicht fragen, »ob ich Oppositionsführer werden
will, sondern, ob die CDU regiert, ob Röttgen regiert«. Er
sage allerdings »nicht, dass das Amt des Oppositionsführers
für mich nicht in Frage kommt«. Selbstverständlich sei er
sich seiner »Verantwortung für die CDU und
Nordrhein-Westfalen uneingeschränkt bewusst, im Fall des
Sieges und im Fall einer Niederlage, und daran braucht
keiner einen Zweifel haben«.
Es ist ein einziges Lavieren, doch die Botschaft ist
angekommen: Röttgen scheut das volle Risiko. Er ist ein
politischer Schnäppchenjäger. Er nimmt mit, was er kriegen
kann – nur allzu viel investieren will er nicht. Indem er
sich sein Berliner Karrieretürchen offenhält, beraubt er
sich aller Aussichten auf einen Meinungsumschwung an Rhein
und Ruhr. Potentielle CDU-Wähler mögen keine
Vollkasko-Politiker. Formal betrachtet ist es keineswegs
zwingend, dass ein Spitzenkandidat nach einer Niederlage aus
der Bundes- in die Landespolitik wechselt. Aber mit der
Abkehr von früheren Äußerungen bestärkt Röttgen den
Eindruck, dass er mit der Landespolitik ohnehin fremdelt und
nicht einmal selbst daran glaubt, die populäre Amtsinhaberin
ablösen zu können.
Ein Karrierist bleibt sich treu:
Wagemutig ist er nur mit Netz und doppelten Boden. So war es
schon 2006, als er nur unter der Bedingung, sein
Bundestagsmandat behalten zu können, Hauptgeschäftsführer
des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) werden
wollte. Als ihn die BDI-Spitze nach öffentlicher Empörung
zum Mandatsverzicht bewegen wollte, sagte Röttgen den
lukrativen Job kurzerhand ab, weil er »die
Geschäftsgrundlage nicht mehr gegeben sah«. Damals bekam
seine Karriere nur eine kleine Delle. Diesmal dürfte der
Schaden größer ausfallen.
Röttgen scheint nichts aus dem Debakel Norbert Blüms gelernt
zu haben: Der damalige Bundesarbeitsminister hatte 1990 auch
nur im Falle eines Wahlsiegs nach Düsseldorf gehen wollen –
und musste sich dafür vom damaligen SPD-Ministerpräsidenten
Johannes Rau als »Kandidat auf der Durchreise« verspotten
lassen. Blüm bescherte der NRW-CDU mit 36,7 Prozent das
zweitschlechteste Ergebnis in der Landesgeschichte. Heute
könnte Röttgen froh sein, wenn seine Partei mit ihm an der
Spitze noch so viele Stimmen holen würde. Auch wenn er dem
innerparteilichen Druck noch nachgeben sollte, den Schaden
wird er in der Kürze der Wahlkampfzeit nicht mehr wettmachen
können. Blüm konnte nach seiner Niederlage noch acht Jahre
als Bundesminister weitermachen. Vergleichbares dürfte
Röttgen nicht vergönnt sein. Geht seine Partei in
Nordrhein-Westfalen unter, sind die Tage der schwarz-gelben
Regierung gezählt. Und zwar genau bis zur Bundestagswahl im
September 2013. Rot-Grün kann sich freuen.
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