12.04.2012

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Jungle World

 Wer hat uns verraten? Piraten!
Von Pascal Beucker

Trotz innerparteilicher Konflikte legen die Piraten in der Wählergunst weiter zu.

Der Brandbrief, den die Jugendorganisation der Piraten am Karteifreitag veröffentlichte, spricht eine deutliche Sprache: »Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf.« Die Zustände in der Partei betrachten die Jungen Piraten »mit großer Sorge und zunehmendem Ärger«. So habe es in einer Twitter-Diskussion als »vollkommen in Ordnung« gegolten, »ausländerkritisch« zu sein. Sie zitieren eine Äußerung über ein weibliches Parteimitglied. Die Frau, heißt es, »sollte mal richtig hart durchgefickt werden, vielleicht entspannt sie sich dann ja mal«. Allzu oft würden rassistische oder sexistische Statements als Einzelfälle abgetan – oder mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit verteidigt. Eine »wirkliche Beschäftigung« mit dem Problem des niedrigen Frauenanteils in der Partei finde »in weiten Teilen nicht« statt.

Die Reaktion des Bundesvorstands fiel aus wie von den Jungen Piraten befürchtet. In jeder Partei gebe es eben »zehn Prozent Idioten«, antwortete der stellvertretende Pressesprecher der Piratenpartei Deutschland, Aleks Lessmann. »Und im Gegensatz zu etablierten Parteien bieten wir nun einmal jedem Basismitglied ein gleichberechtigtes Forum.« Dadurch fielen »diskriminierende Misstöne Einzelner« stärker auf. Fälle wie die von den Jungpiraten geschilderten »beschäftigen uns im Vorstand häufiger, als uns lieb ist«, räumt der Vizevorsitzende der NRW-Piraten, Kai Schmalenbach, ein. »Und jedes Mal wieder kommen wir zu der Erkenntnis, dass es seitens des Vorstandes keine Handhabe gibt.«

Die Piraten befinden sich in einem Selbstfindungsprozess. Während sich an der Basis manch politisch Verwirrter tummelt, streiten die Führungskader um die besten Ausgangspositionen für ihre zukünftige Karriere. Beauftragte oder Mitglieder des Bundesvorstandes würden »beinahe systematisch fertiggemacht«, klagt der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz über »innerparteiliches Mobbing« speziell von Mitgliedern der Berliner Abgeordnetenhausfraktion. Deren parlamentarischer Geschäftsführer Martin Delius will sich auf dem Bundesparteitag Ende April in Neumünster zum Nachfolger der amtierenden politischen Geschäftsführerin Marina Weisband wählen lassen – und sein Abgeordnetenmandat behalten. Nerz möchte die Frage nach einer Trennung von Amt und Mandat gerne erst »nach der Bundestagswahl beantworten«. Delius will hingegen diese Debatte jetzt führen, weil er glaubt, »dass wir uns mit einer solchen Trennung mehr Chancen nehmen als Risiken abbauen«. Die Zeit der flachen Hierarchien und der Basisdemokratie neigt sich dem Ende zu. Wofür die Grünen mehr als zwei Jahrzehnte gebraucht haben, setzt bei den Piraten ein, noch bevor sie den Einzug in den Bundestag geschafft haben.

Doch egal, was die Piraten derzeit veranstalten: Der Hype um die Partei geht weiter. In den Umfragen liegen sie bundesweit zwischen neun und 13 Prozent. Glaubt man den Demoskopen von Forsa, haben sie inzwischen die Grünen überholt. »Die Piraten werden sicherlich ihre Erfolge bei den nächsten Landtagswahlen fortsetzen, sie haben auch gute Chancen, nächstes Jahr in den Bundestag einzuziehen«, ist CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt überzeugt. »Die Piratenpartei klaut derzeit viele Stimmen im linken politischen Lager«, freut er sich in der Welt.

Programmatisch beschränken sich die Piraten bislang auf jene Bereiche, die ihnen wichtig sind. »Wir haben das Geld einer 0,2-Prozent-Partei, Programm und Struktur einer Zwei-Prozent-Partei – aber an uns werden die Erwartungen einer Zwölf-Prozent-Partei gestellt«, sagte Weisband kürzlich in einem Interview. Problematisch ist nicht, dass die Piraten nicht zu jeder tagespoli­tischen Frage eine durchdachte Antwort parat haben. Allerdings wird an den Leerstellen ablesbar, was der Partei nicht so am Herzen liegt – und sie von linken Parteien jedweder Couleur fundamental unterscheidet. Es ist kein Zufall, dass sie bislang weder über sozial- noch friedenspolitische Positionen verfügt. Auch der Begriff Ökologie taucht in ihrem Grundsatzprogramm nicht auf.

Die Piraten kokettieren damit, sie seien ein »Update« der FDP. Damit liegen sich richtig – im positiven wie im negativen Sinne. Im Hinblick auf ihren Bürgerrechtsliberalismus wirken sie durchaus sympathisch. Allerdings sind sie ebenso wirtschaftsliberal orientiert. Antikapitalistische Ideen sind ihnen suspekt. Stattdessen wenden sie sich gegen »übermäßige staatliche Regulierung der Unternehmen«, wie es im Wahlprogramm der schleswig-holsteinischen Piraten heißt. Eigentum halten sie für »ein moralisches Prinzip, das bereits vor staatlichen Gesetzen und staatlicher Rechtsprechung existierte«, wie es der ehemalige Vizevorsitzende, Andreas Popp, formuliert. Sympathie hegt der Wirtschaftsmathematiker auch für die Beihilfe der Schweiz zum Steuerbetrug deutscher Millionäre. »Ich für meinen Teil verneige mich vor der Schweiz dafür, dass sie im Gegensatz zu Deutschland noch ein echtes Bankgeheimnis hat«, schreibt er in seinem Blog und geißelt den Ankauf von CD-Roms mit Informationen über deutsche Kunden Schweizer Banken durch deutsche Behörden als »fragwürdig«.

Geistiges Eigentum hält Popp für weniger schützenswert. Denn das ist nach seiner Definition kein Eigentum, sondern »der wohl mit Abstand größte Schwindel des Prä-Informationszeitalters«. Damit bewegt sich Popp im Piraten-Mainstream. Die kapitalistische Verwertungslogik soll nur dort außer Kraft gesetzt werden, wo die eigenen Interessen beziehungsweise der eigene Geldbeutel tangiert sind – und darum geht es beim Streit um das Urheberrecht. Die Partei wehrt sich gegen den Vorwurf, das Urheberrecht abschaffen zu wollen, sie sieht sich als Opfer von »großangelegten Medienkampagnen«. Medienschaffenden, die ihre Vorstellungen ablehnen, werfen die Piraten vor, sich nur vor den Karren geldgieriger Verlage und Verwerter spannen zu lassen. Dabei setzen sie offenkundig darauf, dass sich niemand ihre Beschlüsse wirklich durchliest.

Würden die auf dem Bundesparteitag der Piraten im vorigen Jahr verabschiedeten Positionen Gesetzeskraft erlangen, wäre das für Urheber eine Katastrophe. Sie wären noch schlechter gestellt, als sie es ohnehin bereits sind. An der ökonomisch desolaten Situation vieler Musiker, Filmemacher, Schriftsteller und Journalisten würde auch die geforderte graduelle Stärkung von Medienschaffenden gegenüber Verwertern nichts ändern, sie ist nichts weiter als eine Camouflage. Denn dafür müssten Urheber gravierende Einbußen zugunsten der Konsumenten, der öffentlichen Hand, der Geräteindustrie und Konzernen wie Google hinnehmen. Kernpunkt ist die Änderung des Paragrafen 11 des Urheberrechtsgesetzes, der festschreibt, dass das Urheberrecht »der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes« dient. Hier wollen die Piraten eine »Klarstellung, dass es Ausnahmen geben kann, bei denen der Urheber keine Vergütung erhält«. Und Ausnahmen gibt es nach ihrer Auffassung viele.


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