24.05.2012

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Jungle World

 Das Endlager in der zweiten Reihe
Von Pascal Beucker

Wie aus dem ambitionierten Umweltminister Norbert Röttgen wieder ein einfacher Abgeordneter wurde.

Norbert Röttgen (CDU)Das hat Norbert Röttgen wohl nicht erwartet. Was auch immer sich der aufstiegsorientierte Christdemokrat ausgemalt hat, sein Rausschmiss aus der Bundesregierung dürfte nicht dabei gewesen sein. Der vermeintliche Großstratege und Cheftaktiker hat sich verkalkuliert.

Nach Karl Theodor zu Guttenberg, der ebenfalls unfreiwillig abdanken musste, war Röttgen wohl der im höchsten Maß überschätzte Politiker der Union. Hochgeschrieben von der Presse galt der »George Clooney vom Rhein« (Bunte) als »der Mann für die großen Linien« (Süddeutsche Zeitung), dem alles zugetraut wurde, bis hin zur Nachfolge Merkels. Dass er sich nur aus einem sorgsam zurechtgelegten Phrasenfundus bediente, fiel etlichen Journalisten erst im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf auf, als er bei einfachen Nachfragen in Verlegenheit geriet. Mit seinem katastrophalen Auftreten seit der Selbstauflösung des nordrhein-westfälischen Parlaments Mitte März hat sich Röttgen selbst demontiert. Aus »Muttis Klügstem« wurde innerhalb nur weniger Wochen Merkels Dämlichster.

»Deutschlands beste Jahre kommen noch« heißt das Buch, mit dem sich Röttgen vor der Bundestagswahl 2009 für Höheres empfehlen wollte. Darin konstatierte er, es sei notwendig, »sich wieder auf das Wesen und die Aufgabe, auf den Ernst und auch die Würde der Politik zu besinnen«. Diese lebe »von der Hingabe an eine Sache, die größer und wichtiger ist als die eigene politische Karriere«. Mit seinem eigenen politischen Handeln hatten solch wohlfeile Plattitüden wenig zu tun, ob er sich nun in der Unionsfraktion als Wirtschaftsexperte zu profilieren suchte oder als Minister sein Herz für die Umwelt entdeckte.

Nun ist Röttgen ein Opfer seiner eigenen Strategie geworden. Um seine Macht in der Bundespartei zu festigen, übernahm er im November 2010 die Führung des mitgliederstärksten CDU-Landesverbandes. Sein Versprechen, als CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen anzutreten, sollte ihm lediglich innerparteiliche Unterstützung bei diesem Manöver sichern. Der promovierte Jurist setzte darauf, dass die rot-grüne Minderheitsregierung mindestens bis zur kommenden Bundestagswahl durchhalten würde. Es kam anders.

Ein dilettantischer Wahlkampf folgte. Lustlos stolperte Röttgen von einer Fehlleistung zur nächsten, bis hin zu seinem lustigen rhetorischen Missgriff in der ZDF-Sendung »log in«. Dort sagte er, eigentlich müsse er »Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber«. Seinen größten Fehler beging der Politiker bereits am Anfang: Er wollte nicht zusagen, im Fall einer Niederlage als Oppositionsführer nach Düsseldorf zu gehen. Nicht einmal Merkel und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer konnten den auf seinen Posten als Umweltminister bedachten Röttgen in einem Gespräch dazu bewegen. Röttgen blieb stur.

Die erste Quittung bekam er am Wahltag von den Wählern, die zweite stellte ihm Seehofer im »Heute-Journal« des ZDF aus, die dritte präsentierte ihm schließlich Merkel. Am Mittwoch vergangener Woche kündigte sie Röttgens Reiserücktrittsversicherung nach Berlin fristlos. Seinen Posten übertrug sie dem bodenständigen Peter Altmaier. Der CDU-Politiker gehörte wie Röttgen in den Neunzigern zur sogenannten »Pizza-Connection«, einem Gesprächskreis von Abgeordneten der CDU und der Grünen. Er spricht sich ebenfalls für die »Energiewende« aus, dürfte Röttgens Politik als Umweltminister also fortsetzen. Dies wiederum beweist, dass Merkel keine politischen Gründe für die Entlassung hatte, diese hat sich Röttgen selbst zuzuschreiben.

Seitdem ist die Aufregung groß. Besonders die Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen sind verstimmt, obwohl ihr ehemaliger Vorsitzender großen Schaden angerichtet hat. »Die heutige Entlassung von Norbert Röttgen erschreckt mich«, ließ der CDU-Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag, Karl-Josef Laumann, mitteilen. Sogar Norbert Blüm meldete sich aus dem Ruhestand. »In der Familie gehört sich das nicht«, wetterte der frühere Landesvorsitzende.

Auf das Beispiel Blüms war Röttgen zu Beginn des Wahlkampfs warnend hingewiesen worden. Auch der damalige Bundesarbeitsminister wollte 1990 nur im Fall eines Wahlsiegs nach Düsseldorf gehen und musste sich dafür vom damaligen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau als »Kandidat auf der Durchreise« verspotteten lassen. Die SPD verteidigte damals ihre absolute Mehrheit, die CDU erzielte mit 36,7 Prozent das bis dahin zweitschlechteste Ergebnis in der Landesgeschichte. Aber Röttgen zog seine ganz eigenen Lehren aus Blüms Geschichte. Dass dieser trotz seiner Niederlage noch acht weitere Jahre im Kabinett Helmut Kohls bleiben durfte, verleitete Röttgen wohl zu der Fehleinschätzung, auch für seine Karriere in der Bundesregierung werde eine Wahlniederlage weitgehend folgenlos bleiben.

Dabei übersah Röttgen Dreierlei: Erstens war die Funktion Norbert Blüms in der Regierung Kohl weit wichtiger als seine, weil der »Herz-Jesu-Marxist« den Arbeitnehmerflügel der Union und das vermeintliche »soziale Gewissen« der Union repräsentierte. Zweitens konnte sich Kohl auf die Vasallentreue Blüms verlassen, der nie auf die Idee gekommen wäre, sich als Nachfolger ins Gespräch zu bringen. Drittens war das Ergebnis der CDU bei der Landtagswahl 1990 nicht so desaströs, dass es die schwarz-gelbe Mehrheit im Bund ernsthaft gefährdet hätte. Unter Röttgen verlor die CDU jedoch mehr als zehn Prozentpunkte, und das ein Jahr vor der Bundestagswahl. Wenn die Union ein Jahr vor der Bundestagswahl ausgerechnet im bevölkerungsreichsten Bundesland deutlich unter 30-Prozent-Marke bleibt, kann es nicht wirklich verwundern, wenn im Berliner Konrad-Adenauer-Haus die Alarmglocken schrillen.

Zwar sprach Röttgen am Wahlabend davon, er trage für die Niederlage »eine uneingeschränkte Verantwortung«, der er »selbstverständlich auch Rechnung tragen werde«. Aber er glaubte wohl, der Verzicht auf den CDU-Landesvorsitz genüge. Doch am Dienstag nach der Wahl legte Merkel ihm den Rücktritt als Bundesumweltminister nahe. »Es gibt keinen Grund dafür«, soll er ihr geantwortet haben – und demonstrierte damit, dass er die Lage nicht durchschaut hatte. Zu den Gepflogenheiten des politischen Geschäfts gehört es, einem in Ungnade Gefallenen wenigstens die Gelegenheit zu geben, seinen Rausschmiss öffentlich als Rücktritt zu verkaufen. Üblicherweise nutzen die Betroffenen diese Möglichkeit, Röttgen tat es nicht. Deshalb entließ Merkel ihn.

Sie habe brutal gehandelt, war in etlichen Kommentaren zu lesen. Als »eiskalt, gnadenlos, hemmungslos« bezeichnete die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth die Entlassung. In der Union war von einer »Exekution« und einem »Blutbad« die Rede – eigentümliche Begrifflichkeiten für einen gänzlich unblutigen Vorgang wie die Entlassung eines störrischen Ministers.

Sein Rausschmiss hat Röttgen nun zumindest Mitleid beschert. Dies könnte er nutzen. Er werde »demnächst in die Offensive« gehen, spekulierte etwa die Bild am Sonntag. Unter Berufung auf Röttgens »Umfeld« berichtete hingegen die Rheinische Post am Montag, der ehemalige Minister werde sich »kurzfristig nicht öffentlich zu den Hintergründen seiner Entlassung äußern«. »Dass sich die Partei mit ihm solidarisiert wegen der übertriebenen Konsequenz Merkels«, würde er verhindern, wenn er die Kanzlerin nun offen angreife, zitierte die Zeitung einen Vertrauten Röttgens. Fest steht derzeit nur, dass Röttgen 2013 wieder für den Bundestag kandidieren will. Vielleicht ist ein Sitz als einfacher Bundestagsabgeordneter das geeignete Endlager für den ehemaligen Umweltminister.


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