Wie aus dem ambitionierten
Umweltminister Norbert Röttgen wieder ein einfacher
Abgeordneter wurde.
Das
hat Norbert Röttgen wohl nicht erwartet. Was auch immer sich
der aufstiegsorientierte Christdemokrat ausgemalt hat, sein
Rausschmiss aus der Bundesregierung dürfte nicht dabei
gewesen sein. Der vermeintliche Großstratege und
Cheftaktiker hat sich verkalkuliert.
Nach Karl Theodor zu
Guttenberg, der ebenfalls unfreiwillig abdanken musste, war
Röttgen wohl der im höchsten Maß überschätzte Politiker der
Union. Hochgeschrieben von der Presse galt der »George
Clooney vom Rhein« (Bunte)
als »der Mann für die großen Linien« (Süddeutsche
Zeitung), dem alles zugetraut
wurde, bis hin zur Nachfolge Merkels. Dass er sich nur aus
einem sorgsam zurechtgelegten Phrasenfundus bediente, fiel
etlichen Journalisten erst im nordrhein-westfälischen
Landtagswahlkampf auf, als er bei einfachen Nachfragen in
Verlegenheit geriet. Mit seinem katastrophalen Auftreten
seit der Selbstauflösung des nordrhein-westfälischen
Parlaments Mitte März hat sich Röttgen selbst demontiert.
Aus »Muttis Klügstem« wurde innerhalb nur weniger Wochen
Merkels Dämlichster.
»Deutschlands beste Jahre kommen noch«
heißt das Buch, mit dem sich Röttgen vor der Bundestagswahl
2009 für Höheres empfehlen wollte. Darin konstatierte er, es
sei notwendig, »sich wieder auf das Wesen und die Aufgabe,
auf den Ernst und auch die Würde der Politik zu besinnen«.
Diese lebe »von der Hingabe an eine Sache, die größer und
wichtiger ist als die eigene politische Karriere«. Mit
seinem eigenen politischen Handeln hatten solch wohlfeile
Plattitüden wenig zu tun, ob er sich nun in der
Unionsfraktion als Wirtschaftsexperte zu profilieren suchte
oder als Minister sein Herz für die Umwelt entdeckte.
Nun ist Röttgen ein Opfer seiner eigenen
Strategie geworden. Um seine Macht in der Bundespartei zu
festigen, übernahm er im November 2010 die Führung des
mitgliederstärksten CDU-Landesverbandes. Sein Versprechen,
als CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen anzutreten,
sollte ihm lediglich innerparteiliche Unterstützung bei
diesem Manöver sichern. Der promovierte Jurist setzte
darauf, dass die rot-grüne Minderheitsregierung mindestens
bis zur kommenden Bundestagswahl durchhalten würde. Es kam
anders.
Ein dilettantischer Wahlkampf folgte.
Lustlos stolperte Röttgen von einer Fehlleistung zur
nächsten, bis hin zu seinem lustigen rhetorischen Missgriff
in der ZDF-Sendung »log in«. Dort sagte er, eigentlich müsse
er »Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise
entscheidet nicht allein die CDU darüber, sondern die Wähler
entscheiden darüber«. Seinen größten Fehler beging der
Politiker bereits am Anfang: Er wollte nicht zusagen, im
Fall einer Niederlage als Oppositionsführer nach Düsseldorf
zu gehen. Nicht einmal Merkel und der CSU-Vorsitzende Horst
Seehofer konnten den auf seinen Posten als Umweltminister
bedachten Röttgen in einem Gespräch dazu bewegen. Röttgen
blieb stur.
Die erste Quittung bekam er am Wahltag
von den Wählern, die zweite stellte ihm Seehofer im
»Heute-Journal« des ZDF aus, die dritte präsentierte ihm
schließlich Merkel. Am Mittwoch vergangener Woche kündigte
sie Röttgens Reiserücktrittsversicherung nach Berlin
fristlos. Seinen Posten übertrug sie dem bodenständigen
Peter Altmaier. Der CDU-Politiker gehörte wie Röttgen in den
Neunzigern zur sogenannten »Pizza-Connection«, einem
Gesprächskreis von Abgeordneten der CDU und der Grünen. Er
spricht sich ebenfalls für die »Energiewende« aus, dürfte
Röttgens Politik als Umweltminister also fortsetzen. Dies
wiederum beweist, dass Merkel keine politischen Gründe für
die Entlassung hatte, diese hat sich Röttgen selbst
zuzuschreiben.
Seitdem ist die Aufregung groß. Besonders
die Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen sind verstimmt,
obwohl ihr ehemaliger Vorsitzender großen Schaden
angerichtet hat. »Die heutige Entlassung von Norbert Röttgen
erschreckt mich«, ließ der CDU-Fraktionsvorsitzende im
Düsseldorfer Landtag, Karl-Josef Laumann, mitteilen. Sogar
Norbert Blüm meldete sich aus dem Ruhestand. »In der Familie
gehört sich das nicht«, wetterte der frühere
Landesvorsitzende.
Auf das Beispiel Blüms war Röttgen zu
Beginn des Wahlkampfs warnend hingewiesen worden. Auch der
damalige Bundesarbeitsminister wollte 1990 nur im Fall eines
Wahlsiegs nach Düsseldorf gehen und musste sich dafür vom
damaligen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau als »Kandidat
auf der Durchreise« verspotteten lassen. Die SPD verteidigte
damals ihre absolute Mehrheit, die CDU erzielte mit 36,7
Prozent das bis dahin zweitschlechteste Ergebnis in der
Landesgeschichte. Aber Röttgen zog seine ganz eigenen Lehren
aus Blüms Geschichte. Dass dieser trotz seiner Niederlage
noch acht weitere Jahre im Kabinett Helmut Kohls bleiben
durfte, verleitete Röttgen wohl zu der Fehleinschätzung,
auch für seine Karriere in der Bundesregierung werde eine
Wahlniederlage weitgehend folgenlos bleiben.
Dabei übersah Röttgen Dreierlei: Erstens
war die Funktion Norbert Blüms in der Regierung Kohl weit
wichtiger als seine, weil der »Herz-Jesu-Marxist« den
Arbeitnehmerflügel der Union und das vermeintliche »soziale
Gewissen« der Union repräsentierte. Zweitens konnte sich
Kohl auf die Vasallentreue Blüms verlassen, der nie auf die
Idee gekommen wäre, sich als Nachfolger ins Gespräch zu
bringen. Drittens war das Ergebnis der CDU bei der
Landtagswahl 1990 nicht so desaströs, dass es die
schwarz-gelbe Mehrheit im Bund ernsthaft gefährdet hätte.
Unter Röttgen verlor die CDU jedoch mehr als zehn
Prozentpunkte, und das ein Jahr vor der Bundestagswahl. Wenn
die Union ein Jahr vor der Bundestagswahl ausgerechnet im
bevölkerungsreichsten Bundesland deutlich unter
30-Prozent-Marke bleibt, kann es nicht wirklich verwundern,
wenn im Berliner Konrad-Adenauer-Haus die Alarmglocken
schrillen.
Zwar sprach Röttgen am Wahlabend davon,
er trage für die Niederlage »eine uneingeschränkte
Verantwortung«, der er »selbstverständlich auch Rechnung
tragen werde«. Aber er glaubte wohl, der Verzicht auf den
CDU-Landesvorsitz genüge. Doch am Dienstag nach der Wahl
legte Merkel ihm den Rücktritt als Bundesumweltminister
nahe. »Es gibt keinen Grund dafür«, soll er ihr geantwortet
haben – und demonstrierte damit, dass er die Lage nicht
durchschaut hatte. Zu den Gepflogenheiten des politischen
Geschäfts gehört es, einem in Ungnade Gefallenen wenigstens
die Gelegenheit zu geben, seinen Rausschmiss öffentlich als
Rücktritt zu verkaufen. Üblicherweise nutzen die Betroffenen
diese Möglichkeit, Röttgen tat es nicht. Deshalb entließ
Merkel ihn.
Sie habe brutal gehandelt, war in
etlichen Kommentaren zu lesen. Als »eiskalt, gnadenlos,
hemmungslos« bezeichnete die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth
die Entlassung. In der Union war von einer »Exekution« und
einem »Blutbad« die Rede – eigentümliche Begrifflichkeiten
für einen gänzlich unblutigen Vorgang wie die Entlassung
eines störrischen Ministers.
Sein Rausschmiss hat
Röttgen nun zumindest Mitleid beschert. Dies könnte er
nutzen. Er werde »demnächst in die Offensive« gehen,
spekulierte etwa die
Bild am
Sonntag. Unter Berufung auf
Röttgens »Umfeld« berichtete hingegen die
Rheinische Post am Montag, der
ehemalige Minister werde sich »kurzfristig nicht öffentlich
zu den Hintergründen seiner Entlassung äußern«. »Dass sich
die Partei mit ihm solidarisiert wegen der übertriebenen
Konsequenz Merkels«, würde er verhindern, wenn er die
Kanzlerin nun offen angreife, zitierte die Zeitung einen
Vertrauten Röttgens. Fest steht derzeit nur, dass Röttgen
2013 wieder für den Bundestag kandidieren will. Vielleicht
ist ein Sitz als einfacher Bundestagsabgeordneter das
geeignete Endlager für den ehemaligen Umweltminister.
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