22.11.2012 |
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Die Toten von Mölln |
Von Pascal Beucker |
Vor 20 Jahren verübten Neonazis Brandanschläge auf zwei
Hauser in Mölln. Eine Frau und zwei Mädchen starben, neun
weitere Menschen wurden verletzt. Am Freitag wird in Mölln
eine Gedenkfeier stattfinden, bei der als Redner auch zwei
Mitglieder der Opferfamilie und Beate Klarsfeld erwartet
werden. Es erscheint wie eine kleine Zeitreise.
In Berlin beklagt Mitte Oktober Bundesinnenminister
Hans-Peter Friedrich einen »zunehmenden Asylmissbrauch«.
»Der massive Zustrom serbischer und mazedonischer
Staatsangehöriger muss unverzüglich gestoppt werden«,
fordert der CSU-Politiker. Von einer »Flüchtlingsflut« ist
in manchen Zeitungen wieder zu lesen. In Hoyerswerda wird
etwa zur selben Zeit einem von Neonazis bedrohten Paar von
der Polizei empfohlen, lieber die Stadt zu verlassen. »Es
ist einfacher, zwei Personen von einem Ort an einen anderen,
sicheren Ort zu verbringen, als 30 Personen beispielsweise
zu bewachen oder permanent fünf Funkstreifen vor ein Haus zu
stellen«, begründet dies ein Polizeisprecher. In Mölln
werden in der Nacht zum 1. November 22 Gebäude, zwei
Stromkästen und eine Litfaßsäule mit einschlägigen Parolen
beschmiert: »Nationaler Sozialismus – Jetzt« und
»Deutschland braucht dich – werde aktiv«. Diese drei scheinbar unzusammenhängenden
Ereignisse wecken Erinnerungen an jene Zeit, in der es noch
keines »Nationalsozialistischen Untergrunds« bedurfte, um
Menschen nichtdeutscher Herkunft um ihre Gesundheit und ihr
Leben fürchten zu lassen.
Jeden Morgen neu die Zeitung mit den Totschlagzeilen/Voll
auf Kurs, dem Luxusschiff zu Hilfe zu eilen/Die machen aus
Menschen Naturkatastrophen/Das Lied von der Flut in 120
Strophen/Das Boot ist voll und raus und Schluss/Das sind
Blätter wie ein brennender Fidibus/Der Weg versperrt – die
Presse ist frei/Das hat doch keiner gewusst und da war
niemand dabei. 20 Jahre ist diese Strophe alt. Ihr Lied
über den deutschen Alltag schrieben Ulla Meinecke und Rio
Reiser kurz nach den Anschlägen von Mölln. In der Nacht zum
23. November 1992 setzten Naziskins mit Molotowcocktails
zwei Häuser in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt in
Brand. Ihre Bekenneranrufe bei der Polizei beschlossen sie
mit den Worten »Heil Hitler«. Die 51jährige Bahide Arslan
und ihre zehn- und 14jährigen Enkelinnen Yeliz Arslan und
Ayse Yilmaz kamen in den Flammen um. Neun weitere Menschen
erlitten teils schwere Verletzungen. Die Toten von Mölln waren die fast schon
zwangsläufige Konsequenz einer Eskalation, der Politik,
Polizei und Justiz allzu lange nicht hatten Einhalt gebieten
wollen. Begleitet von einer hysterischen Debatte über
vermeintliche Flüchtlingsströme, die das wiedererstarkte
Deutschland »überschwemmen« würden, ergoss sich Anfang der
neunziger Jahre eine Flut von rassistischen Überfällen und
Anschlägen über die Republik. In den ersten Jahren nach dem
Anschluss der DDR an die BRD gehörte das eine zum anderen.
Während sich die einen als geistige Brandstifter betätigten,
schritten die anderen zur Propaganda der Tat.
Aufgrund der Pogrome von Hoyerswerda und
Rostock-Lichtenhagen in der
Rückschau oft zu Unrecht auf ein ostdeutsches Phänomen
reduziert, wüteten realiter neonazistische Mörderbanden
allerorten und in einem heute kaum noch vorstellbaren
Ausmaß. So wurden 1992 alleine in Baden-Württemberg 83
Brand- und Sprengstoffanschläge mit fremdenfeindlichem
Hintergrund registriert, in Bayern 29 und in Niedersachsen
93. In Schleswig-Holstein gab es dem dortigen
Landeskriminalamt zufolge 35 Brand- und Sprengstoffanschläge
auf Asylbewerberunterkünfte, Wohn- und Gewerbeobjekte von
Ausländern. Auch in Mölln hatte es zuvor schon einmal
gebrannt: Im März 1992 trafen zwei Molotowcocktails eine aus
zehn Wohncontainern bestehende Asylbewerberunterkunft. Als makabre Konsequenz aus den
rassistischen Exzessen machte die SPD im August 1992 den Weg
frei zur von der Union lange ersehnten De-facto-Abschaffung
des Grundrechts auf Asyl. Genau an dem Tag, als sie ihre
»Petersberger Beschlüsse« fasste, flogen die ersten Steine
auf die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in
Rostock-Lichtenhagen.
Wahlschlacht, und die Helden hängen wie Junkies an der
Macht/Flammende Kampagnen werden zu Feuer in der Nacht/Es
brennt immer mehr, doch was sie ernsthaft stört/Ist, dass
davon die Nachbarschaft im Ausland hört/Das schadet dem Ruf,
also Jungs, tobt leise/Geht doch keinen was an, unsre kleine
Zeitreise/Alles halb so wild, sind doch nur 1, 2, 3/Das hat
doch keiner gewusst und da war niemand dabei. Zwei Wochen nach den Brandanschlägen in
Mölln verständigen sich Anfang Dezember 1992 die
Parteispitzen von SPD, Union und FDP auf den
»Asylkompromiss«. Wenn die BRD die Zuwanderung nicht
begrenze, würden »Ängste und Unsicherheiten verstärkt, die
für den inneren Frieden schädlich sind«, ist in der
Vereinbarung zu lesen. Die marodierenden Skinheads können
sich freuen: Nicht der Hass auf Fremde wird zum Problem
erklärt, sondern die Opfer dieses Hasses. »Nach ihrem
Asylbeschluss müssen die Altparteien nun mit dem fatalen
Eindruck leben, sie hätten sich erst geeinigt, als Häuser
brannten, Menschen starben und das Land um Exportchancen
fürchten musste«, ist kurz darauf im Spiegel zu lesen. Dem
Nachrichtenmagazin reicht es jedoch noch nicht: »Der Bonner
Asylkompromiss nützt wenig: So lässt sich die
Masseneinwanderung nicht bremsen.«
Am
26. Mai 1993 ändert der Bundestag mit der nötigen
Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz.
Durch zwei zusätzliche Absätze wird der Artikel 16a des
Grundgesetzes entscheidend eingeschränkt: Asyl soll niemand
mehr bekommen, der entweder aus einem »sicheren
Herkunftsland« stammt oder über einen »sicheren Drittstaat«
eingereist ist. »Der neue Artikel 16a Grundgesetz muss als
die verklausulierte Umschreibung eines bitteren Satzes
gelesen werden: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht –
aber nicht in Deutschland«, kommentiert die
Süddeutsche Zeitung. Drei Tage
später, am 29. Mai 1993, fallen in Solingen Hülya Genç,
Saime Genç, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk und Gürsün İnce
einem neonazistischen Brandanschlag zum Opfer. Der damalige christdemokratische
Bundeskanzler Helmut Kohl nahm weder an der Trauerfeier für
die Toten von Solingen noch an der für die Opfer von Mölln
teil. »Die schlimme Sache wird nicht besser dadurch, dass
wir in einen Beileidstourismus ausbrechen«, ließ er über
seinen Regierungssprecher ausrichten. Kohl habe »nun weiß
Gott auch andere wichtige Termine«.
Heute
prangt eine Gedenktafel an dem Haus in der Mühlenstraße in
Mölln, in dem vor 20 Jahren Bahide
Arslan und ihre beiden Enkelinnen starben. Ihre
Hinterbliebenen und die Opfer, die den Brandanschlag
überlebt hatten, mussten jahrelang um eine
Opferentschädigung streiten. Nach 46 Verhandlungstagen
erhielten die beiden Brandstifter im Dezember 1993
Höchststrafen: Der zum Tatzeitpunkt 19jährige Lars
Christiansen wurde vom II. Strafsenat des
Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts zu einer
zehnjährigen Jugendstrafe verurteilt, der damals 25jährige
Michael Peters bekam lebenslänglich. Beide sind inzwischen
wieder auf freiem Fuß. »Aus dem Entsetzen und der Abscheu über die Möllner Brandanschläge haben wir in unserer Stadt die Verpflichtung übernommen, die damaligen Ereignisse nicht zu vergessen, sie als Teil unserer Geschichte zu begreifen und die Erinnerung an die Opfer wach zu halten«, heißt es in der Einladung zur zentralen Gedenkfeier am Freitag. Neben Honoratioren der Stadt und des Landes Schleswig-Holstein sowie dem türkischen Botschafter werden auf der Veranstaltung mit Faruk und Ibrahim Arslan auch zwei Mitglieder der Opferfamilie sprechen. Beate Klarsfeld wird mit einer »Möllner Rede« angekündigt. |
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