11.07.2012 |
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100.000 Namen in nur 24 Stunden |
Von Pascal Beucker |
PROTEST Erst
eine Woche nach dem Bundestagsbeschluss löst ein Internettext die
Protestwelle aus. Ein Online-Appell findet minütlich neue
Unterzeichner. Datenschützer kritisiert lahme Opposition Die Resonanz ist überwältigend. Bereits
Dienstagmittag hatten über 100.000 Menschen den Onlineappell gegen
das neue Meldegesetz unterzeichnet. Dabei haben das
Kampagnennetzwerks Campact, die Bürgerrechtsorganisation FoeBuD und
die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erst am Montag ihre
Initiative gestartet. "Auch für uns ist es selten, dass eine
Kampagne einen solchen Zuspruch hat", sagt Susanne Jacoby von
Campact. "Aber der Datenschutz ist für viele Leute eben ein sehr
wichtiges Thema." In gerade mal 57 Sekunden hatte der Bundestag am
28. Juni das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens
durchgewinkt. Ohne Aussprache stimmten 17 Abgeordnete von Union und
FDP dafür, 10 von SPD, Grünen und Linkspartei dagegen. Mehr
Parlamentarier waren dank des EM-Halbfinalspiels Deutschland gegen
Italien nicht im Plenarsaal. Die
öffentliche Empörung setzte erst mit fast einwöchiger Verzögerung
ein. Einer der Auslöser war ein Artikel, den am Mittwoch
CHIP Online,
das Internetportal des gleichnamigen Computermagazins,
veröffentlichte. Unter der Überschrift "Adressauskunft:
Widerspruchsrecht abgeschafft" schrieb Christoph Elzer, dass die
Gesetzesänderung, einen "faustdicken Datenskandal" mit sich bringe.
In Windeseile verbreitete sich sein Text in den sozialen Netzwerken.
Alleine auf Twitter wurde er mehr als 1.000-mal geteilt, auf
Facebook rund 11.000-mal empfohlen. Zahlreiche Blogger empörten sich nun über die "gesetzgeberische Infamie", wie es Rechtsanwalt und Piratenparteimitglied Udo Vetter in seinem viel beachteten law blog formuliert. Am Wochenende erreichte die Welle schließlich die Onlineausgaben der klassischen Medien von taz bis FAZ. "Das hat eine Eigendynamik entwickelt, die ich mir nicht hätte vorstellen können", sagt CHIP-Autor Elzer der taz. Warum
ausgerechnet sein Artikel einen solchen Wirbel ausgelöst hat, dafür
hat er keine rechte Erklärung. Schließlich war Elzer keineswegs der
Erste, der über die Bundestagsfarce berichtete. Schon am 29. Juni
meldete heise online: "Schwarz-Gelb beschneidet Opt-in zur
Datenweitergabe in Meldegesetz." Doch weder dieser noch ein am 2.
Juli mit gleichem Tenor auf Zeit Online erschienener Bericht fand
zunächst größere Resonanz. Elzer selbst stieß über einen am 3. Juli
auf
netzpolitik.org veröffentlichten Text des
Bloggers Andre Meister auf das Thema. "Das war wirklich reiner
Zufall, dass ich darüber gestolpert bin", sagt er. Auch Campact
wurde erst über
netzpolitik.org auf die
Geschichte aufmerksam. "Es ist wirklich interessant, wie aus einem kleinen Schneeball eine ganze Lawine werden kann", freut sich Thilo Weichert. Der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte räumt aber ein, es sei sicherlich förderlich gewesen, dass gerade in den Medien sommerliche "Sauregurkenzeit" herrsche. Weichert hatte vor der Bundestagsabstimmung die Opposition eindringlich vor der Aufweichung der Datenschutzregelung gewarnt, die Union und FDP im Innenausschuss kurzfristig in den Gesetzentwurf bugsiert hatten. Aber SPD, Grüne und Linkspartei seien sich "leider der gesellschaftspolitischen Brisanz nicht bewusst gewesen" und hätten "einfach business as usual gemacht". Jetzt, nach der großen öffentlichen Aufregung der vergangenen Tage, sieht Weichert doch noch gute Chancen, "dass der Bundesrat diesen gefährlichen Unsinn stoppt". |
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