17.10.2012 |
Startseite taz |
Anerkennung? Keine Chance |
Von Pascal Beucker |
FLÜCHTLINGE Bundesinnenminister Friedrich sieht einen
"zunehmenden Asylmissbrauch". Die Zahlen klingen weniger dramatisch:
Rund 1.900 Asylsuchende hat die Millionenstadt Köln dieses Jahr
aufgenommen - 400 mehr als 2010. Hier bleiben werden die wenigsten Die Turnhalle am Reitweg im Kölner Stadtteil
Deutz ist umzäunt von Stacheldraht. Vier Männer und eine Frau kauern
vor dem Eingang im Nieselregen und rauchen. Sie sehen ärmlich aus.
Und traurig. Sie anzusprechen ist nicht möglich: Ein privater
Wachdienst sichert das Gelände. Er lasse nur Bedienstete der Stadt
und Menschen mit einer speziellen Genehmigung durch, sagt der
bullige Wachmann in freundlichem, aber bestimmtem Ton. Und "Personen
mit einem Asylausweis um den Hals". Rund 200 Flüchtlinge befinden sich derzeit in der
Sporthalle des Deutzer Berufskollegs, die die Stadt als
Notunterkunft bereitgestellt hat. Die meisten von ihnen sind Roma
aus Serbien und Mazedonien. Nach Köln sind sie Ende vergangener
Woche gebracht worden, weil die Erstaufnahmeeinrichtungen
Nordrhein-Westfalens in Dortmund und Bielefeld überfüllt sind. Auch
die Durchgangseinrichtungen in Hemer und Schöppingen platzen aus
allen Nähten. Die Flüchtlinge bleiben nur bis zum 20. Oktober,
dann geht es weiter in die nächste NRW-Stadt. So jedenfalls hat es
Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) Kölns Oberbürgermeister Jürgen
Roters (SPD) zugesichert. Der hatte eine Aufnahme zunächst mit
Verweis auf die "bereits prekäre Unterbringungssituation" in Köln
abgelehnt. Die Kapazitäten in den 31 Flüchtlingsheimen seien
erschöpft, die Zuzüge von Asylsuchenden hätten sich "in den letzten
Wochen verdoppelt und die Möglichkeiten zur Unterbringung völlig
gesprengt", teilte die Stadt mit. Die realen Zahlen klingen weit weniger
dramatisch. Rund 1.900 Asylsuchende hat die Millionenstadt Köln in
diesem Jahr bislang aufgenommen, gerade mal 400 mehr als 2010. Laut
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragten von Januar bis
September 2012 insgesamt 40.201 Menschen Asyl in der Bundesrepublik.
Das sind zwar 7.769 mehr als im Vorjahreszeitraum, aber ein
Bruchteil der bis zu 438.191 Menschen, die Anfang der 1990er Jahre
Asyl beantragten. Die Flüchtlingszahlen seien weder exorbitant noch
über Nacht angestiegen, konstatiert der Flüchtlingsrat NRW. Vielmehr
wachse ihre Zahl kontinuierlich seit zwei Jahren. Die Behörden
hätten genug Zeit gehabt, dieser Entwicklungen gerecht zu werden.
"Es ist unverantwortlich, dass Land und Bund so schlecht vorbereitet
sind", kritisiert Vorstandsmitglied Kirsten Eichler. Mit 13.020 Flüchtlingen kam der größte Anteil aus
Afghanistan, Irak und Syrien. Aus Serbien und Mazedonien stammen
6.773 Menschen. Vorwiegend Roma nutzen die seit 2009 geltende
Visafreiheit, um elenden Lebensverhältnissen zu entfliehen. In ihren
Heimatländern seien sie einer "allumfassenden Diskriminierung
ausgesetzt", beklagt die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Eine
Einschätzung, die die Europäische Kommission gegen Rassismus und
Intoleranz bestätigt. Eine reale Chance auf Asyl in Deutschland
haben die Roma vom Balkan trotzdem nicht: Die EU-Beitrittskandidaten
Serbien und Mazedonien gelten als "sichere Staaten". Von einem "zunehmenden Asylmissbrauch" spricht
deswegen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). „Der
massive Zustrom serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger muss
unverzüglich gestoppt werden“, fordert er. In den Medien ist sogar
von einer "Flüchtlingsflut" zu lesen, werden also
notleidende Menschen wieder zur Naturkatastrophe erklärt. Das erinnert an den
Brandstifter-Jargon, der einst die Anschläge in Hünxe, Hoyerswerda,
Rostock und Mölln befeuerte. "Das von Politik und Medien gezeichnete Bild
unkontrollierbarer Flüchtlingsströme ist nicht nur falsch, sondern
auch hochgefährlich", warnt der Flüchtlingsrat NRW - und fordert mit
Pro Asyl und mehreren Roma-Organisationen: "Schluss mit der
rassistischen Hetze gegen Roma!" Roma aus Exjugoslawien dürften
nicht länger vom Asylrecht ausgeschlossen werden. Sie hätten "ein
Recht auf Einzelfallprüfung, innerhalb deren die rassistische
Diskriminierung in ihren Heimatländern in angemessener Weise zu
berücksichtigen ist". Das dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Innenminister Friedrich plädiert für die Wiedereinführung der Visumpflicht. Außerdem setzt er sich im Kampf gegen die vermeintlichen "Wirtschaftsflüchtlinge" für schnellere Asylverfahren und Abschiebungen ein. Zudem müsse das Asylbewerberleistungsgesetz ergänzt werden: "Wer aus sicheren Herkunftsstaaten kommt - dazu zähle ich Mazedonien und Serbien -, soll künftig weniger Barleistungen erhalten", sagte Friedrich der Bild-Zeitung. |
© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors. |