27.06.2013
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Freitag

 Unkorrekte Kollekte
Von Pascal Beucker

KIRCHEN Der Staat zahlt den christlichen Glaubensgemeinschaften Hunderte Millionen Euro. Dieses Privileg sollte längst abgeschafft sein. Doch die Politik scheut den Konflikt.

Raju Sharma ist enttäuscht und empört. „So geht man nicht mit unserer Verfassung um“, sagt der Bundestagsabgeordnete der Linken. Das Verhalten der anderen Fraktionen zeige „deutlich, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung nicht gewünscht ist“. Dabei hatte sich der religionspolitische Sprecher seiner Fraktion extra um eine realpolitische Lösung bemüht. Der Gesetzentwurf „über die Grundsätze zur Ablösung der Staatsleistungen an Religionsgesellschaften“ sollte ein mehrheitsfähiger Kompromiss sein. Doch in dieser Woche wird er im Bundestag wohl mit Pauken und Trompeten durchfallen. Damit bleibt alles beim Alten: Die Kirchen erhalten Jahr für Jahr Hunderte Millionen Euro vom Staat – aber nicht als Gegenleistung für karitative Tätigkeiten, sondern als Ausgleich für ominöse Zahlungsverpflichtungen aus dem vorletzten Jahrhundert.

Im Innen- und Rechtsausschuss wurde der Linken-Antrag von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Damit bleibt ein seit fast 100 Jahren bestehender Verfassungsauftrag unerfüllt. Denn das Grundgesetz verlangt, dass die historisch begründeten Dotationen an die Großkirchen abgelöst werden.

Schnöde Deals der Fürsten

Bisher werden die Kirchen großzügig vom Staat alimentiert. Alleine in diesem Jahr erhalten die beiden christlichen Religionsgemeinschaften rund 481 Millionen Euro. Die evangelische Kirche darf sich über 279 Millionen, die katholische Kirche über 202 Millionen Euro freuen. Bezahlt wird das von den Bundesländern, die Höhe wird jährlich angepasst und orientiert sich an den Beamtengehältern. Spitzenreiter ist derzeit Baden-Württemberg mit 108 Millionen Euro, gefolgt von Bayern mit 90 und Rheinland-Pfalz mit 52 Millionen Euro. Nur Hamburg und Bremen sparen sich aus hanseatischer Kaufmannstradition heraus diese Transferleistungen an die Kirchen.

Die Kirchen finanzieren mit dem Geld vor allem ihr Personal. Selbst der erzkonservative Kölner Erzbischof Joachim Meisner, der sich Ende des Jahres endlich in den längst überfälligen Ruhestand verabschieden will, wird nicht aus Kirchensteuermitteln bezahlt, sondern mit Staatsgeldern.

Hintergrund der jährlichen Zahlungen an die Kirchen sind umstrittene staatliche Zahlungsverpflichtungen, die sich aus vordemokratischen Rechtstiteln herleiten, aus dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 etwa oder dem Bayerischen Konkordat von 1817. Es geht um ein unübersichtliches Gemisch aus Ansprüchen. Sie resultieren einerseits aus der Säkularisierung kirchlicher Güter, andererseits aber auch aus schnöden Deals der damaligen Fürsten und Könige mit den Kirchenoberhäuptern: Anerkennung der staatlichen Obrigkeit seitens der Kirche gegen staatliche Alimentierung der kirchlichen Würdenträger.

Mit dem Ende des Kaiserreichs sollte damit eigentlich Schluss sein. Die Nationalversammlung 1919 wollte nicht nur die Staatskirche abschaffen, sondern Kirche und Staat auch finanziell entflechten. Sichergestellt werden sollte das durch den Artikel 138 der Weimarer Verfassung: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Der liberale Abgeordnete Friedrich Naumann begrüßte das seinerzeit. Die Ablösung sei „unser aller Wunsch“.

Streit über Ablösesumme

Doch manche Wünsche, auch wenn sie Verfassungsrang haben, bleiben Träume. Aus dem Reich wurde die Bundesrepublik, aus der Weimarer Verfassung das Grundgesetz. Der Ablösungsauftrag blieb bestehen. Die Bestimmung des Artikels 138 der Weimarer Verfassung ist „Bestandteil dieses Grundgesetzes“, heißt es nun im Artikel 140. Der Auftrag wurde bis heute nicht erfüllt. Selbst die Deutsche Demokratische Republik zahlte bis zu ihrem Ableben weiter brav Staatsleistungen an die Kirchen, durchschnittlich 15,4 Millionen DDR-Mark pro Jahr.

Rosemarie Will vom Bundesvorstand der Humanistischen Union hat mögliche Einsparungen ausgerechnet: „Bei rechtzeitiger Ablösung dieser alten Rechtsansprüche hätten die Länder in den letzten 50 Jahren Zahlungen in der Größenordnung von rund 15 Milliarden Euro vermeiden können.“ Die Bürgerrechtlerin hält die Ablösung der Staatsleistungen nicht nur für ein verfassungsrechtliches Gebot, sondern angesichts der hoch verschuldeten öffentlichen Haushalte auch für ein Gebot der finanziellen Vernunft.

Nach dem Willen der schwarz-gelben Bundesregierung wird das Geld auf absehbare Zeit jedoch weiter sprudeln. „Die finanziellen und volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Ablösung sind nicht zu unterschätzen“, antwortete sie auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Insoweit werde „für den Bundesgesetzgeber kein Handlungsbedarf gesehen“.

Dabei ist strittig, ob den Kirchen überhaupt eine Entschädigung zustände. Die Humanistische Union etwa vertritt die Auffassung: Wenn es je berechtigte Ansprüche gegeben habe, seien sie mit den seit 1919 geleisteten Zahlungen mehr als erfüllt.

Nur: Wer legt sich schon gern mit den beiden Großkirchen an? Die Linkspartei bietet in ihrem Gesetzentwurf „eine einmalige Entschädigungszahlung in Höhe des zehnfachen des zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes gezahlten Jahresbeitrags“. Das wären derzeit rund 4,81 Milliarden Euro. Ein Vorschlag zur Güte, „weil wir die Diskussion nicht gleich an dieser Stelle beendet sehen wollten“, erläutert der Linkspartei-Abgeordnete Sharma.

Allerdings gehen die Kirchen von ganz anderen Summen aus. Die Vorstellungen reichen bis zum 40-Fachen der jährlichen Staatszahlungen. Die Begründung für solch horrende Ansprüche liefern ihnen Staatskirchenrechtler wie Ansgar Hense. Es handele sich nicht um Tilgungsleistungen, meint der Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, „sondern um Unterhaltsverpflichtungen“.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Beatrix Philipp ist sich nicht zu schade, einen Staatskirchenvertrag aus der Nazi-Zeit zur Begründung ihrer Position heranzuziehen. Nazi-Deutschland und der Vatikan hatten sich 1933 in dem Reichskonkordat geeinigt: Falls die Staatsleistungen abgelöst werden sollten, werde „vor der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden“. Die CDU-Politikerin Philipp hält nun den vorgeschlagenen zehnfachen Jahresbeitrag als Ablösesumme für „weit weg von einem freundlichen Einvernehmen“.

Die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese, selbst Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, hält den Vorschlag der Linken ebenfalls für „nicht gangbar“, obwohl sie durchaus dafür sei, mit den Kirchen darüber zu reden, „wie und ob man diese Staatsleistungen ablösen kann“. Gleichwohl betont Griese, es gebe ja „inzwischen auch Staatsleistungen für die jüdischen Landesgemeinden und für den Zentralrat der Juden in Deutschland“.

Solche Vergleiche hält der Kirchenkritiker Carsten Frerk für grundfalsch. Im Gegensatz zu den Leistungen für die Kirchen hätten die Zahlungen an den Zentralrat der Juden eine „völlig klare Begründung, die der jetzigen Verfassungsordnung entspricht“. Das Geld sei zweckgebunden „zur Erhaltung und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft und zu den integrationspolitischen und sozialen Aufgaben des Zentralrats in Deutschland“.

Bleiben die Leistungen für die christlichen Kirchen bestehen, weil die Lobbyisten im Parlament zu einflussreich sind? Als im Februar der Gesetzentwurf der Linken erstmals im Bundestag behandelt wurde, hatten die meisten Abgeordneten Wichtigeres zu tun. Sogar von den acht angemeldeten Rednern glänzten vier durch Abwesenheit: Die Vertreter von Union und Grünen gaben ihre Beiträge schriftlich zu Protokoll und gingen lieber gemeinsam mit weiteren katholischen Abgeordneten zum Dankesgottesdienst für Ex-Papst Joseph Ratzinger.


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