05.09.2013 |
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Der Fluch des schnellen Erfolgs |
Von Pascal Beucker |
WAHLKAMPF Im
Westen steckt die Linkspartei in einer Krise, von der Aufbruchstimmung
ist nicht viel geblieben. Warum?
Keine
Viertelstunde dauert der Fußweg vom Düsseldorfer Landtag bis zur
„Destille“. An einer Wand der linken Künstler- und Literatenkneipe
hängt ein Schwarz-Weiß-Foto von Willy Brandt. In der Ecke steht eine
Lenin-Büste. Wolfgang Zimmermann sitzt auf einer mit rotem Leder
bezogenen Bank. Er sitzt gerne hier. Inzwischen kommt der 64-Jährige
wieder öfters in seine Stammkneipe. Das Bundesvorstandsmitglied der
Linkspartei hat wieder mehr Zeit. Zimmermann war von 2005 bis 2010 zunächst
Landessprecher der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“
(WASG), dann der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen. Anschließend
wurde er Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag. Bis die
Linkspartei im Mai vergangenen Jahres hochkantig aus dem Parlament
flog – so wie bereits zuvor in Schleswig-Holstein und danach in
Niedersachsen.
Eine Partei im Aufbau Bei der hessischen Landtagswahl parallel zur
Bundestagswahl droht der nächste Absturz: In allen Umfragen aus diesem
Jahr landete die Linkspartei unter der Fünfprozent-Hürde. Mit Ausnahme
des kleinen Saarlands wird sie nach dem 22. September wohl in keinem
Flächenland des Westens mehr parlamentarisch vertreten sein. Ist das Experiment gescheitert, eine bundesweit
ausstrahlungskräftige Partei links der SPD zu etablieren? Zimmermann
überlegt nicht lange. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die
Landesverbände im Westen am Ende sind“, sagt er im Brustton der
Überzeugung. „Wir sind immer noch eine Partei im Aufbau.“ Egal, welchen Funktionär man zum Zustand der
Linkspartei im Westen befragt: Immer wieder ertönt das altbekannte
Lied, die Partei befinde sich noch im Aufbau. Beinahe fühlt man sich
an eine bitter ironische Zeile erinnert: „Das beste Mittel gegen
Sozialismus ist, dass ihr den Sozialismus aufbaut!“ Zimmermann stockt kurz, dann muss er schmunzeln.
Selbstverständlich weiß er, woher die Zeile stammt: aus Wolf Biermanns
Lied „Warte nicht auf bessre Zeiten“. Zimmermann, der
undogmatisch-linke Gewerkschafter, hatte einst gegen die Ausbürgerung
Biermanns aus der DDR protestiert.
In die Opposition gedrängt SPD-Chef Sigmar Gabriel begründet seine Ablehnung
einer rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene mit den Worten, die
Linkspartei sei „nicht eine Partei, sondern zwei, bestehend aus
pragmatischen Linken im Osten und sämtlichen Sektierern und
SPD-Hassern im Westen“. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück
formulierte es bei seinem TV-Duell mit Angela Merkel ähnlich, sprach
von einer „Sektierergruppe aus Westdeutschland, für die offenbar die
SPD der Gottseibeiuns ist“. Hinter vorgehaltener Hand teilt manch „Reformer“ in
den östlichen Landesverbänden der Linkspartei solche Zuschreibungen.
Allerdings sind sie ungerecht. Trotz allem Verbalradikalismus:
„Fundamentalopposition“ ist die Linkspartei in den „alten“
Bundesländern oft bloß aus Mangel an Alternativen. Ob in Hessen, in
Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland: Wo es rechnerisch möglich war,
ist Rot-Rot-Grün nicht an irgendwelchen „Revoluzzern“, sondern an der
Ablehnung von SPD oder Grünen gescheitert. In etlichen Kommunen im Saarland oder auch in der
Ruhrgebietsstadt Duisburg lässt sich bewundern, dass auch die
westlichen Linkspartei-„Radikalinskis“ gerne bereit sind,
„Verantwortung zu übernehmen, übrigens auch für teilweise unangenehme
Entscheidungen“, wie es Steinbrück im TV-Duell mit Blick auf die
„Pragmatiker“ im Osten formulierte.
Zu radikal oder zu angepasst? Die Gründe für die Krise der Linkspartei im Westen
sind komplizierter. Die Wählerwanderungen bei den Landtagswahlen in
NRW und Niedersachsen sind alles andere als ein Beleg dafür, dass die
Linkspartei im Westen zu wenig „realpolitisch“ orientiert ist. Das Bild ist uneindeutig: In NRW verlor sie zwar
110.000 Stimmen an SPD und Grüne, jedoch auch 100.000 Stimmen an die
Piraten und die Nichtwähler. In Niedersachsen gingen 29.000 Stimmen an
Rot-Grün und 44.000 ehemalige Wählern votierten für die Piraten oder
gar nicht mehr. Den einen ist die Linkspartei also zu radikal, den
anderen zu angepasst. Ein Dilemma. Unter der Überschrift „Der Realo und die Empörte“
erschien kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai 2010
in der taz ein Doppelporträt, das anschaulich machte, dass die
Linkspartei im Westen von zwei sehr unterschiedlichen soziokulturellen
und politischen Milieus geprägt wird: von „verwurzelten“
Gewerkschaftern auf der einen Seite und vom „entwurzelten“ akademisch
gebildeten Prekariat auf der anderen. Von Leuten wie Thomas Prinz und
Elisabeth Sachse. Sie sind mit 42 und 45 Jahren etwa gleich alt, beide
waren 2008 in die Linkspartei eingetreten. Er, freigestellter Betriebsrat, kam aus der SPD und
war inzwischen Stadtratsfraktionsvorsitzender in der Ruhrgebietsstadt
Herten. Sie, Hartz-IV-Aktivistin, hatte es zuvor schon mal bei den
Grünen probiert und war jetzt Kreissprecherin in der Rheinmetropole
Köln. Heute ist weder der eine noch die andere Mitglied der
Linkspartei. Mit einem wütenden Austrittsschreiben, in dem sie
„Machtspielchen“ und „Scheindebatten“ beklagte, verließ die „Fundi“
Elisabeth Sachse schon im Juni 2010 die Partei. Ohne ein böses Wort
und aus „ausnahmslos persönlichen Gründen“ trat der „Realo“ Thomas
Prinz im September 2012 aus. Gut ein halbes Jahr später wurde er
Vorsitzender des DGB in Herten.
Ein bunter Haufen in den
Parlamenten Es ist der Fluch des zu schnellen Erfolgs, der auf
der Linkspartei in NRW liegt. Nach den Kommunalwahlen 2009 durfte sie
sich über 298 Stadt- und Gemeinderatsmandate freuen – das sind mehr
als sechs Mal so viele Abgeordnete wie zu alten PDS-Zeiten. Hinzu
kamen noch etliche weitere Mandate, beispielsweise in den
Bezirksvertretungen. Zwei Jahre nach dem Zusammenschluss von PDS und
WASG zog ein großer bunter Haufen in die kommunalen Parlamente ein,
der sich in der Regel untereinander nicht gut kannte. Plötzlich saßen
gestandene Kommunalpolitiker mit Politdesperados in einer Fraktion,
beinharte Gewerkschaftsfunktionäre trafen auf antiautoritäre Linke,
Geschaftlhuber auf Weltrevolutionäre, Karrieristen auf Querulanten,
Kümmerer auf Abzocker. Hinzu kamen die gravierenden
Mentalitätsunterschiede zwischen gewerkschaftlich sozialisierten und
äußerst selbstbewusst auftretenden WASGlern auf der einen Seite und
auf der anderen Seite den West-PDSlern, deren Politikverständnis stark
von den Ausgrenzungs- und Marginalisierungserfahrungen aus der
Vor-Linkspartei-Zeit geprägt war und ist. Es sei nicht gelungen, „ein
verbindendes politisches Selbstverständnis links von der
Sozialdemokratie zu schaffen“, konstatiert Horst Kahrs von der
Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die Basis zerlegt sich Der erhoffte Parteiaufbau von unten gelang nicht.
Stattdessen zerlegte sich vielerorts die lokale Basis. Mittlerweile
hat sich die Zahl kommunaler Mandatsträger drastisch reduziert. Weit
mehr als hundert Abgeordnete haben der Partei den Rücken gekehrt,
nicht selten unter Mitnahme ihres Mandats. Manche gingen nach monate- oder jahrelangem Streit,
manche über Nacht. Bei den einen waren es die großen politischen
Linien, bei anderen zwischenmenschliche Konflikte, die zur Trennung
führten. Sie gingen als Einzelkämpfer oder im Kollektiv. Mal standen
sie auf dem linken, mal auf dem rechten Flügel. Sie wechselten zu
einer anderen Partei oder gründeten ihre eigene Wählergemeinschaft.
Wie die einstige Linksfraktion in Gelsenkirchen. Dort sitzt heute
niemand mehr mit Linksparteibuch im Rat – und das ist kein Einzelfall. So unterschiedlich die jeweiligen Anlässe und
Motivationen auch waren: Ein tragfähiger kommunalpolitischer Unterbau
kann so nur schwerlich entstehen. „Ich glaube, dass langfristig eine
Partei nicht existieren kann, die nicht vor Ort verankert ist“, sagt
Wolfgang Zimmermann. Dabei ist dieser Erodierungsprozess keine
nordrhein-westfälische Besonderheit. Vom Bodensee bis zur Elbe, von
Konstanz bis Neumünster: Vergleichbare Absetzbewegungen ließen und
lassen sich überall in den „alten“ Bundesländern beobachten. Von den
Piraten über die Grünen und die SPD bis zur rechtspopulistischen
Wählervereinigung „Bürger in Wut“ in Bremerhaven: Sie alle können sich
über Ex-Linksparteiler freuen. Längst verflogen ist die Aufbruchstimmung, als die
ostdeutsche PDS und die westdeutsche WASG mit Gregor Gysi und Oskar
Lafontaine an der Spitze zusammenfanden. Die Mühen scheinen die Partei
zermürbt zu haben. Nach eigenen Angaben hatte die Linkspartei zu ihrer
Hochzeit 2009 rund 29.500 Mitglieder im Westen, inzwischen sind es nur
noch etwa 22.000. Der Verweis darauf, dass die östlichen
Landesverbände einschließlich Berlin im gleichen Zeitraum von 48.400
auf 40.300 schrumpften, also noch mehr Mitglieder verloren, lässt
diesen Aderlass kaum weniger dramatisch erscheinen. Trotzdem sehen Westfunktionäre in dem
Mitgliederrückgang keinen generellen Abwärtstrend wie im Osten,
sondern nur einen zwangsläufigen Konsolidierungsprozess. Immerhin sind
die westlichen Landesverbände noch weit von jenen dunklen PDS-Zeiten
entfernt, in denen sie auf gerade mal knapp 4.800 Mitglieder kamen.
Bundestagswahl als Chance Ob der Versuch, eine Partei links der
Sozialdemokratie auch im Westen parlamentarisch zu etablieren,
gescheitert ist, ist noch nicht entschieden. Viel hängt vom Ausgang
der Bundestagswahl ab. Der völlig katastrophale Wahlkampf der SPD mit
ihrem parteirechten Flügelmann Steinbrück könnte sich für die
Linkspartei als Glücksfall erweisen. Anders als noch vor ein paar
Monaten sehen die Umfragen sie derzeit wieder sicher im Parlament. Es
könnte schlimmer stehen. Unter tosendem Beifall beendete Oskar Lafontaine 2005 auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Linkspartei in Essen seine Rede zur Bundestagskandidatur mit einem Zitat von Victor Hugo: "Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist." Vielleicht ist das das Problem: Der heutigen Linkspartei fehlen die zündenden Ideen. Und es fehlt an einer Bewegung, die solch zündende Ideen tragen könnte. Aber das muss nicht so bleiben. |
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