28.02.2013

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Jungle World

 Eisberg voraus
Von Pascal Beucker

Die Piratenpartei befindet sich in einer tiefen Krise. Männerbündelei und verrohte Umgangsformen sind nur ein Teil des Problems.

Die Reaktion kam prompt. Gerade hatte die Berliner Piratenpartei ihre Landesliste für die Bundestagswahl im September aufgestellt, da twitterte sich am Sonntag ihr baden-württembergischer Parteifreund Sven Krohlas seinen Unmut von der Seele: »Quote war sexistische Kackscheiße, ist sexistische Kackscheiße und wird sexistische Kackscheiße bleiben.« Der 30jährige Student will zwar seinen Tweet nicht darauf bezogen haben, dass die Berliner vier Frauen auf die ersten vier Plätze wählten und Männer insgesamt auf der Liste in der Minderheit sind. Gleichwohl ist die Botschaft angekommen: Im Ländle, wo Krohlas hinter dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz auf dem zweiten Listenplatz steht, wäre eine solche Ungeheuerlichkeit nicht möglich gewesen.

Denn eigentlich haben Frauen bei der Piratenpartei nicht viel zu melden. Falls die Piratenpartei, die in den Umfragen derzeit zwischen zwei und vier Prozent gehandelt wird, es wider Erwarten doch in den Bundestag schaffen sollte, wird sie dort den Frauenanteil deutlich nach unten ziehen. Zehn der 16 Landeslisten für die Bundestagswahl sind inzwischen gewählt. In Thüringen steht gar keine Frau auf der Landesliste, im benachbarten Hessen mit Katrin Hilger gerademal eine - auf dem aussichtslosen Platz 6. In Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Sachsen lassen sich nur jeweils zwei Frauen unter den ersten Zehn finden. Auf den kompletten Listen in Brandenburg und im Saarland finden sich ebenfalls nicht mehr als zwei Frauen. Wo die Piratenpartei im Landtag sitzt, sieht es nicht besser aus. Von ihren insgesamt 45 Abgeordneten auf Landesebene sind gerade einmal sechs weiblich.

Auch wenn nur die ersten beiden Listenplätze als wenigstens bedingt aussichtsreich gelten können, mit ihrer für die Verhältnisse der Piratenpartei höchst unkonventionellen Listenaufstellung wollte die Berliner Piratenpartei offenbar zeigen, dass sie, auch wenn ihr Vorstand nur aus Männern besteht und ihrer 15köpfigen Fraktion im Abgeordnetenhaus nur eine Frau angehört, dazugelernt hat. Sie folgte dabei einem Aufruf, ein Zeichen zu setzen, »wie wichtig uns qualifizierte Frauen in der Politik sind«. Erfahrungen bei den Wahlen in anderen Landesverbänden hätten gezeigt, »dass Frauen aus strukturellen Gründen nicht ihren Qualifikationen gemäß vertreten sind«. Ein Plädoyer für die Quote - und damit bundesweit absolut nicht mehrheitsfähig.

Die Piratenpartei hat nicht begriffen, dass ihr Aufschwung, der sie in den vergangenen zwei Jahren in vier Landtage brachte und in den Umfragen auf bundesweit bis zu zwölf Prozent katapultierte, eine schnelle Anpassung ihrer Strukturen an die veränderten Verhältnisse erforderlich gemacht hätte. Politisch diffus, irgendwie zwischen sozial- und wirtschaftsliberal changierend, agieren die Parteimitglieder immer noch, als seien sie jene unbedeutende Gemeinschaft gleichgesinnter Nerds aus der Anfangszeit, für die sich außerhalb des eigenen Mikrokosmos niemand sonderlich interessiert.

Dabei müsste ihnen eigentlich die weltweit erste Piratenpartei, die im Januar 2006 gegründeten Piratpartiet in Schweden, ein warnendes Beispiel sein. Rund ein Dreivierteljahr vor ihrem deutschen Pendant gegründet, stieg sie zwar schneller auf, stürzte jedoch auch umso rasanter wieder ab. Auf ihrem Höhepunkt 2009 hatte sie knapp 50.000 Mitglieder und schaffte mit sensationellen 7,1 Prozent der Stimmen den Sprung ins Europäische Parlament. Der mediale Wirbel, den dieser Erfolg europaweit auslöste, gab auch der bis dahin vor sich hin dümpelnden deutschen Piratenpartei entscheidenden Auftrieb. Doch nur ein Jahr später erreichte die Partei bei der Wahl zum Reichstag lediglich 0,65 Prozent und verpasste deutlich den Einzug ins Parlament, während die Mitgliederzahl auf unter 16.000 sank.

Mittlerweile scheint auch in der Bundesrepublik der Zenit überschritten zu sein. Gegenwärtig verzeichnet die deutsche Piratenpartei rund 33.300 Mitglieder, Tendenz fallend. Allein in Baden-Württemberg sollen Ende 2012 rund 500 Mitglieder ausgetreten sein, nachdem sie die schriftliche Aufforderung erhielten, ihren Mitgliedsbeitrag zu entrichten.

Es kriselt heftig derzeit, was nicht zuletzt mit den rüden Umgangsformen zu tun hat. Ohne Rücksicht auf Verluste via Twitter, Facebook oder SMS ausgetragene persönliche Streitereien, die immer wieder ihren Weg in die Öffentlichkeit finden, zeichnen das Bild einer zutiefst unsympathischen Partei. All den aufrechten Bürgerrechtlern, die es ja auch gibt, zum Trotz, prägen substanzlose Karrieristen, eitle Selbstdarsteller und durchgeknallte Politdesperados das Bild. »Freundlichkeit ist eine Haltung, sie ist lernbar«, schrieb einmal der vor zwei Wochen verstorbene linke Intellektuelle Christian Semler. Bei der Piratenpartei hingegen ist fraglich, ob sie überhaupt lernen will.

Erst kürzlich sorgte eine vom Politischen Geschäftsführer Johannes Ponader veröffentlichte SMS, die ihm Christopher Lauer, der heutigen Fraktionsvorsitzende der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus, geschickt hatte, für Aufsehen: »Lieber Johannes, wenn Du bis morgen 12:00 Uhr nicht zurückgetreten bist, knallt es ganz gewaltig. Ich seh mir nicht mehr länger schweigend und untätig an, wie Du meine Partei gegen die Wand fährst.« Ponaders Antwort kam umgehend: »Ich harre also der Dinge, die da kommen. Herr Lauer: Jetzt heißt es einfach mal geil abliefern.«

Während Ponader aller Kritik zum Trotz weiter an seinem Posten festhält, trat Michael Hensel am Donnerstag vergangener Woche mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als brandenburgischer Landesvorsitzender zurück. Im Landesverband herrschten »teilweise Zustände, die ich nicht mehr mit mir und meinem Gewissen vereinbaren kann«, begründete der 35jährige Diplom-Informatiker seine Entscheidung. Er habe, »persönlich nie Schlimmeres erfahren beziehungsweise erlebt als in den letzten Monaten«.

Nur einen Tag zuvor war bereits Lars Pallasch, der Landesvorsitzende der baden-württembergischen Piratenpartei, zurückgetreten. Er habe »Androhungen von körperlicher Gewalt« erhalten, »und das nicht nur gegen mich, sondern auch gegen meine Familie«, begründete er seine Entscheidung, sowohl vom Amt zurück- als auch aus der Partei auszutreten. Er müsse »leider davon ausgehen, dass diese Drohbriefe von Parteimitgliedern stammen«, da die Schreiben teilweise Interna enthielten. Um seine Nachfolge bewirbt sich nun der eingangs erwähnte Sven Krohlas.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende Sebastian Nerz zeigte sich »tief erschüttert« über den Austritt Pallaschs. Mit ihm verliere die Piratenpartei einen »extrem zuverlässigen, besonnenen und einfach tollen Menschen«. Die Androhung von Gewalt gegen die Familie sei »so jenseitig, dass wir sie nicht tolerieren dürfen, ohne alles aufzugeben, für was wir einstehen«. Nerz empfahl, Pallaschs Entschluss »als Zeichen, innezuhalten und nachzudenken«, wahrzunehmen.

Nicht einmal von dem hehren basisdemokratischen Anspruch, den die Partei vor sich her trägt, bleibt in der Praxis viel übrig. Denn wer ab einer bestimmten Größe auf Delegiertenmodelle verzichtet und stattdessen seine überregionalen Parteitage als Mitgliederversammlungen durchführt, gleichzeitig jedoch weder Fahrtkosten noch Übernachtung zahlt, schränkt Partizipationsmöglichkeiten ein. Die Teilnahme wird zu einem Luxus, den man sich leisten können muss. So schafften es beispielsweise zur Aufstellung der nordrhein-westfälischen Bundestagswahlliste Ende Januar von insgesamt 6.250 Mitgliedern nur 430 ins abgelegene Meinerzhagen im Sauerland.

In der Konsequenz bildet sich innerhalb der vermeintlich egalitären Partei eine Art Reiseavantgarde heraus. »Wir müssen eine Partei sein, die Beteiligung und damit direkte Demokratie im Internetzeitalter auf die Agenda setzt«, sagte der Bundesvorsitzende Bernd Schlömer unlängst in einem Interview. Bislang schafft er das jedoch noch nicht mal in seinem eigenen Laden.


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