09.05.2013

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 Familienbetrieb
Von Pascal Beucker

Die Affäre um die Beschäftigung von Familienangehörigen im bayerischen Landtag kommt der CSU denkbar ungelegen.

Es gibt Sätze, die erscheinen bei näherer Betrachtung in einem ganz neuen Licht. »Es war so und wird so bleiben bei der CSU, dass wir Ehe und Familie besonders fördern und unterstützen«, verkündete der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer im März nach einem Treffen mit dem Zentralrat der deutschen Katholiken. Zu seinem Leidwesen weiß inzwischen jeder, was das in der CSU-Landtagsfraktion konkret bedeutet. Vermutlich hatten sich die Christsozialen den Einstieg in den Landtagswahlkampf anders vorgestellt.

Den Wirbel ausgelöst hat der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim. »Die Selbstbediener« lautet der Titel seines Mitte April veröffentlichten Buches. Mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf zeitlich perfekt platziert, geht er darin der Frage nach, »wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen«. Im Werk nennt er als Beispiel »die Beschäftigung von Verwandten und anderen Nahestehenden auf Kosten der Steuerzahler« – ohne allerdings konkrete Fälle aufzuführen. Doch die fanden sich schnell. Nur vier Tage nach der Buchpräsentation sah sich der bayerische Landtag aufgrund bohrender Nachfragen von Journalisten gezwungen, die Namen von 17 CSU-Abgeordneten zu veröffentlichen, die sich in der aktuellen Legislaturperiode auf besondere Weise um die Familienförderung verdient gemacht haben, darunter auch mehrere Kabinettsmitglieder und der damalige CSU-Landtagsfraktionsvorsitzende Georg Schmid. Für die Opposition war das eine Steilvorlage, umgehend wetterte der SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher gegen den »CSU-Filz« und die »CSU-Vettern- und Günstlingswirtschaft«.

Kein Wunder, dass bei der CSU dicke Luft herrscht. Das Verwandtenbeschäftigungsprogramm droht der Dauerregierungspartei die Landtagswahl im September zu verhageln. Unschöne Erinnerungen an die sorgfältig verdrängte »Amigo-Affäre« Anfang der neunziger Jahre kommen wieder hoch. »Ein wenig erinnert einen diese Verwandten-Affäre, die derzeit die CSU beutelt, an das Schicksal von Al Capone – der nicht wegen der größeren Untaten, sondern wegen nicht bezahlter Steuern gepackt wurde«, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Anders als bei den »wahren Amigo-Affären« gehe es hier nicht um Korruption, Bestechung und Bestechlichkeit. Gleichwohl empfänden die Menschen »das alles freilich als Echo der Großschmutzeleien aus alten Tagen der CSU«.

Dabei haben sich die nun aufgeflogenen CSU-Parlamentarier noch nicht einmal einer nachweisbaren Gesetzesübertretung schuldig gemacht. Denn die staatlich finanzierte Beschäftigung von Verwandten ist in Bayern unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar. Das unterscheidet das Maximilianeum vom Bundestag. Dort ist die Regelung eindeutig: »Der Ersatz von Aufwendungen für Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit dem Mitglied des Bundestages verwandt, verheiratet oder verschwägert sind oder waren, ist grundsätzlich unzulässig«, heißt es im Abgeordnetengesetz des Bundes. Die Münchner Variante ist da bislang flexibler.

Erst sei dem Jahr 2000 gibt es in Bayern überhaupt Einschränkungen familiärer Beschäftigungsverhältnisse. Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete die unabhängige Diätenkommission des Landtags, die lange vergeblich eine Abkehr vom Münchner Sonderweg gefordert hatte. Im Frühjahr 2000 griff »Panorama« die Kritik der Kommission auf und sendete einen für die Abgeordneten höchst peinlichen Beitrag über den »Landtag als Familienbetrieb«. Das ARD-Politmagazin berichtete damals, dass rund 45 der 204 Abgeordneten nahe Angehörige beschäftigten – wie man heute weiß, lag die Zahl deutlich höher.

Weniger aus Einsicht denn aus Angst vor weiterer schlechter Publicity erkannten die im Landtag vertretenen Parteien Handlungsbedarf. Ende September 2000 legten CSU, SPD und Grüne einen Antrag zur Änderung des bayerischen Abgeordnetengesetzes vor. Ziel sei es, »dass künftig die Erstattung für Abgeordnetenmitarbeiter, die mit einem Mitglied des Landtags verwandt, verheiratet oder verschwägert sind, unzulässig ist«. So steht es auf dem gemeinsam formulierten Vorblatt. Doch das war aus gleich zwei Gründen eine Mogelpackung. Zum einen sollte die neue Regelung nicht so weitgehend sein wie behauptet: Vom Landtag nicht mehr erstattet werden sollten nur Arbeits-, Dienst- und Werkverträge mit »Personen, die mit dem Mitglied des Landtags verheiratet, im ersten Grad verwandt oder im ersten Grad verschwägert sind«. Dieser im Dezember 2000 in Kraft getretene Passus bedeutet, dass ein Landtagsabgeordneter nunmehr zwar nicht mehr seine Mutter oder Tochter auf Staatskosten anstellen durfte, seinen Bruder, Enkel, Onkel oder Vetter aber schon. Vetternwirtschaft blieb also erlaubt.

Zum zweiten gönnte sich das Parlament eine nicht befristete Übergangsregelung, bestehende Arbeitsverhältnisse blieben unangetastet. Das entsprach einem parteiübergreifenden Interesse, denn Familienförderung hat sich in Bayern nicht nur die CSU auf die Fahnen geschrieben. Auch die SPD lässt sich da nicht lumpen. So profitierten von der Altfallregelung auch zahlreiche Sozialdemokraten. Sie ersparte beispielsweise der früheren bayerischen SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Renate Schmidt die Kündigung ihrer Tochter. Das Arbeitsverhältnis endete erst 2002, kurz nachdem Schmidt als Bundesfamilienministerin nach Berlin gewechselt war. Bis heute kann sie an der seinerzeitigen Beschäftigung ihres Nachwuchses »nichts Anrüchiges« entdecken.

Was Schmidt mit vielen ihrer früheren bayerischen Parlamentskollegen gemeinsam hat: Sie ist offenkundig der festen Überzeugung, dass alles, was rechtlich nicht verboten ist, auch politisch legitim sei. Das erklärt das fehlende Unrechtsbewusstsein. Insgesamt profitierten über die Jahre hinweg 79 Landtagsabgeordnete, darunter 21 mit SPD-Parteibuch, von der Altfallregelung, die vom Präsidium und vom Ältestenrat des bayerischen Landtags 2004 und 2009 jeweils nochmals bestätigt wurde. Die Verwandtenaffäre ist also kein reines CSU-Problem. Zum Glück für die SPD schieden jedoch die letzten sieben ganz besonders familienorientierten Sozialdemokraten im Oktober 2008 aus dem Landtag aus. Was es allerdings bis heute über alle Parteigrenzen hinweg gibt, sind ökonomisch lohnende Verwandtschaftsverhältnisse zweiten oder höheren Grades. Um wie viele es sich handelt, darüber gibt es keine verlässlichen Angaben. Bekannt ist mittlerweile, dass nicht nur CSU-Justizministerin Beate Merk bis vor kurzem ihre Schwester beschäftigte, sondern auch mehrere SPD-Abgeordnete und ein Grüner bezahlte geschwisterliche Hilfe in Anspruch nahmen. Und Hubert Aiwanger, der Vorsitzende der Freien Wähler, musste einräumen, seinen Schwager bis Monatsanfang aus öffentlichen Geldern bezahlt zu haben.

Bayerns Landtagsabgeordnete sind parlamentarische Spitzenverdiener. Nach einer Erhöhung gibt es ab Juli Diäten von 7 244 Euro und eine Kostenpauschale von 3 282 Euro monatlich – davon können ihre Kollegen andernorts nur träumen. Ebenfalls monatlich stehen jedem Abgeordneten in Bayern noch 7 524 Euro zur Verfügung, die er für Personal ausgeben kann – und mit denen sich trefflich die Haushaltskasse aufbessern lässt. Zwei CSU-Politiker sorgten für besondere Empörung: Der inzwischen zurückgetretene CSU-Fraktionsvorsitzende Georg Schmid ließ 23 Jahre lang sein Wahlkreisbüro von seiner Frau führen. Dafür erhielt sie als selbstständige Bürokraft gegen Rechnung monatlich bis zu 5 500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer. Der CSU-Finanzpolitiker Georg Winter ließ nicht nur seine Frau für sich arbeiten, sondern auch noch seine Kinder. Gerade noch rechtzeitig, damit sie unter die »Altfallregelung« fallen konnten, verschaffte er seinen damals 13- und 14jährigen Söhnen im Jahr 2000 ein vertragliches Beschäftigungsverhältnis, das bis Ende vorigen Jahres andauerte. Seine Frau und seine Kinder will Winter in seinem Stimmkreisbüro laut eigenem Bekunden »Mittwoch, Samstag, Sonntag, abends und als Urlaubs- und Krankheitsvertretung und bei Arbeitsspitzen« eingesetzt haben. Rückblickend bedauere er »aufrichtig« sein »damalig mangelndes Feingefühl«.

Nach einem kurzen Moment der Schockstarre hat sich Ministerpräsident Horst Seehofer dazu entschieden, in die Vorwärtsverteidigung zu gehen. Der CSU-Vorsitzende weiß, wie gefährlich ihm die Verwandtenaffäre werden kann. Sie bedroht die geplante Rückkehr zur absoluten Mehrheit. In Windeseile kümmerte er sich um die gröbsten Fälle: Winter ist den Vorsitz des Haushaltsausschusses los, Schmid musste als CSU-Fraktionsvorsitzender zurücktreten und hat seine Landtagskandidatur zurückgezogen. Die betroffenen Kabinettsmitglieder forderte Seehofer auf, die an ihre Angehörigen gezahlten Gelder zu erstatten. Außerdem soll bei der Landtagssitzung am 16. Mai Bayerns Abgeordnetengesetz dem des Bundes angeglichen werden. Die Übergangsregelung soll gestrichen werden. Nach den Plänen Seehofers wird es künftig auch nicht mehr möglich sein, Verwandte zweiten und dritten Grades auf Staatskosten zu beschäftigen.

»Ich kann euch zusichern, und das sichere ich der gesamten bayerischen Bevölkerung zu: Wir machen konsequent reinen Tisch«, versprach er am Freitag vergangener Woche auf dem CSU-Parteikonvent im Münchner Postpalast. Hier hatte Seehofer eigentlich eine Wahlkampfshow abhalten wollen. Doch daraus wurde nichts. Schon die Auswahl des Veranstaltungsorts erwies sich als Fehler: Kaum eine Zeitung ließ es sich entgehen, süffisant zu erwähnen, dass im Postpalast Steuersünder Uli Hoeneß, mit dem derzeit kein Politiker gerne in Verbindung gebracht wird, im Beisein des Ministerpräsidenten seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte. Statt wie geplant sich als eine Art bayerischer Obama zu inszenieren, musste sich Seehofer der Attacken der Opposition erwehren. Die CSU müsse sich »keine Diffamierungen von der SPD gefallen lassen, die selbst auch betroffen ist«, sagte er.

Für die FDP kann die Verwandtenaffäre indes zum Glücksfall werden. Denn ausgerechnet der kleine Koalitionspartner der CSU steht diesmal mit weißer Weste da. Erst seit 2008 im Landtag, fehlte den FDP-Abgeordneten die Gelegenheit oder auch der Wille, Verwandte in Lohn und Brot zu bringen. Das versucht die Partei, die in den Umfragen bislang nicht über drei oder vier Prozent hinauskam, zu nutzen. Jetzt gehe es darum, alles aufzuarbeiten und Transparenz herzustellen, fordert die bayerische FDP-Landesvorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und preist ihre Partei als »ein notwendiges Korrektiv« an. Kräftig teilte der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, aus: »Dass die Steuerzahler ganze Abgeordnetenclans durchfüttern, ist unentschuldbar und muss Konsequenzen haben.« Handelsblatt Online sagte er: »Wir sind hier schließlich nicht in irgendwelchen schlechten Mafia­filmen.« Auf ihrer Facebook-Seite präsentiert die bayerische FDP ihren Spitzenkandidaten Martin Zeil in Tracht und mit Filzhut. Neben dem Bild des Landeswirtschaftsministers prangt der Spruch: »Filz gehört nicht in die Politik … sondern auf den Kopf.«


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